Antrag auf Wiederaufnahme von Einkommensteuerverfahren in Zusammenhang mit irrtümlich nicht abgesetzten Werbungskosten
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw, vertreten durch StbGmbH2, vom 23. April 2012 gegen den Bescheid des Finanzamtes X vom 26. März 2012, mit dem der Antrag vom 5. Jänner 2012 auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2005 und 2009 als verspätet zurückgewiesen wurde, nach der am 26. September 2012 durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert
Entscheidungsgründe
A) Rechtskräftiger Abschluss der Einkommensteuerverfahren für die Jahre 2005 und 2009 vor der Beantragung der Wiederaufnahme dieser Verfahren:
Die Berufungswerberin (Bw) wurde aufgrund der am 25. Juli 2006 elektronisch eingelangten Steuererklärung mit gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufigem Bescheid vom 26. Juli 2006 zur Einkommensteuer für das Jahr 2005 veranlagt. Darin waren u.a. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung angesetzt; die Einkommensteuer für das Jahr 2005 wurde vorläufig mit 3.747,16 € festgesetzt. Dieser Bescheid wurde mit Bescheid vom 20. Februar 2009 gemäß § 200 Abs. 2 BAO für endgültig erklärt; an der Höhe der festgesetzten Abgabe trat keine Änderung ein.
Die Bw wurde aufgrund der am 23. November 2010 elektronisch eingelangten Steuererklärung mit Bescheid vom 24. November 2010 zur Einkommensteuer für das Jahr 2009 veranlagt. In diesem Einkommensteuerbescheid, mit welchem die Einkommensteuer für das Jahr 2009 mit 11.057,78 € festgesetzt wurde, waren u.a. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung angesetzt.
B) Antrag und Mängelbehebung:
Über FinanzOnline brachte die steuerliche Vertretung im Namen der Bw am 5. Jänner 2012 unter dem Betreff "Wiederaufnahme gem. § 303(4) BAO zur Einkommensteuer 2005 und 2009" folgendes Anbringen ein: "Im Namen obiger Steuerpflichtigen beantragen wir die Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2005 (endgültiger Bescheid 2005 vom 20. Februar 2009) und 2009 (Bescheid vom 24. November 2010). Begründung Im Zuge einer steuerlichen Beratung am 22.12.2011 über die Auswirkungen der Rückzahlung eines Fremdwährungskredites haben wir festgestellt, dass die Zinsen und Spesen eines Kredites nicht in der Überschussrechnung 2005 und 2009 erfasst waren, sondern auf Privatentnahmen. Dieser Kredit wurde 2001 für die Finanzierung des Ankaufes (Ersteigerung) des bebauten Grundstückes [...] benötigt. Das Grundstück wurde danach umgebaut, bzw. neugebaut und ab 2003 vermietet. Rechtsmittel ist auf Grund des Zeitablaufes keines mehr zulässig."
Mit Begleitsschreiben vom 9. Jänner 2012 wurden unter dem Betreff "Belege zum Wiederaufnahmeantrag gem. § 303(4) BAO vom 5.1.2012, eingereicht per FinanzOnline" Kontenausdrucke für das Zinsenkonto und für das Privatkonto für die Jahre 2005 (3 Seiten) und 2009 (4 Seiten) eingereicht.
Mit Bescheid vom 31. Jänner 2012 erteilte das Finanzamt X der Bw einen Mängelbehebungsauftrag hinsichtlich § 303a BAO mit einer Frist bis zum 5. März 2012, und zwar fehlten:
- Angaben, die zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Antrags notwendig seien,
- Angaben, die zur Beurteilung des fehlenden groben Verschuldens an der Nichtgeltendmachung im abgeschlossenen Verfahren notwendig seien.
Mit Schreiben vom 27. Februar 2012 wurde auf den Mängelbehebungsauftrag geantwortet. Für die Frage des Neuhervorkommens sei der Kenntnisstand der Abgabenbehörde im jeweiligen Verfahren maßgebend, nicht jedoch, ob zum Zeitpunkt des abgeschlossenen Verfahrens diese Umstände der Partei bekannt gewesen seien. Die Frist von drei Monaten sei gewahrt, da die Bw und EhegatteDerBw der steuerlichen Vertretung am 22. Dezember 2011 Fragen zu den Auswirkungen bei Rückzahlung von Fremdwährungsverbindlichkeiten gestellt hätten. Bei der Besprechung der Unterschiede zwischen bei Überschussrechnungen (Bw) und bei E/A-Rechnungen (ehegatteDerBw) habe die steuerliche Vertretung erfahren, dass bei der Bw Zinsen für ein Fremdwährungsdarlehen, welches zur Finanzierung des Ankaufes der Liegenschaft verwendet worden sei, seit dem Jahr 2005 nicht abgesetzt worden seien. Begründung wäre, dass eine Betriebsprüfung die Zinsen nicht anerkannt hätte. Bei der Durchsicht der Unterlagen, die eine Mitarbeiterin des Kollegen Steuerberater1 im Jahr 2005 angelegt habe, sei tatsächlich der Vermerk vorhanden gewesen, die Zinsen wären bei einer Betriebsprüfung nicht anerkannt worden. Bei weiteren Nachforschungen habe sich herausgestellt, dass bei einer Prüfung desBetriebes des ehegatteDerBw bei einem Kredit in selber Höhe von 500.000 € (umgerechnet von sfr in €) die Zinsen gerechtfertigt nicht anerkannt worden seien. Bei der Bw sei gar keine Betriebsprüfung im Jahr 2005 gewesen, sondern früher eine Umsatzsteuernachschau iZm mit dem Um- und Neubau. Wahrscheinlich habe die Mitarbeiterin den Kredit - da in selber Höhe, selbe Fremdwährung - verwechselt und dann die Zinsen nicht berücksichtigt. Grobes Verschulden der Bw sei nicht gegeben, da sie sich eines befugten Steuerberaters bedient habe. Dieser habe sich zur Erfüllung seines Auftrages einer Mitarbeiterin bedient, die geprüfte Bilanzbuchhalterin sei und eine Diensterfahrung von über 30 Jahren vorweisen könne. Beweis seien Lohnkonten und Zeugnis, das jederzeit vorgelegt werden könne. Wie aus den Arbeitsunterlagen ersichtlich sei, seien die Zinsen der Fremdwährungsverbindlichkeit seit 2005 nicht abgesetzt worden. Dadurch seien die Überschussrechnungen 2005 und 2009 sowie die abgeleiteten Steuererklärungen mit Unrichtigkeit behaftet gewesen. Die Kenntnis dieses Umstandes sei zum Zeitpunkt des abgeschlossenen Verfahrens weder der Behörde noch der Partei oder deren Vertreter bekannt gewesen. Die Beträge seien gewesen: Zinsen und Spesen für 2005: € 9.411,47; Zinsen und Spesen für 2009: € 8.364,96 Im Sinne des VwGH, der der Rechtsrichtigkeit Vorrang gegenüber der Frage der Verjährung einräume, werde daher um antragsgemäße Erledigung ersucht.
