auf deutsche Einkünfte entfallende Sozialversicherungsbeiträge als Betriebsausgaben in Österreich
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2022:RV.3100013.2022
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter_A in der Beschwerdesache Beschwerdeführer, Anschrift_A vertreten durch Steuerberater_A, über die Beschwerde vom 26. April 2017 gegen den Einkommensteuerbescheid des Finanzamtes Österreich vom 21. April 2017 für das Jahr 2015, Steuernummer StNr._1, zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
1.) Verfahrensgang:
In der am 27. Februar 2017 elektronisch eingereichten Einkommensteuererklärung machte der Beschwerdeführer bei seinen in Österreich erzielten Einkünften aus selbständiger Arbeit Aufwendungen für eigene Pflichtversicherung im Gesamtbetrag von Betrag_1 € als Betriebsausgaben geltend.
Über Vorhalt des Finanzamtes_A, nunmehr Finanzamt Österreich, vom 24. März 2017 führte der Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 10. April 2017 unter Beilage der Kontoübersicht der Sozialversicherungsbeiträge 2015 ua. aus, zutreffend sei, dass ein Teil der bezahlten Sozialversicherungsbeiträge mit den in Deutschland erzielten Einkünften im Zusammenhang stehen würde. Dennoch seien diese Zahlungen als Betriebsausgabe in Österreich in Abzug zu bringen, da sie gemäß § 4 Abs. 4 Z 1 lit a EStG ausdrücklich als Betriebsausgabe genannt werden und auch der allgemeinen Betriebsausgabendefinition entsprechen würden. Gemäß § 4 Abs. 4 EStG seien Aufwendungen und Ausgaben dann als Betriebsausgaben anzuerkennen, wenn sie durch den Betrieb veranlasst wären. Dieser vom Einkommensteuergesetz geforderte Veranlassungszusammenhang zwischen dem österreichischen Betrieb und den bezahlten Sozialversicherungsbeträgen sei schon deshalb gegeben, da für den Betrieb des österreichischen Unternehmens ein Gewerbeschein zu halten sei, der wiederum die Pflichtversicherung nach § 2 GSVG auslöse und auch die ausländischen Einkünfte in die sozialversicherungspflichtige Beitragsgrundlage miteinbeziehe. Diesen zwingenden Vorschriften könne man sich nicht entziehen und müsse aufgrund des Bestehens seines österreichischen Betriebes auch für die in Deutschland erwirtschafteten Einkünfte österreichische Sozialversicherungsbeiträge bezahlt werden. Eine Unterbrechung des geforderten Veranlassungszusammenhangs könne daher nicht bejaht werden und die entsprechenden Aufwendungen seien daher als Betriebsausgabe anzuerkennen. Festzuhalten sei auch, dass die bezahlten Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland nicht in Abzug gebracht werden könnten, da diese im deutschen Steuerrecht als Sonderausgabe zu berücksichtigenden Aufwendungen die unbeschränkte Steuerpflicht voraussetzen würden. Eine Berücksichtigung im Rahmen des Progressionsvorbehaltes wäre also schon deshalb keine befriedigende Lösung. Auch sei anzumerken, dass die aus der Sozialversicherungspflicht erwachsenden Pensionszahlungen in Österreich zu versteuern seien und sich schon deshalb eine entsprechende Abzugsfähigkeit in Österreich ergeben müsse. Dies ergebe sich auch aufgrund der Regelung zum Sonderausgabenabzug nach § 18 Abs. 2 EStG. Aus der Kontoübersicht der Sozialversicherungsbeiträge 2015 seien die vorgeschriebenen Beträge in Höhe von Betrag_1 € ersichtlich. Es sei daher keine Aufteilung der Sozialversicherung auf inländische und ausländische Einkünfte vorgenommen worden.
Im ergänzenden E-Mail vom 14. April 2017 führte der Beschwerdeführer unter Beilage der (deutschen) Gewinnermittlung 2015, der Erklärung der endgültigen Beitragsgrundlage 2012 der SVA und der Erklärung der vorläufigen Beitragsgrundlage 2015 der SVA aus, der Betrag von Betrag_1 € würde sich aus einer Nachbelastung der endgültigen Beitragsgrundlage 2012 (Betrag_2 €) und der vorläufigen Beitragsgrundlage für 2015 (Betrag_3 €) zusammensetzen. Die Aufteilung auf in- und ausländische Einkünfte sei aufgrund der Abzugsfähigkeit der SV-Beiträge nicht notwendig.
