VfGH E178/2017

VfGHE178/201723.11.2017

Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags; fehlende Kontrolle der tatsächlichen Sendung und des Einlangens beim Adressaten bei Übermittlung im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs kein minderer Grad des Versehens; Zurückweisung der Beschwerde als verspätet

Normen

VfGG §33
ZPO §146 Abs1
GOG 1896 §89d
VfGH-EVGO §7

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2017:E178.2017

 

Spruch:

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1. Der Vertreter der Antragsteller versendete am 24. November 2016 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eine Beschwerde gemäß Art144 B‑VG gegen ein Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten an den Verfassungsgerichtshof.

Am 18. Jänner 2017 versendete der Vertreter in einer anderen Sache einen Schriftsatz im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs, der von der Übermittlungsstelle automatisch zurückgewiesen wurde. Hiebei öffnete der Vertreter in dem von ihm für den elektronischen Rechtsverkehr genutzten Programm den Ordner "zurückgewiesene Anträge" und stellte fest, dass sich auch die Beschwerde vom 24. November 2016 in diesem Ordner befand und somit keine Übertragung an den Verfassungsgerichtshof erfolgt war.

Der Vertreter stellte am 20. Jänner 2017 durch einen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Schriftsatz einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde. Unter einem erhob der Vertreter Beschwerde gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten vom 11. Oktober 2016 und legte eine Kopie des angefochtenen Erkenntnisses bei.

2. Der Vertreter begründet den Wiedereinsetzungsantrag damit, er habe sich zunächst mit der Prüfroutine des Programmes vergewissert, dass der Schriftsatz korrekt war, und habe sodann die Übertragung an den Verfassungsgerichtshof veranlasst. Der danach von ihm durchgeführte Ausdruck wurde dem Verfassungsgerichtshof vorgelegt und weist den Vermerk "gesendet am 24.11.2016 12:28:25" auf. Der Vertreter habe von einer Rückmeldung des Programmes über die erfolgte Zurückweisung keine Kenntnis erlangt. Die seit Jahren für den Vertreter tätigen zuverlässigen Kanzleikräfte könnten sich an eine Meldung über die Zurückweisung auch nicht erinnern. Solche Zurückweisungen erfolgten äußerst selten und fielen daher im Normalfall sofort auf.

Der Vertreter gab an, bei der das Programm erstellenden Firma nachgefragt zu haben, warum die Beschwerde vom 24. November 2016 zurückgewiesen worden sei. Diese Nachfrage habe ergeben, dass das Geschlecht und das Geburtsdatum der Beschwerdeführer gefehlt habe. Der Vertreter brachte jedoch vor, dass beides tatsächlich richtig eingetragen worden sei. Ihm sei daher völlig unerklärlich, warum die Zurückweisung des Schriftsatzes erfolgt sei.

3. Gemäß §33 VfGG kann in den Fällen des Art144 B‑VG wegen Versäumung einer Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattfinden. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 Abs1 VfGG die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff ZPO sinngemäß anzuwenden:

Nach §146 Abs1 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für sie den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s. etwa VfSlg 9817/1983, 14.639/1996, 15.913/2000 und 16.325/2001 mwN).

Aus §39 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ergibt sich, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist.

Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Zugleich mit dem Antrag ist dem §149 Abs1 ZPO zufolge auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.

4. Das Hindernis für die rechtzeitige Einbringung der Beschwerde fiel am 18. Jänner 2017 weg. Mit dem zwei Tage später im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde daher diese Frist gewahrt.

Jedoch kann von einem minderen Grad des Versehens des Bevollmächtigten im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden:

Ein beruflicher rechtskundiger Parteienvertreter hat seine Kanzlei so zu organisieren, dass nach menschlichem Ermessen die Versäumung von Fristen ausgeschlossen ist. Es gehört zu einer den gebotenen Sorgfaltsmaßstäben entsprechenden Kanzleiorganisation, ein Postausgangsbuch anzulegen, um zu verhindern, dass ein für die Postaufgabe bestimmtes Schriftstück am Weg zur Post – aus welchem Grund auch immer – verloren geht, ohne dass dies spätestens bei der Postaufgabe bemerkt wird (VfSlg 15.539/1999).

Dies gilt im selben Maß für die Übermittlung im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs: Weil diese fehleranfällig ist, trifft den Absender die Verpflichtung zur Kontrolle, ob die Eingabe tatsächlich und richtig abgesendet wurde und ob sie auch beim Adressaten eingelangt ist (vgl. zur Kontrolle des Sendeberichts bei der Übermittlung mittels Telefax VwGH 8.7.2004, 2004/07/0100; 30.3.2004, 2003/06/0043; 15.9.2005, 2005/07/0104 bzw. zur Kontrolle des Postausgangsordners bei der Benützung von E-Mail-Programmen VwSlg. 16.834 A/2006). Unterbleibt diese Kontrolle aus welchen Gründen auch immer, etwa weil sich der Absender mit den technischen Möglichkeiten nicht oder nur unzureichend vertraut gemacht hat, stellt dies jedenfalls ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden dar (vgl. VfGH 21.11.2013, B629/2013; 30.11.2016, G535/2015).

Dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag ist zu entnehmen, dass sich die Kanzlei mit der Prüfung der Richtigkeit der eingegebenen Daten durch die Anwaltssoftware vor Absendung und dem Vermerk des Programmes über die erfolgte Versendung im Versendeprotokoll begnügte, ohne zu überprüfen, ob die Eingabe beim Adressaten eingelangt ist. Die Sorgfaltspflicht gebietet es jedoch nicht nur, dass überprüft wird, ob die Beschwerde versendet wurde, sondern auch, ob sie an den Verfassungsgerichtshof übermittelt, dh. eingebracht, wurde, oder ob sie – warum auch immer – von der Übermittlungsstelle gemäß §7 Abs4 der Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofs über die elektronische Durchführung von Verfahren (BGBl II 218/2013 idF 235/2016) automatisch zurückgewiesen wurde. Dementsprechend ist von der Sorgfaltspflicht auch umfasst, die Rückmeldung der Übermittlungsstelle nach §89d Gerichtsorganisationsgesetz (RGBl. 2017/1896 idF BGBl I 26/2012) abzuwarten und insofern zu kontrollieren, ob die Übermittlungsstelle die Daten der Eingabe zur Weiterleitung übernommen hat.

5. Damit liegen aber die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor, weshalb der darauf gerichtete Antrag abzuweisen ist.

6. Die Beschwerde wurde erst nach Ablauf der sechswöchigen Frist (§82 Abs1 VfGG) eingebracht und ist somit als verspätet zurückzuweisen.

7. Diese Beschlüsse konnten gemäß §33 zweiter Satz und §19 Abs3 Z2 litb VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

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