VfGH G433/2015

VfGHG433/20159.12.2015

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen der StPO betreffend den Ersatz der Verteidigungskosten an rechtskräftig Freigesprochene; Anfechtungsumfang in Bezug auf die Regelung der betragsmäßigen Begrenzung des Pauschalbetrages zu eng gewählt

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
StPO §381 Abs1, §393a Abs1
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
StPO §381 Abs1, §393a Abs1

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag und Vorgeschichte

1. Mit auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestütztem Antrag begehrt der Einschreiter aus Anlass einer gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 2. September 2015, 38 Hv 44/13d, erhobenen Beschwerde die Aufhebung des letzten Satzes des §393a Abs1 StPO zur Gänze, in eventu die Wortfolgen "Er darf folgende Beträge nicht übersteigen:" und "3. Im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts 3 000 EURO" wegen Verfassungswidrigkeit.

2. Der Antragsteller wurde mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 2. Mai 2011 von der gegen ihn erhobenen Anklage wegen des Vorwurfs des Verbrechens der kriminellen Organisation nach §278a StGB gemäß §259 Z3 StPO rechtskräftig freigesprochen.

In der Folge begehrte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 26. Juni 2015 einen Verteidigungskostenbeitrag in Höhe von € 641.106,45 (Kosten nach dem Rechtsanwaltstarifgesetz). Begründet wurde dieser Anspruch mit dem außerordentlichen Umfang der Hauptverhandlung sowie den besonderen Umständen des Falles.

Das Landesgericht Wiener Neustadt sprach dem Antragsteller mit (eingangs erwähntem) Beschluss vom 2. September 2015 gemäß §393a Abs1 Z3 StPO einen Beitrag zu den Kosten der Verteidigung im Ausmaß von € 3.000,– zu.

Gegen diesen Beschluss erhob der Antragsteller am 17. September 2015 rechtzeitig das zulässige Rechtsmittel der Beschwerde; am selben Tag brachte er den vorliegenden Parteiantrag beim Verfassungsgerichtshof ein.

II. Rechtslage

1. §393a StPO räumt einem rechtskräftig Freigesprochenen oder sonst nach Durchführung einer Hauptverhandlung außer Verfolgung Gesetzten einen Anspruch auf Barauslagenersatz und auf einen Pauschalbeitrag zu den Verteidigungskosten ein; die Bestimmung hat in der im Anlassfall maßgeblichen Fassung BGBl I 71/2014 folgenden Wortlaut (die mit dem Hauptantrag angefochtenen Gesetzesstellen sind hervorgehoben):

"§393a. (1) Wird ein nicht lediglich auf Grund einer Privatanklage oder der Anklage eines Privatbeteiligten (§72) Angeklagter freigesprochen oder das Strafverfahren nach Durchführung einer Hauptverhandlung gemäß §227 oder nach einer gemäß den §§353, 362 oder 363a erfolgten Wiederaufnahme oder Erneuerung des Strafverfahrens eingestellt, so hat ihm der Bund auf Antrag einen Beitrag zu den Kosten der Verteidigung zu leisten. Der Beitrag umfaßt die nötig gewesenen und vom Angeklagten wirklich bestrittenen baren Auslagen und außer im Fall des §61 Abs2 auch einen Pauschalbeitrag zu den Kosten des Verteidigers, dessen sich der Angeklagte bedient. Der Pauschalbeitrag ist unter Bedachtnahme auf den Umfang und die Schwierigkeit der Verteidigung und das Ausmaß des notwendigen oder zweckmäßigen Einsatzes des Verteidigers festzusetzen. Er darf folgende Beträge nicht übersteigen:

1. im Verfahren vor dem Landesgericht als Geschworenengericht 10 000 Euro,

2. im Verfahren vor dem Landesgericht als Schöffengericht 5 000 Euro,

3. im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts 3 000 Euro,

4. im Verfahren vor dem Bezirksgericht 1 000 Euro.

