VfGH G272/2015

VfGHG272/201528.9.2015

Unzulässigkeit eines aus Anlass eines Revisionsrekurses gegen eine zweitinstanzliche Gerichtsentscheidung verspätet eingebrachten, die angefochtenen Gesetzesvorschriften nicht genau bezeichnenden Parteiantrags mangels Legitimation

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
VfGG §62 Abs1, §62a Abs1
Wr ZuweisungsG
ArbeitskräfteüberlassungsG §1
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
VfGG §62 Abs1, §62a Abs1
Wr ZuweisungsG
ArbeitskräfteüberlassungsG §1

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

1. Der Antragsteller, ein (pensionierter) Beamter der Gemeinde Wien, erlitt bei einem Unfall am 15. Mai 2012 schwere Verletzungen. Mit einer am 5. Juni 2014 beim Arbeits- und Sozialgericht Wien eingebrachten Klage begehrte der Antragsteller von der erstbeklagten Partei (Wiener Linien GmbH & Co KG) sowie von der zweitbeklagten Partei (Stadt Wien) den Zuspruch von Schmerzensgeld und Verdienstentgang. Das Arbeits- und Sozialgericht Wien wies die Klage am 2. September 2014 hinsichtlich der erstbeklagten Partei zurück und erklärte sich im Verfahren über die Klage gegen die zweitbeklagte Partei für sachlich unzuständig.

2. Dagegen erhob der Antragsteller Rekurs, welchem durch das Oberlandesgericht Wien teilweise Folge gegeben wurde. Die Klage gegen die erstbeklagte Partei wurde zurückgewiesen, soweit sie sich auf Bestimmungen des ABGB (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) stützte; soweit sich die Klage aber auf Ansprüche nach den Bestimmungen des EKHG (Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz) bezieht, wurde der Antrag der erstbeklagten Partei auf Zurückweisung der Klage abgewiesen. Für die Klage gegen die zweitbeklagte Partei erklärte sich das Gericht für sachlich unzuständig.

3. Sowohl das Arbeits- und Sozialgericht – in erster Instanz – als auch das Oberlandesgericht Wien – in zweiter Instanz – verneinten einen auf die Bestimmungen des ABGB gestützten Anspruch.

4. Zusammengefasst führt der Antragsteller aus, dass die Gerichte der Ansicht seien, dass die Tätigkeit des Klägers bei der Erstbeklagten infolge des "Wiener Zuweisungsgesetzes" eine Form der Arbeitskräfteüberlassung wäre, allerdings sei die den Dienstgeber treffende Fürsorgepflicht als hoheitliche Tätigkeit zu beurteilen. Dementsprechend würde die erstbeklagte Partei die gleiche Fürsorgepflicht gegenüber dem Antragsteller treffen, die sie in Vollziehung der Gesetze für die zweitbeklagte Partei als deren Organ besorge. Auf Grund der anzuwendenden Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes (AHG), insbesondere des §9 Abs5 AHG, sei daher die Geltendmachung allgemeiner Schadenersatzansprüche gegen die Erstbeklagte ausgeschlossen.

5. Der Antragsteller erhob gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 30. April 2015, zugestellt am 19. Mai 2015, rechtzeitig innerhalb der Rechtsmittelfrist außerordentlichen Revisionsrekurs. Mit Schriftsatz vom 9. Juni 2015 brachte der Antragsteller beim Verfassungsgerichtshof einen auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG iVm §62a Abs1 erster Satz VfGG gestützten Antrag ein. Er begehrt darin, der Verfassungsgerichtshof möge "das Wiener Zuweisungsgesetz, LGBl 17/1999 idgF, zur Gänze sowie §1 Abs2 Zif. 1 AÜG, BGBl 1993/460 idgF," als verfassungswidrig aufheben. Dem Schriftsatz vom 9. Juni 2015 ging eine "Beschwerde gemäß Art140 Abs1 litd) B‑VG" in einem Schreiben vom 1. Juni 2015, beim Verfassungsgerichtshof eingelangt am 2. Juni 2015, voraus, dem allerdings – entgegen dem Vorbringen – kein Schriftsatz beilag.