C) Angefochtener Bescheid und Berufung dagegen:
Das Finanzamt erließ einen mit 26. März 2012 datierten Bescheid, mit welchem es den Antrag gemäß § 303 Abs. 1 BAO auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren der Jahre 2005 und 2009 als verspätet zurückwies. Es sei davon auszugehen, dass die Bw bzw deren steuerliche Vertretung von der Existenz der Fremdwährungskreditzinsen und deren Nichtgeltendmachung in den Jahren 2005 und 2009 gewusst hätten. Spätestens im Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärungen seien diese Umstände bekannt gewesen. Seit der Abgabe der Einkommensteuererklärungen für 2005 und 2009 bis zum 5. Jänner 2012 seien mehr als drei Monate vergangen. Der Fristenlauf des § 303 Abs. 2 BAO beginne mit der erstmaligen Kenntnisnahme des Wiederaufnahmsgrundes durch den Antragswerber bzw. dessen Steuerberater. Im Übrigen stelle das Erkennen am 22. Dezember 2011, dass die Zinsen zu Unrecht, wegen des unrichtigen Vermerkes, nicht geltend gemacht worden seien, keine neu hervorgekommene Tatsache und damit auch keinen tauglichen Wiederaufnahmsgrund dar, weshalb dieser Umstand auch keinen Fristenlauf iSd § 303 Abs. 2 BAO auslösen habe können.
Mit Schreiben vom 23. April 2012 wurde gegen den Bescheid vom 26. März 2012 Berufung erhoben. Eine Beurteilung des Sachverhaltes, ob die Zinsen dem steuerlichen Tatbestand von Werbungskosten entsprächen, habe erst nach dem 22. Dezember 2011 erfolgen können, da erst die Frage nach der Absetzbarkeit der Kursverluste Auslöser für die grundsätzliche Absetzbarkeit der Zinsen gewesen sei. Es hätten erst die Unterlagen gesichtet werden müssen. Erst da sei der steuerlichen Vertretung und der Bw bekannt geworden, dass dieser Kredit ursprünglich zur Finanzierung des Ankaufes des Grundstückes gedient habe. Tatsächlich sei der Kredit seinerzeit bei einem anderen Institut aufgenommen worden und sei dazwischen auch in eine andere Währung konvertiert worden. Die Zusammenhänge hätten erst eruiert werden müssen. Damit habe dann die richtige rechtliche Beurteilung als Werbungskosten bei der Vermietung festgestellt werden. Somit sei der Wiederaufnahmsgrund erst um Weihnachten bekannt geworden und die Frist sei gewahrt gewesen. Die in der Begründung des Zurückweisungsbescheides angeführte Vermutung, dass von der Existenz des Fremdwährungskredites und den Zinsen gewusst worden sei, sei Teil des Sachverhaltes, aber nicht des steuerlichen Tatbestandes. Es entspräche nämlich nicht der Erfahrung des täglichen Lebens, dass eine Steuerpflichtige und der Steuerberater wüssten, dass es steuermindernde Ausgaben gebe und sie sie trotzdem nicht absetzten.
D) Mündliche Berufungsverhandlung am 26. September 2012:
Der Referent betonte einleitend, dass der angefochtene Bescheid die Verfahrenswiederaufnahme auf Antrag betreffe und daher die Entscheidung über die Berufung auch nur die Verfahrenswiederaufnahme auf Antrag, welche in § 303 Abs. 1 bis 3 sowie in den §§ 303a ff BAO geregelt sei, betreffen könne. Diese unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von der Verfahrenswiederaufnahme von Amts wegen, welche in § 303 Abs. 4 BAO sowie in den §§ 304 ff BAO geregelt sei, und auf welche im bisherigen Verfahren auch Bezug genommen worden sei. Die Entscheidung von der derzeitigen Nichtverfügung in Richtung der amtswegigen Verfügung der Verfahrenswiederaufnahmen betreffend Einkommensteuer 2005 und/oder 2009 sei von der Abgabenbehörde erster Instanz zu treffen.