(2) Wird ein Angeklagter in einem Strafverfahren, in dem die Vertretung durch einen Verteidiger in der Hauptverhandlung zwingend vorgeschrieben war (§61 Abs1 Z4 und 5), lediglich einer in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte fallenden strafbaren Handlung für schuldig erkannt, so gebührt ihm ein angemessener Teil des im Fall eines Freispruches oder einer Einstellung nach Abs1 Z1, 2 oder 3 zustehenden Betrages.

(3) Der Ersatzanspruch ist ausgeschlossen, soweit der Angeklagte den das Verfahren begründenden Verdacht vorsätzlich herbeigeführt hat oder das Verfahren lediglich deshalb beendet worden ist, weil der Angeklagte die Tat im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen hat oder weil die Ermächtigung zur Strafverfolgung in der Hauptverhandlung zurückgenommen worden ist. Der Ersatzanspruch steht auch dann nicht zu, wenn die Strafbarkeit der Tat aus Gründen entfällt, die erst nach Einbringung der Anklageschrift oder des Antrages auf Bestrafung eingetreten sind.

(4) Der Antrag ist bei sonstigem Ausschluß innerhalb von drei Jahren nach der Entscheidung oder Verfügung zu stellen.

(5) Einer rechtzeitig eingebrachten Beschwerde gegen einen Beschluss, mit dem über den Antrag entschieden worden ist, kommt aufschiebende Wirkung zu.

(6) Weitergehende Rechte des Angeklagten nach diesem Bundesgesetz und dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz bleiben unberührt."

2. Die im mit "Kosten des Strafverfahrens" überschriebenen 18. Hauptstück (§§380 bis 385) des 5. Teiles ("Besondere Verfahren") der StPO enthaltene Vorschrift des §393a StPO steht in folgendem Regelungszusammenhang:

2.1. Gemäß §381 Abs1 StPO hat die zum Kostenersatz verpflichtete Partei grundsätzlich einen (je nach Verfahrensart sowie -aufwand und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit innerhalb konkreter Unter- und Obergrenzen zu bemessenden) Pauschalkostenbeitrag (Abs1 iVm Abs5) sowie bestimmte Gebühren und Kosten (darunter jene der Verteidiger – Z8) zu entrichten.

Die allgemeine Kostentragungspflicht für Vertreter (und damit auch für Verteidiger) im Strafverfahren ergibt sich ferner aus §393 Abs1 StPO. Danach hat jede Prozesspartei die Kosten ihres Vertreters bzw. Verteidigers (auch des von Amts wegen beigegebenen) zur Gänze selbst zu tragen.

2.2. Von dieser Grundregel gibt es zusammengefasst folgende Ausnahmen:

2.2.1. Gemäß §393 Abs4 StPO hat derjenige (Beschuldigter, Privatankläger, Subsidiarankläger oder wissentlich falscher Anzeiger), der zum Ersatz der Prozesskosten verurteilt wird, auch alle Kosten der Verteidigung und Vertretung der anderen Verfahrensparteien (mit Ausnahme der Staatsanwaltschaft) zu ersetzen.

