1) Zumutbarkeit der Benützung des Massenbeförderungsmittels (Einrechnung von regelmäßigen Zugverspätungen in die Wegzeit)2) "Große" Pendlerpauschale nur bei tatsächlichen Kosten aus der Verwendung eines Individualverkehrsmittels (Kfz)
Anmerkungen:
wie UFS 14.2.2007, RV/0232-W/07; abweichend UFS 29.7.2008, RV/2018-W/08 sowie UFS 16.9.2008, RV/2403-W/08
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw.gegen den Bescheid des Finanzamtes Landeck Reutte betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2006 entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen, das einen Bestandteil des Spruches dieser Berufungsentscheidung bildet.
Entscheidungsgründe
Die Berufungswerberin war im Streitjahr 2006 in W., wohnhaft und als Lehrerin in A. nichtselbständig tätig. In der Erklärung zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung 2006 beantragte sie das "große" Pendlerpauschale (von 2.664 €) mit der Begründung, die Benützung eines Massenverkehrsmittels für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sei nicht zumutbar gewesen, weil sie für die 68 km lange einfache Wegstrecke mit dem öffentlichen Verkehrsmittel mehr als zweieinhalb Stunden brauche. Im Einkommensteuerbescheid 2006 gewährte das Finanzamt lediglich das "kleine" Pendlerpauschale (von 1.467 €), das bereits vom Arbeitgeber beim Lohnsteuerabzug berücksichtigt worden war.
In der Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 2006 brachte die Berufungswerberin vor, bei einer Wegzeit vom Verlassen des Hauses bis zum Arbeitsbeginn von mehr als zweieinhalb Stunden stehe ihr das "große" Pendlerpauschale zu.
Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 legte die Berufungswerberin folgende, vom Dienstgeber bestätigte Aufstellung ihrer Dienstzeiten sowie der (fahrplanmäßigen) Wegzeiten vor:
Montag bis Freitag in der FRÜH:
05.20 Uhr: Verlassen des Hauses (Fußweg zum Bahnhof B.) 05.47 Uhr: Bahnhof B., Abfahrt Richtung A.06.48 Uhr: Ankunft in A.07.50 Uhr: Unterrichtsbeginn
Montag, Mittwoch und Donnerstag ARBEITSENDE:
12.20 Uhr: Unterrichtsende 13.35 Uhr: Bahnhof A., Abfahrt Richtung B.14.33 Uhr: Ankunft in B., anschließend Fußweg nach Hause (ca. 18 Gehminuten)
Dienstag ARBEITSENDE:
15.35 Uhr: Unterrichtsende 17.04 Uhr: Bahnhof A., Abfahrt Richtung B.18.09 Uhr: Ankunft in B., anschließend Fußweg nach Hause (ca. 18 Gehminuten)
Freitag ARBEITSENDE:
11.35 Uhr: Unterrichtsende 13.35 Uhr: Bahnhof A., Abfahrt Richtung B.14.33 Uhr: Ankunft in B., anschließend Fußweg nach Hause (ca. 18 Gehminuten).
Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom 7. Mai 2008 als unbegründet ab, weil die Wegzeit bei optimaler Kombination von Massen- und Individualverkehrsmittel lediglich zwei Stunden und zwanzig Minuten betrage. Daraufhin beantragte die Berufungswerberin die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Über die Berufung wurde erwogen:
1) Gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 in der für das Streitjahr geltenden Fassung gehören zu den Werbungskosten auch die Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Für die Berücksichtigung dieser Aufwendungen gilt:
"a) Diese Ausgaben sind bei einer einfachen Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bis 20 km grundsätzlich durch den Verkehrsabsetzbetrag (§ 33 Abs. 5) abgegolten. b) Beträgt die einfache Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, die der Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend zurücklegt, mehr als 20 km und ist die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zumutbar, dann werden zusätzlich als Pauschbeträge berücksichtigt: ... über 60 km: 1.467 Euro jährlich. c) Ist dem Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke nicht zumutbar, dann werden anstelle der Pauschbeträge nach lit. b folgende Pauschbeträge berücksichtigt: ... über 60 km: 2.664 Euro jährlich. Mit dem Verkehrsabsetzbetrag und den Pauschbeträgen nach lit. b und c sind alle Ausgaben für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abgegolten. Für die Inanspruchnahme der Pauschbeträge hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber auf einem amtlichen Vordruck eine Erklärung über das Vorliegen der Voraussetzungen der lit. b und c abzugeben. Der Arbeitgeber hat die Erklärung des Arbeitnehmers zum Lohnkonto (§ 76) zu nehmen. Änderungen der Verhältnisse für die Berücksichtigung dieser Pauschbeträge muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber innerhalb eines Monats melden. Die Pauschbeträge sind auch für Feiertage sowie für Lohnzahlungszeiträume zu berücksichtigen, in denen sich der Arbeitnehmer im Krankenstand oder auf Urlaub (Karenzurlaub) befindet ...".
2) In der Verwaltungspraxis wird die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels als nicht mehr zumutbar angesehen, wenn bestimmte - nach Entfernung gestaffelte - Wegzeiten überschritten werden (bei einer einfachen Wegstrecke unter 20 km: eineinhalb Stunden, ab 20 km: zwei Stunden, ab 40 km: zweieinhalb Stunden; Rz 255 der Lohnsteuerrichtlinien 2002). Die Wegzeit umfasst die Zeit vom Verlassen der Wohnung bis zum Arbeitsbeginn bzw. vom Verlassen der Arbeitsstätte bis zur Ankunft in der Wohnung.
3) Aus § 16 Abs. 1 Z 6 lit. a und b EStG 1988 ergibt sich, dass der Gesetzgeber des EStG 1988 grundsätzlich für Fahrten des Arbeitnehmers zwischen Wohnung und Arbeitsstätte - im öffentlichen Interesse - nicht den Individualverkehr und die Benützung eines Kfz, sondern die Benützung eines Massenbeförderungsmittels steuerlich berücksichtigt wissen will. Nur wenn die Benützung eines Massenbeförderungsmittels nicht möglich oder nicht zumutbar ist, können im Wege der Pauschbeträge nach § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988 Kosten des Individualverkehrs geltend gemacht werden (VwGH 24.9.2008, 2006/15/0001; VwGH 4.2.2009, 2007/15/0053). Bei Prüfung der Frage, ob die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke zumutbar ist, ist von einer optimalen Kombination von Massen- und Individualverkehrsmittel auszugehen (VwGH 24.9.2008, 2006/15/0001; VwGH 28.10.2008, 2006/15/0319).
4) Im Berufungsverfahren vor der Abgabenbehörde zweiter Instanz hat die Berufungswerberin ihren Arbeitsweg (und die benützten Verkehrsmittel) wie folgt beschrieben:
