BVwG W196 1405860-2

BVwGW196 1405860-219.2.2015

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2015:W196.1405860.2.00

 

Spruch:

W196 1405860-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, StA. Russische Föderation, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes vom 28.07.2010, Zl. 09 01.620-BAT, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet

abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 08.02.2009 gemeinsam mit seiner Ehefrau und den minderjährigen Kindern illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Anlässlich der niederschriftlichen Erstbefragung vor der Polizeiinspektion Traiskirchen am 09.02.2009 brachte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt vor, Tschetschenien verlassen zu haben, weil ihn die Khadirov Leute aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer im ersten Krieg mit den Tschetschenen gekämpft habe und im zweiten Krieg den Kämpfern geholfen habe, suchen würden.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Erstaufnahmestelle Ost, vom 21.03.2009 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zurückgewiesen. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde vom 08.04.2009 wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 14.05.2009 gemäß § 41 Abs 3 AsylG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Am 18.05.2009 wurde das Asylverfahren des Beschwerdeführers zugelassen.

Am 16.07.2009 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers beim Bundesasylamt. Der Beschwerdeführer führte zunächst aus, seinen Heimatstaat am 19.10.2008 verlassen zu haben. Zu seinem Gesundheitszustand gab er an, nervös zu sein, jedoch an keinen Krankheiten zu leiden. Er habe vor, sich aufgrund seiner Nervosität an einen Psychiater zu wenden.

Am 01.12.2009 suchte der Beschwerdeführer den Verein Menschenrechte Österreich auf und bekundete dort seine Absicht, freiwillig in sein Heimatland zurückzukehren.

Am 15.07.2010 wurde der Beschwerdeführer durch Dr. Kurt Nöllner, Facharzt für Psychiatrie, in 27000 Wiener Neustadt, gutachterlich untersucht. Aus der diesbezüglichen fachärztlichen Stellungnahme geht hervor, dass beim Beschwerdeführer derzeit eine psychische Störung mit deutlichem Krankheitswert bestehe und der Klient aus fachärztlicher Sicht an einer posttraumatischen Belastungsstörung mittleren Ausprägungsgrades sowie an einer depressiven Belastungsreaktion leide. Es bestehe eine Behandlungsbedürftigkeit medikamentöser und PT Art, um einer zusätzlichen Verschlechterung entgegenzuwirken. Eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde aufgrund der Gegebenheiten eine reale Gefahr für die Verschlechterung der Erkrankung darstellen, was auch einen lebensbedrohlichen Zustand nach sich ziehen könnte.

Am 28.07.2010 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers, wobei er auf seinen Gesundheitszustand angesprochen, zunächst ausführte, vom Psychiater Beruhigungsmittel bekommen zu haben. Die Frage, ob er Familienangehörige in Österreich habe, verneinte der Beschwerdeführer. Zu seinen Fluchtgründen befragt, brachte der Beschwerdeführer vor, im ersten Krieg gekämpft und im zweiten Krieg die Kämpfer mit Lebensmitteln versorgt zu haben. Auf die Frage, wie die Verfolgung seiner Person konkret ausgesehen habe, gab er an, dies aufgrund der Probleme mit seinem Gedächtnis nicht mehr so genau erzählen zu können. Kurz vor seiner Ausreise sei er verschleppt und dabei auch mit Strom gefoltert worden. Er sei für einen Monat angehalten worden. Nachdem ihn seine Eltern freigekauft hätten, sei er sofort ausgereist. Das genaue Datum könne er nicht mehr nennen. Nachgefragt, ob er während der Anhaltung verletzt worden sei, sichtbare Spuren gehabt habe und im Krankenhaus gewesen sei, brachte er vor, dass er psychiatrische Behandlung benötigt hätte. Abgesehen davon habe er bei seiner Einreise nach Österreich noch blaue Flecken gehabt. Die Frage, ob er noch wisse, in welchem Monat er angehalten worden sei, verneinte der Beschwerdeführer. Als er in die Anhaltung gebracht worden sei, seien seine Augen verbunden gewesen und anschließend sei er in einem verschlossenen Raum festgehalten worden, wo er nichts habe bemerken können. Damit konfrontiert, dass es eigenartig erscheine, dass der Beschwerdeführer erst 2008 mitgenommen worden sein soll, obwohl er bereits den Kämpfern im zweiten Krieg geholfen habe, gab er an, dass sie einen nicht in Ruhe lassen würden. Auf die Frage, was er beruflich gemacht habe, führte der Beschwerdeführer aus, dass er zuletzt nicht gearbeitet habe und es ihm schwer falle, auf Russisch zu erklären, was er gemacht habe. Er könne Türen und Fenster versetzen und Pflastersteine legen. Tätigkeiten am Bau seien für ihn kein Problem. Die Frage, ob er noch Kontakt in sein Heimatland habe, bejahte der Beschwerdeführer. Er wisse auch von einem Freund in Tschetschenien, dass noch immer nach ihm gesucht würde. Darauf angesprochen, dass er am 09.12.2009 beim Verein Menschenrechte Österreich den Wunsch geäußert habe, in sein Heimatland zurückzukehren, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er habe verhindern wollen, dass andere wegen ihm leiden. Ein naher Verwandter sei letzten Sommer mitgenommen worden, weshalb der Beschwerdeführer habe in sein Heimatland zurückfahren wollen. Anschließend habe er jedoch erfahren, dass dieser Verwandte getötet worden sei, weshalb er sich die Heimkehr wieder überlegt habe. Die Frage, ob er auf der Reise nach Österreich ständig mit seiner Familie zusammen gewesen sei, bejahte der Beschwerdeführer. Seine Tochter Jasmina sei hier in Österreich geboren und würden sie jetzt im August wieder ein Baby bekommen. Dazu befragt, was er im Falle einer Rückkehr zu erwarten hätte, brachte der Beschwerdeführer vor, dass er sofort wieder verschleppt werden würde.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.07.2010 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 08.02.2009 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs 1 iVm § 34 Abs 3 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 01.08.2011 erteilt.

Begründend wurde kurz zusammengefasst festgehalten, dass den Angaben des Beschwerdeführers insofern keine extreme Furcht glaubhaft entnommen werden könne, als er am 01.12.2009 seine Absicht kundgetan habe, freiwillig in sein Heimatland zurückzukehren. Auch seien in Gesamtbetrachtung der von ihm in seinen Einvernahmen gemachten niederschriftlichen Angaben zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte festzustellen gewesen, die eine Gewährung von Asyl nach sich ziehen würden. Die Gewährung des subsidiären Schutzes wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sich die allgemeine aktuelle Lage in Tschetschenien derzeit als problematisch darstelle. Darüber hinaus sei dem ärztlichen Attest des Dr. Kurt Nöllner zu entnehmen, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers wegen seines psychischen Zustandes nicht möglich sei.

In der dagegen erhobenen Beschwerde vom 09.08.2010 wurde begründend ausgeführt, dass das Ermittlungsverfahren des Bundesamtes mangelhaft geführt worden sei. Der Beschwerdeführer habe bei den Einvernahmen die Gründe für seine Flucht geschildert. Die belangte Behörde habe in ihrer Beweiswürdigung lediglich festgehalten, dass der Beschwerdeführer habe freiwillig zurückkehren wollen, weshalb eine Bedrohungssituation seiner Person in Tschetschenien nicht glaubhaft sei. Der Beschwerdeführer habe telefonisch erfahren, dass ein Verwandter von ihm zusammen mit zwei weiteren Personen festgenommen worden sei. Weil es ihn gequält habe, dass ein Verwandter von ihm wegen ihm festgenommen worden sei, habe er zunächst seine Heimkehr geplant. Nachdem er dann erfahren habe, dass bereits die Leichen der Verschleppten gefunden worden seien, habe er seine Rückkehrpläne wieder rückgängig gemacht. Die belangte Behörde habe zur Festnahme und zu den Folterungen des Beschwerdeführers keine Feststellungen getroffen und auch keine Ermittlungen getätigt. Die Ehegattin des Beschwerdeführers sei zur Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers nicht befragt worden. Obwohl der Beschwerdeführer vorgebracht habe, dass er im zweiten Krieg die Rebellen mit Lebensmitteln unterstützt habe, habe es die Asylbehörde gänzlich unterlassen, die Angaben des Beschwerdeführers genauer zu überprüfen bzw. zu ermitteln. Darüber hinaus sei festzuhalten, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers auch vor dem Hintergrund der neuerlichen Verschlechterung der Sicherheits- und Menschenrechtslage in Tschetschenien seit dem offiziellen Ende des Antiterror-Kampfes im April 2009 gut nachvollziehbar sei und werde in dem Zusammenhang auch auf den Bericht der parlamentarischen Versammlung des Europarates "Situation in the North Caucasus Region" vom 29.09.2009, der ebenfalls auf die Verschlechterung der Menschenrechtssituation in Tschetschenien sowie im gesamten Nordkaukasus hinweise, verwiesen. Sofern dem Beschwerdeführer während der Einvernahme vorgehalten worden sei, dass es merkwürdig sei, dass er erst im Jahr 2008 mitgenommen worden sei, ist dazu festzuhalten, dass viele der früheren Kämpfer und Helfer heute in den Truppen von Ramsan Kadyrow arbeiten würden und es gut möglich sei, dass der Beschwerdeführer durch jemanden, der für Kadyrovs Truppen gearbeitet habe und früher ein Mitkämpfer des Beschwerdeführers gewesen sei, ins Visier der Kadyrovzy gelangt sei.

