European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:G168.2021
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG begehrt der Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge die Wortfolge "der einheitlich mit 30 Tagen anzunehmen ist." in "§44 Abs2 ASVG, BGBl Nr 189/1955, zuletzt geändert durch BGBl I. Nr 17/2012" als verfassungswidrig aufheben.
II. Rechtslage
Die §§44 Abs2, 125, 141 und 143a des Bundesgesetzes vom 9. September 1955 über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz – ASVG), BGBl 189/1955, idF BGBl I. 142/2004 (§141), BGBl I 30/2017 (§44 Abs und §125) und BGBl I 59/2018 (§143a) lauten:
"ABSCHNITT VMittel der Sozialversicherung
1. UNTERABSCHNITTBeiträge zur Pflichtversicherung auf Grund des Arbeitsverdienstes (Erwerbs-einkommens)
Allgemeine Beitragsgrundlage, Entgelt
§44.
[…]
(2) Beitragszeitraum ist der Kalendermonat, der einheitlich mit 30 Tagen anzunehmen ist.
Bemessungsgrundlage
§125. (1) Bemessungsgrundlage für das Krankengeld ist der für die Beitragsermittlung heranzuziehende und auf einen Kalendertag entfallende Arbeitsverdienst, der dem/der Versicherten in jenem Beitragszeitraum (§44 Abs2) gebührte, der dem Ende des vollen Entgeltanspruches voranging; bei freien Dienstnehmern/Dienstnehmerinnen ist die Bemessungsgrundlage aus dem Durchschnitt der drei letzten Beitragszeiträume zu bilden. Liegen solche Beitragszeiträume nicht vor, so ist der laufende Beitragszeitraum maßgebend. Lohn- und Gehaltserhöhungen auf Grund von Normen kollektiver Rechtsgestaltung sind zu berücksichtigen.
(1a) Abweichend von Abs1 ist bei Personen, bei denen unmittelbar nach dem Ende der Wiedereingliederungsteilzeit nach §13a AVRAG ein Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit eintritt oder dieser weiterhin vorliegt, ab diesem Zeitpunkt als Bemessungsgrundlage für das Krankengeld die Summe aus dem nach §13a Abs6 AVRAG aliquot zustehenden Entgelt und dem nach §143d Abs3 bezogenen Wiedereingliederungsgeld heranzuziehen.
(1b) In jenen Fällen, in denen ein Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nicht unmittelbar nach dem Ende der Wiedereingliederungsteilzeit eintritt, ist der laufende Beitragszeitraum maßgebend, solange noch kein ganzer Beitragsmonat erworben wurde.
(2) Die Satzung kann bestimmen, daß bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für einzelne Gruppen von Versicherten, wie zum Beispiel für Beschäftigte bei Dienstgebern, mit denen Vereinbarungen über die Form der Abrechnung der Beiträge getroffen werden, und für ganz oder teilweise nicht nach Zeit entlohnte Dienstnehmer ein anderer Beitragszeitraum als der im Abs1 bezeichnete oder daß mehrere dem Versicherungsfall vorangegangene Beitragszeiträume herangezogen werden.
(3) Die Sonderzahlungen nach §49 Abs2 sind bei der Bemessung der Barleistungen der Krankenversicherung in der Weise zu berücksichtigen, daß die Bemessungsgrundlage nach Abs1 und 2 um einen durch die Satzung des Versicherungsträgers allgemein festzusetzenden Hundertsatz erhöht wird; der Hundertsatz kann einheitlich oder gesondert für bestimmte Gruppen von Versicherten unter Bedachtnahme auf den Durchschnittswert der für die Beitragsbemessung heranzuziehenden Sonderzahlungen (§54 Abs1) festgesetzt werden.
[…]
Höhe des Krankengeldes
§141. (1) Als gesetzliche Mindestleistung wird das Krankengeld im Ausmaß von 50 v. H. der Bemessungsgrundlage für den Kalendertag gewährt.
(2) Ab dem 43. Tag einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung erhöht sich das Krankengeld auf 60 v. H. der Bemessungsgrundlage für den Kalendertag.
(3) Als satzungsmäßige Mehrleistung kann das Krankengeld von einem durch die Satzung zu bestimmenden Zeitpunkt an erhöht werden, wenn der Versicherte Angehörige im Sinne des §123 Abs2, 4, 7 oder 8 hat, die sich gewöhnlich im Inland aufhalten; eine Erhöhung gebührt nicht für einen Angehörigen, der aus selbständiger oder unselbständiger Erwerbstätigkeit, aus einem Lehr- oder Ausbildungsverhältnis oder auf Grund des Bezuges von Geldleistungen aus der Sozialversicherung ausgenommen von Einkünften, die wegen des besonderen körperlichen Zustandes gewährt werden, ein Einkommen von mehr als 355,01 € monatlich bezieht. An die Stelle dieses Betrages tritt ab 1. Jänner eines jeden Jahres der unter Bedachtnahme auf §108 Abs6 mit der jeweiligen Aufwertungszahl (§108a Abs1) vervielfachte Betrag.