Das Finanzamt_A kürzte im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2015 (mit Ausfertigungsdatum 21. April 2017) die vom Beschwerdeführer im Rahmen der Einkünfte aus selbständiger Arbeit erklärten Betriebsausgaben für eigene Pflichtversicherung auf Betrag_4 € und führte hierzu begründend aus, im vorliegenden Fall sei offensichtlich Österreich für die Vorschreibung der gesamten Sozialversicherungsbeiträge zuständig. In der BRD seien daher keine SV-Beiträge mehr abzuführen. Für die Ermittlung der vorzuschreibenden Beiträge würden die in Österreich und in der BRD versicherungspflichtigen Einkünfte zusammengerechnet werden. Laut der am 25. Oktober 2014 erstellten Erklärung der endgültigen Beitragsgrundlage 2012 setze sich diese Grundlage wie folgt zusammen: Österreich Betrag_5 € (19%), BRD Betrag_6 € (81%), die daraus resultierende Nachbelastung von Betrag_2 € sei im Jahr 2015 gemeinsam mit den vorläufigen Beiträgen 2015 zu entrichten gewesen. Im Hinblick auf diesen Sachverhalt sei eine prozentuelle Aufteilung der gesamten SV-Beiträge (Betrag_1 €) auf die BRD (Betrag_7 €) und auf Österreich (Betrag_4 €) vorzunehmen.
Die hiergegen fristgerecht erhobene Beschwerde vom 26. April 2017 begründete der Beschwerdeführer unter Verweis auf das Vorbringen vom 10. April 2017 ua. damit, die Bescheidbegründung widerlege weder die vorgebrachten Argumente noch bringe sie andere Gründe für die Versagung des Betriebsausgabencharakters der Sozialversicherungszahlungen vor, weshalb weiterhin davon auszugehen sei, dass die abgegebene Steuererklärung den Regelungen des EStG entspreche. Generell sei festzuhalten, dass der Bescheidbegründung jegliche rechtliche Würdigung des Sachverhalts mit Bezug auf Gesetzestext und Judikatur fehle. Daher werde der Antrag auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides mit Neuveranlagung entsprechend der abgegebenen Steuererklärung gestellt.
Das Finanzamt_A wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom 22. März 2019 als unbegründet ab und führte hierzu in der händischen Bescheidbegründung (vom selben Tag) ergänzend ua. aus, der Beschwerdeführer sei im betreffenden Besteuerungszeitraum in Österreich ansässig gewesen. Die gewerbliche Tätigkeit sei in Deutschland durch eine dort gelegene Betriebsstätte ausgeübt worden. Im Jahr 2015 hätten die Beiträge zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung und zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung die Höhe von insgesamt Betrag_1 € betragen; davon seien Betrag_7 € der in Deutschland gelegenen Betriebsstätte zuzurechnen. Bei den beschwerdegegenständlichen Beiträgen handle es sich zwar um Betriebsausgaben im Sinne des § 4 Abs. 4 Zif. 1 lit. a EStG 1988. Der im Sinne des Artikels 7 Abs. 1 DBA-Deutschland der in Deutschland gelegenen Betriebsstätte zuzurechnende Anteil dürfe jedoch in Deutschland besteuert werden und werde gemäß Artikel 23 Abs. 2 lit. a DBA-Deutschland von der Besteuerung durch die Republik Österreich ausgenommen.