Hierzu übergab der Referent beiden Streitparteien jeweils folgende Gegenüberstellung (vgl. teilw. Ritz, BAO4, § 303 Tz 61):
Wiederaufnahme des Verfahrens auf Antrag (gemäß § 303 Abs. 1 BAO) | Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen (gemäß § 303 Abs. 4 BAO) |
[setzt Rechtskraft des bisherigen ESt-Bescheides für das betreffende Veranlagungsjahr voraus] => hier kein relevanter Unterschied | [bereits vor Rechtskraft des bisherigen ESt-Bescheides für das betreffende Veranlagungsjahr zulässig] => hier kein relevanter Unterscheid |
Wenn Wiederaufnahmsgrund vorliegt, d.h. hier: wenn Neuerungstatbestand erfüllt ist, d.h. eine bei Erlassung des bisherigen ESt-Bescheides für das betreffende Veranlagungsjahr bereits existiert habende Tatsache dem Finanzamt neu bekannt wird (beim Finanzamt neu hervorkommt), und wenn kein grobes Verschulden des Antragstellers an der Nichtgeltendmachung und wenn Antrag iSd § 303 Abs. 2 und § 304 BAO rechtzeitig ist, dann ist Wiederaufnahme - ohne weitere Ermessensübung - zu bewilligen. | Wenn Wiederaufnahmsgrund vorliegt, d.h. hier: wenn Neuerungstatbestand erfüllt ist, d.h. eine bei Erlassung des bisherigen ESt-Bescheides für das betreffende Veranlagungsjahr bereits existiert habende Tatsache dem Finanzamt neu bekannt wird (beim Finanzamt neu hervorkommt), und wenn Frist des § 304 erster Fall BAO (Verjährungsfrist) noch nicht abgelaufen ist, dann ist das Ermessen zu üben, ob die Wiederaufnahme verfügt wird oder nicht. Kriterien für Ermessensübung: Gemäß Art. 130 Abs. 2 B-VG idF vor BGBl I 51/2012 (ab 1. Jänner 2014: Art. 130 Abs. 3 und 133 Abs. 3 B-VG idF BGBl I 51/2012): im Sinne des Gesetzes; gemäß § 20 BAO: nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit. |
Es ist erforderlich, dass kein grobes Verschulden an der Nichtgeltendmachung der neu hervorgekommenen Tatsache im abgeschlossenen Verfahren vorliegt. | verschuldensunabhängig |
§ 303 Abs. 2 BAO: 3-Monats-Frist ab nachweislicher Kenntniserlangung des Antragstellers vom Wiederaufnahmsgrund | 3-Monats-Frist des § 303 Abs. 2 BAO ist bei amtswegiger Wiederaufnahme unbeachtlich (nicht anzuwenden). |
Ausnahmen von der Beschränkung der Wiederaufnahme durch die Verjährung: § 304 lit. a und b BAO | grundsätzlich zeitliche Beschränkung der Verfügung der amtswegigen Wiederaufnahme durch die Verjährung (§ 304 erster Fall BAO) |
Antragstellung ist definitionsgemäß möglich und erforderlich: | amtswegige Maßnahme, daher kein Antrag zulässig, nur informelle Anregung möglich: |
daher gegebenenfalls Mängelbehebungsverfahren (insbesondere gemäß § 303a BAO) | daher mangels eines Antrages, der seiner Art nach überhaupt zulässig wäre, kein Mängelbehebungsverfahren |
daher ´echte´ Entscheidungspflicht gemäß § 311 BAO, d.h. der Abspruch über den Antrag wird über die Zurückweisung wegen genereller Unzulässigkeit eines derartigen Antrages hinausgehen | daher wird sich die von § 311 BAO gebotene bescheidmäßige Entscheidung über einen Antrag auf amtswegige Wiederaufnahme in der Zurückweisung des Antrages, weil er seiner Art nach unzulässig ist, erschöpfen (Ausnahme laut Literaturstelle nicht mehr genau erinnerlich: vgl. anschließend) |
daher Prüfung des Antrages auf Zulässigkeit im speziellen Fall, d.h. insbesondere ob persönliche Antragslegitimation vorliegt und ob das wiederaufzunehmende Verfahren überhaupt mit Bescheid und rechtskräftig abgeschlossen ist; sodann Prüfung auf Rechtzeitigkeit, auf Vorliegen des Wiederaufnahmsgrundes und auf Abwesenheit des groben Verschuldens an der bisherigen Nichtgeltendmachung. Dementsprechend bescheidmäßig entweder Zurückweisung wegen Verspätung (hat Vorrang gegenüber den beiden anderen Alternativen) oder Bewilligung der beantragten Wiederaufnahme oder Abweisung des Wiederaufnahmeantrages. Bei Nichtbewilligung der beantragten Wiederaufnahme wird das Finanzamt aber wohl auch eine (gegebenenfalls nur interne) Entscheidung über den bekanntgewordenen Wunsch nach Wiederaufnahme insofern treffen, als bei manchen Konstellationen eine amtswegige Wiederaufnahme möglich ist, und sodann eine Ermessensentscheidung zu treffen ist, und bei anderen Konstellationen (Ablauf der Frist des § 304 erster Fall BAO, d.h. bereits eingetretene Verjährung) eine amtswegige Wiederaufnahme unmöglich ist. Diese Entscheidung tritt im Fall der Nichtverfügung der amtswegigen Wiederaufnahme nicht in Bescheidform nach außen (vgl. auch rechte Spalte) | weitere Untersuchungen eines Antrages auf amtswegige Wiederaufnahme sind entbehrlich; irgendeine (gegebenenfalls nur interne) Entscheidung über den bekanntgewordenen Wunsch nach amtswegiger Wiederaufnahme wird das Finanzamt aber wohl treffen. Theoretisch könnte das Finanzamt sowohl den Antrag auf amtswegige Wiederaufnahme als unzulässig zurückweisen als auch die vom Antragsteller erwünschte Wiederaufnahme von Amts wegen verfügen; praktisch wird wohl laut Literaturstelle nicht mehr genau erinnerlich unmittelbar in Entsprechung des Wiederaufnahmeantrages die Wiederaufnahme durchgeführt und der Zurückweisungsbescheid eingespart. Die Nichtverfügung der amtswegigen Wiederaufnahme tritt nicht in Bescheidform nach außen. |