Im Regelfall sei sie mit dem Zug nach A. zur Arbeit gefahren. Die Wegstrecke vom elterlichen Wohnhaus in W. (ihrem damaligen Wohnsitz) zum Bahnhof B. habe sie bevorzugt zu Fuß zurückgelegt, zumal sie mit dem eigenen Pkw kaum schneller gewesen wäre: Beim Elternhaus in W. sei ihr kein Parkplatz zur Verfügung gestanden, das Auto habe sie einige Gehminuten entfernt abstellen müssen. Weiters müsse Zeit für die Parkplatzsuche beim Bahnhof B. eingeplant werden (der Parkplatz dort sei auch in der Früh schon stark besucht). Auf dem Heimweg müsse sie erfahrungsgemäß mit einem Verkehrsstau in Richtung Wohnort rechnen. Der Zug von A. nach B., den die Berufungswerberin auf dem Heimweg überwiegend benütze (planmäßige Ankunft in B. um 14.33 Uhr), habe permanent Verspätung, weil in L. wegen der Eingleisigkeit der Strecke ein Gegenzug abgewartet werden müsse. Diese Verspätung betrage im Durchschnitt sicher 10 Minuten. Der Heimweg nehme daher regelmäßig mehr als zweieinhalb Stunden in Anspruch. Auf dem Weg zur Arbeit habe sie in A. einen gewissen zeitlichen Spielraum bis zum Unterrichtsbeginn. Wenngleich es im Winter immer wieder zu (witterungsbedingten) Zugverspätungen komme, seien die im Schreiben vom 22.2.2008 (Dienstgeberbestätigung) angegebenen Zeiten für den Weg zur Arbeit (genau zweieinhalb Stunden) überwiegend sicher zutreffend. In den ersten beiden Schulwochen im September und in den letzten beiden Wochen zum Ende des Schuljahres (Juni/Juli) fahre sie immer mit dem Pkw zur Arbeit, weil sie Unterrichtsmittel zur Schule bzw. von der Schule nach Hause transportiere; ebenso benütze sie den Pkw, wenn Elternabende, Konferenzen und dgl. angesetzt seien. Im ersten Halbjahr 2006 sei sie meistens mit dem Pkw zur Arbeit gefahren, weil sie noch an den Folgen eines im Vorjahr erlittenen Unfalls (Schienbeinkopfbruch) gelitten habe. Nach den Sommerferien sei sie wieder regelmäßig mit dem Zug zur Arbeit gefahren.
Am 17. März 2009 legte die Berufungswerberin eine auf Grund der Eintragungen in ihrem "Timer" erstellte Jahreszusammenstellung 2006 vor, aus der jene Kalendertage ersichtlich sind, an denen - im Einzelnen angegebene - schulische Termine (zB Konferenz, Infotag, Besprechung, Ausflug) die Benützung des eigenen Pkw erfordert hätten.
5) Danach steht fest, dass die Berufungswerberin für den Weg zur Arbeit (vom Verlassen der Wohnung bis zum Unterrichtsbeginn) zweieinhalb Stunden benötigte, wenn sie die Teilstrecke von der Wohnung zum Bahnhof B. (ca. 2,4 km) zu Fuß zurücklegte und anschließend für die Fahrt nach A. das öffentliche Verkehrsmittel (ÖBB) benutzte. Bei Verwendung des eigenen Pkw für die Wegstrecke Wohnung - Bahnhof B. verkürzte sich diese Wegzeit um schätzungsweise fünf Minuten. Nach der in der Praxis angewendeten Zeitstaffel (Rz 255 der LStR 2002) führte die Benützung des öffentlichen Verkehrsmittels (ÖBB) auf dem Weg zur Arbeit somit nicht zu einer unzumutbar langen Wegzeit.
Anders verhält es sich hinsichtlich des Rückwegs von der Arbeit: Dass der von der Berufungswerberin überwiegend (am Montag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag) benützte ÖBB-Zug mit der planmäßigen Ankunft im Bahnhof B. um 14.33 Uhr regelmäßig Verspätung hat, ist bekannt. Das Vorbringen der Berufungswerberin, wonach eine durchschnittliche Zugverspätung von zehn Minuten in die Wegzeit einzurechnen ist, erscheint somit berechtigt. Weder bei Zurücklegung der restlichen Strecke vom Bahnhof bis zur Wohnung zu Fuß (Gehzeit nach den Angaben der Berufungswerberin 18 Minuten) noch im Falle einer Weiterfahrt mit dem Stadtbus (Abfahrt beim Bahnhof B. um 14.48 Uhr, planmäßige Fahrzeit zehn Minuten) noch bei der Weiterfahrt mit dem eigenen Pkw bis zu dem einige Gehminuten von der Wohnung entfernten Parkplatz hätte die Berufungswerberin - im Regelfall - bis 14.50 Uhr (und damit an den Arbeitstagen mit Unterrichtsende um 12.20 Uhr innerhalb einer nach der Verwaltungspraxis noch als zumutbar geltenden Wegzeit von zweieinhalb Stunden) zu Hause sein können. Auf die in der Literatur teilweise vertretene Ansicht, dass die "Zumutbarkeit" der Wegzeit für jeden Arbeitnehmer, unabhängig von der Entfernung, gleich auszulegen sei und eine Wegzeit für die einfache Strecke von mehr als eineinhalb Stunden nicht nur im Nahbereich, sondern allgemein als unzumutbar angesehen werden müsse (Doralt, EStG, 9. Auflage, § 16 Tz 107), sei ergänzend hingewiesen.