II. Zulässigkeit

1. Der Antrag ist unzulässig.

2. Gemäß dem durch BGBl I 114/2013 in das B‑VG eingefügten, mit 1. Jänner 2015 in Kraft getretenen Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen "auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels". Auch §62a Abs1 erster Satz VfGG idF BGBl I 92/2014 verlangt als Voraussetzung einer derartigen Antragstellung u.a. die Einbringung eines (zulässigen) Rechtsmittels gegen eine "von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedene Rechtssache".

3. Der Antragsteller hat den Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG aus Anlass eines außerordentlichen Revisionsrekurses gegen eine zweitinstanzliche Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien erhoben. Damit hat der Antragsteller keinen Antrag aus Anlass einer "von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache" iSd Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG (s. auch §62a Abs1 erster Satz VfGG) gestellt (vgl. zB VfGH 2.7.2015, G121/2015).

4. Der Antragsteller hat im Übrigen den – entgegen dem Vorbringen im Schriftsatz vom 1. Juni 2015 nicht beiliegenden – Antrag nicht gleichzeitig, sondern erst am 9. Juni 2015 beim Verfassungsgerichtshof eingebracht.

5. Ein Antrag hat nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG die Vorgaben der §§15, 62 und 62a Abs3 und Abs4 VfGG zu erfüllen. Der mit "Beschwerde" betitelte Schriftsatz vom 1. Juni 2015 ist nicht als Antrag iSd Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG zu werten. Der Antrag vom 9. Juni 2015 aber ist verspätet.

6. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes entspricht der in §62a Abs1 erster Satz VfGG im Hinblick auf die Einbringung eines (zulässigen) Rechtsmittels verwendete Begriff "gleichzeitig" der in Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gewählten Formulierung "aus Anlass" insofern, als er so zu verstehen ist, dass die Stellung eines Parteiantrages gegen die erstinstanzliche Entscheidung eines ordentlichen Gerichtes während des (gesamten) Zeitraumes der konkreten Rechtsmittelfrist – unabhängig davon, ob das Rechtsmittel bereits vorher eingebracht wurde – zulässig ist (vgl. VfGH 2.7.2015, G257/2015; unter Hinweis auf RV 263 BlgNR 25. GP , 2; Grabenwarter/Musger, Praxisfragen der Gesetzesbeschwerde im Zivilverfahren, ÖJZ2015, 551 [555]).

7. Da der Antrag nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien eingebracht wurde, mangelt es dem Einschreiter an der Legitimation zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG.

8. Die am 2. Juni 2015 eingelangte "Beschwerde" entspricht den Vorgaben in §62 Abs1 VfGG nicht. Gemäß §62 Abs1 VfGG muss der Antrag begehren, "dass entweder das Gesetz seinem ganzen Inhalt nach oder dass bestimmte Stellen des Gesetzes als verfassungswidrig aufgehoben werden. Der Antrag hat die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen." Ein solches Begehren enthält die vorliegende "Beschwerde" nicht. Diese Mängel des Antrags sind gemäß §18 VfGG nicht verbesserungsfähig, weshalb von einem Auftrag zur Behebung der weiteren Mängel abgesehen werden konnte (vgl. VfGH 2.7.2015, G145/2015).

9. Darüber hinaus ist im verspätet eingelangten Antrag nicht ersichtlich, welche Gesetzesvorschriften überhaupt angefochten sind. Der Antragsteller begehrt die Aufhebung des "Wiener Zuweisungsgesetz, LGBl 17/1999 idgF, zur Gänze". Die Bezeichnung des Gesetzes ist allerdings nicht eindeutig, da einerseits das Gesetz über die Zuweisung von Bediensteten der Wiener Stadtwerke (Wiener Stadtwerke – Zuweisungsgesetz), LGBl 17/1999, idF LGBl 29/2007, besteht, und andererseits auch das Gesetz über die Zuweisung von Bediensteten der Gemeinde Wien (Wiener Zuweisungsgesetz), LGBl 29/2007. Eine ungenaue Bezeichnung der Gesetzesvorschriften, deren Aufhebung beantragt wird, ist nach ständiger Rechtsprechung kein verbesserungsfähiger Mangel (vgl. VfSlg 14.634/1996).

10.

Der Antrag ist daher schon aus diesen Gründen gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren und ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen.

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