Von 06.09.2012 bis 07.12.2012 war der Beschwerdeführer beim Verein Ute Bock obdachlos gemeldet.

Am 02.08.2013 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers. Darauf angesprochen, dass er mit seinem russischen Reisepass eine Reise nach Moskau unternommen habe, obwohl er in Österreich subsidiären Schutz habe und dieses Verhalten in einem deutlichen Widerspruch zu seinen seinerzeitigen Angaben, von den russischen Behörden verfolgt zu werden, stehe, gab der der Beschwerdeführer an, dass er in der Ukraine gewesen sei und es keinen Direktflug aus der Ukraine nach Wien gegeben habe. Damit konfrontiert, dass er Österreich gar nicht hätte verlassen dürfen, führte er aus, dies zu wissen. Seine Mutter würde aus gesundheitlichen Gründen ständige Pflege benötigen. Seine Schwester habe sie in die Ukraine begleitet. Nun sei sie jedoch wieder zu Hause, weil sie in der Ukraine nicht aufgenommen worden sei. Er habe diesbezüglich auch ein Schreiben mitgebracht. Auf Vorhalt, dass nicht davon auszugehen sei, dass er in Russland einer besonderen Gefährdung bzw. Verfolgung ausgesetzt sei, wenn er sich am Moskauer Flughafen habe ausweisen müssen, führte der Beschwerdeführer aus, am Flughafen für etwa eine Stunde angehalten worden zu sein. Er habe dann aber erklären können, dass er eine Familie in Österreich habe. Der Beschwerdeführer brachte darüber hinaus vor, nun wirklich ernsthafte Probleme zu haben, weil er sich von seiner Frau habe scheiden lassen. Die Kinder seien bei ihrer Mutter geblieben. Der Kindergarten habe sich kürzlich beschwert, dass die Kinder verwahrlost in den Kindergarten gekommen seien. Der Beschwerdeführer führte weiters aus, sich überlegt zu habe, die Kinder nach Hause nach Tschetschenien zu schicken. Darüber hinaus habe er 6.000,- Euro Schulden bei der Wien Energie. Die Frage, ob er nach wie vor in der Zohmanngasse gemeldet sei, bejahte der Beschwerdeführer. Er habe in Österreich gearbeitet, jedoch sei es schwierig, als subsidiär Schutzberechtigter eine Stelle zu bekommen.

Von 23.05.2013 bis 16.12.2014 war der Beschwerdeführer neuerlich beim Verein Ute Bock obdachlos gemeldet.

Einer telefonischen Auskunft des PAZ Roßauer Lände vom 19.02.2015 zufolge, befand sich der Beschwerdeführer von 15.12.2014 bis 22.12.2014 in Verwaltungsstrafhaft.

Aus einer Referentenauskunft vom 19.02.2015 ergibt sich, dass der Beschwerdeführer mittlerweile von seiner Ehefrau geschieden ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an und führt den im Spruch genannten Namen.

Der Beschwerdeführer ist Ex-Ehemann der XXXX und Vater von XXXX.

Er reiste am 08.02.2009 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte an demselben Tag den dem gegenständlichen Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.07.2010 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 08.02.2009 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs 1 iVm § 34 Abs 3 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 01.08.2011 erteilt.

Der Beschwerdeführer hat keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht.

Zur Situation in der Russischen Föderation / Tschetschenien wird festgestellt:

Konflikt und allgemeine Sicherheitslage

Nach zwei Jahren mit deutlichen Fortschritten sowohl bei der Sicherheits- als auch bei der Menschenrechtslage hat sich die Situation in beiden Bereichen in den Jahren 2008 und 2009 insgesamt wieder verschlechtert. Berichtet wird von verstärktem Zulauf zu den in der Republik aktiven Rebellengruppen und erhöhter Anschlagstätigkeit (im gesamten Nordkaukasus soll es nach Angaben des FSB 600 - 700 aktive Rebellen geben). Nach glaubhaften Angaben von Menschenrechts-NRO haben die Behörden in einigen Fällen mit dem Abbrennen der Wohnhäuser der Familien von Personen, die sich den Rebellen angeschlossen haben, reagiert. Wieder angestiegen sind auch die Entführungszahlen: Memorial hat für die erste Jahreshälfte 2009 74 Entführungsfälle registriert (Gesamtjahr 2008: 42). Die Entführungen werden größtenteils den (v.a. republikinternen) Sicherheitskräften zugeschrieben. Weiterhin werden zahlreiche Fälle von Folter gemeldet. Unter Anwendung von Folter erlangte Geständnisse werden nach belastbaren Erkenntnissen von Memorial - auch außerhalb Tschetscheniens - regelmäßig in Gerichtsverfahren als Grundlage von Verurteilungen genutzt.

(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 04.04.2010)

Im Februar 2010 erklärte der Russische Oberste Gerichtshof das "Kaukasische Emirat" zu einer terroristischen Organisation und verbot diese offiziell. Die Anerkennung als terroristische Organisation erlaubt es den Exekutivbehörden, nicht nur aktive Kämpfer zu verfolgen, sondern auch Komplizen und Ideologen, die die Organisation etwa durch "informatorische Unterstützung" unterstützen. Die Generalstaatsanwalt versprach, dass Unterstützer des Kaukasus Emirats der Anti-Extremismus Gesetzgebung unterliegen würden.

(Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor Volume 7 - Issue 41, 02.03.2010)

Laut Memorial ist die Anzahl von bei Terrorakten getöteten Sicherheitskräften in Tschetschenien seit dem Ende der Anti-Terror-Operation 2009 angestiegen: Zwischen April 2009 und Ende März 2010 seien 85 Exekutivbedienstete getötet und 168 verletzt worden, zwischen April 2008 und Ende März 2009 waren 50 Exekutivbedienstete getötet und 140 verletzt worden. Zudem seien 2009 93 Personen getötet und 192 verletzt worden, dies sei um eineinhalb Mal mehr als jene der 2008 Getöteten und Verletzten. (Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor Volume 7 - Issue 74, 16.04.2010)

Laut Caucasian Knot kamen bei Kämpfen zwischen Sicherheitskräften und Rebellen in den 300 Tagen nach dem 16. April 2009 (offizielle Beendigung der ATO) 291 Menschen ums Leben, in den 300 Tagen vor dem 16. April 2009 waren es 145 gewesen. 54 Sicherheitskräfte sind in den 300 Tagen nach der Beendigung der ATO getötet und 165 verletzt worden, in den 300 Tagen davor waren 45 getötet und 125 verletzt worden. Zudem kam es in den 300 Tagen nach dem 16. April im Vergleich zu den 300 Tagen davor zu einem Anstieg an Selbstmordanschlägen: Vorher war einer von 47 terroristischen Angriffen ein Selbstmordanschlag, danach waren es neun von insgesamt

53. In den 300 Tagen nach Aufhebung der ATO waren 177 vermeintliche Rebellen und Komplizen getötet, und 158 gefangen worden, neun davon hatten sich freiwillig ergeben. Vor der Aufhebung der ATO waren in 300 Tagen 81 Rebellen getötet worden. In den 300 Tagen nach dem Ende der ATO waren 18 Zivilisten getötet, 32 verletzt und 32 entführt worden, in den 300 Tagen davor waren 17 getötet, 15 verletzt und 14 entführt worden.

(Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor Volume 7 - Issue 30, 12.02.2010)

2009 stieg laut Memorial die Anzahl an Entführten in Tschetschenien an: Zwischen Jänner und November waren 90 Personen entführt worden, 58 davon waren wieder freigelassen, 10 tot aufgefunden worden. 18 Personen sind weiterhin verschwunden, 4 Fälle werden noch untersucht. Im selben Zeitraum 2008 waren 28 Personen entführt worden, davon 15 wieder freigelassen, 9 weiterhin verschwunden, 5 Fälle in Untersuchung.

(Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor Volume 7 - Issue 19, 28.01.2010 / U.S. Department of State: Country Reports on Human Rights Practices 2009 - Russia, 11.03.2010)

Entführungen laut Memorial:

2007: 35

2006: 187

2005: 325

(Länderanalysen.de: Russian Analytical Digest 70/09 - Chechnya After the Cancellation of Counter-Terrorist Operations, 21.12.2009)

Die Anzahl an extralegalen Tötungen und Fällen von Verschwundenen stieg 2009 merklich an, ebenso wie die Anzahl an Angriffen auf Exekutivbedienstete. Die Anzahl an durch Rebellen getötete Zivilisten und Soldaten stieg 2009 an. Trotz des Endes der ATO kam es über den Sommer 2009 zu einem Anstieg an Gewalt. Sowohl föderale Kräfte als auch ihre Opponenten verwenden weiterhin Antipersonenminen. Die Sicherheitskräfte unter dem Kommando Ramsan Kadyrows spielten eine zunehmende Rolle bei Entführungen, zum Teil in gemeinsamen Operationen mit den föderalen Kräften. Die Sicherheitskräfte sind Menschenrechtsorganisationen zufolge auch in Fälle von "Verschwinden" involviert.

(U.S. Department of State: Country Reports on Human Rights Practices 2009 - Russia, 11.03.2010)

Trotz der offiziellen Beendigung der Anti-Terror-Operation (ATO) im April 2009 finden immer wieder finden kleinere ATO auf tschetschenischem Territorium statt. Bei ATO ist bei der Verwendung von Waffen und Kampfgerät gesetzlich die Einhaltung von Proportionalität vorgesehen - der Einsatz hat proportional zu der jeweiligen Situation zu geschehen. Inwieweit dies bei Sondereinsätzen eingehalten wird, ist jedoch unklar. 2009 wurden weiter zusätzliche militärische Einheiten von Zentralrussland in den Nordkaukasus versetzt. Im November 2009 waren weiterhin rund 20.000 föderale Truppen permanent in Tschetschenien stationiert.

(Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor Volume 7 - Issue 5, 8.1.2010 / CoE - Commissioner for Human Rights: Report by Thomas Hammarberg Following his visit to the Russian Federation on 2 - 11 September 2009, 24.11.2009 / Jamestown Foundation: North Caucasus Analysis Volume: 10 Issue: 16 - Fighting in Chechnya Continues despite the Counter-Terrorist Operation's Completion, 24.04.2009 / RFE/RL: Russians expand Chechen counterterror effort, 24.04.2009, http://www.rferl.org/content/Russia_ In_Fresh_Hunt_For_Chechnya_Rebels/1615190.html, Zugriff 01.06.2010)

Die für eine Einschätzung der Situation bedeutsamen Entwicklungen in Tschetschenien betreffen vor allem den signifikanten Rückgang militärischer Aktivitäten, sowohl was deren Intensität als auch deren Umfang betrifft, sowie die allgemeine Verbesserung der Sicherheitslage. Groß angelegte Militäraktionen wurden tatsächlich beendet, die Zahl bewaffneter Auseinandersetzungen ist über die Jahre hinweg deutlich gesunken, und der allgemeine Umfang sowie die Intensität des Konfliktes sind rückläufig.

Dieser Umstand ermöglichte den teilweisen Rückzug russischer Truppen aus Tschetschenien. Die fortgesetzten Kämpfe beschränken sich hauptsächlich auf die spärlich bevölkerte Bergregion im Süden Tschetscheniens und können nicht mehr als wahllos bezeichnet werden. Die noch stattfindenden militärischen Aktivitäten führen zu keiner Vertreibung der Zivilbevölkerung. Die Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage verbunden mit den bereits erfolgten und laufenden föderalen und lokalen Wiederaufbauprogrammen ermöglichte die Rückkehr Binnenvertriebener in ihre Häuser. Auch wenn die Zahl der Binnenvertriebenen nach wie vor sehr hoch ist (79.000), schätzt UNHCR, dass seit dem Jahr 2002 Zehntausende nach Hause zurückkehren konnten. (UNHCR: Hinweise des UNHCR zur Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz von Asylsuchenden aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien, 07.04.2009)

Die Sicherheitslage im gesamten Nordkaukasus hat sich über den Sommer 2009 verschlechtert, darunter auch in Tschetschenien. In Tschetschenien kam es zu einem Anstieg an Selbstmordattentaten, die sich primär gegen staatliche Einrichtungen und deren Vertreter richteten. Auch gemäßigte islamische Würdenträger werden gezielt Opfer von Mordanschlägen. Inwieweit die derzeitige Widerstandsbewegung von der lokalen Bevölkerung unterstützt wird kann nicht gesagt werden.

(Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor 6/204, 05.11.2009 / NZZ: Der Nordkaukasus driftet von Moskau weg, 28.9.2009; http://www.nzz.ch/nachrichten/international/der_nordkaukasus_driftet_von_moskau_weg_1.3692101.html?printview=true , Zugriff 01.06.2010)

Die Verminung ist in Tschetschenien ein drängendes Problem, es findet keine systematische Räumung statt. IKRK führt daher zur Vermeidung riskanten Verhaltens Aufklärungskampagnen durch, mikro-ökonomische Initiativen, sowie Projekte zur Verbesserung des Zugangs zu Wasser und Energiequellen.

(ReliefWeb: Northern Caucasus: ICRC remains active in an environment increasingly marked by violence, 07.04.2010, http://www.reliefweb.int/rw/rwb.nsf/db900SID/EDIS-84ALPR?OpenDocument&rc=4&emid=ACOS-635PN7 , Zugriff 01.06.2010)

Amnestien

Das russische Parlament erließ am 22. September 2006 den Beschluss "Über die Verkündung einer Amnestie für Personen, die Verbrechen begangen haben in der Periode, als konterterroristische Operationen durchgeführt wurden auf dem Territorium von Subjekten der Russischen Föderation im Südlichen Föderativen Kreis" sowie die dazugehörigen Ausführungsbestimmungen. Am folgenden Tag wurden sie im russischen Amtsblatt "Rossijskaja Gazeta" publiziert und traten damit in Kraft.

Zuvor waren schon mindestens dreimal Amnestien für Tschetschenien angeboten worden:

• im März 1997 für Verbrechen, die während des Ersten Tschetschenienkrieges begangen worden waren (9.12.1994-31.12.1996;

ca. 5'000 Personen);

• im Dezember 1999 für Personen, die in der Anfangszeit des Zweiten Tschetschenen-Krieges die Waffen niederlegten (1.8.-16.12. 1999; ca. 2'500 ergaben sich, 750 wurden amnestiert);

• am 6.6.2003 zur Feier der Annahme einer neuen tschetschenischen Verfassung für Verbrechen begangen zwischen dem 12.12.1993 und dem 1.8.2003. Daneben begnadigten seit Jahren Achmatd Kadyrow, der unter Moskaus Aufsicht gewählte Präsident Tschetscheniens, sowie sein Sohn und Nachfolger, Ramsan Kadyrow, übergelaufene Freischärler. Nach übereinstimmender Schätzung der Menschenrechtsorganisation "Memorial" und offizieller tschetschenischer Quellen profitierten von dieser "grauen" Amnestie seit 2001 mindestens 7.000 Personen. Davon wurden nach offiziellen tschetschenischen Angaben gegen 5'000 in staatliche Strukturen und die Sicherheitskräfte integriert.

(BFM: Focus Russland - Zur Amnestie in Tschetschenien, 19.03.2007)

Am 22.09.2006 beschloss die Duma eine neue Amnestieverordnung. Sie erfasst Vergehen, die zwischen dem 13.12.1999 und dem 23.09.2006 im Nordkaukasus begangen wurden. Die Amnestie gilt sowohl für Rebellen ("Mitglieder illegaler bewaffneter Formationen", sofernsie bis zum 15.01.2007 die Waffen niederlegen) als auch für Soldaten, erfasst aber keine schweren Verbrechen (u.a. nicht Mord, Vergewaltigung, Entführung, Geiselnahme, schwere Misshandlung, schwerer Raub; für Soldaten: Verkauf von Waffen an Rebellen). Nach Mitteilung des Nationalen Antiterror-Komitees haben sich bis zum Stichtag insgesamt 546 Rebellen gestellt. Etwa 200 Rebellen waren angeblich an Sabotage und Terroraktionen beteiligt, nahezu alle sollen einer illegalen bewaffneten Gruppe angehört haben.