(4) Das Gesamtausmaß des erhöhten Krankengeldes darf 75 v. H. der Bemessungsgrundlage nicht übersteigen.
(5) Abweichend von den Abs1 bis 4 gebührt das Krankengeld den gemäß §19a Abs6 als Pflichtversicherte geltenden Selbstversicherten im Ausmaß von 106,39 € für den Kalendermonat. Für den Kalendertag gebührt der dreißigste Teil dieses Betrages. An die Stelle des Betrages von 106,39 € tritt ab 1. Jänner eines jeden Jahres der unter Bedachtnahme auf §108 Abs6 mit der jeweiligen Aufwertungszahl (§108a Abs1) vervielfachte Betrag.
[…]
3a. Unterabschnitt
Rehabilitationsgeld
§143a. (1) Personen, für die auf Antrag bescheidmäßig festgestellt wurde, dass die Anspruchsvoraussetzungen nach §255b (§273b, §280b) erfüllt sind, haben ab dem Stichtag (§223 Abs2) für die Dauer der vorübergehenden Invalidität (Berufsunfähigkeit) Anspruch auf Rehabilitationsgeld. Das weitere Vorliegen der vorübergehenden Invalidität (Berufsunfähigkeit) ist vom Krankenversicherungsträger jeweils bei Bedarf, jedenfalls aber nach Ablauf eines Jahres nach der Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes oder der letzten Begutachtung, im Rahmen des Case Managements zu überprüfen, und zwar unter Inanspruchnahme des Kompetenzzentrums Begutachtung (§307g). Die Feststellung, ob Anspruch auf Rehabilitationsgeld besteht (§255b, §273b, §280b), sowie dessen Entziehung (§99) erfolgt durch Bescheid des Pensionsversicherungsträgers.
(2) Das Rehabilitationsgeld gebührt im Ausmaß des Krankengeldes nach §141 Abs1 und ab dem 43. Tag im Ausmaß des erhöhten Krankengeldes nach §141 Abs2, das aus der letzten eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach diesem Bundesgesetz oder nach dem B-KUVG begründende Erwerbstätigkeit gebührt hätte, wobei bei Vorliegen von unmittelbar vorangehenden Zeiten des Krankengeldanspruches die nach §141 Abs2 ermittelten Tage anzurechnen sind. Zeiten des Bezuges von Wiedereingliederungsgeld sind bei der Berechnung nicht zu berücksichtigen. Jedenfalls gebührt es jedoch in der Höhe des Richtsatzes nach §293 Abs1 lita sublitbb. Die Erhöhung bis zu diesem Richtsatz ist nur zu gewähren, so lange die das Rehabilitationsgeld beziehende Person ihren rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.
(3) Trifft der Anspruch auf Rehabilitationsgeld mit einem Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus einer für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblichen Erwerbstätigkeit zusammen, so ist §143 Abs1 Z3 sinngemäß anzuwenden. Trifft der Anspruch auf Rehabilitationsgeld mit einem Anspruch auf Krankengeld aus einer für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblichen Erwerbstätigkeit zusammen, so ruht der Anspruch auf Krankengeld. Zeiten, für die der Anspruch auf Krankengeld auf Grund des Rehabilitationsgeldbezuges ruht, sind auf die Höchstdauer nach §139 nicht anzurechnen.
(4) Trifft der Anspruch auf Rehabilitationsgeld mit einem Anspruch auf Erwerbseinkommen, das den Betrag nach §5 Abs2 übersteigt, zusammen, so gebührt ein Teilrehabilitationsgeld, dessen Höhe sinngemäß nach §254 Abs7 zu bestimmen ist. Resultieren aus dieser Erwerbstätigkeit Ansprüche auf Entgeltfortzahlung oder Krankengeld, so sind Abs3 erster und zweiter Satz nicht anzuwenden.
(5) Vereitelt oder verzögert die zu rehabilitierende Person die im Rahmen des Case Managements vorgesehenen Abläufe oder Maßnahmen, indem sie ihren Mitwirkungsverpflichtungen wiederholt nicht nachkommt, so kann der Krankenversicherungsträger verfügen, dass das Rehabilitationsgeld auf Dauer oder für eine bestimmte Zeit zur Gänze oder teilweise ruht, wenn die versicherte Person vorher auf die Folgen ihres Verhaltens schriftlich hingewiesen worden ist."
III. Anlassverfahren und Antragsvorbringen
1. Der Antragsteller stand vom 20. April 1998 bis zum 23. Dezember 2017 in einem sozialversicherungspflichtigen Dienstverhältnis zu einer näher bezeichneten Gesellschaft. Auf Grund einer Erkrankung war er seit 14. September 2017 arbeitsunfähig. Für den Zeitraum vom 20. Jänner 2018 bis zum 4. März 2018 bezog er Urlaubsabfindung (Urlaubsentschädigung) auf Grund dieses Dienstverhältnisses.