Der Beschwerdeführer begehrte mit Schreiben vom 19. April 2019 fristgerecht die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht und führte hierin ua. weiters aus, der Entscheidung fehle eine Begründung, wieso die Sozialversicherungsbeiträge dem deutschen und dem österreichischen Betrieb zugerechnet werden würden. Auch werde auf den Art 7 Abs. 2 DBA-Deutschland verwiesen ohne eine Gesetzesinterpretation vorzunehmen. Aus dieser zitierten Zuteilungsregel ergebe sich, dass der ausländische Betrieb für Zwecke der Gewinnaufteilung wie ein völlig unabhängiges selbstständiges Unternehmen zu betrachten sei. Unter dieser Selbstständigkeitsfiktion ergebe sich eine eindeutige Zuordnung der bezahlten österreichischen Sozialversicherungsbeiträge zum österreichischen Betrieb, da diese Pflichtbeiträge dem Grunde nach ausschließlich durch die betriebliche Tätigkeit in Österreich verursacht worden seien. Würde der österreichische Betrieb aufgegeben werden und sei man ausschließlich in Deutschland tätig, seien mangels einer dortigen Sozialversicherungspflicht für Unternehmer auch keine entsprechenden Beiträge zu leisten. Dies sei von dem deutschen Steuerberater nochmals bestätigt worden. Im Ergebnis seien die österreichischen Sozialversicherungsbeiträge, die auch unstrittig die Betriebsausgabendefinition erfüllen würden, vollständig dem österreichischen Betrieb zuzurechnen und seitens der Finanzverwaltung als Betriebsausgabe anzuerkennen. Unabhängig davon wäre es jedenfalls ein rechtswidriger Zustand, wenn die bezahlten Sozialversicherungsbeiträge weder in Österreich noch in Deutschland vollständig geltend gemacht werden könnten. Wenn man bedenke, dass die von der Versicherung ausbezahlte Pension auch in Österreich versteuert werden müsse, sei korrespondierend dazu auch eine steuerliche Absetzbarkeit der entsprechenden verpflichtenden Versicherungsbeiträge geboten. Der VwGH führe dazu in dem Urteil vom 20.04.2006 (2004/15/0038) aus, dass eine fehlende steuerliche Berücksichtigung der Beitragszahlungen jedenfalls dem Sachlichkeitsgebot widerspreche und damit verfassungswidrig sei.
Das Bundesfinanzgericht wies die Beschwerde mit Entscheidung vom 15. Mai 2020. GZ. RV/3100513/2019, als unbegründet ab, da die streitgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge sowohl durch die österreichische als auch die deutsche Einkunftsquellen veranlasst wären und unter Beachtung des Veranlassungszusammenhanges den einzelnen Einkunftsquellen zuzuordnen seien. Die auf die deutschen Einkünfte entfallenden Sozialversicherungsbeiträge würden durch deren Berücksichtigung bei der Gewinnermittlung die Höhe der in Ansatz zu bringenden ausländischen Einkünfte mindern und damit unmittelbar den zu ermittelnden Durchschnittssteuersatz kürzen.
In Folge der vom Beschwerdeführer hiergegen erhobenen Revision hob der Verwaltungsgerichtshof obiges Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes mit Entscheidung vom 16. November 2021, Ra 2020/15/0077, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf, da den gemäß § 4 Abs. 4 lit. a EStG 1988 zu den Betriebsausgaben zählenden Pflichtbeiträgen ihre steuerliche Wirksamkeit durch Anwendung der DBA-Freistellungsmethode nicht genommen werden dürfe.
2.) Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist in Anschrift_A Österreich, wohnhaft (siehe Auskunft aus dem Zentralen Melderegister vom 21. Oktober 2019).
Der Beschwerdeführer erzielte im Jahr 2015 nachfolgende Einkünfte:
a) als Geschäftsführer der in Ort_A, Österreich, ansässigen Gesellschaft_A, FN_1, Einkünfte aus selbständiger Arbeit,
b) aus einer Vermietungstätigkeit betreffend das Vermietungsobjekt in Anschrift_A Österreich, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie
c) als Einzelunternehmer des in Ort_B, Deutschland, ansässigen Unternehmen_A Einkünfte aus Gewerbebetrieb
(siehe die (österreichische) Einkommensteuererklärung für das Jahr 2015, den bekämpften (österreichischen) Einkommensteuerbescheid 2015, die Gewinnermittlung betreffend das (deutsche) Unternehmen-A für das Jahr 2015 sowie den (deutschen) Bescheid für 2015 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag des (deutschen) Finanzamtes_B vom 16. Jänner 2017, StNr.,_2).