2.2.2. Die Kosten für einen Verfahrenshilfeverteidiger – wenn ein solcher unter den Voraussetzungen des §61 Abs2 StPO beigegeben wurde – trägt hingegen unabhängig vom Ausgang des Strafverfahrens grundsätzlich der Bund. Allein im Falle eines Schuldspruchs hat ein Angeklagter, dem ein Verfahrenshilfeverteidiger beigegeben wurde, gemäß §393 Abs1a StPO unter den dort genannten Voraussetzungen einen Pauschalbeitrag ("Selbstbehalt") zu dessen Kosten zu tragen. Grund für diese durch die Strafprozeßnovelle 1999, BGBl I 55/1999, eingefügte Regelung war die Überlegung, dass es zwar auch für einen an sich wirtschaftlich leistungsfähigen Angeklagten unzumutbar sein kann, die gesamten Kosten seiner Verteidigung zu bestreiten, sodass ihm grundsätzlich Verfahrenshilfe zu bewilligen ist, er aber dennoch in der Lage sein kann, einen Teil dieser Kosten zu tragen. Dies betrifft insbesondere Verfahren mit überdurchschnittlich hohen Verteidigerkosten, etwa solche mit mehrtägigen Hauptverhandlungen (vgl. AB 1615 BlgNR 20. GP , 2 f.). Voraussetzung für die Einhebung eines derartigen Kostenbeitrags ist allerdings, dass dem Angeklagten der Ersatz der Verfahrenskosten überhaupt zur Last fällt, er also zum Kostenersatz verurteilt wurde (was einen Schuldspruch des Angeklagten voraussetzt – vgl. §389 Abs1 StPO).

2.2.3. Daneben sieht die im vorliegenden Verfahren maßgebliche Bestimmung des §393a StPO vor, dass einem Angeklagten, dessen Strafverfahren nach Durchführung einer Hauptverhandlung durch Freispruch (oder Außerverfolgungsetzung) geendet hat, ein Beitrag zu den Kosten seiner Verteidigung zugesprochen werden kann.

§393a Abs1 StPO regelt im Einzelnen die Verpflichtung des Bundes, dem freigesprochenen (bzw. außer Verfolgung gesetzten) Angeklagten auf dessen Antrag hin einen Beitrag zu den Kosten seiner Verteidigung – je nach Verfahrensart gestaffelt bis zu einer bestimmten Höhe – zu erstatten, sofern das Verfahren nicht lediglich auf einer Privat- oder Subsidiaranklage (§72 StPO) basiert.

Der Beitrag nach §393a Abs1 StPO steht somit einer Person zu, die von einer Anklage rechtskräftig freigesprochen oder deren Strafverfahren nach Durchführung einer Hauptverhandlung gemäß §227 Abs1 StPO bzw. nach einer gemäß den §§353, 362 oder 363a StPO erfolgten Wiederaufnahme oder Erneuerung des Strafverfahrens eingestellt wurde, wobei der Anspruch voraussetzt, dass die Anklage eine vollständige Erledigung erfahren hat (vgl. Lendl,WK-StPO, 2014, §393a Rz 1).

2.3. Der Beitrag zu den Kosten der Verteidigung, den der Bund nach §393a Abs1 StPO zu ersetzen hat, umfasst die nötig gewesenen und vom Angeklagten tatsächlich bestrittenen Barauslagen sowie einen Pauschalbeitrag zu den Kosten des Verteidigers, dessen sich der Angeklagte bedient hat (sofern nicht Verfahrenshilfe nach §61 Abs2 StPO gewährt worden ist):

2.3.1. Unter "bare Auslagen" fallen nach Rechtsprechung und Literatur (vgl. Lendl, WK-StPO, 2014, §393a Rz 4 ff.) vor allem Kosten für Aktenkopien, gleichgültig, wer diese zunächst bezahlt hat. Auch die Kosten der Beiziehung eines Dolmetschers für die Besprechung zwischen Angeklagtem und Verteidiger (soweit diese über die ohnedies unentgeltlich zustehenden Dolmetscherleistungen nach §56 Abs1 iVm Abs2 StPO hinausgehen) sowie Kosten für die Übersetzung fremdsprachiger Schriftstücke (über §56 Abs1 iVm Abs3 StPO hinaus) zählen zu den ersatzfähigen Auslagen (aM OLG Wien 28.6.1995, 20 Bs 174/95). Diese sind vom Angeklagten zu bescheinigen, das Gericht hat deren Notwendigkeit am Maßstab einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung zu prüfen.