2. Am 2. Oktober 2019 schlossen der Antragsteller und die Pensionsversicherungsanstalt einen Vergleich, wonach beim Antragsteller eine vorübergehende Invalidität im Ausmaß von voraussichtlich mindestens sechs Monaten ab 1. Jänner 2019 vorliege und dass ab diesem Zeitpunkt für die Dauer der vorübergehenden Invalidität des Antragstellers ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung bestehe.
3. Die Österreichische Gesundheitskasse wies mit Bescheid vom 5. Mai 2020 den Antrag des Einschreiters auf "Zuerkennung eines höheren Rehabilitationsgeldes als EUR 46,49 brutto täglich anlässlich des am 01.01.2019 eingetretenen Versicherungsfalles der geminderten Arbeitsfähigkeit" ab.
4. Mit Urteil vom 9. Februar 2021, Z 24 Cgs 51/20w, zugestellt am 23. April 2021, wies das Arbeits- und Sozialgericht Wien die daraufhin vom Antragsteller erhobene Klage ab und begründete dies damit, dass auf Grund der Anwendung der Bestimmung des §44 Abs2 ASVG, auf welche §125 Abs1 ASVG verweise, für die Ermittlung des auf den Kalendertag entfallenden Verdienstanteiles nach §125 Abs1 ASVG für den Monat Februar 2018 eine Anzahl von 30 Tagen zu fingieren sei. Diese pauschalierte Betrachtung sei infolge des Verweises in §143a Abs1 ASVG auf §141 Abs1, 2 (iVm §125 ASVG) auch bei der Bemessung des Krankengeldes heranzuziehen. Mangels einer entsprechenden gesetzlichen Differenzierung sei anzunehmen, dass diese pauschalierte Betrachtungsweise auch zum Tragen komme, wenn der Arbeitsverdienst durch eine Urlaubsersatzleistung gebildet werde, unabhängig von der Tatsache, dass der Monat weniger als 30 Tage aufweise.
5. Dagegen erhob der Antragsteller am 20. Mai 2021 das Rechtsmittel der Berufung an das Oberlandesgericht Wien. Am selben Tag stellte er den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag. Darin legte der Antragsteller seine Bedenken auf das Wesentliche zusammengefasst dahingehend dar, dass die Bemessung der Leistung infolge von §44 Abs2 ASVG dem Sachlichkeitsgebot widerspreche. Seine vorübergehende Invalidität sei so eingetreten sei, dass der letzte vorangehende Arbeitsverdienst in der Form der Urlaubsersatzleistung auf den Monat Februar gefallen sei, der nur 28 Tage habe. Da die Urlaubsersatzleistung – im Gegensatz zum laufenden Arbeitsverdienst – tageweise berechnet werde, ergebe sich ein geringeres Monatsentgelt als beispielsweise im Monat Jänner, welcher 31 Tage zähle. Die Umlegung des Februarverdienstes auf 30 Tage infolge von §44 Abs2 ASVG sei daher unsachlich nachteilig.
IV. Zur Zulässigkeit
1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG idF BGBl I 78/2016 kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Der Antrag ist nicht zulässig:
3. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).
4. Der Antrag ist in unzulässiger Weise zu eng gefasst:
4.1. Der Antragsteller begehrt vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien (höheres als vom Sozialversicherungsträger zuerkanntes) Rehabilitationsgeld nach §143a ASVG.
4.2. §143a Abs2 ASVG verweist hinsichtlich der Höhe des Rehabilitationsgeldes auf das Ausmaß des Krankengeldes nach §141 Abs1 und 2 ASVG, der wiederum an die Bemessungsgrundlage für das Krankengeld nach §125 Abs1 ASVG anknüpft. §125 Abs1 ASVG verweist sodann auf §44 Abs2 ASVG, der – in seinem primären Anwendungsbereich – die allgemeine Beitragsgrundlage der Beiträge zur Pflichtversicherung auf Grund des Arbeitsverdienstes regelt.
4.3. Aus der Perspektive des vorliegenden Antrages steht der allein in Anfechtung gezogene §44 Abs2 ASVG daher in einem untrennbaren Zusammenhang (zumindest) mit §125 Abs1, §141 Abs1 und Abs2 und §143a ASVG. Indem der Antragsteller indessen bloß die Aufhebung einer bestimmten Wortfolge in §44 Abs2 ASVG begehrt, nimmt er dem Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit darüber zu befinden, auf welche Weise die behauptete Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – zu beseitigen ist, etwa für den Fall, dass sich §44 Abs2 ASVG in seinem eigentlichen Regelungszusammenhang als sachgerecht und lediglich die Anknüpfung an ihn bei der Bemessung von Leistungen als verfassungswidrig erweisen sollte.
4.4. Der Anfechtungsumfang ist demzufolge zu eng gewählt, weshalb sich der Antrag als unzulässig erweist.
V. Ergebnis
1. Der vorliegende, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützte Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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