(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 04.04.2010)

Kadyrow nutzte die Amnestien zur Auffüllung seiner Truppen, viele der Menschen die die Anmestien 2003 und 2007 in Anspruch genommen haben, arbeiten nun in der tschetschenischen Miliz und der Leibwache Kadyrows. Im Grunde war die Bedingung für eine Amnestierung die Zustimmung des Kämpfers, sich diesen Truppen anzuschließen. Von beiden Amnestien waren Personen ausgeschlossen, die "schwere Verbrechen" begangen hatten. In einer Reihe von Fällen wurde jedoch die Entscheidung über eine Befreiung von strafrechtlicher Verantwortung "unter Erwägung der Zweckdienlichkeit" getroffen. Unter den "Kadyrowzy" befinden sich also auch viele, die von Amnestien ausgenommen gewesen wären. Eine Rückkehr in ein nicht-militärisches Leben war im Rahmen der Amnestien kaum möglich.

(BBC Russian: Kreml dopuskaet amnistiu Sakaewu, 17.02.2009, http://news.bbc.co.uk/hi/russian/russia/newsid_7894000/7894940.stm , Zugriff 31.03.2009/Accord / EJ - Jeschednewnyj Schurnal: Amnistii ne podleschat, 22.09.2006, http://www.ej.ru/?a=note&id=4860 , Zugriff 31.03.2009/Accord / NEWSru.com: Amnistija w Tschetschne prowalilas - Kadyrow sanjat wyborami, 2.09.2003, http://txt.newsru.com/russia/02sep2003/amnisty.html , Zugriff 31.03.2009/Accord / NG - Nowaja § 3 neg8 posbefrAB Famvfen AsylG05-2010 Seite 19 von 37

Gaseta: Prinuditelnaja amnistija, 21.04.2003, http://www.novayagazeta.ru/data/2003/28/13.html , Zugriff 31.03.2009/Accord)

Besondere Bedrohung

Im September 2008 begannen Menschenrechtsorganisationen und internationale Medien über eine Brandstiftungs-Kampagne der tschetschenischen Regierung in einigen Dörfern, um die Familien vermeintlicher Rebellen zu bestrafen. In vielen Fällen wurde erklärt, dass die Heime zur Bestrafung zerstört worden wären. Ramsan Kadyrow und der Bürgermeister von Grosnyj, Muslim Chutschijew sprachen explizit Drohungen aus. 2009 gab es zahlreiche Berichte über solche Fälle von Brandstiftung, jedoch ist über deren Ausmaß nichts Genaues bekannt.

Föderale und lokale Sicherheitskräfte, sowie die Privatmiliz von Ramsan Kadyrow, setzten Familien vermeintlicher Rebellen Repressalien aus, und begingen auch andere Missbräuche. Föderale und tschetschenische Kräfte waren Berichten zufolge in die Entführung von Verwandten von Rebellen involviert.

(U.S. Department of State: Country Reports on Human Rights Practices 2009 - Russia, 11.03.2010 / Caucasian Knot: Week in the Caucasus:

review of main events of April 5-11, 12.04.2010, http://chechnya.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/13071/ , Zugriff 01.06.2010 / Human Rights Watch: What Your Children Do Will Touch Upon You, Juli 2009 / BBC News: Chechen Problem Far from Over, 16.04.2009, http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/7974652.stm , Zugriff 01.06.2010 / Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor Volume 6, Issue 191, 19.10.2009)

Zwischen Juli 2008 und Juli 2009 kam es zu rund 30 Fällen von Haus-Niederbrennungen, vermutlich durch tschetschenische Exekutivbehörden. Für gewöhnlich handelt es sich um Familien, deren Söhne oder Neffen vermeintlich in der Rebellenbewegung aktiv sind. Vor der Brandstiftung wurden die Familien meist von Behörden oder der Exekutive unter Druck gesetzt und bedroht, um ihre Familienangehörigen zur Aufgabe zu überreden. Bislang wurde niemand für die Brandstiftungen zur Rechenschaft gezogen. Seit Sommer 2009 erhielt Human Rights Watch weitere Berichte über Haus-Niederbrennungen, zuletzt im März 2010 in Schali.

(Human Rights Watch: Human Rights in Russia Hearing May 6, 2010, 06.05.2010)

Besonderer Bedrohung sind Familienangehörige bekannter bzw. derzeit aktiver Rebellenkämpfer ausgesetzt. Familienangehörige aktueller Widerstandskämpfer werden durch die Machtorgane unter Druck gesetzt und verfolgt. Eines der Mittel der so genannten tschetschenischen Siloviki (Militärs, Sicherheits- und Geheimdienste) ist das Niederbrennen von Häusern von Verwandten von Rebellen, das insbesondere seit Sommer 2008 wieder verstärkt als Druckmittel eingesetzt wird. Zwischen Sommer 2008 und Frühling 2009 wurden von Human Rights Watch 25 solcher Fälle verzeichnet.

(Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor Volume 6, Issue 190, 16.10.2009 / Human Rights Watch: What Your Children Do Will Touch Upon You, Juli 2009 / Office for Foreigners (Poland)/CEDOCA, Documentation and Research Centre - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium)/Staatendokumentation des Bundesasylamtes (Austria): FFM Moscow 2008, 10.09.2009)

In einigen Fällen wurden Personen für die vermeintliche Unterstützung der und Kollaboration mit Rebellen verhaftet.

(Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor Volume 7 - Issue 5, 08.01.2010 / Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor Volume 7 - Issue 9, 14.01.2010)

Es gibt Fälle, in denen Familienmitglieder erfolgreich in andere Teile der Russischen Föderation zogen. Eine besondere Bedrohung gilt des Weiteren für Personen, die durch Opposition zur Regierung von Kadyrow die Aufmerksamkeit der lokalen Behörden auf sich ziehen.

Ehemalige Kämpfer und deren Familienmitglieder sind im Allgemeinen nicht einer besonderen Bedrohung ausgesetzt, vor allem weil ein überwiegender Teil von ihnen heute für Kadyrow arbeitet. Es erscheint unwahrscheinlich, dass Personen die Rebellen während des ersten Tschetschenienkrieges nicht-militärisch/logistisch unterstützt haben verfolgt werden. Bei Personen, die die Rebellen während des zweiten Krieges oder aktuell unterstützt haben, könnte es sein, dass sie in einer gefährdeten Lage sind. Dies müsste im Einzelfall untersucht werden.

(Office for Foreigners (Poland)/CEDOCA, Documentation and Research Centre - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium)/Staatendokumentation des Bundesasylamtes (Austria): FFM Moscow 2008, 10.09.2009 / Dr. Mikhail Roshchin - Institute for Eastern Studies, Vortrag für AsylGH am BMI, 26.03.2009)

Personen, die eine Klage beim EGMR in Strassburg eingebracht haben, können in Gefahr sein, viele der Personen leben aber trotz einer eingebrachten Klage unbehelligt in Tschetschenien oder anderen Teilen Russlands.

Der Moskau Helsinki Gruppe zufolge könne auch Muslime, die für Wahhabiten gehalten werden oder solche sind, gefährdet sein. Zudem geht die Gruppe davon aus, dass jene Personen, die Probleme mit Kadyrov haben, auch in anderen Teilen der Russischen Föderation gefährdet sind. (Office for Foreigners (Poland)/CEDOCA, Documentation and Research Centre - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium)/Staatendokumentation des Bundesasylamtes (Austria): FFM Moscow 2008, 10.09.2009)

Menschenrechtsaktivisten, die sich aktiv mit vergangenen und aktuellen Problemen in Tschetschenien auseinandersetzen bzw. diese aufzeigen zu versuchen, sind ebenfalls einer Bedrohung ausgesetzt. Es kam in den letzten Jahren zu mehreren Todesfällen.

(UNHCR: Hinweise des UNHCR zur Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz von Asylsuchenden aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien, 07.04.2009 / Office for Foreigners (Poland)/CEDOCA, Documentation and Research Centre - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium)/Staatendokumentation des Bundesasylamtes (Austria): FFM Moscow 2008, 10.09.2009 / Amnesty International: Rule without law:

Human rights violations in the North Caucasus, 30.06.2009 / U.S.

Department of State: Country Reports on Human Rights Practices 2009 - Russia, 11.03.2010)

Rückkehrfragen

Grundversorgung/Wirtschaft

Die Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen in den Jahren seit 2007 deutlich verbessert. Einige Indizien hierfür liefern die offiziellen, belastbaren Statistiken: Die Durchschnittslöhne in Tschetschenien liegen spürbar über denen in den Nachbarrepubliken. Das laufende föderale Hilfsprogramm zum Aufbau Tschetscheniens sieht 111 Mrd. Rubel (2,5 Mrd. €) für die Jahre 2008-2011 vor. Damit sind die Staatsausgaben in Tschetschenien pro Einwohner doppelt so hoch wie im Durchschnitt des Südlichen Föderalen Bezirks.