6) In Literatur und Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wurde bislang die Frage, ob das "große" Pendlerpauschale auch dann zusteht, wenn der Arbeitnehmer auf ein Individualverkehrsmittel verzichtet und - trotz Unzumutbarkeit - für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte tatsächlich das Massenbeförderungsmittel benutzt (bejahend etwa UFS 29.7.2008, RV/2018-W/08 und UFS 16.9.2008, RV/2403-W/08 sowie Wiesner/Atzmüller/Grabner/Lattner/Wanke, EStG, Anm. 82 zu § 16, wonach das "große" Pendlerpauschale unabhängig vom tatsächlich benutzten Verkehrsmittel zustehe; dagegen verneinend UFS 14.2.2007, RV/0232-W/07, mit Hinweis auf die Nichtabzugsfähigkeit von "fiktivem" Aufwand). Nach Ansicht der Referentin ist der letzteren Auffassung zu folgen: Die Berücksichtigung von Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten in Form eines Pauschalabzuges setzt ganz allgemein voraus, dass Ausgaben, für die eine (betragsmäßige) Pauschalierung vorgesehen ist, dem Grunde nach anfallen. Da der Pauschalabzug nach § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988 die Kosten des Individualverkehrs abgelten soll (vgl. nunmehr auch VwGH 24.9.2008, 2006/15/0001; VwGH 4.2.2009, 2007/15/0053), erscheint er dann nicht gerechtfertigt, wenn tatsächlich keine solchen Kosten entstehen.
7) Die Anspruchsvoraussetzungen für das "große" Pendlerpauschale gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988 sind daher - wegen Unzumutbarkeit der Benützung des öffentlichen Verkehrsmittels (ÖBB) infolge langer Wegzeiten - hinsichtlich jener Lohnzahlungszeiträume gegeben, in denen der Berufungswerberin tatsächlich Kosten für die Verwendung eines Individualverkehrsmittels (Kfz) erwachsen sind. Nach dem glaubhaften Vorbringen der Berufungswerberin ist sie in den Monaten Jänner bis Juli 2006 und nach den Sommerferien auch noch im September 2006 überwiegend mit dem eigenen Pkw zur Arbeit gefahren; in den Monaten Oktober, November und Dezember 2006 war dies noch gelegentlich (an rund 10 % bis 20 % der Arbeitstage) der Fall. Auf die Höhe der tatsächlichen Kfz-Kosten kommt es, dem Wesen einer Pauschalierung entsprechend, nicht an. Das "große" Pendlerpauschale konnte somit durchgängig für alle Lohnzahlungszeiträume des Kalenderjahres 2006, hinsichtlich des Ferienmonats August auf Grund der im Gesetz enthaltenen - nach der Rechtsprechung (VwGH 16.2.2006, 2005/14/0108) mit Vereinfachungsüberlegungen zu rechtfertigenden -"Urlaubsregelung", gewährt werden.
Zusätzlich zum bereits berücksichtigten "kleinen" Pendlerpauschale (von 1.467 €) waren daher 1.197 € (Differenzbetrag zum "großen" Pendlerpauschale von 2.664 €) bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abzuziehen.
Beilage : 1 Berechnungsblatt
Innsbruck, am 29. April 2009
Ergeht auch an: Finanzamt als Amtspartei
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise: |