Somit ist die bescheidmäßige Erledigung des Finanzamtes, mit der die beantragte Wiederaufnahme nicht bewilligt wurde, beim UFS anfechtbar | Somit ist die nicht in Bescheidform nach außen tretende Entscheidung, dass keine Wiederaufnahme von Amts wegen verfügt wird, nicht beim UFS anfechtbar; laut VwGH auch nicht durch Devolutionsantrag (vgl. mit kritischen Anmerkungen: Ritz, BAO4, § 311 Tz 9). |
Die steuerliche Vertretung übergab dem Referenten eine Niederschrift einer Aussage der Bw vom 24. September 2012. Diese Aussage wurde vom Referenten verlesen: Die Bw habe für sich und ihren Mann einen Termin bei der steuerlichen Vertretung für den 22. Dezember 2011 vereinbart. Das Thema sei unter anderen die steuerliche Absetzbarkeit der Währungsverluste eines Kredites in sfr gewesen, da sie diesen kurz vorher zurückgezahlt habe. Die Bw habe die Information erhalten, dass bei einem Kredit, der für die Anschaffung oder Herstellung eines Mietobjektes diene, nur die Zinsen, aber nicht die Kursverluste absetzbar seien. Anders als bei ihrem Mann, der ähnliche Fremdwährungskredite habe; was ihr unverständlich sei. Dass nun die Zinsen für ihren Hauskredit doch absetzbar seien, überrasche die Bw sehr. Sie habe geglaubt, sich zu erinnern, dass sie von der Mitarbeiterin des Steuerberater1, Frau Mitarbeiterin, seinerzeit informiert worden sei, dass die Zinsen für diesen Kredit nicht absetzbar seien und auch nicht abgesetzt würden. Nach Rückfrage habe die Bw bestätigt, dass dieser Kredit für die Ersteigerung des Objektes gedient habe. Herr Steuerberater1, der die Bw seit Beginn der Vermietungstätigkeit beraten habe, habe vorgeschlagen, die Akten durchzusehen, um zu kontrollieren, wie der Kredit tatsächlich behandelt worden sei. Am selben Abend habe er die Bw noch angerufen und ihr bestätigt, dass seit 2005 die Zinsen wegen der Feststellungen einer Betriebsprüfung nicht absetzbar gewesen seien. Er werde sich dies in den nachfolgenden Tagen noch näher anschauen, da ihm das nicht erklärlich sei. Wenn, wie vermutet, ein Fehler bei der Erstellung der Erklärungen gemacht worden sei, dann werde die neue Steuerberatungsgesellschaft einen Wiederaufnahmsantrag stellen.
In der mündlichen Verhandlung wurde seitens der Vertreter der Bw vorgebracht, dass die Absetzbarkeit der Zinsen für den Kredit klar sei. Erst infolge der Besprechung vom 22.12.2011 habe man erfahren, dass dies so sei. Die Bw mache die unterjährigen Buchungen selbst und übergebe die Daten der Steuerberatung für den Jahresabschluss. Der einzige Hinweis für die Nichtabsetzung ab 2005 sei der im Archiv desSteuerberaters gefundene Vermerk: laut BP nicht absetzbar. Es habe sich um keinen Rechtsirrtum, sondern nur um ein menschliches Versehen gehandelt. Die beiden Kredite des Ehegatten und der Bw seien eben sehr ähnlich gewesen und deshalb verwechselt worden. Überdies sei der beim Ehegatten nicht absetzbare Kredit von diesem auch für die Bw aufgenommen worden.
Seitens des Finanzamtes wurden keine Einwände gegen die materiell-rechtliche Absetzbarkeit der streitgegenständlichen Zinsen vorgebracht, jedoch eingewendet: Die Absetzung bis 2004 zeige, dass der Bw die Absetzbarkeit bewusst gewesen sei, deshalb handle es sich um keine neue Tatsache. Das Geschehen aus 2001, also die Anschaffung mit dem Kredit, habe der Bw auch in den Streitjahren noch bewusst sein müssen.
Der Referent meinte, dass es offenbar zwei Knackpunkte gebe: Erstens gehe das Finanzamt vom erstmaligen Erfahren einer Tatsache als maßgeblichen Zeitpunkt aus. Zweitens gehe man seitens der Bw davon aus, dass der Wiederaufnahmsgrund nicht nur aus der Tatsache bestehe, sondern aus der Tatsache in Kombination mit dem Wissen um die Absetzbarkeit.
Weiters hielt der Referent vor: Das Wissen davon, dass der streitgegenständliche Kredit ursprünglich zur Finanzierung des Ankaufes des Grundstückes gedient habe, sowie die Umschuldung auf ein anderes Institut und eine andere Währung müsste doch bei der Bw zu den jeweiligen Zeitpunkten, also vor 2005 eingetreten sein. Das Wissen von der Bezahlung der streitgegenständlichen Zinsen des Jahres 2005 müsste doch bei der Bw im Jahr 2005 eingetreten sein. Das Wissen von der Bezahlung der streitgegenständlichen Zinsen des Jahres 2009 müsste doch bei der Bw im Jahr 2009 eingetreten sein.
Die steuerliche Vertretung der Bw brachte vor, dass die frühere Absetzung bis 2004 durch die Betriebsprüfung beim Ehegatten der Bw, dessen Buchhaltung die Bw laufend führe, einschneidend beeinflusst worden sei. Daraufhin sei die Bw davon ausgegangen, dass Zinsen für Fremdwährungskredite generell nicht mehr abgesetzt werden könnten. Auch die Mitarbeiterin der Steuerberatungskanzlei sei infolge der Betriebsprüfung irritiert gewesen.
Seitens des Finanzamtes wurde vorgebracht, dass die Ereignisse durch die Betriebsprüfung zeigten, dass es sich um eine Fehlbeurteilung handle. Dies wurde seitens der steuerlichen Vertretung vehement bestritten; ein Irrtum sei keine Fehlbeurteilung.
