Prozesskosten im Obsorgeverfahren können zwangsläufig erwachsen sein
Entscheidungstext
Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Frau x, vom 11. Juni 2004, gegen den Bescheid des Finanzamtes Deutschlandsberg Leibnitz Voitsberg vom 12. Mai 2004, betreffend die Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2003, entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil dieses Bescheidspruches.
Entscheidungsgründe
Die Berufungswerberin hat mit ihrer Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für 2003 unter anderem einen Betrag von 4.254,51€ an Rechtsanwaltskosten als außergewöhnliche Belastung beantragt. Dabei handelte es sich im Wesentlichen um die Kosten ihrer Vertretung in einem Obsorge- und Unterhaltsverfahren für ihre beiden Kinder.
Das Finanzamt hat diesen Antrag mit dem Einkommensteuerbescheid vom 12. Mai 2004 abgewiesen.
Auch die dagegen fristgerecht eingebrachte Berufung vom 11. Juni 2004 (von der Berufungswerberin irrtümlich mit "1. Mai 2004" datiert) blieb erfolglos. In der Begründung vom 3. September 2004 zur Berufungsvorentscheidung vom 2. September 2004 weist das Finanzamt im Ergebnis darauf hin, dass letztlich eine Einigung beider Streitteile erzielt worden sei, und bei einer einvernehmlichen Lösung den Aufwendungen das Merkmal der Zwangsläufigkeit fehle.
Die Berufung gilt zufolge des fristgerecht eingebrachten Vorlageantrages wiederum als unerledigt. Im Vorlageantrag vom 29. September 2004 führt die Berufungswerberin durch ihren Vertreter wörtlich aus:
"Es ist zutreffend, dass vorerst die Berufungswerberin im Zuge ihrer Trennung von ihrem Ehemann am 05.02.2004 einen Antrag auf Übertragung der Obsorge und Unterhaltsfestsetzung hinsichtlich ihrer beiden minderjährigen Kinder gestellt hat, hat aber der Ehemann der Berufungswerberin per 26.03.2002 ebenfalls einen Antrag auf Übertragung der Obsorge an ihn gestellt, dies ebenfalls anwaltlich vertreten, sodass schon aus dem allgemeinen Gebot der Waffengleichheit die Berufungswerberin gezwungen war, dass diesbezügliche Verfahren fortzuführen, wobei dieser Antrag der Gegenseite etwas überraschend kam, da der Gegner, noch anwaltlich unvertreten, mit Protokoll vom 26.02.2002 angegeben hat, an einer einvernehmlichen Regelung interessiert zu sein, jedoch sodann, wie bereits dargelegt, am 26.03.2002 selbst einen Antrag auf Obsorgeübertragung an ihn gestellt hat, dies nach einem Vorfall vom 15.03.2002, bei welchem der Ehemann die Berufungswerberin verletzt hat, weswegen auch ein Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung hinsichtlich der Obsorge notwendig war.
Im außerstreitigen Gerichtsverfahren über die Obsorgeregelung waren sodann weitere umfangreiche Verfahrensschritte notwendig, sodass das Gericht ... zur Gutachtenserstellung bestellt hat, wobei das Gutachten sodann im August 2002 erstellt wurde in welchem dann empfohlen wurde, die Obsorge an die Berufungswerberin zu übertragen und dem Kindesvater ein 14-tägiges Besuchsrecht inklusive Ferienbesuchsrecht zu gewähren.
Dieses Gutachten wurde vorerst vom Ehemann der Berufungswerberin noch bekämpft, wobei er diese Bekämpfung aber nach langer Diskussion in der Tagsatzung vom 28.01.2003 aufgegeben hat und wurde sodann hinsichtlich der Obsorge ein Vergleich, basierend auf dem Gutachten der Sachverständigen abgeschlossen, wobei anzumerken ist, dass erfahrungsgemäß in Besuchsrechtsverfahren das Gericht mehr oder weniger 1:1 dem Sachverständigengutachten folgt.
Es ist daher trotz dem Abschluss eines Vergleiches, welcher nur das, jedenfalls voraussichtliche, Ergebnis des Verfahrens vorwegnimmt und damit dem Gericht Arbeit erspart, nicht das Merkmal der Zwangsläufigkeit abzusprechen.
Die Belastung durch die Anwaltskosten im Obsorgeverfahren ist daher der Berufungswerberin zwangsläufig erwachsen, da sie durch die körperlichen Attacken ihres Mannes gezwungen war, auszuziehen und natürlich eine rechtliche Regelung der Obsorge hinsichtlich der Kinder absolut notwendig war, dies einerseits aus rechtlichen Gründen, wobei auch eine hohe Komponente von sittlichen Gründen beinhaltet ist und die Berufungswerberin als Kindesmutter natürlich verpflichtet ist, für das Wohl ihrer Kinder zu sorgen.
Die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen für Anwaltskosten ist daher durch den Abschluss eines Vergleiches nicht verloren gegangen, weswegen die geltend gemachten Aufwendungen für Rechtsanwaltskosten eine außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 34 EStG darstellen und hätte daher der Berufung Folge gegeben werden müssen."