Der Beschwerdeführer ist in Österreich sozialversicherungspflichtig. Die Sozialversicherungsanstalt für gewerbliche Wirtschaft (SVA) schrieb dem Beschwerdeführer für das Jahr 2015 Sozialversicherungsbeiträge im Gesamtbetrag von Betrag_1 € vor (siehe Kontoübersicht der Sozialversicherungsanstalt vom 8. Jänner 2016), welche sich zum einen aus einer Nachbelastung für das Jahr 2012 sowie zum anderen aus den vorläufigen Beiträgen für das Jahr 2015 zusammensetzen. Die Nachbelastung für 2012 wurde auf Grundlage der sich aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2012 des Finanzamtes_A (mit Ausfertigungsdatum 30. April 2014) ergebenden inländischen Einkünfte aus selbständiger Arbeit und Progressionseinkünfte betreffend die in Deutschland erzielten Einkünfte ermittelt (siehe ua. die Erklärung der endgültigen Beitragsgrundlage 2012 der Sozialversicherungsanstalt vom 25. Oktober 2014, den bekämpften Bescheid sowie das Beschwerdevorbringen). Die streitgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge 2015 begründen sich somit in den sowohl in Österreich als auch in Deutschland erzielten sozialversicherungspflichtigen Einkünften (siehe ua. auch Schreiben des Beschwerdeführers vom 10. April und 26. April 2017).
3.) Beweiswürdigung:
Der streitgegenständliche Sachverhalt ergibt sich aus der vorliegenden unstrittigen Aktenlage, insbesondere aus den oben näher bezeichneten Unterlagen und Beschwerdevorbringen.
4.) Rechtslage:
Gemäß § 4 Abs. 4 lit. a EStG 1988 sind "Beiträge des Versicherten zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung, Beiträge zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung" jedenfalls Betriebsausgaben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 16. November 2021, Ra 2020/15/0077, zu dem streitanhängigen Beschwerdeverfahren ausgeführt wie folgt:
"Die Frage, ob eine abgabepflichtige Person pflichtversichert war und die von ihr geforderten und bezahlten Beiträge daher Pflichtversicherungsbeiträge waren, ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ausschließlich nach Sozialversicherungsrecht zu beurteilen (VwGH 18.3.1991, 90/14/0265). Ausschlaggebend ist dabei, ob die Beitragsleistung die abgabepflichtige Person auf Grund einer zwingenden Vorschrift trifft, der sie sich nicht entziehen kann (Doralt, EStG19, § 4 Rz 277, mwN; Rn 16).
Ist eine Person innerhalb der Europäischen Union in zwei oder mehr Mitgliedstaaten tätig, ist sie nach den Regelungen der Verordnung (EG) zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit Nr. 883/2004 dem System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats zu unterwerfen, um eine Kumulierung anzuwendender nationaler Rechtsvorschriften und die sich daraus möglicherweise ergebenden Komplikationen zu vermeiden (Rn 17).
Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (Ausübung von Tätigkeiten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten) regelt dazu wie folgt:
"(1) Eine Person, die gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Beschäftigung ausübt, unterliegt
a) den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt oder wenn sie bei mehreren Unternehmen oder Arbeitgebern beschäftigt ist, die ihren Sitz oder Wohnsitz in verschiedenen Mitgliedstaaten haben, oder
b) den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem das Unternehmen oder der Arbeitgeber, das bzw. der sie beschäftigt, seinen Sitz oder Wohnsitz hat, sofern sie keinen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeiten in dem Wohnmitgliedstaat ausübt.
(2) Eine Person, die gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt
a) den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt, oder
b) den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Tätigkeiten befindet, wenn sie nicht in einem der Mitgliedstaaten wohnt, in denen sie einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt.
(3) Eine Person, die gewöhnlich in verschiedenen Mitgliedstaaten eine Beschäftigung und eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie eine Beschäftigung ausübt, oder, wenn sie eine solche Beschäftigung in zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausübt, den nach Absatz 1 bestimmten Rechtsvorschriften.
(4) Eine Person, die in einem Mitgliedstaat als Beamter beschäftigt ist und die eine Beschäftigung und/oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, dem die sie beschäftigende Verwaltungseinheit angehört.