Über die Berufung wurde erwogen:
E) Gesetzliche Grundlage: § 303 BAO bestimmt:
"(1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und
a) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder
b) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, oder
c) der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme gemäß Abs. 1 ist binnen einer Frist von drei Monaten von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich von dem Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, bei der Abgabenbehörde einzubringen, die im abgeschlossenen Verfahren den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.
(3) Wenn die Zuständigkeit zur Abgabenerhebung auf eine andere Abgabenbehörde übergegangen ist, kann der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens auch bei der Abgabenbehörde erster Instanz eingebracht werden, die im Zeitpunkt der Antragstellung zur Abgabenerhebung zuständig ist.
(4) Eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen ist unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte."
F) Interpretation des Anbringens vom 5. Jänner 2012:
Im Betreff vom 5. Jänner und vom 9. Jänner 2012 war der Absatz "4" des § 303 BAO angegeben. Im weiteren Verfahren gingen sowohl das Finanzamt X (im Mängelbehebungsauftrag vom 31. Jänner 2012 und im angefochtenen Bescheid vom 26. März 2012) als auch die steuerliche Vertretung der Bw (im Schreiben vom 27. Februar 2012 zur Beantwortung des Mängelbehebungsauftrages) davon aus, dass es sich um einen Antrag gemäß § 303 (1) BAO handelt. Dieser Auslegung des Anbringens vom 5. Jänner 2012 stimmt die Berufungsbehörde wegen der Formulierung seines Haupttextes ("... beantragen ...") zu, weil nur § 303 Abs. 1 BAO, nicht aber § 303 Abs. 4 BAO ein Antragsrecht vorsieht.
G) Die Bw macht als Wiederaufnahmsgründe geltend:
- a) In der über FinanzOnline eingebrachten Eingabe vom 5. Jänner 2012:Die Nichtabsetzung von Zinsen und Spesen eines im Jahr 2001 für die Finanzierung des Ankaufes des bebauten Grundstückes benötigten Kredites in den Überschussrechnungen der Streitjahre 2005 und 2009.
- In dem - in Reaktion auf den Mängelbehebungsauftrag eingebrachten - Schriftsatz vom 27. Februar 2012:
- b) das Erkennen der Nichtabsetzung der o.a. Zinsen und der Umstände, die zu diesem Irrtum geführt haben;
- c) die Unrichtigkeit der Überschussrechnungen 2005 und 2009 sowie der daraus abgeleiteten Steuererklärungen.
Damit werden neu hervorgekommene Tatsachen als Wiederaufnahmsgründe iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO geltend gemacht. Dies ist bei den hier als a) und b) bezeichneten Wiederaufnahmsgründen unmittelbar erkennbar. Bei dem hier als c) bezeichneten Wiederaufnahmsgrund wird ebenfalls eine neu hervorgekommene Tatsache ("Unrichtigkeit") geltend gemacht und nicht ein neu hervorgekommenes Beweismittel. Im Übrigen hätten die - im Steuerakt (inkl. elektronischem Steuerakt) der Bw vor der jeweiligen Veranlagung mit den Bescheiden vom 20. Februar 2009 bzw. 24. November 2010 bereits aktenkundig gewesenen - Überschussrechnungen (mit summierten und gruppenweise gegliederten Einnahmen und Werbungskosten) sowie Steuererklärungen nicht neu hervorkommen können. Die diesen summierten und gegliederten Überschussrechnungen (Beilagen/Ergänzungen zu den Einkommensteuererklärungen) zugrundeliegenden Aufschreibungen (die man ebenfalls als Überschussrechnungen bezeichnen kann), in denen die einzelnen Einnahmen und Werbungskosten verbucht sowie die streitgegenständlichen Fremdkapitalkosten auf ´Privat´ umgebucht worden waren, sind nach Erlassung der Bescheide vom 20. Februar 2009 bzw. 24. November 2010 durch die Einreichung von Kontenausdrucken als Beilage zum Schreiben vom 9. Jänner 2012 für das Finanzamt neu hervorgekommen. Jedoch ist die damit neu hervorgekommene Dokumentation der damaligen rechtlichen Würdigung, wonach die streitgegenständlichen Fremdkapitalkosten nicht abgesetzt werden könnten, kein Beweismittel iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO, sondern zählt zum Bereich der rechtlichen Würdigung, aus deren Änderung keine Erfüllung des Neuerungstatbestandes erfolgen kann (vgl. Punkt H).
H) Würdigung der geltend gemachten Wiederaufnahmsgründe:
Als Voraussetzung für die Bewilligung einer beantragten Wiederaufnahme aufgrund des Neuerungstatbestandes (§ 303 Abs. 1 lit. b BAO) sind insbesondere folgende Kriterien kumulativ zu erfüllen:
- Beim neuhervorgekommenen Umstand muss es sich um eine Tatsache iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO oder um ein Beweismittel iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO handeln. Unter einem Beweismittel ist hierbei ein Mittel zur Herbeiführung der Überzeugung vom Gegebensein oder Nichtzutreffen einer Tatsache zu verstehen (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, Band 3, 2921).Der Gegensatz zu einem solchen Umstand ist die ´rechtliche Beurteilung/Würdigung´, wie aus Folgendem hervorgeht:
- Der Sinn der Wiederaufnahme liegt darin, eine durch Bescheid erledigte Angelegenheit in einem neuerlichen Verfahren inhaltlich zu prüfen, wenn der Bescheid, der die abgeschlossene Angelegenheit erledigt hat, "in seinen Grundlagen im Sachbereich ... erschüttert" worden ist (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, Band 3, 2911).