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:
1. Sie muss außergewöhnlich sein (Abs. 2).
2. Sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).
3. Sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).
Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.
Abs. 2: Die Belastung ist außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.
Abs. 3: Die Belastung erwächst dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.
Von einem zwangsläufig erwachsenen Aufwand im Sinn des § 34 Abs. 3 EStG 1988 kann nach herrschender Auffassung nur dann gesprochen werden, wenn sich ein Abgabepflichtiger diesem Aufwand von dessen Entstehungsgrund her aus tatsächlichen rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.
Die Zwangsläufigkeit ist stets nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles und nicht in wirtschaftlicher oder gar typisierender Betrachtungsweise zu beurteilen. Schon aus dem Wortlaut des § 34 Abs. 3 EStG 1988 "wenn er sich ihr ... nicht entziehen kann" ergibt sich eindeutig, dass freiwillig getätigte Aufwendungen ebenso wenig Berücksichtigung finden können wie Aufwendungen, welche auf Tatsachen zurückzuführen sind, die vom Steuerpflichtigen freiwillig oder vorsätzlich herbeigeführt wurden (vgl. z.B. Hofstätter - Reichel, Die Einkommensteuer - Kommentar, § 34 Abs. 3 EStG 1988 Tz 1, und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im Allgemeinen muss davon ausgegangen werden, dass Prozesskosten nicht zwangsläufig erwachsen sind, weil jede Prozessführung mit dem Risiko verbunden ist, die Kosten ganz oder teilweise selbst tragen zu müssen. Eine allgemeine Regel lässt sich allerdings vor allem dann nicht aufstellen, wenn der Steuerpflichtige als beklagte Partei zur Prozessführung gezwungen ist. Die Rechtsprechung hat jedoch die Zwangsläufigkeit stets dann verneint, wenn ein Prozess letztlich nur die Folge eines Verhaltens ist, zu dem sich der Steuerpflichtige aus freien Stücken bereit gefunden hat.
Im Erkenntnis vom 3.3.1992, 88/14/0011, hat der Verwaltungsgerichtshof Kosten in einem Vaterschaftsprozess als außergewöhnliche Belastung anerkannt, in dem der Abgabepflichtige als obsiegende Partei diese Kosten zu tragen hatte, weil Regressansprüche gegen das einkommenslose und vermögenslose Kind als unterlegene Partei erfahrungsgemäß nicht durchsetzbar sind.
Der vorliegende Sachverhalt ist nach Auffassung des unabhängigen Finanzsenats mit dem dieser Entscheidung zu Grunde liegenden im Wesentlichen vergleichbar:
Das Einlassen in den Rechtsstreit bestand darin, dass die Berufungswerberin "im Zuge ihrer Trennung von ihrem Ehemann am 05.02.2004 einen Antrag auf Übertragung der Obsorge und Unterhaltsfestsetzung hinsichtlich ihrer beiden minderjährigen Kinder gestellt hat" (siehe Vorlageantrag). Ein derartiger Antrag ist aber in § 177b (in Verbindung mit §§ 177 und 177a ABGB) ausdrücklich vorgesehen. Die Berufungswerberin konnte sich diesem Antrag daher aus rechtlichen Gründen nicht entziehen. Tatsächlich ohne rechtliche Verpflichtung erfolgte die Betrauung eines rechtskundigen Vertreters zur Durchsetzung der Rechte der Berufungswerberin aber auch der beiden minderjährigen Kinder. Angesichts des geschilderten Verfahrensablaufes vertritt der unabhängige Finanzsenat die Ansicht, dass sich die nicht rechtskundige Berufungswerberin wohl auch dieser Maßnahme nicht entziehen konnte, sodass die Kosten ihrer Vertretung insoweit als zwangsläufig erwachsen anzuerkennen sind. Auch das Finanzamt hat wohl diese Auffassung vertreten, hat es doch in der Berufungsvorentscheidung vom 3. September 2004 den strittigen Vertretungskosten die Zwangsläufigkeit nur deshalb abgesprochen, weil die Rechtssache schließlich mit einem Vergleich beendet worden war. Weil jedoch ein Kostenersatz (auch nach der damals anzuwendenden Rechtslage) im außerstreitigen Verfahren nicht vorgesehen war, hätte die Berufungswerberin diese Kosten jedenfalls (auch im Falle ihres formellen Obsiegens) selbst zu tragen gehabt. Der Abschluss eines Vergleiches kann daher in diesem Fall der Zwangsläufigkeit des zu Grunde liegenden Aufwandes nicht entgegenstehen (vgl. das zitierte Erkenntnis des VwGH vom 3.3.1992, 88/14/0011).
Der Berufung war daher Folge zu geben und der angefochtene Bescheid entsprechend abzuändern.
Beilage: 1 Berechnungsblatt
Graz, am 19. September 2006
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 34 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Schlagworte: | Prozess, Anwalt, Rechtsanwalt, Zwangsläufigkeit, Obsorgeverfahren, Unterhaltsverfahren |
Verweise: | § 177b ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811 |