Wiederaufnahme des Verfahrens nach fehlender Ermittlung
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2020:RV.5101382.2019
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Marco Laudacher in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch Mag. Manfred Frühwirth, Wirtschaftstreuhand- und SteuerberatungsgmbH, Ferihumerstraße 29, Tür 12, 4040 Linz, vom 24. August 2017, gegen die Bescheide des Finanzamtes Linz vom 31. Mai 2017, 9. Juni 2017, 13. Juni 2017, 19. Juni 2017 und 22. Juni 2017 betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO hinsichtlich Körperschaftsteuer 2011 bis 2015
zu Recht erkannt:
1. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
2. Eine Revision gegen dieses Erkenntnis an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
A. Im Beschwerdeverfahren dargestellter Sachverhalt:
1. Vorgeschichte:
Bei Einbringung des Einzelunternehmens des Alleingesellschafters in die Bf. zum 31. Dezember 2004 wurde in der unternehmensrechtlichen Bilanz ein Firmenwert iHv 514.229,34 € aktiviert, der in weiterer Folge über 10 Jahre abgeschrieben wurde. In der steuerlichen Mehr-Weniger-Rechung (MWR) war dies durch eine Zurechnung in Höhe von einem Zehntel jährlich zu kompensieren. In den Jahren 2005 bis 2007 erfolgte die jährliche Zurechnung ordnungsgemäß, im Jahr 2008 ist diese Zurechnung zur Gänze unterblieben.
2. Anlässlich einer Betriebsprüfung der Jahre 2011 bis 2015 (BP-Bericht und Niederschrift vom 3. Mai 2017) wurde in Punkt 1 "Firmenwert" folgendes festgestellt:
a. In den Jahren 2005 bis 2007 sei die Zurechnung der Abschreibung des unternehmensrechtlich angesetzten Firmenwertes in der MWR durchgeführt (seit dem Wirtschaftsjahr 2008 bis zum Wirtschaftsjahr 2015 nicht mehr) und die AfA steuerlich als Aufwand berücksichtigt worden.
b. Die Abschreibung von nach Unternehmensrecht auszuweisenden Firmenwerten sei steuerlich nicht abzugsfähig. Daher sei ab dem Jahr 2008 (wie schon 2005 bis 2007) eine Zurechnung der Abschreibung in der MWR durchzuführen.
Die zahlenmäßige Darstellung stelle sich in € wie folgt dar:
| 2011 | 2012 | 2013 | 2014 | 2015 |
Gesamtbetrag Einkünfte | 16.673,47 | 133.062,76 | 22.871,54 | -72.809,51 | -13.005,55 |
Zurechnung Firmenwert | 205.691,72 | 51.422,93 | 51.422,93 | 51.422,93 | 25.711,47 |
Kürzung AfA BK | 0,00 | 0,00 | 1.071,65 | 1.071,65 | 1.805,95 |
Gesamtbetrag der Einkünfte laut AP | 222.365,19 | 184.485,69 | 75.366,12 | -20.314,93 | 14.511,87 |
Verlustvortrag laut AP | 131.600,36 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 20.314,93 |
Verlustausgleich | -131.600,36 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | -10.883,90 |
Verlustvortrag nach AP | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 9.431,03 |
KÖSt bisher | 1.750,00 | 1.750,00 | 1.234,00 | 1.437,50 | 1.750,00 |
KÖSt neu | 22.691,21 | 46.121,42 | 18.841,53 | 1.437,50 | 1.750,00 |
Mindest-KÖSt | -6.053,64 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
Steuerliche Auswirkung | 14.888,00 | 44.371,00 | 17.608,00 | 0,00 | 0,00 |
3. Mit Bescheid vom 31. Mai 2017 wurde die Körperschaftsteuer 2011 wiederaufgenommen.
Als Begründung wurde auf die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung verwiesen. Daraus sei auch die Begründung für die Abweichung vom bisherigen im Spruch bezeichneten Bescheid zu ersehen. Die Wiederaufnahme sei unter Abwägung von Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsgründen verfügt worden. Im vorliegenden Fall hätte das Interesse an der Rechtsrichtigkeit das Interesse an der Rechtsbeständigkeit überwogen. Die steuerlichen Auswirkungen könnten auch nicht bloß als geringfügig angesehen werden.