Alle baren Auslagen (Spesen) des Verteidigers, die nach den Allgemeinen Honorar-Kriterien (AHK) gesondert oder durch Inanspruchnahme des einfachen oder doppelten Einheitssatzes (§23 RATG) in die Kostennote aufzunehmen sind, bilden indes einen Teil des Honoraranspruches des Verteidigers und können nur im Rahmen des Pauschalbeitrages zu den Kosten der Verteidigung (§393a Abs1 zweiter Satz StPO) abgegolten werden (OGH 19.2.1985, 11 Os 191/84). Dazu gehören insbesondere die Fahrtkosten des Verteidigers, Postgebühren im Inland oder der Kanzleiaufwand.

Für jenen Aufwand, der mit dem persönlichen Erscheinen des Angeklagten vor Gericht verbunden ist, ist kein Ersatz vorgesehen.

2.3.2. Der Pauschalbeitrag zu den Kosten des Verteidigers ist gemäß §393a Abs1 StPO unter Bedachtnahme auf den Umfang und die Schwierigkeit der Verteidigung und das Ausmaß des notwendigen oder zweckmäßigen Einsatzes des Verteidigers festzusetzen; zudem darf der Pauschalbeitrag die in §393a Abs1 Z1 bis 4 StPO normierten Höchstsummen nicht übersteigen. Der Pauschalbeitrag ist somit im Rahmen dieser Beträge und nach dem Verhältnis des konkreten Verteidigungsaufwandes zum realistischerweise in Betracht kommenden Maximalaufwand in der jeweiligen Verfahrensart zu bestimmen; die tatsächliche Höhe der vom Verteidiger seinem Mandanten im Innenverhältnis verrechneten Kosten bleibt für die Bemessung daher grundsätzlich ohne Relevanz, vielmehr ist auf die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Vertretungshandlungen abzustellen. So werden nach der Rechtsprechung bei einfachen Verteidigungsfällen ca. 10% des jeweiligen Höchstbetrages zugesprochen (s. Lendl, WK-StPO, 2014, §393a Rz 10).

In der Judikatur wird bei Bemessung des Beitrags auf den Aktenumfang, die Schwierigkeit bzw. Komplexität der Sach- und Rechtslage (beispielsweise die Notwendigkeit, sich mit Gutachten auseinanderzusetzen), den Umfang des Ermittlungsverfahrens (Haftverhandlungen, Beschwerden), die Anzahl und Dauer der Hauptverhandlung(en) sowie ein allfälliges Rechtsmittelverfahren abgestellt (vgl. Lendl, WK-StPO, 2014, §393a Rz 11).

Weitergehende Rechte des Angeklagten nach der Strafprozeßordnung 1975 und dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz 2005 bleiben vom Anspruch auf den Pauschalbeitrag unberührt (§393a Abs6 StPO).

2.3.3. Die Bestimmung des §393a StPO wurde mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1983, BGBl 168, eingeführt. In den Erläuterungen wird auf die "Unbilligkeit des grundsätzlichen Ausschlusses eines Ersatzanspruches" im Fall eines Freispruchs hingewiesen. Die Entscheidung für den Ersatz in Form eines pauschalierten Kostenbeitrages mit Höchstgrenze wird im Wesentlichen damit begründet, dass für die Tätigkeit der Verteidiger in Strafsachen kein verbindlicher Tarif bestehe, sondern die diesbezüglichen Honoraransprüche der freien Vereinbarung unterliegen würden, sodass finanzielle Belastungen des Bundes in unzumutbarer Höhe entstehen könnten (RV 1084 BlgNR 15. GP , 27). Zu den Höchstbeträgen wird festgehalten, diese seien nicht dahin zu verstehen, dass der Beitrag im Fall nachweislich höherer Kosten stets oder auch nur im Regelfall mit dem Maximalbetrag zu bemessen wäre, sondern dass nach den in Abs1 der Regelung angeführten Bemessungsgrundsätzen vorzugehen sei (RV 1084 BlgNR 15. GP , 28).