- Ständige Rechtsprechung und herrschende Meinung in der Literatur stellen stets die rechtliche Beurteilung den neuhervorgekommenen Tatsachen (Sachverhaltselementen) bzw. Beweismitteln gegenüber (vgl etwa UFS 15.4.2003, RV/3946-W/02-RS2; UFS 19.3.2004, RV/0080-I/02-RS1; UFS 13.7.2004, RV/0832-W/02-RS1; UFS 10.5.2005, RV/0188-K/04-RS1,2; UFS 21.9.2006, RV/1700-W/03-RS1; UFS 4.9.2007, RV/0464-I/06-RS1; UFS 12.2.2008, RV/0118-F/06-RS1; UFS 18.2.2008, RV/2704-W/07-RS1; UFS 3.2.2009, RV/0158-G/07-RS1; UFS 4.10.2010, RV/1741-W/10-RS2; UFS 24.5.2011, RV/3597-W/07-RS4; Ellinger ua, § 303 E48a, E52, E53, E53a, E56, E162a, E163 sowie Anm 11 und 14; Ritz, BAO4, § 303 Tz 8 und 9).
- Für eine Unterscheidung zwischen Fehlbeurteilung und Irrtum bleibt hier kein Raum, weil beide nicht zum Sachbereich, dem Sachverhalt (zusammengesetzt aus Sachverhaltselementen, d.h. Tatsachen) gehören.
Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch könnte das Ergebnis einer vorgenommenen rechtlichen Würdigung als Tatsache bezeichnet werden. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch könnte die Dokumentation (z.B. ein Konto) einer vorgenommenen rechtlichen Würdigung (etwa eine Buchung) als Beweismittel bezeichnet werden. Solche Tatsachen bzw. Beweismittel, die zum Bereich der rechtlichen Würdigung gehören, sind aber keine Tatsachen bzw. Beweismittel iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO (vgl in diesem Sinne wohl: Stoll, BAO-Kommentar, Band 3, 2920).
- Neuhervorkommen aus dem Blickwinkel der Behörde nach dem Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens durch Bescheid, wobei nur Tatsachen bzw. Beweismittel neu hervorkommen können, die schon vor dem maßgebenden Zeitpunkt (Bescheiderlassung) existiert haben (nova reperta), wozu nach Bescheiderlassung entstandene Tatsachen bzw. Beweismittel (nova producta) nicht gehören (vgl Ritz, BAO4, § 303 Tz 10, 13).Angewendet auf den Fall der Bw bedeutet dies, dass
- hinsichtlich des Veranlagungsjahres 2005 nur Tatsachen bzw. Beweismittel, die vor der Erlassung des Bescheides vom 20. Februar 2009 existiert haben,
- hinsichtlich des Veranlagungsjahres 2009 nur Tatsachen bzw. Beweismittel, die vor der Erlassung des Bescheides vom 24. November 2010 existiert haben,
neu hervorkommen können.
Ad a) Die Verwendung des Vorläuferkredites des streitgegenständlichen Kredites (vor der Umschuldung/Konvertierung) für die Anschaffung der vermieteten Liegenschaft sowie das Resultieren des streitgegenständlichen Kredites aus dem Vorläuferkredit sowie die streitgegenständlichen Zinszahlungen im Jahr 2005 bzw. im Jahr 2009 sind Tatsachen, die vor der Erlassung des maßgeblichen Bescheides hinsichtlich 2005 vom 20. Februar 2009 bzw. hinsichtlich 2009 vom 24. November 2010 existiert haben. Diese Tatsachen waren dem Finanzamt in den Einkommensteuerveranlagungsverfahren hinsichtlich 2005 bzw. 2009 bis zur jeweiligen, vorangeführten Bescheiderlassung nicht bekannt, sodass sie aus dem Blickwinkel des Finanzamtes im Jahr 2012 neu hervorgekommen sind.
Ad b) Das Erkennen des Irrtumes der Nichtabsetzung der streitgegenständlichen Fremdwährungszinsen könnte zwar nach allgemeinem Sprachgebrauch als Tatsache bezeichnet werden, was aber in Zusammenhang mit der Verfahrenswiederaufnahme zu Missverständnissen führen wird. Denn es handelt sich bei diesem Erkennen, welches zum Bereich der rechtlichen Würdigung gehört, um keine Tatsache iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO. Im Übrigen entstand dieses Erkennen erst im Dezember 2011, sodass es nach der Erlassung des maßgeblichen Bescheides hinsichtlich 2005 vom 20. Februar 2009 bzw. hinsichtlich 2009 vom 24. November 2010 jedenfalls nicht neu hervorgekommen ist.
Ad c) Bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für ein Jahr ist zu unterscheiden einerseits zwischen den Aufschreibungen der einzelnen Einnahmen und Werbungskosten sowie andererseits dem gemäß § 44 Abs. 5 EStG 1988 für die Steuererklärung vorgesehenen, gruppenweise gegliederten Ausweis der summierten Einnahmen und Werbungskosten.
Die Unrichtigkeit der Überschussrechnung 2005 (im Sinne der Aufschreibung der einzelnen Einnahmen und Werbungskosten) entstand, als die streitgegenständlichen Finanzierungskosten derart umgebucht wurden, dass sie sich nicht mehr als Werbungskosten auswirkten. Die Unrichtigkeit der daraus abgeleiteten Überschussrechnung 2005 (im Sinne der als solche bezeichneten Papier-Ergänzung zur elektronischen Einkommensteuererklärung mit dem gruppenweise gegliederten Ausweis der summierten Einnahmen und Werbungskosten) entstand bei der Aufstellung dieser Überschussrechnung. Die Unrichtigkeit der Einkommensteuererklärung 2005 entstand bei der Aufstellung dieser Steuererklärung. Diese drei Unrichtigkeiten betreffend 2005 entstanden vor der Einbringung der elektronischen Steuererklärung und der Papier-Ergänzung hierzu, also spätestens am 25. Juli 2006. Diese Unrichtigkeiten entstanden somit vor der Erlassung des Bescheides vom 20. Februar 2009, sie waren dem Finanzamt bei Erlassung dieses Bescheides nicht bekannt und sie konnten danach, im Jahr 2012 für das Finanzamt neu hervorkommen. Allerdings sind diese Unrichtigkeiten keine Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO, sondern zählen zum Bereich der rechtlichen Würdigung (vgl. oben und Stoll, BAO-Kommentar, 2920).