4. Mit Schreiben vom 24. August 2017 wurde gegen den Wiederaufnahmebescheid betreffend Körperschaftsteuer 2011 Beschwerde eingelegt.
a. Der Wiederaufnahmebescheid vom 31. Mai 2017 werde dahingehend angefochten, dass keine Gründe, die eine Wiederaufnahme rechtfertigen, vorliegen würden.
b. Die BP begründe die Wiederaufnahme wie folgt: "Im Zuge der Außenprüfung für die Jahre 2013 bis 2015 wurde aufgrund der im Prüfungsverfahren vorgelegten Unterlagen (Jahresabschlüsse, Anlagenverzeichnis, MWR, Belege) und erteilten Auskünfte dem Finanzamt erstmalig bekannt, dass, wie unter Tz 1 Firmenwert genau ausgeführt, bereits seit dem Jahr 2008 bis zum Jahr 2015 keine Zurechnung des unternehmensrechtlichen Firmenwerts mehr durchgeführt und somit der Firmenwert steuerlich als Aufwand berücksichtigt wurde, obwohl dieser steuerlich nicht abzugsfähig ist. Da die oben genannten Unterlagen dem Finanzamt vor Beginn der Außenprüfung nicht vorlagen, war es dem Finanzamt im Zuge der Erlassung der Erstbescheide nicht möglich, das Fehlen der Hinzurechnung zu erkennen.
c. Die Außenprüferin führe die bislang herrschende Ansicht ins Treffen, es sei von entscheidender Bedeutung, ob der Abgabenbehörde der Sachverhalt im jeweiligen Verfahren so vollständig bekannt gewesen sei, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumption zu der jetzigen Entscheidung gelangen hätte können.
d. Entscheidungsrelevant für die Wiederaufnahme sei somit die Frage, ob der Behörde tatsächlich erst im Rahmen der Außenprüfung 2013 bis 2015 die Tatsache betreffend des Unterlassens der steuerlichen Zurechnung der unternehmensrechtlich vorgenommenen Firmenwertabschreibung bekannt geworden sei. Diese Frage sei klar zu verneinen.
e. Zum 31. Dezember 2004 sei das Einzelunternehmen des Ing. KB unter Anwendung der Bestimmungen des Art III UmgrStG in die Bf. eingebracht worden. Die steuerlichen Buchwerte - dargestellt in der Einbringungsbilanz zum 31. Dezember 2004 - seien fortgeführt worden. Ausschließlich im unternehmensrechtlichen Jahresabschluss sei im Zusammenhang mit der Einbringung des Einzelunternehmens zum 31. Dezember 2004 ein Firmenwert gemäß § 203 Abs 5 UGB in Höhe von 514.229,34 € angesetzt und verteilt auf 10 Jahre abgeschrieben worden. Dieser Bilanzansatz sowie dessen Abschreibung habe infolge steuerlicher Buchwertfortführung iSd UmgrStG für die steuerliche Gewinnermittlung der Bf. keinerlei Relevanz.
f. Mit Einschreiben vom 6. April 2005 habe die damalige steuerliche Vertreterin die Abgabenbehörde über die Einbringung gemäß § 12 UmgrStG umfassend informiert und dem Schreiben folgende Unterlagen beigelegt:
- Einbringungsvertrag vom 22. Februar 2005,
- Schlussbilanz gemäß § 4 Abs 1 EStG zum 31. Dezember 2004,
- Einbringungsbilanz zum 31. Dezember 2004 gemäß § 15 UmgrStG sowie
- Gutachten über den positiven Verkehrswert des eingebrachten Vermögens (Beweis Einschreiben vom 6. April 2005).