Wichtigstes soziales Problem ist die Arbeitslosigkeit und große Armut weiter Teile der Bevölkerung. Nach Schätzungen der UN waren 2008 ca. 80% der tschetschenischen Bevölkerung arbeitslos und verfügen über Einkünfte unterhalb der Armutsgrenze (in Höhe von 2,25 USD/Tag). Haupteinkommensquelle ist der Handel. Andere legale Einkommensmöglichkeiten gibt es kaum, weil die Industrie überwiegend zerstört ist. Minen verhindern die Entwicklung landwirtschaftlicher Aktivitäten. Geld wird mit illegalem Verkauf von Erdöl und Benzin verdient; zahlreiche Familien leben von Geldern, die ein Ernährer aus dem Ausland schickt.

(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 04.04.2010)

Im Jänner 2010 galten 43% der tschetschenischen Bevölkerung nach Definition der ILO als arbeitslos

(Universität Bremen - Forschungsstelle Osteuropa: Russlandanalysen Nr. 200, 07.05.2010)

Obwohl sich die humanitäre Situation in den letzten Jahren schrittweise verbessert hat und es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung kam, bleibt die Realität für viele Menschen hart. Jedoch handelt es sich im Nordkaukasus derzeit trotz dem Anstieg an Gewalt um keinen umfangreichen [large-scale, Anm.] humanitären Notfall im Nordkaukasus.

International Medical Corps führt im Kaukasus seit vier Jahren Aktivitäten zur Einkommensförderung (income-generating activities) durch. Teilnehmer müssen einen Geschäftsplan aufstellen, der dann mithilfe der NRO (gefördert durch Gelder der Europäischen Kommission/ECHO) umgesetzt wird. Bislang konnten so 370 kleine Unternehmen starten. Für 2010 ist geplant 160 Projekte zu unterstützen.

(International Medical Corps: Stitching Broken Dreams, 31.12.2009, http://www.imcworldwide.org/Page.aspx?pid=1014 , Zugriff 02.06.2010)

Russlands Regierung will 2010 umgerechnet 215,5 Millionen Euro - um 13 Prozent mehr als im Vorjahr - für die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Nordkaukasus bereitstellen. Nach der Methode der Internationalen Arbeitsorganisation sind heute fast 20 Prozent der Einwohner der Region (rund 820 000 Nordkaukasier) arbeitslos. 2009 wurden mehr als 7,5 Milliarden Rubel für das Anti-Krisen-Programm im Nordkaukasus bereitgestellt, 2010 sollen es mehr als 8,5 Milliarden Rubel (umgerechnet 215,571 Millionen Euro) sein. Alexandr Chloponin (Bevollmächtigter des russischen Präsidenten im Nordkaukasus) verwies darauf, dass angesichts des Wirtschaftswachstums in Russland die staatliche Finanzierung der Anti-Krisen-Programme im Großen und Ganzen zurückgehe. Für den Föderalbezirk Nordkaukasus werden jedoch größere Haushaltsausgaben vorgesehen.

Laut dem Vizeminister für Gesundheitswesen und Soziales, Maxim Topilin, besteht im Nordkaukasus eine paradoxe Situation: Einerseits setzt Russland umfangreiche Programme um, um die Geburtenhäufigkeit im Lande zu erhöhen, andererseits trägt der objektive Vorteil der Region in diesem Bereich zur Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus bei.

(Ria Novosti: Russland stellt mehr Haushaltsmittel für neue Arbeitsplätze im Nordkaukasus bereit, 15.04.2010, http://de.rian.ru/business/20100415/125928594.html , Zugriff 01.06.2010)

Die Chancengleichheit ist durch die Korruption und die Zerstörung der Wirtschaft während des Krieges eingeschränkt. Bewohner die Arbeit finden arbeiten zumeist bei der lokalen Polizei, in der Verwaltung, dem Öl- oder Bausektor, oder in kleinen Unternehmen. Trotz der zahlreichen Probleme hat sich die wirtschaftliche Situation durch die Wiederaufbaumaßnahmen von Kadyrov verbessert, lokale Geschäftsaktivitäten erholen sich. Die meisten der ethnischen Tschetschenen, die während des Krieges geflüchtet sind, sind bereits wieder nach Hauser zurückgekehrt, obwohl viele von ihnen unter schlechten Wohnbedingungen leben.

(Freedom House, Freedom in the World 2009: Chechnya (Russia), 16.07.2009)

In Tschetschenien ist ein im Verhältnis zu anderen Regionen der Russischen Föderation übermäßig hoher Anteil der Bevölkerung im semi-formalen und informellen Sektor tätig. Im Zeitraum zwischen 2006 und 2008 ist jedoch bereits ein Anstieg an legalen Kleinunternehmen zu beobachten. Dem föderalen Statistikamt zufolge waren zwischen Februar und November 2002 49,2% der Bevölkerung im informellen Sektor tätig, und bezogen einen Großteil ihres Einkommens aus diesen Tätigkeiten. Des Weiteren sind die so genannten "Arbeiten im Haushalt" - Produktion entweder für den Eigenverbrauch oder zum Verkauf auf dem Markt - weit verbreitet. Diese Art der Beschäftigung steht den föderalen Statistiken zufolge in Tschetschenien an dritter Stelle.

(IOM - International Organistion for Migration: Study on the Situation and Status of Russian Nationals from the Chechen Republic receiving Basic Welfare Support in Austria, 2009)

Viele internationale Organisationen, wie etwa UNHCR, UNICEF, WHO oder IKRK haben in den letzten drei Jahren ihre Aktivitäten weg von Nothilfe und humanitären Programmen, immer mehr hin zu nachhaltigen Wiederaufbau- und Entwicklungsmaßnahmen verlagert, wie etwa Schulungen im medizinischen und Bildungsbereich oder Förderung von mikroökonomischen Projekten zur Schaffung von Einkommen. Die Europäische Union verringert aufgrund der sich verbessernden sozioökonomischen Situation ebenfalls ihre humanitären Programme.

(UNHCR, Progress on Mainstreaming IDP Issues in UNHCR and Global Work Plan for IDP Operations, 02.06.2008, http://www.unhcr.org/cgi-bin/texis/vtx/search?page=search&docid=484 515592&query=chechnya, Zugriff 27.10.2009 / Europäische Kommission:

Aid in Action - The Northern Caucasus, 08.04.2009, http://ec.europa.eu/echo/aid/europe_caucasus/russia_en.htm , Zugriff 27.10.2009 / WHO - Regional Office for Europe, Press Release - Recovery in the North Caucasus, 09.01.2008, http://www.euro.who.int/emergencies/fieldwork/20080109_4 , Zugriff 27.10.2009 / ICRC: Russian Federation: ICRC activities from July to December 2008, 24.03.2009,

http://www.icrc.org/web/eng/siteeng0.nsf/html/russia-update-240309 , Zugriff 01.07.2009 / ICRC: The Russian Federation: ICRC activities from April to June 2008, 24.07.2008, http://www.icrc.org/web/eng/siteeng0.nsf/html/russia-update-240708 , Zugriff 01.07.2009 / ICRC: Russian Federation: ICRC activities from January to March 2008, 29.04.2008, http://www.icrc.org/web/eng/siteeng0.nsf/html/russia-update-290408 , Zugriff 01.07.2009 / OCHA Russian Federation, Information Bulletin August 2007 / WHO, Joint initiative for the North Caucasus, 2007 http://www.euro.who.int/Document/EHA/DPR_news_jan_mar07.pdf , Zugriff 27.10.2009)

Seit 10.11.2009 hat der Flughafen Grosny wieder internationalen Status.

(Universität Bremen - Forschungsstelle Osteuropa: Russland Analysen 192, 20.11.2009)

Wiederaufbau

Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens Grosny ist inzwischen fast vollständig wieder aufgebaut - dort gibt es mittlerweile auch wieder einen Flughafen. Nach Angaben der EU-Kommission findet der Wiederaufbau überall in der Republik, insbesondere in Gudermes, Argun und Schali statt. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen melden, dass selbst in kleinen Dörfern Schulen und Krankenhäuser aufgebaut werden. Die Infrastruktur (Strom, Heizung, fließendes Wasser, etc.) und das Gesundheitssystem waren nahezu vollständig zusammengebrochen, doch zeigen Wiederaufbauprogramme und die Kompensationszahlungen Erfolge. Missmanagement, Kompetenzgemenge und Korruption verhindern jedoch in vielen Fällen, dass die Gelder für den Wiederaufbau sachgerecht verwendet werden. Die humanitären Organisationen reduzieren langsam ihre Hilfstätigkeiten; sie konstatieren keine humanitäre Notlage, immer noch aber erhebliche Entwicklungsprobleme.

Wohnraum bleibt ein großes Problem. Nach Schätzungen der VN wurden während der kriegerischen Auseinandersetzungen seit 1994 über 150.000 private Häuser sowie ca. 73.000 Wohnungen zerstört.

