VfGH E3843/2019

VfGHE3843/20198.6.2020

Feststellung der Verletzung im Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) mangels Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Aufrechterhaltung des Freiheitsentzuges binnen einer Woche

Normen

PersFrSchG 1988 Art6 Abs1
FremdenpolizeiG 2005 §76
BFA-VG §22a Abs1, Abs2
VfGG §7 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2020:E3843.2019

 

Spruch:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt A) II. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden, weil die Feststellung, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, nicht binnen einer Woche erging.

Im Übrigen ist der Beschwerdeführer durch Spruchpunkt A) II. des angefochtenen Erkenntnisses weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden. Die Beschwerde wird daher insoweit abgewiesen.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

3. Soweit die Beschwerde abgewiesen wird oder ihre Behandlung abgelehnt wird, wird sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Mit Bescheid vom 20. Oktober 2005 gewährte das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer, einem Staatsangehörigen der Russischen Föderation, Asyl gemäß §7 AsylG 1997.

2. Mit Urteil vom 7. April 2009 verurteilte das Landesgericht Klagenfurt den Beschwerdeführer gemäß §107 Abs1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten, bedingt nachgesehen für eine Probezeit von drei Jahren.

Mit Urteil vom 26. September 2011 verurteilte das Landesgericht Klagenfurt den Beschwerdeführer gemäß §223 Abs2, §224 und §229 Abs1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt nachgesehen für eine Probezeit von drei Jahren.

Mit Urteil vom 8. Oktober 2013 verurteilte das Landesgericht Klagenfurt den Beschwerdeführer gemäß §218 Abs1 Z1 und §202 Abs1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, davon neun Monate bedingt nachgesehen für eine Probezeit von drei Jahren.

Mit Urteil vom 4. Mai 2016 verurteilte das Landesgericht für Strafsachen Wien den Beschwerdeführer gemäß §15 iVm §§127, 131 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren.

3. Mit Bescheid vom 28. Oktober 2016 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten gemäß §7 Abs1 Z1 AsylG 2005 auf Grund seiner strafgerichtlichen Verurteilungen ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu und erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft. Mit Bescheid vom 29. Mai 2017 erließ das Bundesamt eine weitere Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer, die es mit einem zehnjährigen Einreiseverbot und einem Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation verband. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 21. Juni 2017 als unbegründet ab. Die dagegen erhobene außerordentliche Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 31. August 2017 zurück.

4. Am 11. Dezember 2017 stellte der Beschwerdeführer aus der Strafhaft einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 26. Mai 2019 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigen wegen entschiedener Sache zurück und erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

5. Am 21. August 2019 griff die Polizei den Beschwerdeführer ohne Dokumente auf. Der Beschwerdeführer wurde daraufhin auf Grund einer Festnahmeanordnung des Bundesamtes festgenommen und zum Zwecke der Prüfung von Sicherungsmaßnahmen einvernommen. Nach dieser Einvernahme flüchtete der Beschwerdeführer aus dem Anhalteraum der Polizeiinspektion durch ein Fenster. Am 22. August 2019 griff die Polizei den Beschwerdeführer abermals auf und überstellte ihn in ein Polizeianhaltezentrum.

Mit Mandatsbescheid vom 22. August 2019 ordnete das Bundesamt Schubhaft gemäß §76 Abs2 Z2 FPG zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung an.

Die dagegen erhobene Beschwerde langte am 30. August 2019 beim Bundesamt im Postweg ohne Nachweis über die Bevollmächtigung des angegebenen (nicht rechtsfreundlichen) gewillkürten Vertreters ein. Das Bundesamt leitete die Beschwerde am selben Tag per E-Mail an das Bundesverwaltungsgericht weiter. Mit Verfahrensanordnung wiederum vom selben Tag wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, einen Nachweis über die Bevollmächtigung vorzulegen. Nach den Angaben im angefochtenen Erkenntnis brachte der Vertreter des Beschwerdeführers den Nachweis persönlich am 3. September 2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

6. Mit Erkenntnis vom 5. September 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht mit Spruchpunkt A) I. die Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Anhaltung in Schubhaft seit 22. August 2019 für rechtmäßig. Das Bundesverwaltungsgericht stellte außerdem mit Spruchpunkt A) II. fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Weiters trug es dem Beschwerdeführer mit Spruchpunkt A) III. auf, den Verfahrensaufwand zu tragen. Schließlich wies es mit Spruchpunkt A) IV. den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, als unzulässig zurück.

Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht zu Spruchpunkt A) I. im Wesentlichen aus, dass Fluchtgefahr im Sinne des §76 Abs3 FPG bestehe. Der Beschwerdeführer habe durch seine erfolgreiche Flucht aus dem Polizeigewahrsam gezeigt, dass er die Abschiebung gemäß §76 Abs3 Z1 FPG behindere. Zudem liege gegen den Beschwerdeführer eine durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor, weshalb auch §76 Abs3 Z3 FPG erfüllt sei. Zwar verfüge der Beschwerdeführer im Sinne des §76 Abs3 Z9 FPG über familiäre Bindungen im Bundesgebiet und er sei aufrecht im Bundesgebiet gemeldet. Dies habe ihn jedoch nicht an der Flucht aus dem Polizeigewahrsam gehindert, weshalb auch in dieser Hinsicht von Fluchtgefahr und insgesamt von einem Sicherungsbedarf auszugehen sei. Zu dieser Einschätzung trage auch die Angabe des Beschwerdeführers in der Einvernahme bei, dass er nicht freiwillig nach Russland ausreisen werde. Angesichts der zahlreichen strafgerichtlichen Verurteilungen komme den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich ein geringerer Wert zu als dem öffentlichen Interesse an der Sicherung seiner Aufenthaltsbeendigung, weshalb die Schubhaft verhältnismäßig sei. Auf Grund der erheblichen Fluchtgefahr sei auch die Verhängung eines gelinderen Mittels zu Recht ausgeschlossen worden.

Die Rechtmäßigkeit der Fortsetzung der Schubhaft gemäß §22a Abs3 BFA‑VG begründet das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass unter Berücksichtigung der Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Schubhaft kein Zweifel bestehe, dass nach wie vor Fluchtgefahr sowie ein besonders hohes staatliches Interesse an der Sicherstellung der Abschiebung des Beschwerdeführers bestehe. Die Anwendung eines gelinderen Mittels sei nicht ausreichend, um den Sicherungsbedarf zu erfüllen.

7. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

8. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit (im Folgenden: PersFrSchG), BGBl 684/1988, idF BGBl I 2/2008, lauten auszugsweise wie folgt:

"Artikel 1

(1) Jedermann hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit).

(2) […]

Artikel 6

(1) Jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, hat das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet wird. Die Entscheidung hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet.

(2) Im Fall einer Anhaltung von unbestimmter Dauer ist deren Notwendigkeit in angemessenen Abständen durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde zu überprüfen."

2. §22a BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I 87/2012, idF BGBl I 70/2015, lautet auszugsweise wie folgt:

"Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft

§22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde. (1a) Für Beschwerden gemäß Abs1 gelten die für Beschwerden gemäß Art130 Abs1 Z2 B‑VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß §13 Abs3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) […]"

3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 56/2018, lauten auszugsweise wie folgt:

"8. Abschnitt

Schubhaft und gelinderes Mittel

Schubhaft

§76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß §67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art28 Abs1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§59 Abs5), so steht dies der Anwendung der Z1 nicht entgegen. In den Fällen des §40 Abs5 BFA-VG gilt Z1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs2 und Art28 Abs1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs2 Z1 oder 2 oder im Sinne des Art2 litn Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß §46 Abs2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß §46 Abs2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§3 Abs3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§2 Abs1 Z23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund §34 Abs3 Z1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§52a, 56, 57 oder 71 FPG, §38b SPG, §13 Abs2 BFA-VG oder §§15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß §57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß §57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. §11 Abs8 und §12 Abs1 BFA-VG gelten sinngemäß.

Gelinderes Mittel

§77. (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in §76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt §80 Abs2 Z1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des §24 Abs1 Z4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,

1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,

2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder

3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt §80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs3 Z2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§7 Abs1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war. (7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs3 Z3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß §57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß §57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs3 Z1 Vorsorge treffen."

III. Erwägungen

Die Beschwerde ist zulässig.

A. Soweit sich die Beschwerde gegen Spruchpunkt A) II. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, ist sie auch teilweise begründet:

1. Das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes, mit dem darüber entschieden wird, ob eine Festnahme oder Anhaltung einer Person rechtmäßig war oder ist, verletzt das durch Art1 ff. des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit und durch Art5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn es gegen die verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernisse der Festnahme bzw Anhaltung verstößt, wenn es in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes erlassen wurde oder wenn es gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlage ergangen ist; ein Fall, der nur dann vorläge, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (VfSlg 13.708/1994, 15.131/1998, 15.684/1999 und 16.384/2001).

Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) ist auch verletzt, wenn die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entgegen dem verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernis des Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG nicht binnen einer Woche ergangen ist.

Aus der Anordnung in Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG, dass die Entscheidung binnen einer Woche zu ergehen hat, erfließt auch die Verpflichtung des erkennenden Verwaltungsgerichtes, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, dass auch im Rahmen eines Verfahrens über die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid seine Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Freiheitsentzuges gemäß §22a Abs3 BFA-VG möglichst bald, spätestens innerhalb einer Woche dem Beschwerdeführer (gegebenenfalls seinem Rechtsvertreter) und der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde zugeht (vgl VfSlg 13.893/1994, 14.193/1995, 18.081/2007, 18.964/2009, 19.968/2015, 20.119/2016; zuletzt VfGH 25.2.2019, E1633/2018).

Die gemäß Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG gebotene Frist von einer Woche ist grundsätzlich ab dem Einlangen einer Beschwerde bei der zuständigen Behörde zu berechnen (vgl VfSlg 18.081/2007 mH auf Kopetzki, Art6 PersFrG, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 3. Lfg. 2000, Rz 46 ff. sowie insb. Rz 50, wonach der Fristenlauf im Falle eines antragsbedürftigen Verfahrens mit der Antragstellung bzw mit dem Einlangen des Antrages bei der zuständigen Behörde beginnt).