(5) Die in den Absätzen 1 bis 4 genannten Personen werden für die Zwecke der nach diesen Bestimmungen ermittelten Rechtsvorschriften so behandelt, als ob sie ihre gesamte Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat ausüben und dort ihre gesamten Einkünfte erzielen würden" (Rn 18).
Dass der Revisionswerber nach Art. 13 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 in Österreich als seinem Wohnsitzstaat der Versicherungspflicht unterliegt, ist im Revisionsfall unstrittig (vgl. zur hiezu maßgeblichen Prognoseprüfung näher Zemann in Höfle/Mitterer, FS Sedlacek 119, 129; Rn 19).
Damit sind aber - wie auch vom BFG zutreffend erkannt - die gesamten revisionsgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge einschließlich derjenigen betreffend die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte als zwingend angefallene Pflichtbeiträge von § 4 Abs. 4 lit. a EStG 1988 erfasst (Rn 20).
Das BFG hat den auf die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte entfallenden Sozialversicherungsbeiträgen allerdings mit Hinweis auf die Steuerfreistellung dieser Einkünfte durch das DBA-Deutschland den Abzug versagt. Soweit die Sozialversicherungsbeiträge mit den Betriebsstätteneinkünften in Zusammenhang stünden, für die Deutschland nach Art. 7 DBA-Deutschland das Besteuerungsrecht und Österreich eine Freistellungsverpflichtung habe, seien sie nach Ansicht des BFG in Österreich nicht als Betriebsausgaben in Abzug zu bringen, sondern nur im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen. Die durch das DBA normierte Freistellung betreffe nämlich die "Einkünfte" der Betriebsstätte, also den Saldo zwischen Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben (Rn 21).
Das BFG hat sohin - grundsätzlich zutreffend - für Zwecke der Einkommensbesteuerung nach dem EStG 1988 die Einkünfte des in einer in Deutschland gelegenen Betriebsstätte entfalteten Gewerbebetriebes nach österreichischem Steuerrecht ermittelt und sodann diese Einkünfte (samt den anteiligen Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung) in Anwendung des DBA aus dem in Österreich zu versteuernden Einkommen ausgeschieden und nur für Zwecke des Progressionsvorbehaltes berücksichtigt. Bei dieser Ermittlung der Einkünfte der Betriebsstätte hat es die anteiligen Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung als Betriebsausgaben berücksichtigt (Rn 22).
Zwar hat der Gesetzgeber des EStG 1972 und nachfolgend des EStG 1988 die Pflichtversicherungsbeiträge zur Sozialversicherung - in Abkehr von deren vorheriger Einstufung als Sonderausgaben - in § 4 und § 16 zu Aufwendungen gemacht, die bereits bei der Ermittlung derjenigen Einkünfte in Abzug zu bringen sind, mit denen sie im Zusammenhang stehen (vgl. dazu näher VwGH 18.3.1991, 90/14/0265). Diese regelungstechnische Zuordnung zum Bereich der Einkünfteermittlung ist aber - wie bereits die Rechtslage vor dem EStG 1972 zeigt - nicht zwingend, wenn der Gesetzgeber sich für eine einkommensteuerliche Berücksichtigung von Sozialversicherungsbeiträgen entscheidet (Rn 23).
Wie die Revision zutreffend aufzeigt, besteht die kausale Verknüpfung bei Pflichtversicherungsbeiträgen in erster Linie zwischen den Beitragsleistungen einerseits und dem Versicherungsschutz der versicherten Person andererseits. Pflichtversicherungsbeiträge werden bezahlt, um in den Versicherungsfällen von Unfällen, Krankheit, Invalidität oder Alterspension Versicherungsleistungen zu erhalten. Sie dienen der persönlichen Absicherung der Steuerpflichtigen. Der Bezug zum Betrieb besteht demgegenüber nur darin, dass die betriebliche Tätigkeit Anknüpfungspunkt einer Versicherungspflicht im Rahmen des GSVG ist und die erzielten Einkünfte in die Bemessungsgrundlage für die Beitragsleistungen eingehen (Rn 24).