(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 04.04.2010)

In den letzten Jahren kam es zu beachtlichen Verbesserungen der wirtschaftlichen und sozialen Situation, die Infrastruktur (Wohnbau, Krankenhäuser, Schulen, Gas- und Elektrizitätsversorgung, Straßen und Brücken) wird wieder aufgebaut.

(Amnesty International: Russian Federation: Rule without law: Human rights violations in the North Caucasus. 30.6.2009)

Im September 2009 wurde Grozny von UN HABITAT in die diesjährige Ehrenliste für die Leistungen der Stadt im Wiederaufbau und die Bereitstellung neuer Heime für tausende Menschen aufgenommen. Ausgezeichnet wurde die Stadt für die Durchführung des 2006 begonnenen Programms "Grozny ohne Anzeichen von Krieg". Im Rahmen des Programms sind 3.700 vertriebene Familien in neuen Unterkünften untergebracht worden. 870 Geschäfte, acht Märkte, 230 Konsumentendienststellen, und 78 Apotheken sind renoviert worden, genauso wie dutzende Schulen und andere Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen. Des Weiteren sind Abwassersysteme, Heizleitungen, Elektrizitätskabel und Wasseranlagen repariert worden, ebenso wie 250 km Straßen und 13 Brücken.

(UN HABITAT: The 2009 Scroll of Honour Award Winners, September 2009,

http://www.unhabitat.org/content.asp?typeid=19&catid=588&cid=7291 , Zugriff 02.06.2010)

Sozialstaatliche Leistungen

Pensionen und andere sozialstaatliche Leistungen werden ausbezahlt, es besteht jedoch das System des "otkat", was bedeutet, dass auf jeder erdenklichen Ebene Geld "verschwindet", weshalb der Empfänger im Endeffekt immer viel weniger bekommt als ihm zustünde.

(Office for Foreigners (Poland)/CEDOCA, Documentation and Research Centre - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium)/Staatendokumentation des Bundesasylamtes (Austria): FFM Moscow 2008, 10.09.2009)

Es gibt Probleme mit dem Sozialversicherungssystem. Diese bestehen allerdings nicht nur für Menschen aus dem Nordkaukasus, sondern für alle Bewohner der Russischen Föderation.

(Dr. Mikhail Roshchin - Insitute for Eastern Studies, Vortrag für AsylGH am BMI, 26.03.2009)

Laut IOM stellen sozialstaatliche Leistungen einen beträchtlichen Teil des Einkommens eines durchschnittlichen tschetschenischen Haushaltes, insbesondere bei den schwächsten sozialen Gruppen, dar. Abhängig von der Lage der Familie machten 2008 staatliche Unterstützungsleistungen bis zu einem Drittel der Haushaltseinkommen aus. Das Subsistenzminimum lag im ersten Quartal 2009 bei 4.630 Rubel.

Während das Sozialversicherungssystem (Pensionen, Krankheit, Mutterschaft, Arbeitslosigkeit) föderal reguliert wird, werden die meisten der beitragsfreien Leistungen ("leistungsabhängige" Beihilfen beispielsweise für Invalide, Jugendliche, Obdachlose, Kindergeld) regional umgesetzt. Die durchschnittliche Höhe dieser Unterstützungsleistungen belief sich 2008 auf 300 Rubel.

Leistungsabhängige Beihilfen wurden 2008 an insgesamt 134.647 Personen ausgezahlt, die drei größten Gruppen waren die folgenden:

68.200 Invalide, 33.350 behinderte/kranke Kinder, 28.605 Kriegsveteranen.

Dem russischen Pensionsfonds zufolge betrug In den ersten drei Monaten des Jahres 2009 die Höhe einer durchschnittlichen monatlichen Pension in Tschetschenien 4.159 Rubel. Insgesamt waren 2008 in Tschetschenien 268.000 Personen als Pensionisten gemeldet. Arbeitslosengeld wurde Ende 2008 von 298.000 Personen beantragt. Zu dieser Zeit kamen beinahe 3.500 Arbeitssuchende auf eine freie Stelle im Staatsdienst. Beinahe die Hälfte der registrierten Arbeitslosen erhielt Arbeitslosengeld. Die Untergrenze des Arbeitslosengeldes liegt bei 850 Rubel, die Obergrenze bei 4.900.

(IOM - International Organistion for Migration: Study on the Situation and Status of Russian Nationals from the Chechen Republic receiving Basic Welfare Support in Austria, 2009)

Kompensationszahlungen

Über 5.000 tschetschenische Familien haben bisher noch keine Kompensationszahlungen erhalten, die von der russischen Regierung für jene vorgesehen wurden, die ihre Heime und ihr Eigentum während des Krieges verloren. Im April 2010 versprach das tschetschenische Finanzministerium, dass diese Zahlungen bis Ende 2010 abgeschlossen würden, es ist jedoch unklar, ob dies möglich sein wird. Das Ministerium nannte viele Missbrauchsversuche, die dazu führten, die Auszahlungen sehr vorsichtig zu tätigen. Laut dem tschetschenischen Ministerium stellte die föderale Regierung 100 Millionen US$ für Kompensationszahlungen 2010 zur Verfügung.

Seit 2003 ist die Höhe der Zahlungen gleich geblieben. Für ein verlorenes Heim werden 10.000US$ bezahlt, für anderes verlorenes Eigentum weniger als 2.000 US$. Im Frühling 2008 kostete eine Zweizimmerwohnung am Stadtrand von Grosny durchschnittlich 50.000 - 60.000 US$, der Durchschnittspreis pro Quadratmeter lag bei 500 US$. In zwei Fällen wurden Banken und Staatsbedienstete in Bezug auf Kompensationszahlungen Betrug vorgeworfen, eine Person wurde deshalb zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt, eine andere Gruppe wurde nicht verurteilt.

(Jamestown Foundation: Eurasian Daily Monitor Volume 7 - Issue 78, 22.04.2010)

Die Auszahlung von Kompensationsleistungen für kriegszerstörtes Eigentum ist noch nicht abgeschlossen. Nichtregierungsorganisationen berichten, dass nur rund ein Drittel der Vertriebenen eine Bestätigung der Kompensationsberechtigung erhalte. Viele Rückkehrer bekämen bei ihrer Ankunft in Grosny keine Entschädigung, weil die Behörden sich weigerten, ihre Dokumente zu bearbeiten, oder weil ihre Namen von der Liste der Berechtigten verschwunden seien. Verschiedene Schätzungen, u.a. des ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten des Europarates Gil Robles, gehen davon aus, dass 30-50% der Kompensationssummen als Schmiergelder gezahlt werden müssen.

(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 04.04.2010) Das System der Kompensationszahlungen funktioniert, jedoch muss ein Teil des Gesamtbetrages wieder zurückgegeben werden. Laut der Chechen Social and Cultural Association reichen aufgrund der Preiserhöhungen die Kompensationszahlungen nicht aus, um ein ganzes Haus wieder aufzubauen.

(Office for Foreigners (Poland)/CEDOCA, Documentation and Research Centre - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium)/Staatendokumentation des Bundesasylamtes (Austria): FFM Moscow 2008, 10.09.2009)

Medizinische Versorgung

Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Durch die Zerstörungen und Kämpfe - besonders in der Hauptstadt Grosny - waren medizinische Einrichtungen weitgehend nicht mehr funktionstüchtig. Nach Angaben von UNDP entspricht die Dichte der Polikliniken in einigen Bezirken nur 20% des russischen Durchschnitts. Dabei treten einige stressbedingte Krankheiten laut tschetschenischem Gesundheitsministerium 10 - 15mal häufiger auf als vor dem Krieg. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung dank internationaler Hilfe inzwischen aber ein Niveau erreicht haben, das dem durchschnittlichen Standard in der Russischen Föderation entspricht. Problematisch bleibt jedoch auch laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben.

(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 04.04.2010)

Das medizinische Versorgungssystem in Tschetschenien wurde weitgehend zerstört. In Anbetracht dessen ist der derzeitige Stand der medizinischen Versorgung aber mittlerweile wieder besser. Es gibt Krankenhäuser, aber es fehlt aufgrund der Auswanderung der Intelligentsia an qualifiziertem Personal.

Die medizinische Versorgung in Tschetschenien ist sehr einfach. Aufgrund des Krieges gibt es viele behinderte Menschen. Viele von ihnen reisen für eine gute Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation, insbesondere nach Vladikavkaz. Die Kosten hierfür sind selbst zu übernehmen, da die medizinische Versorgung (mit Ausnahme der Ersten Hilfe) nur in jener Region kostenlos ist, in der man registriert ist.