2.3.4. Mit dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2014, BGBl I 71, erfolgte eine Erhöhung der in §393a Abs1 StPO vorgesehenen Höchstbeträge: So wurde der Betrag nach Z1 für Verfahren vor dem Landesgericht als Geschworenengericht von € 5.000,– auf € 10.000,– , der Betrag nach Z2 für Verfahren vor dem Landesgericht als Schöffengericht von € 2.500,– auf € 5.000,– , der Betrag nach Z3 für Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichtes von € 1.250,– auf € 3.000,– und der Betrag nach Z4 für Verfahren vor dem Bezirksgericht von € 450,– auf € 1.000,– angehoben. Durch diese Anhebung sollten insbesondere in Bezug auf Verfahren von außergewöhnlichem Umfang einzelfallgerechtere Entscheidungen ermöglicht werden (RV 181 BlgNR 25. GP , 16).

In den Erläuterungen wird hiezu wörtlich ausgeführt:

"Die letzte Anpassung der in §393a StPO vorgesehenen Höchstbeträge für den Ersatz von Verteidigungskosten erfolgte durch das Budgetbegleitgesetz 2005, BGBl I Nr 136/2004, wobei unter Zugrundelegung einer Indexsteigerung von etwa 20,4 % seit dem Jahr 1993 die Sätze im Verfahren vor den Geschworenengerichten von 4.361 Euro auf 5.000 Euro, im Verfahren vor dem Schöffengericht von 2.181 Euro auf 2.500 Euro, im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts von 1.091 Euro auf 1.250 Euro und im Verfahren vor den Bezirksgerichten von 364 Euro auf 450 Euro angehoben wurden.

Im Hinblick auf die Erhöhung des vom Verurteilten zu entrichtenden Pauschalkostenbeitrags in §381 Abs3 StPO durch das Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I Nr 52/2009, soll nunmehr eine deutliche Anpassung des bei Freispruch zu leistenden Pauschalbeitrags zu den Kosten der Verteidigung im selben Ausmaß erfolgen. Da es sich um einen Pauschalbeitrag handelt, deckt dieser trotz der nun vorgeschlagenen massiven Erhöhung auch weiterhin nicht die gesamten Verteidigerkosten, sondern lediglich einen Teilbetrag davon, welcher unter Bedachtnahme auf den Umfang und die Schwierigkeit der Verteidigung und das Ausmaß des notwendigen oder zweckmäßigen Einsatzes des Verteidigers festzusetzen ist. Eine Verpflichtung, dem Freigesprochenen sämtliche (oder auch nur bestimmte) Aufwendungen für seine Verteidigung zu ersetzen, ist weder den geltenden Verfassungsbestimmungen noch der Judikatur des EGMR zu entnehmen.

[…]

Mit der vorgeschlagenen Erhöhung der oberen Grenzwerte sollen bei Verfahren von außergewöhnlichem Umfang deutlich einzelfallgerechtere Entscheidungen gefällt werden könnten, die eben in besonderen Verfahren auch mit entsprechend hohen Kostenbeiträgen einhergehen würden. Die Rechtsprechung müsste im Rahmen ihres Ermessens einfach den größeren Spielraum entsprechend nützen, sodass der Ersatzbetrag bei der Mehrzahl der Fälle durchaus im unteren Drittel des Grenzwertes verbleiben könnte und nur bei besonderen Verfahren entsprechende Reserven für einen annähernd adäquaten Zuspruch vorhanden wären."

2.4. In §61 Abs1 StPO sind jene Verfahren aufgezählt, in denen der Beschuldigte bzw. Angeklagte durch einen Verteidiger vertreten sein muss ("notwendige Verteidigung"). Nach §61 Abs1 Z4 StPO ist die Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Geschworenen- oder Schöffengericht von der notwendigen Verteidigung erfasst. Die Regelung dient der Wahrung der Beschuldigtenrechte (insbesondere dem Recht auf umfassende Verteidigung) und einer geordneten Strafrechtspflege (vgl. RV 25 BlgNR 22. GP , 86).

