VfGH G314/2016 ua

VfGHG314/2016 ua22.9.2016

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen der JN betreffend das Ablehnungsverfahren von Richtern als zu eng gefasst sowie des Antrags betreffend eine Regelung der ZPO über die Verlängerung von Fristen mangels Präjudizialität

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
JN §19, §25
ZPO §128
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
JN §19, §25
ZPO §128

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag begehren die Antragsteller, §19 und §25 erster und zweiter Satz Jurisdiktionsnorm sowie die Wörter "kann" und "bewilligen" in §128 Abs2 Zivilprozessordnung als verfassungswidrig aufzuheben. Ferner beantragen die Einschreiter, der Verfassungsgerichtshof möge die Wörter "kann" und "bewilligen" in §128 Abs2 ZPO durch "hat" und "zu bewilligen" ersetzen.

II. Rechtslage

1. §19 Jurisdiktionsnorm, RGBl. 111/1895 ("JN"), und §25 JN, RGBl. 111/1895, idF BGBl 346/1933, lauten (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Zweiter Abschnitt.

Ablehnung von Richtern und anderen gerichtlichen Organen.

Ablehnung von Richtern.

§. 19.

Ein Richter kann in bürgerlichen Rechtssachen abgelehnt werden:

1. weil er im gegebenen Falle nach dem Gesetze von der Ausübung richterlicher Geschäfte ausgeschlossen ist;

2. weil ein zureichender Grund vorliegt, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen.

[…]

§25.

Ein abgelehnter Richter hat bis zur rechtskräftigen Erledigung des Ablehnungsantrages alle Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten; er hat ferner, wenn die Ablehnung offenbar unbegründet ist und die Absicht vermuten läßt, den Prozeß zu verschleppen, auch eine begonnene Verhandlung fortzusetzen, darf jedoch die Endentscheidung vor rechtskräftiger Zurückweisung der Ablehnung nicht fällen (§415 ZP. O.). Wird der Ablehnung stattgegeben, so sind die vom abgelehnten Richter vorgenommenen Prozeßhandlungen nichtig und, soweit erforderlich, aufzuheben."

2. §128 Abs2 Zivilprozessordnung, RGBl. 113/1895 ("ZPO"), lautet (die angefochtenen Teile sind hervorgehoben):

"§. 128.

(1) Gesetzliche Fristen, mit Ausnahme derjenigen, deren Verlängerung das Gesetz ausdrücklich untersagt (Nothfristen), sowie die richterlichen Fristen, hinsichtlich welcher in diesem Gesetze nichts anderes bestimmt ist, können vom Gerichte verlängert werden. Eine Verlängerung von Fristen durch Übereinkommen der Parteien ist unzulässig.

(2) Das Gericht kann eine solche Verlängerung auf Antrag bewilligen, wenn die Partei, welcher die Frist zugute kommt, aus unabwendbaren oder doch sehr erheblichen Gründen an der rechtzeitigen Vornahme der befristeten Processhandlung gehindert ist und insbesondere ohne die Fristverlängerung einen nicht wieder gutzumachenden Schaden erleiden würde.

(3) Der Antrag muss vor Ablauf der zu verlängernden Frist bei Gericht angebracht werden. Über den Antrag kann ohne vorhergehende mündliche Verhandlung entschieden werden; vor Bewilligung der wiederholten Verlängerung einer Frist ist jedoch, wenn der Antrag nicht von beiden Parteien einverständlich gestellt wird, der Gegner einzuvernehmen.

(4) Die zur Rechtfertigung des Antrages angeführten Umstände sind dem Gerichte auf Verlangen glaubhaft zu machen. Mangels hinreichender Begründung ist der Antrag zu verwerfen.

(5) Bei Verlängerung der Frist ist stets zugleich der Tag zu bestimmen, an welchem die verlängerte Frist endet."