(Dr. Mikhail Roshchin - Insitute for Eastern Studies, Vortrag für AsylGH am BMI, 26.03.2009 / Office for Foreigners (Poland)/CEDOCA, Documentation and Research Centre - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium)/Staatendokumentation des Bundesasylamtes (Austria): FFM Moscow 2008, 10.09.2009)

Insbesondere seit 2006 zeigen sich im Gesundheitssektor erste Anzeichen einer Erholung. Diese Erholung ist an verschiedenen Kennzahlen ersichtlich: Auf 10.000 Einwohner kamen im Jahr 2007 73,2 Krankenhausbetten, 22,5 Ärzte, sowie 66,7 weiteres medizinisches Personal. 2007 gab es insgesamt 62 Krankenhäuser, 79 ambulant behandelnde Polykliniken, 185 Stellen für ärztliche Betreuung/Geburtshilfe, und fünf Zentren für ansteckende Krankheiten.

Trotz dieser bedeutenden Fortschritte zeigt der regionale und landesweite Vergleich, dass Tschetschenien lediglich mit den anderen nordkaukasischen Republiken gleichauf ist, sich im Bereich dieser Kennzahlen aber stark unter dem landesweiten Durchschnitt bewegt. Die medizinische Grundversorgung - hierzu gehören u. a. Notfallhilfe, Dienste der Polykliniken und Kinderimpfungen - sind wieder auf dem Vorkriegsniveau. Bei fachlichen, hochtechnologischen Behandlungen und hochqualifizierter medizinischer Versorgung gibt es einen deutlichen Mangel an moderner Ausrüstung und hochqualifiziertem Personal. Der Wertverlust bei medizinischen hochtechnologischen Geräten beträgt laut Gesundheitsministerium 80%, in Krankenhäusern fehlt es an 50% des benötigten höheren medizinischen Personals.

(IOM - International Organistion for Migration: Study on the Situation and Status of Russian Nationals from the Chechen Republic receiving Basic Welfare Support in Austria, 2009)

Politische Maßnahmen, um die Situation zu bessern, wurden insofern getroffen, als dass die Quoten für Studenten in medizinischen Instituten erhöht wurden, außerdem wurde die fachspezifische Gesundheitsversorgung weiter saniert.

Die Gesundheitsversorgung stellt einen der Schwerpunkte des "Zielprogramms für den sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbau 2008-2011" dar. Dieses Programm umfasste: - direkte finanzielle Unterstützung für medizinisches Personal; - zur Verfügung stellen von diagnostischen Geräten für Ambulanzen, andere ambulante Dienste und Polykliniken; - Impfprogramme mit besonderem Schwerpunkt auf Kinderimpfungen; - medizinische Versorgung in der Schwangerschaft und Zulieferungen. Größere Teile der Geldmittel werden für - Notfallmaßnahmen für Tuberkulosebehandlungen, - insulare Diabetesdiagnose, -behandlung und -prävention, - den Wiederaufbau und der Entwicklung der Onkologie, - Notfallmaßnahmen für HIV/AIDS Prävention, - Impfung und Prävention von Infektionskrankheiten, sowie für komplexe Maßnahmen gegen Drogenmissbrauch aufgewendet. Bereits 2002 bis 2006 waren im Rahmen zweier Programme föderale und lokale Mittel in das Gesundheitswesen investiert worden: Hier wurde zum einen besonderes Augenmerk auf den Wiederaufbau der Infrastruktur für medizinische Grundversorgung gelegt. Zum anderen wurde die Mutter-Kind-Gesundheit unterstützt: öffentliche Impfaktionen wurden durchgeführt, 70 Ärzte und Kinderärzte besuchten Schulungen. Ein dritter Schwerpunkt lag auf der psychosozialen Rehabilitierung und medizinischen Unterstützung von Opfern des Konflikts. Für ein Programm zur sozialen Unterstützung von Invaliden wurden etwas mehr als 310Millionen Rubel zur Verfügung gestellt. Besonderes Gewicht wurde auf die Zielgruppe der Kinder und jungen Invalide gelegt.

(IOM - International Organistion for Migration: Study on the Situation and Status of Russian Nationals from the Chechen Republic receiving Basic Welfare Support in Austria, 2009)

Apotheken befinden sich unter anderem in Nadtrechnoe, Lenina Straße 33; in Urus-Martan, Sojetskaja Straße 65; in Shetkovskaja, Sowjetskaja Straße 35; in Kurtschaloj, Sowjetskaja Straße 2; in Noschaj-Jurt, Kadyrova Straße 10; in Grosny, Bezirk 12.

Ärztliche - auch fachärztliche - Versorgung ist in den flächendeckend vorhandenen Polikliniken, also auch in Grosny, kostenlos möglich.

(Anfragebeantwortung durch den VB für die Russische Föderation, per Email an AGH am 25.09.2009)

Behandlung nach Rückkehr

Die Anzahl freiwilliger tschetschenischer Rückkehrer aus Europa in die Russische Föderation ist 2008 signifikant angestiegen: 2008 kehrten in den ersten zehn Monaten 1.196 Personen zurück (Hiervon 173 aus Österreich), während es zwischen 2003 und 2007 insgesamt

1.485 Personen waren. Hierbei handelt es sich allerdings nur um mit der Unterstützung der IOM (International Organisation for Migration) zurückgekehrte Personen, die tatsächliche Gesamtzahl ist vermutlich viel höher. 75% der Rückkehrer 2008 kehrten nach Tschetschenien zurück 17% gingen nach Dagestan, 3% nach Inguschetien. Laut IOM hätten die Rückkehrer keine Bedenken in Bezug auf die Sicherheitslage, andererseits würden sie nicht zurückkehren. Jedoch müsste hier eine individuelle Prüfung vorgenommen werden, da eine mögliche Gefährdung von individuellen Gegebenheiten abhängt. IOM unterstützt Rückkehrer etwa durch Berufs bildende Maßnahmen, beim Aufbau kleiner Unternehmen, medizinische Versorgung und Wohnbedürfnissen.

Tschetschenen kehren derzeit aus Moskau und anderen Teilen der Russischen Föderation nach Tschetschenien zurück. (Office for Foreigners (Poland)/CEDOCA, Documentation and Research Centre - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium)/Staatendokumentation des Bundesasylamtes (Austria): FFM Moscow 2008, 10.09.2009)

Am 17.3.2009 kam unter der Zahl 21 eine Verordnung der Regierung der Tschetschenischen Republik "Über die zwischenbehördliche Republikskommission für die Ausarbeitung und die Kontrolle der Realisierung des Programms der Tschetschenischen Republik zwecks Gewährleistung von Hilfe bei der freiwilligen Übersiedlung in die Russische Föderation von Landsleuten, die im Ausland leben" heraus. Im Rahmen dieses Programms ist eine Hilfestellung für Repatriierte bei Erledigung und Erhalt von Dokumenten vorgesehen, die für Umsiedlung, Umschulung, Integration notwendig sind; zu deren Aufgaben zählen auch Hilfe bei Arbeitseingliederung, professioneller Adaptierung und Umbau auf dem Gebiet der Ansiedlung, bei Adaptierung und Integration in die Gesellschaft. (Verordnung Nr. 21, Pkt. 1, Seite 3).

Bei einer Ankunft im Falle eines fehlenden Wohnraums können sie bei Verwandten oder in einem Heim (PBR) unterkommen, falls es freie Plätze gibt, oder einen Wohnraum mieten. Auch können die Juristen von VESTA beim Aufsetzen von Anträgen an die entsprechenden staatlichen Strukturen helfen, zwecks Erhalts von Hilfe.

(Anfragebeantwortung durch die NRO Vesta, per Post am 12.10.2009 (Übersetzung durch Dr. Stuchlik, per Email am 21.10.2009)

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Ebenso liegen dem Auswärtigen Amt keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, ob Russen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind. Solange der Tschetschenien-Konflikt nicht endgültig gelöst ist, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren.

(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 04.04.2010)

2. Beweiswürdigung:

Die Identität, die Staatsangehörigkeit und Herkunft des Beschwerdeführers hat bereits die belangte Behörde aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers festgestellt und haben sich im weiteren Verfahren keine diesbezüglichen Zweifel ergeben.

Das Datum der Antragstellungen und die Ausführungen zum bisherigen Verfahrensgang ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die von der belangten Behörde im gegenständlich angefochtenen Bescheid getroffenen und im Erkenntnis wiedergegebenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den von ihr in das Verfahren eingebrachten und oben angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Die belangte Behörde hat dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. Der Beschwerdeführer ist den Länderberichten weder vor dem Bundesamt noch in der Beschwerde substantiiert entgegengetreten.

Bezüglich der vom Beschwerdeführer in der Beschwerde angeführten Berichte zur Sicherheits- und Menschenrechtslage ist festzuhalten, dass das erkennende Gericht keineswegs verkennt, dass die Sicherheitslage im Nordkaukasus problematisch ist, Bedrohungsszenarien bestehen und auch Menschenrechtsverletzungen geschehen können. Dennoch erlaubt die allgemeine Lage in der Russischen Föderation die Erlassung von negativen Entscheidungen in Fällen, in denen eine individuelle Verfolgung nicht besteht.