Nach §61 Abs2 StPO hat ein Beschuldigter (Angeklagter) Anspruch auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers, soweit er außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalts die gesamten Kosten der Verteidigung zu tragen, wenn dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich ist.

Liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor und wird vom Beschuldigten weder ein Verteidiger bevollmächtigt noch Verfahrenshilfe beantragt, hat ihm das Gericht gemäß §61 Abs3 StPO von Amts wegen einen Verteidiger beizugeben (Amtsverteidiger), dessen Kosten er zu tragen hat (soweit nicht die Voraussetzungen des §61 Abs2 erster Satz StPO vorliegen).

2.5. §381 Abs1 Z1 bis 9 StPO zählt all jene (allgemeinen und besonderen) Kosten des Strafverfahrens taxativ auf, deren Zahlung einer zum Kostenersatz verpflichteten Partei auferlegt werden kann.

Diese Kosten werden, soweit sich aus besonderen gesetzlichen Vorschriften nichts anderes ergibt, mit Ausnahme der unter Abs1 Z3 und 7 bis 9 bezeichneten Kosten vom Bund vorgeschossen, vorbehaltlich des Rückersatzes nach den Bestimmungen der §§389 bis 391 StPO (§381 Abs2 StPO).

Nicht darunter fallen demnach die dem Angeklagten, dem Privatankläger oder Privatbeteiligten selbst erwachsenen Kosten (zB Fahrtkosten zum Gericht) oder Aufwendungen für die Einholung eines Privatgutachtens (vgl. Fischer, Kostenersatz im Strafprozessrecht, 2006, Rz 5).

III. Antragsvorbringen

1. Zur Antragslegitimation bringt der Antragsteller vor, dass das Landesgericht Wiener Neustadt mit Beschluss vom 2. September 2015 die Rechtssache in erster Instanz erledigt habe. Der Antragsteller habe gleichzeitig mit der (rechtzeitigen) Beschwerde gegen diesen Beschluss den Parteiantrag gestellt.

§393a Abs1 Z3 StPO sei vom Erstgericht gemäß §62 Abs2 VfGG unmittelbar angewendet worden, weil er die Grundlage für den maßgeblichen Zuspruch darstellte.

Im Fall der Aufhebung des gesetzlichen Höchstbetrages in §393a Abs1 Z3 StPO durch den Verfassungsgerichtshof wäre die mit Beschwerde bekämpfte Entscheidung des Landesgerichtes für Strafsachen Wiener Neustadt an der bereinigten Rechtslage mit der Konsequenz zu prüfen, dass der Zuspruch eines weitaus höheren Kostenbeitrages zu erfolgen hätte.

2. Der Antragsteller erachtet die angefochtene Regelung wegen Verstoßes gegen Art6 Abs1 und Abs3 litc EMRK und den Gleichheitssatz gemäß Art7 B‑VG im Wesentlichen aus folgenden Gründen für verfassungswidrig:

"Nach der als Mindeststandard verfassungsrechtlich abgesicherten Bestimmung des Art6 Abs3 litc EMRK hat jeder Angeklagte mindestens (oder insbesondere) das Recht, den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten. Indes können 'die in §393a vorgesehenen Pauschalbeiträge (...) den in Art6 EMRK festgehaltenen Mindeststandards nur dann genügen, wenn ihnen nicht bloß symbolische Bedeutung zukommt, sondern die (im Regelfall) mit diesem Verfahrenstyp verbundenen Verteidigerleistungen vom gesetzlichen Höchstbetrag auch erfasst sind' (Birklbauer, RZ2001, 107).

Insbesondere erscheinen die in §393a Abs1 Z14 StPO normierten fixen Höchstbeträge unsachlich und daher verfassungswidrig.