III. Sachverhalt und Antragsvorbringen

1. Die Antragsteller des gegenständlichen Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof sind Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei in einem zivilgerichtlichen Verfahrens vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz. Unmittelbar nachdem sie dem Verfahren beigetreten waren, stellten die Antragsteller am 18. Mai 2015 einen Ablehnungsantrag gegen die für die Führung der Rechtssache zuständige Richterin. Dieser Ablehnungsantrag wurde von einem Senat des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz mit Beschluss vom 11. August 2016 abgewiesen. Die Antragsteller wurden für schuldig erkannt, der klagenden Partei die Kosten des Ablehnungsverfahrens zu ersetzen. Gegen diesen Beschluss erhoben die Antragsteller Rekurs und stellten den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag.

2. Zur Begründung ihres Antrages bringen die Antragsteller im Wesentlichen vor, §19 und §25 erster und zweiter Satz JN sowie §128 Abs2 ZPO verstießen gegen "die Rechtsstaatlichkeit", den Gleichheitsgrundsatz und das Gebot eines fairen Verfahrens. Das Ablehnungsverfahren führe dazu, dass der Richter zum Prozessgegner werde. Darüber hinaus belasse die Jurisdiktionsnorm dem abgelehnten Richter einen derartig großen Handlungsspielraum, dass es möglich sei, das Verfahren weiter fortzusetzen und damit die Ablehnungsentscheidung zu präjudizieren. Auch §128 Abs2 ZPO belasse dem Richter einen Handlungsspielraum, der es ermögliche, durch Abweisung eines begründeten Antrages auf Fristerstreckung einer Partei Schaden zuzufügen.

IV. Zur Zulässigkeit

Der Antrag ist unzulässig

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen "auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels".

Ein Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw. wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht der Antragsteller wäre. Ein Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG ist demnach mangels Präjudizialität zurückzuweisen, wenn die angefochtene Gesetzesbestimmung keine Voraussetzung der Entscheidung über das Rechtsmittel, aus Anlass dessen der Antrag gestellt wurde, bildet (VfGH 7.10.2015, G224/2015 ua.; 26.11.2015, G191/2015).

2. Für den Verfassungsgerichtshof ist nicht erkennbar, inwiefern §128 Abs2 ZPO, der die Bewilligung einer Fristverlängerung durch das Gericht regelt, in dem dem Antrag zugrundeliegenden Verfahren über die Ablehnung einer Richterin präjudiziell ist.

Der Antrag erweist sich daher, soweit er sich gegen näher bezeichnete Wörter in §128 Abs2 ZPO richtet, schon aus diesem Grund als unzulässig.

3. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Prüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil einen nicht völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden. Die diesbezügliche Rechtsprechung beruht auf dem Grundgedanken, dass im Normenprüfungsverfahren nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist (vgl. VfSlg 17.220/2004 und 19.933/2014).

Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2002). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011 und 19.933/2014).

4. Im Hinblick auf die beantragte Aufhebung von §19 und §25 erster und zweiter Satz JN erweist sich der Antrag als zu eng gefasst. Die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit würde durch die Aufhebung allein des §19 JN nicht beseitigt werden: Vor dem Hintergrund, dass die Antragsteller die Verfassungswidrigkeit des Ablehnungsverfahrens an sich rügen, verblieben bei einer Aufhebung bloß des §19 JN unter anderem die §§21 f. leg. cit. (betreffend die Ausübung des Ablehnungsrechtes) sowie die §§23 f. leg. cit. (betreffend die Entscheidung über den Ablehnungsantrag) im Rechtsbestand. Gleiches gilt für die beantragte Aufhebung des §25 erster und zweiter Satz JN: Alleine durch die Aufhebung des ersten und zweiten Satzes dieser Bestimmung verlöre der dritte Satz dieser Bestimmung seinen Bezugspunkt. Folglich bildet der dritte Satz dieser Bestimmung mit dem ersten und zweiten Satz eine untrennbare Einheit.

Bei diesem Ergebnis ist nicht zu prüfen, ob §25 erster und zweiter Satz JN in dem dem Antrag zugrundeliegenden Verfahren überhaupt präjudiziell sind.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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