Gemäß §22a Abs1 BFA-VG hat ein Fremder das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn ua "gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde". Für derartige Beschwerden gelten nach §22a Abs1a BFA-VG die für Beschwerden gemäß Art130 Abs1 Z2 B‑VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG; sie sind daher gemäß §20 erster Satz VwGVG iVm §12 VwGVG unmittelbar beim Bundesverwaltungsgericht einzubringen.

Wie sich aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes und dem vorgelegten Gerichtsakt ergibt, brachte der gewillkürte Vertreter des Beschwerdeführers die Schubhaftbeschwerde am 30. August 2019 beim Bundesamt im Postweg ein. Das Bundesamt leitete die Beschwerde noch am selben Tag per E-Mail an das Bundesverwaltungsgericht weiter, wobei das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als mit 30. August 2019 eingelangt wertete. Die einwöchige Frist begann somit mit diesem Datum zu laufen. Mit Verfahrensanordnung vom selben Tag, dem Beschwerdeführer ebenfalls am 30. August 2019 zugestellt, trug das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer auf, einen Nachweis über die Bevollmächtigung seines Vertreters bis spätestens 3. September 2019 vorzulegen. Nach den Angaben im angefochtenen Erkenntnis brachte der Vertreter des Beschwerdeführers den entsprechenden Nachweis persönlich am 3. September 2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Selbst unter der Annahme, dass es sich bei der Verfahrensanordnung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. August 2019 um einen Mängelbehebungsauftrag gemäß §13 Abs3 AVG gehandelt hat, die Frist daher gemäß §22a Abs2 BFA-VG bis zum 2. September 2019 gehemmt war und mit Vorlage der Bevollmächtigung mit 3. September 2019 weitergelaufen ist, endete die einwöchige Frist am 10. September 2019. Das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wurde zwar der belangten Behörde innerhalb der einwöchigen Frist elektronisch, dem Vertreter des Beschwerdeführers jedoch erst am 11. September 2019 – sohin nach Ablauf der Frist des Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG – durch Hinterlegung zugestellt.

Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Verfassungsgesetzgeber unabhängig von behördeninternen Vorgängen eine einwöchige Frist als Obergrenze festgelegt hat (vgl VfSlg 18.081/2007, 18.964/2009). Der aus Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG erfließenden Verpflichtung, die auch im Rahmen eines Verfahrens über die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid eine Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Freiheitsentzuges gemäß §22a Abs3 BFA-VG innerhalb einer Woche verlangt, ist das belangte Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht nachgekommen, erging doch die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft nicht in dem von Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG geforderten Zeitraum von einer Woche. Die Verpflichtung, innerhalb einer Woche zu entscheiden, folgt unmittelbar aus Art6 Abs1 PersFrSchG. Selbst dann, wenn besondere zusätzliche organisatorische Vorkehrungen zu treffen gewesen wären, hätte das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung über die Schubhaftbeschwerde jedenfalls innerhalb einer Woche treffen müssen (VfSlg 13.893/1994, 14.193/1995 sowie zur Verpflichtung, allfällige organisatorische Vorkehrungen zu treffen VfSlg 18.081/2007; zuletzt VfGH 25.2.2019, E1633/2018).

Der Beschwerdeführer wurde daher dadurch, dass die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Aufrechterhaltung des Freiheitsentzuges nicht binnen einer Woche erging, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt.

Durch die begehrte Aufhebung der verspätet ergangenen Entscheidung könnte die Rechtsverletzung aber nicht beseitigt, sondern insoweit sogar verschärft werden, als die im fortgesetzten Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ergehende Entscheidung nur noch später ergehen könnte. Der Verfassungsgerichtshof hat sich deshalb auf den Ausspruch zu beschränken, dass eine Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) stattgefunden hat (vgl VfSlg 18.014/2006 mwN, 18.964/2009, 19.968/2015, 20.119/2016; zuletzt VfGH 25.2.2019, E1633/2018).

2. Im Übrigen aber hat das verfassungsgerichtliche Beschwerdeverfahren nicht ergeben, dass die angefochtene Entscheidung hinsichtlich des Fortsetzungsausspruches an einem weiteren in die Verfassungssphäre reichenden Mangel leidet. Angesichts des Umstandes, dass sowohl für die Anordnung als auch für die Aufrechterhaltung der Schubhaft eine – aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles unbedenkliche – gesetzliche Grundlage vorliegt und das Bundesverwaltungsgericht die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft aus verfassungsrechtlicher Sicht nachvollziehbar begründet hat, liegt keine (weitere) Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) vor.

Insoweit ist die Beschwerde daher abzuweisen.

B. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B‑VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Fragen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch Spruchpunkt A) II. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden.

Im Übrigen wird die Beschwerde gegen Spruchpunkt A) II. des angefochtenen Erkenntnisses abgewiesen.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.

3. Soweit die Beschwerde abgewiesen wird oder ihre Behandlung abgelehnt wird, wird sie gemäß Art144 Abs3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat (vgl VfSlg 16.760/2002). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

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