Eine betragsmäßig fixierte Festsetzung von Höchstbeträgen im Zusammenhang mit der gesetzlichen Pflicht zur Leistung eines angemessenen Kostenbeitrags erscheint insbesondere mit dem in Art6 Abs1 und Abs3 litc EMRK garantierten Verteidigungsrecht und dem in Art2 StGG gewährleisteten Gleichheitssatz nicht vereinbar.

Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs sind aufgrund des in der Verfassung verankerten Gleichheitssatzes nur sachlich gerechtfertigte Differenzierungen durch den Gesetzgeber zulässig. Demnach sind an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen; wesentliche Unterschiede im Tatsachenbereich müssen zu entsprechend unterschiedlichen Regelungen führen. Grundsätzlich darf dabei 'der Gesetzgeber einfache und leicht handhabbare Regelungen treffen, von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen; er darf dabei auch in Kauf nehmen, dass die Regelung zu Härtefällen führt, soferne es sich um atypische, nur ausnahmsweise auftretende Fälle handelt. Das Ausmaß der hinzunehmenden ungleichen Auswirkungen, also die Abgrenzung Regelfälle — Härtefälle, hängt insbesondere davon ab, ob eine differenzierende Lösung ohne erhebliche Schwierigkeiten vollziehbar ist und welches Gewicht die unterschiedlichen Rechtsfolgen haben (VfSlg 13.890/1994).

Mag das vorliegende Strafverfahren auch im Hinblick auf Umfang und Kompliziertheit außergewöhnlich sein, handelt es sich jedenfalls nicht um ein geradezu atypisches Strafverfahren, wie es nur ausnahmsweise vorkommen kann. Auch im Bereich von Wirtschaftsdelikten, bei denen sich das Verfahren über einen längeren Zeitraum erstrecken kann, können sich Fälle dieser oder einer vergleichbaren Größenordnung immer wieder ergeben. Mögen derartige umfangreiche Strafverfahren zwar nicht die Regelfälle, sondern Ausnahmefälle darstellen, bilden sie keinesfalls im obigen Sinne hinzunehmende Extremfälle, für die eine derartige Diskrepanz zwischen tatsächlich entstandenen und übernommenen Beträgen in Kauf zu nehmen ist.

Im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen ist festzustellen, dass der zuerkannte Betrag von € 3.000,-- lediglich ca. 0,5% der tatsächlichen Verteidigungskosten ausmacht, somit ein deutlich erkennbares Missverhältnis besteht.

Darüber hinaus sind die Auswirkungen im Tatsächlichen für die davon Betroffenen von großer Bedeutung. Im vorliegenden Fall hat der Freigesprochene über die eigentliche Belastung, Angeklagter in einem Strafverfahren zu sein, beinahe die gesamte finanzielle Last seiner Verteidigung zu tragen.

Das dargestellte Missverhältnis und die beträchtlichen Auswirkungen resultieren allein aus der Festsetzung starrer Höchstbeträge im Rahmen des §393a StPO, der eine differenzierende Betrachtung einzelner Fälle in keiner Weise zulässt. Wesentlichen Unterschieden im Tatsächlichen kann im Sinne des Sachlichkeitsgebotes gerade nicht Rechnung getragen werden. Insbesondere lässt die Bestimmung die Festsetzung eines 'Rege[l]falles' vermissen und macht so eine Einordnung von über die Regel hinausgehenden oder einen Extremfall darstellenden Fällen unmöglich. Vielmehr unterfallen alle derselben Kategorie, als sie mit dem genannten Höchstbetrag gedeckelt sind. Für diesen Ausschluss der Einzelfallberücksichtigung ist kein sachlich rechtfertigender Grund ersichtlich. Die flexible Gestaltung der Beträge, die beispielsweise durch das explizite Vorsehen von Ausnahmebestimmungen oder die ausdrückliche Deklarierung eines Regelfalles erfolgen könnte, wäre ohne erhebliche Schwierigkeiten für die Vollziehung einer differenzierenden Regelung zu treffen. Durch letztere Variante ginge schon aus dem Gesetzeswortlaut eindeutig hervor, dass die angeführten Maximalbeträge nur für die durchschnittlichen Regelfälle bestimmt sind (Birklbauer, RZ2001, 107).