Die Unrichtigkeit der Überschussrechnung 2009 (im Sinne der Aufschreibung der einzelnen Einnahmen und Werbungskosten) entstand, als die streitgegenständlichen Finanzierungskosten derart umgebucht wurden, dass sie sich nicht mehr als Werbungskosten auswirkten. Die Unrichtigkeit der daraus abgeleiteten Überschussrechnung 2009 (im Sinne der als solche bezeichneten Papier-Ergänzung zur elektronischen Einkommensteuererklärung mit dem gruppenweise gegliederten Ausweis der summierten Einnahmen und Werbungskosten) entstand bei der Aufstellung dieser Überschussrechnung. Die Unrichtigkeit der Einkommensteuererklärung 2009 entstand bei der Aufstellung dieser Steuererklärung. Diese drei Unrichtigkeiten betreffend 2009 entstanden vor der Einbringung der elektronischen Steuererklärung und der Papier-Ergänzung hierzu, also spätestens am 23. November 2010. Diese Unrichtigkeiten entstanden somit vor der Erlassung des Bescheides vom 24. November 2010, sie waren dem Finanzamt bei Erlassung dieses Bescheides nicht bekannt, und sie konnten danach, im Jahr 2012 für das Finanzamt neu hervorkommen. Allerdings sind diese Unrichtigkeiten keine Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO, sondern zählen zum Bereich der rechtlichen Würdigung (vgl. oben und Stoll, BAO-Kommentar, 2920).
- Erfüllung des letzten Satzteiles von § 303 Abs. 1 BAO: "und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte", d.h. die sogenannte Entscheidungswesentlichkeit.
Ausgehend von der grundsätzlichen Besteuerung nach den Verhältnissen im jeweiligen Veranlagungszeitraum, zumal keine Ausnahmen davon (etwa bis zu neunmonatige steuerliche Rückwirkung durch einen Umgründungsvorgang in einen bereits abgeschlossenen Veranlagungszeitraum [idR Kalenderjahr]) vorgebracht werden oder sonstwie erkennbar sind, würde dies Zeit-bezogen bedeuten:
- Für den Einkommensteuerbescheid 2005 können nur Tatsachen entscheidungswesentlich sein, die vor dem 1. Jänner 2006 entstanden sind.
- Für den Einkommensteuerbescheid 2009 können nur Tatsachen entscheidungswesentlich sein, die vor dem 1. Jänner 2010 entstanden sind.
Hingegen geht Stoll, BAO-Kommentar, Band 3, 2923 f, davon aus, dass Tatsachen und Beweismittel nur dann einen anders lautenden Bescheid zur Folge haben hätten können, die bei Abschluss des Verfahrens mit dem (bisherigen) Bescheid bereits existent gewesen waren.
Diese unterschiedlichen Auffassungen zur zeitlichen Komponente der Entscheidungswesentlichkeit können jedoch dahingestellt bleiben, weil die geltend gemachten Wiederaufnahmsgründe ad b und ad c bereits an der Nichterfüllung des Neuerungstatbestandes scheitern (vgl. oben: keine Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO), und der geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund ad a an der Drei-Monats-Frist des § 303 Abs. 2 BAO scheitert (vgl. anschließend).
- Die Einbringung des Wiederaufnahmsantrages innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Kenntniserlangung vom Wiederaufnahmsgrund:
Ad a) Dieser Wiederaufnahmsgrund wurde in der Eingabe vom 5. Jänner 2012 geltend gemacht, wobei nur Tatsächliches und keine Kombination mit der rechtlichen Würdigung als Wiederaufnahmsgrund (hierzu ad b) geltend gemacht wurde. Diese Geltendmachung entspricht Ritz, BAO4, § 303 Tz 13 sowie Ellinger ua, Anm 11 zu § 303 BAO, wo als Wiederaufnahmsgründe nur Tatsachen (bzw. Beweismittel), nicht aber Kombinationen mit der rechtlichen Würdigung angeführt sind. Die Verwendung des Vorläuferkredites des streitgegenständlichen Kredites (vor der Umschuldung/Konvertierung) für die Anschaffung der vermieteten Liegenschaft sowie das Resultieren des streitgegenständlichen Kredites aus dem Vorläuferkredit sowie die streitgegenständlichen Zinszahlungen im Jahr 2005 bzw. im Jahr 2009 sind Tatsachen, die sich - aus dem maßgeblichen Blickwinkel der Behörde - als neu hervorgekommen erwiesen haben (vgl. oben). Das Wissen von diesen Tatsachen ist bei der Bw erstmals entstanden, als sie diese Handlungen (Tatsachen) vorgenommen hat. Ein allfälliges Vergessen von Tatsachen, von denen Kenntnis erlangt worden ist, ist unbeachtlich. Das Vorbringen, dass es nicht der Erfahrung des täglichen Lebens entspräche, dass eine Steuerpflichtige und ihr Steuerberater wüssten, dass es steuermindernde Ausgaben gäbe und sie sie trotzdem nicht absetzten, geht an dem hier unter ad a zu behandelnden Wiederaufnahmsgrund (Tatsache ohne Kombination mit rechtlicher Beurteilung) vorbei, denn die steuermindernde Absetzbarkeit ist das Ergebnis einer rechtlichen Beurteilung. Der Wiederaufnahmsgrund, von dem die letzte (Teil)Tatsache die letzte Zinszahlung im Jahr 2009 war, ist jedenfalls vor dem 1. Jänner 2010 entstanden und (zugleich) der Bw zur Kenntnis gelangt. Die Drei-Monats-Frist des § 303 Abs. 2 BAO endete daher jedenfalls vor dem 1. April 2010. Hinsichtlich des Wiederaufnahmsgrundes ad a ist der Wiederaufnahmsantrag vom 5. Jänner 2012 daher verspätet, weshalb er als verspätet zurückzuweisen ist (vgl. Ritz, BAO4, § 303 Tz 28)