Nach dem Gesagten dient die steuerliche Berücksichtigung von sozialversicherungsrechtlichen Pflichtbeiträgen - jedenfalls im Hinblick auf Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung - der steuerlichen Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse der Abgabepflichtigen (zu den Pensionsbeiträgen siehe Rn 29 ff). Die einkommensteuerliche Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse von in der EU grenzüberschreitend tätigen Personen obliegt im Zweifel dem Ansässigkeitsstaat (vgl. dazu EuGH 12.6.2003, C-234/01 , Gerritse, Rz 48; 11.8.1995, C-80/94 , Wielockx, Rz 27; sowie M Lang, RIW 2005, 336 ff, 342 f mwN; Rn 25).
Im gegenständlichen Fall hat das BFG die Feststellung getroffen, dass Deutschland im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht für den Betriebsstättengewinn die betreffenden Zahlungen in die Pflicht-Sozialversicherung - sie betreffen die Person des Revisionswerbers - nicht berücksichtigt (Rn 26).
Wenn das nationale Einkommensteuerrecht eines Mitgliedstaates in Bezug auf die im Mitgliedstaat ansässigen Personen die steuermindernde Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse vorsieht, so darf der Mitgliedstaat, soweit eine Deckung in dem ihm zukommenden Steueranspruch besteht, diese Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse unionsrechtlich nicht einseitig zurücknehmen, weil die Person ihre wirtschaftliche Betätigung auch in einem anderen Mitgliedstaat ausübt oder ausgeübt hat (VwGH 20.12.2016, Ro 2015/15/0010, unter Hinweis auf EuGH 12.12.2002, C-385/00 , F W L de Groot, Rz 98 ff, EuZW 2003, 114 ff mit ausführlicher Urteilsanmerkung). Es besteht unionsrechtlich die primäre Verpflichtung des Ansässigkeitsstaates, die persönlichen Verhältnisse der grenzüberschreitend Tätigen in gleicher Weise zu berücksichtigen wie jene der ausschließlich im Mitgliedstaat Tätigen. Dieser Verpflichtung kann sich der Mitgliedstaat nicht dadurch entledigen, dass er Aufwendungen, die den persönlichen Bereich der Steuerpflichtigen betreffen, zwar als einkommensmindernd anerkennt, sie aber durch eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung dem Bereich der Gewinnermittlung (als Betriebsausgabe) zuordnet (Rn 27).
Die Niederlassungsfreiheit gebietet es daher, grundsätzlich auch jenen Teil der Pflichtversicherung in der Sozialversicherung des Revisionswerbers, welcher der gewerblichen Tätigkeit im Rahmen des in Deutschland gelegenen Gewerbebetriebes (Einzelunternehmen) zugeordnet werden kann und dort keine steuerliche Berücksichtigung gefunden hat, von dem in Österreich zu besteuernden Einkommen in Abzug zu bringen (zu den Pensionsbeiträgen siehe Rn 29 ff). Als Folge dessen können aber diese Sozialversicherungsbeiträge bei der für Zwecke des Progressionsvorbehalts erforderlichen - nach österreichischem Recht vorzunehmenden - Ermittlung des Gewinnes des in Deutschland gelegenen Gewerbebetriebes nicht (zusätzlich) in Abzug gebracht werden (Rn 28).
Dies gilt im Ergebnis schon aus innerstaatlichen Gründen gleichermaßen für die revisionsgegenständlichen Pensionsbeiträge, weshalb es im Revisionsfall dahin gestellt bleiben kann, ob sie - ungeachtet des Umstandes, dass mit ihnen in Form späterer Pensionszahlungen auch eine neue Einkunfts- und damit Steuerquelle begründet wird - überhaupt noch unter die vom Ansässigkeitsstaat zu berücksichtigenden "persönlichen Verhältnisse" im unionsrechtlichen Sinne fallen (Rn 29).