Im Zusammenhang mit einer verfassungswidrigen Ausnahmslosigkeit einer Bestimmung ist auch auf die Entscheidung im sog 'WEB-Strafverfahren' Bedacht zu nehmen, bei der ein Verfassungsverstoß durch die uneingeschränkte Maßgeblichkeit der Frist des §285 Abs1 StPO festgestellt wurde (VfSlg 15.786/2000). Das Gericht vertrat dabei die Ansicht, dass eine Verlängerbarkeit dieser Rechtsmittelfrist unter Bedachtnahme auf den Einzelfall geboten sein müsse. Wenn jedoch in Bezug auf die zur Verfügung stehende Rechtsmittelfrist eine Außergewöhnlichkeit, welche eine Einzelfallbetrachtung erfordert und eine entsprechende Ausnahmeregelung rechtfertigt, zu bejahen ist, muss sich diese besondere Beschaffenheit des Verfahrens auch im Aspekt der Kostenübernahme niederschlagen.

Denn auch hinsichtlich dieses Aspekts können sich für Betroffene erhebliche Nachteile aus der Ausnahmslosigkeit ergeben. Die augenscheinliche Diskrepanz zwischen den entstandenen tarifmäßigen Verteidigungskosten in der Höhe von € 641.106,45 und dem auch nach der Anhebung durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2014 mit € 3.000,-- begrenzten Höchstbetrag zeigt dies deutlich und ist mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar."

IV. Erwägungen

Der Antrag ist unzulässig.

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG kann eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, gleichzeitig einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

Voraussetzung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle ist sohin – entsprechend der Formulierung des Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG – die Einbringung eines Rechtsmittels in einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache", also eines (gemäß §62a Abs1 erster Satz VfGG rechtzeitigen und auch sonst zulässigen) Rechtsmittels gegen eine die Rechtssache erledigende Entscheidung erster Instanz. Außerdem muss der Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG" aus Anlass" der Erhebung eines Rechtsmittels gestellt werden, was §62a Abs1 erster Satz VfGG dahin präzisiert, dass der Parteiantrag "gleichzeitig" mit dem Rechtsmittel zu stellen ist.

2. Der Antrag wurde gleichzeitig mit der gegen den Beschuss des Landesgerichtes Wiener Neustadt erhobenen Beschwerde eingebracht. Auch liegt dem Verfassungsgerichtshof keine Mitteilung des zuständigen Gerichtes vor, dass die Beschwerde unzulässig sei.

Dass es sich um eine in erster Instanz entschiedene Rechtssache handelt, ist nicht zweifelhaft; die Festsetzung der Höhe des Beitrages zu den Kosten der Verteidigung nach einem rechtskräftigen Freispruch kann nur mittels Rechtsmittels gegen die diesbezügliche Entscheidung (und schon mangels Entscheidung über den Kostenbeitrag im Urteil nicht mit Rechtsmittel in der Hauptsache) bekämpft werden.

3. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Aus dieser Grundposition folgt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011). Dagegen macht eine zu weite Fassung des Antrages diesen, soweit die Präjudizialität für den gesamten Antrag gegeben ist, nicht zur Gänze unzulässig, sondern führt, ist der Antrag in der Sache begründet, im Falle der Aufhebung nur eines Teiles der angefochtenen Bestimmungen zu seiner teilweisen Abweisung (vgl. VfSlg 16.989/2003 mwN, 19.684/2012 und 19.746/2013).

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem heute gefassten Beschluss zu G177/2015 dargelegt hat, ist die bloße Anfechtung des vierten Satzes in §393a Abs1 StPO unzulässig. Der Verfassungsgerichtshof verweist auf die im Beschluss zu G177/2015 angestellten Erwägungen.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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