Ad b) Mit diesem Wiederaufnahmsgrund wurde im Ergebnis die Kombination der Tatsachen laut Wiederaufnahmsgrund ad a mit der rechtlichen Würdigung der steuerlichen Absetzbarkeit der streitgegenständlichen Fremdkapitalkosten geltend gemacht. Diese Geltendmachung widerspricht Ritz, BAO4, § 303 Tz 13 sowie Ellinger ua, Anm 11 zu § 303 BAO, wo als Wiederaufnahmsgründe nur Tatsachen (bzw. Beweismittel), nicht aber Kombinationen mit der rechtlichen Würdigung angeführt sind. Dementsprechend hat sich der Wiederaufnahmsgrund ad b bereits weiter oben als ungeeignet erwiesen. Jedoch kann zusätzlich die Einhaltung oder Nichteinhaltung der Drei-Monats-Frist von Bedeutung sein, weil die Nichteinhaltung der Drei-Monats-Frist zu einer - der Abweisung vorgehenden - Zurückweisung des Wiederaufnahmsantrages führt. Der geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund ad b ist zwar als solcher ungeeignet, aber er ist im Dezember 2011 der Bw zur Kenntnis gelangt, sodass für seine Geltendmachung die Drei-Monats-Frist eingehalten worden ist. Hinsichtlich des Wiederaufnahmsgrundes ad b wäre der Wiederaufnahmsantrag daher abzuweisen.
Ad c) Mit diesem Wiederaufnahmsgrund wurden Unrichtigkeiten geltend gemacht, welche zum Bereich der rechtlichen Würdigung gehören, weshalb sich der Wiederaufnahmsgrund ad c bereits weiter oben als ungeeignet erwiesen hat. Der geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund ad c ist zwar als solcher ungeeignet, aber er - die Unrichtigkeiten - ist erst im Dezember 2011 der Bw zur Kenntnis gelangt, sodass für seine Geltendmachung die Drei-Monats-Frist eingehalten worden ist. Hinsichtlich des Wiederaufnahmsgrundes ad c wäre der Wiederaufnahmsantrag daher abzuweisen.
I) zur Entscheidungsrichtung:
Es hat sich erwiesen, dass alle drei geltend gemachten Wiederaufnahmsgründe nicht zur Bewilligung der Wiederaufnahme führen. Hinsichtlich des Wiederaufnahmsgrundes ad a ist eine Zurückweisung des Wiederaufnahmsantrages geboten - wie sie schon das Finanzamt mit dem angefochtenen Bescheid vorgenommen hat. Hinsichtlich der Wiederaufnahmsgründe ad b und ad c wäre hingegen eine Abweisung des Wiederaufnahmsantrages geboten.
Lösung: Genaugenommen wurden die Wiederaufnahmsgründe ad b und c während des zur beantragten Wiederaufnahme durchgeführten Verfahrens, also nachträglich geltend gemacht. Das Verfahren zur beantragten Wiederaufnahme beginnt mit dem Antrag, welcher den oder die Wiederaufnahmsgründe festlegt, außer es wäre ein auf § 303a lit. b BAO ["Bezeichnung der Umstände (§ 303 Abs. 1), auf die der Antrag gestützt wird"] bezogener Mängelbehebungsauftrag ergangen, dessen Beantwortung Raum für die (erstmalige) Spezifizierung der Wiederaufnahmsgründe geboten hätte.
Der gegenständliche Mängelbehebungsauftrag (Bescheid) vom 31. Jänner 2012 war jedoch bezogen
- auf "Angaben, die zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Antrags notwendig sind", d.h. auf § 303a lit. c BAO,
- und auf "Angaben, die zur Beurteilung des fehlenden groben Verschuldens an der Nichtgeltendmachung im abgeschlossenen Verfahren notwendig sind", d.h. auf § 303a lit. d BAO.
Somit ist bei der Entscheidungsrichtung über den Wiederaufnahmsantrag vom 5. Jänner 2012 nur der darin geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund (ad a), nicht aber die im Schriftsatz vom 27. Februar 2012 geltend gemachten Wiederaufnahmsgründe (ad b und ad c) maßgeblich.
Die Zurückweisung des (gesamten) Wiederaufnahmsantrages vom 5. Jänner 2012 als verspätet durch den angefochtenen Bescheid vom 26. März 2012 ist daher zu bestätigen, und die dagegen gerichtete Berufung vom 23. April 2012 ist abzuweisen.
Die Themen der Abwesenheit groben Verschuldens an der früheren Nichtgeltendmachung sowie der Verjährung stellen sich dadurch hier nicht. Der seitens der Bw vorgebrachte Vorrang der Rechtsrichtigkeit wird vom VwGH gegenüber der Rechtsbeständigkeit betont, ist aber nur bei der Ermessensübung im Falle der Erfüllung der Grundvoraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme von Belang. Es wurde bereits dargestellt, dass die Entscheidung über die amtswegige Wiederaufnahme eines, beider oder keines der gegenständlichen Einkommensteuerverfahren für 2005 und 2009 nicht Gegenstand der vorliegenden Entscheidung ist.
Ergeht auch an Finanzamt X zu St.Nr. Y
Wien, am 4. Oktober 2012
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 303a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | Verfahrenswiederaufnahme, Neuerungstatbestand, Neuhervorkommen |