Pensionen aus der gesetzlichen Sozialversicherung gemäß § 25 Abs. 1 Z 3 lit. a EStG 1988 zählen zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, für die Österreich im Revisionsfall - bei unveränderter Sachlage im Zeitpunkt des Pensionsantritts - nach Art. 18 DBA-Deutschland auch das Besteuerungsrecht zukäme (vgl. zum österreichischen Besteuerungsrecht im Revisionsfall einerseits Art. 18 Abs. 1 DBA-Deutschland, der auf den Ansässigkeitsstand abstellt, und Abs. 2 der den Staaten - abweichend vom OECD-Musterabkommen - das Besteuerungsrecht für ihre Sozialversicherungspensionen belässt). Die Pensionsbeiträge begründen also eine künftige (und in Österreich auch steuerpflichtige) Einkunftsquelle, weshalb die solchen Pensionen zugrundeliegenden Beitragszahlungen insofern vorweggenommene Erwerbsaufwendungen darstellen und abzugsfähig sind (Rn 30).
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 20. April 2006, 2004/15/0038, mit Hinweis auf VfGH 30.6.1984, G 101/84, ausgesprochen hat, würde es dem Sachlichkeitsgebot widerstreiten, Beiträge, die zu Einkünften in Form von Pensionen aus der gesetzlichen Sozialversicherung gemäß § 25 Abs. 1 Z 3 lit. a EStG 1988 führen, im Ergebnis vom Abzug auszuschließen. Pflichtbeiträge zur Pensionsversicherung zählen gemäß § 4 Abs. 4 lit. a EStG 1988 zu den Betriebsausgaben und werden dadurch einkommensmindernd berücksichtigt. Wenn aber das Betriebsergebnis, dem die Pflichtbeiträge zuzuordnen sind, im Einzelfall im Einkommen nicht erfasst werden kann (etwa weil - wie hier - das DBA eine Steuerbefreiung anordnet) und im Quellenstaat keine steuerliche Berücksichtigung erfolgt, muss dennoch die einkommensmindernde Berücksichtigung der Pensionsbeiträge über eine entsprechende Zuordnung zu den inländischen Einkünften gewährleistet sein (Rn 31).
In einer Konstellation wie dem Revisionsfall, wo also - nach den Feststellungen des BFG - im Quellenstaat keine steuerliche Berücksichtigung von Pensionsbeiträgen erfolgt, muss daher die einkommensmindernde Berücksichtigung der Pensionsbeiträge auch schon auf der Grundlage des originär innerstaatlichen Rechts in Österreich gewährleistet werden, weshalb den gemäß § 4 Abs. 4 lit. a EStG 1988 zu den Betriebsausgaben zählenden Pflichtbeiträgen zur Pensionsversicherung ihre steuerliche Wirksamkeit durch Anwendung der DBA-Freistellungsmethode nicht genommen werden darf (Rn 32)."
5.) Erwägungen:
Der Verwaltungsgerichtshof hat zum vorliegenden Beschwerdeverfahren in seiner Entscheidung vom 16. November 2021, Ra 2020/15/0077, explizit zum Ausdruck gebracht, dass die gesamten streitgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge von dem in Österreich zu besteuernden Einkommen in Abzug zu bringen sind; im Gegenzug dürfen die auf den in Deutschland gelegenen Gewerbebetrieb entfallenden anteiligen Sozialversicherungsbeiträge bei der für Zwecke des Progressionsvorbehalts erforderlichen Ermittlung der (deutschen) Einkünfte in Österreich keine steuerliche Berücksichtigung mehr finden.
Nach Abzug der streitgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge als Betriebsausgaben berechnen sich die (in Österreich erzielten) Einkünfte des Beschwerdeführers aus selbständiger Arbeit in - antrags- und erklärungsgemäßer - Höhe von Betrag_9 € sowie die (in Deutschland) erzielten ausländischen Einkünfte (mit Progressionsvorbehalt) in - erklärter - Höhe von Betrag_10 €. Der Beschwerde ist daher Folge zu geben und der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2015 diesbezüglich zu berichtigen.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Einkommensteuer für das Jahr 2015 sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
6.) Zulässigkeit der Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Beschwerdefall wurden keine Rechtsfragen mehr aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, sondern wurde vielmehr den Vorgaben des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 16. November 2021, Ra 2020/15/0077, entsprochen. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher unzulässig.
Anhang: 1 Berechnungsblatt Einkommensteuer 2015
Innsbruck, am 21. März 2022
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 4 Abs. 4 Z 1 lit. a EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise: | VwGH 18.03.1991, 90/14/0265 |