Die Feststellung, wonach das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführersnicht glaubwürdig ist, beruht auf folgenden Erwägungen:

Bereits das Bundesasylamt hat in seiner Beweiswürdigung dargelegt, dass die vom Beschwerdeführer präsentierte Bedrohungssituation nicht glaubhaft sei und somit als nicht den Tatsachen entsprechend gewertet werden müsse.

Auch das erkennende Gericht kommt nach gesamtheitlicher Würdigung zu der Überzeugung, dass dem Beschwerdeführer im Heimatland keine asylrelevante Verfolgung droht:

Was das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, wonach er im Jahr 2008 Probleme bekommen habe, weil er im ersten tschetschenischen Krieg gekämpft und im zweiten Krieg die Kämpfer mit Lebensmitteln versorgt habe, betrifft, so ist dazu zunächst festzuhalten, dass es nicht nachvollziehbar ist, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Teilnahme am ersten Krieg und der Unterstützung der Widerstandskämpfer im zweiten Krieg im Jahr 2008 einer Verfolgung ausgesetzt gewesen sein soll. Bereits aus den Länderinformationen ergibt sich, dass eine Verfolgung von Personen, die Rebellen während des ersten Tschetschenienkrieges unterstützt haben, unwahrscheinlich erscheint. Bei Personen, die die Rebellen während des zweiten Krieges unterstützt haben, habe eine Prüfung im Einzelfall stattzufinden. Dem erkennenden Gericht erscheint es, ebenso wie der belangten Behörde, nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer erst im Jahr 2008 mitgenommen worden sein soll. Auf entsprechenden Vorhalt war er nicht in der Lage diese Unplausibilität überzeugend auszuräumen, sondern entgegnete lapidar: "Die lassen einen doch nicht in Ruhe." Auch der Erklärungsversuch in der Beschwerde, wonach es gut möglich sei, dass jemand, der für die Truppen Kadyrovs arbeite und früher ein Mitkämpfer des Beschwerdeführers gewesen sei, dafür verantwortlich sei, dass der Beschwerdeführer plötzlich ins Visier der Kadyrovzy gelangte, vermochte das erkennende Gericht nicht zu überzeugen.

Wie die belangte Behörde bereits zutreffend festgestellt hat, erscheint es auch bemerkenswert, dass der Beschwerdeführer am 01.12.2009 beim Verein Menschenrechte Österreichs seine Absicht kundgetan hat, freiwillig in sein Heimatland zurückzukehren und deutet dieses Vorgehen nicht darauf hin, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hat. Wenn der Beschwerdeführer dies in der Beschwerde damit zu erklären versucht, dass er im Jahr 2009 erfahren habe, dass ein Verwandter und zwei weitere Personen seinetwegen festgenommen worden seien und er daraufhin zunächst seine Rückkehr geplant habe, weil es ihn gequält habe, dass ein Verwandter von ihm festgenommen worden sei, so vermag dies das erkennende Gericht nicht zu überzeugen, zumal dieses Vorbringen auch in gänzlichem Widerspruch mit den Angaben der Ex-Ehefrau des Beschwerdeführers, wonach sie im Dezember 2009 einen Konflikt gehabt hätten und ihr Ehemann deshalb in der Folge habe in sein Heimatland zurückkehren wollen, steht.

Festzuhalten ist überdies, dass der Beschwerdeführer, obwohl er Österreich gar nicht hätte verlassen dürfen, im Jahr 2013 in die Ukraine einreiste und anschließend über Moskau zurückreiste. Was das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Protokoll, wonach er für etwa eine Stunde am Flughafen Moskau festhalten worden sei und Ablichtungen gemacht worden seien, betrifft, so deutet die offenbar problemlose Wiederausreise nicht auf ein reales und intensives Interesse der russischen Behörden an der Person des Beschwerdeführers hin. Daran vermag auch die Rechtfertigung des Beschwerdeführers, wonach er dort habe erklären können, dass seine Familie in Österreich aufhältig sei, nichts zu ändern.

Zusammenfassend kommt das erkennende Gericht daher zum Ergebnis, dass die Angaben des Beschwerdeführers - wie bereits nachvollziehbar vom Bundesasylamt ausgeführt - nicht geeignet sind, eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers in Tschetschenien glaubhaft zu machen. Dem Beschwerdeführer ist es im gesamten Verfahren nicht gelungen, eine tatsächliche und individuelle Verfolgung seiner Person zu vermitteln.

Sofern der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde rügt, die belangte Behörde habe im Verfahren wesentliche Ermittlungen unterlassen, ist dazu festzuhalten, dass das Bundesasylamt den Beschwerdeführer ausführlich befragte, ihm mehrmals die Möglichkeit bot, seine Fluchtgründe ausführlich zu schildern und ihm immer wieder Gelegenheit gab seine Angaben zu ergänzen bzw sonstige Aussagen zu tätigen. Darüber hinaus zeigte sich die belangte Behörde bemüht, die vagen und widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers aufzuklären, dieser jedoch keine glaubwürdigen Argumente vorbrachte, die dazu geeignet gewesen wären die Unplausibilitäten aufzuklären.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 75 Abs 19 AsylG 2005 sind alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren vom Bundesverwaltungsgericht zu Ende zu führen.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg cit). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idgF bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Ad I.)

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG hat die Behörde einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die "begründete Furcht vor Verfolgung". Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen stellen im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr dar, wobei hierfür dem Wesen nach einer Prognose zu erstellen ist. Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine so genannte inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH E 24.03.1999, Zl. 98/01/0352).

Wie im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend dargestellt wurde, kommt dem Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach dieser im Heimatland verfolgt werde, keine Glaubwürdigkeit zu. Dem Beschwerdeführer ist es im gesamten Verfahren nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Auch vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation bzw in Tschetschenien kann nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung drohen würde.

Die Beschwerde war somit aus den dargelegten Gründen gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abzuweisen.

Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

§ 21 Abs 7 erster Satz BFA-VG entspricht zur Gänze dem Wortlaut der Bestimmung des durch das Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz (FNG) BGBl. I Nr. 87/2012 aufgehobenen § 41 Abs 7 erster Satz AsylG 2005. In der Regierungsvorlage (2144 BlgNR XXIV. GP ) wurde zu § 21 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 64/2013 ausgeführt: "§ 21 entspricht dem geltenden § 41 AsylG 2005 und legt Sondernomen für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in Beschwerdeverfahren gegen Entscheidungen des Bundesamtes fest." Zu § 21 Abs 7 hält die RV fest: "Abs 7 stellt klar, dass eine mündliche Verhandlung auch dann unterbleiben kann, wenn sich aus den bisherigen Ermittlungsergebnissen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht den Tatsachen entspricht. Neben dieser Bestimmung ist § 24 VwGVG anzuwenden."

Gemäß § 24 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Der Verfassungsgerichtshof äußerte vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR (zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung) keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 41 Abs 7 AsylG 2005 und stellte dazu klar: "Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist, steht im Einklang mit Art 47 Abs 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde" (VfGH 14.03.2012, Zl. U 466/11).

In seinen Erkenntnissen vom 28.05.2014, Zl 2014/20/0017 und -0018 sprach der Verwaltungsgerichtshof aus, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

Im gegenständlichen Fall sind die genannten Kriterien erfüllt, da der Sachverhalt durch die belangte Behörde vollständig erhoben wurde und nach wie vor die gebotene Aktualität aufweist (es haben sich seit der Erlassung des angefochtenen Bescheides aus dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes keine Hinweise auf eine Änderung der entscheidungsmaßgeblichen Situation ergeben). Der Sachverhalt wurde im vorliegenden Fall unter hinreichend schlüssiger Beweiswürdigung von der belangten Behörde festgestellt und wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet. Im gegenständlichen Fall konnte somit die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht unterbleiben.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Nach Art 133 Abs 4 erster Satz B-VG idF BGBl I Nr 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall erweist sich die ordentliche Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG insofern als nicht zulässig, als der gegenständliche Fall ausschließlich tatsachenlastig ist, sodass dieser keinerlei Rechtsfragen - schon gar nicht von grundsätzlicher Bedeutung - aufwirft. Wie der rechtlichen Beurteilung unzweifelhaft zu entnehmen ist, weicht die gegenständliche Entscheidung, insbesondere zum Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung, weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es zu irgendeinem Sachverhaltsaspekt des gegenständlichen Falles an einer Rechtsprechung und kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Rechtsprechung in Bezug auf den gegenständlichen Fall als uneinheitlich zu beurteilen wäre. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der im vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen vor.

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