Des Weiteren sei in den Körperschaftsteuererklärungen 2005 bis 2007 die bloß unternehmensrechtlich geltende Abschreibung des Firmenwertes durch die steuerliche Zurechnung des Abschreibungsbetrages korrigiert worden. Zudem seien die Jahresabschlüsse 2005 bis 2007 der Abgabenbehörde postalisch übermittelt worden, die im jeweiligen Anlagenspiegel den bloß unternehmensrechtlich gewählten Firmenwertansatz dargestellt hätten.
Aufgrund der übermittelten Unterlagen zur Einbringung 2004, den Steuererklärungen und Jahresabschlüssen 2005 bis 2007, sei die Behörde umfassend davon in Kenntnis gesetzt worden, dass der Firmenwert bloß für die Handelsbilanz (UGB-Bilanz) maßgebend gewesen sei, nicht jedoch für die steuerliche Gewinnermittlung. Es sei für die Abgabenbehörde unzweifelhaft erkennbar gewesen, dass jährlich - über den Zeitraum 2005 bis 2015 - eine steuerliche Hinzurechnung von 51.422,93 € zu erfolgen habe.
g. Mit der Übernahme der steuerlichen Vertretung durch Herrn FT, sei von diesem die Hinzurechnung der jährlichen Firmenwertabschreibung für das Veranlagungsjahr 2011 irrtümlich vergessen worden. Die Abgabenbehörde habe die Körperschaftsteuer 2011 erklärungsgemäß veranlagt. Aufgrund der der Behörde vorgelegten Unterlagen, sei sie jedenfalls soweit informiert gewesen, dass ihr das Fehlen der Hinzurechnung der Firmenwertabschreibung für 2011 hätte auffallen müssen.
h. (1) Gestützt auf die bisherige höchstgerichtliche Rechtsprechung, dass sich die Abgabenbehörde bloß den Wissensstand des jeweiligen Veranlagungsjahres zurechnen lassen müsse, habe die Außenprüferin und ihr folgend die Abgabenbehörde das Verfahren betreffend die Körperschaftsteuerveranlagung für 2011 wiederaufgenommen und die Zurechnung der beschwerdegegenständlichen Firmenwertabschreibung vorgenommen.
(2) Das BFG habe in einer aktuellen Entscheidung (BFG 29.3.2017, RV/6100881/2014) die bisherige Rechtsansicht allerdings dahingehend eingeschränkt, dass sich die Abgabenbehörde auch aus früheren Veranlagungsjahren bekannte Sachverhalte zurechnen lassen müsse, wenn es einen eindeutigen Sachzusammenhang mit späteren Jahren gebe.
Nachdem es sich im beschwerdegegenständlichen Fall unzweifelhaft um einen mehrjährigen, periodenübergreifenden Sachzusammenhang (10jährige Abschreibungsdauer) handle und die Behörde bereits in den Vorjahren von der steuerlichen Hinzurechnung der unternehmensrechtlich vorgenommenen Firmenwertabschreibung gewusst habe, sei sie somit in die Lage versetzt gewesen, das Fehlen der Hinzurechnung in der Körperschaftsteuererklärung 2011 zu erkennen und dies bereits im Erstbescheid zu korrigieren.
i. Die Feststellung der Abgabenbehörde erstmals im Rahmen der Außenprüfung 2013 bis 2015 vom Fehlen der steuerlichen Hinzurechnung Kenntnis erlangt zu haben, sei nicht schlüssig und daher einer Wiederaufnahme nicht zugänglich.
5. Mit Bescheiden vom 9. Juni 2017, vom 13. Juni 2017, vom 19. Juni 2017 und 22. Juni 2017 wurden weitere Wiederaufnahmen für 2012 bis 2015 durchgeführt.
6. Gegen die Wiederaufnahmebescheide 2012 bis 2015 wurde jeweils am 24. August 2017 Beschwerde eingelegt. Diese Beschwerden enthielten grundsätzlich dieselben Ausführungen, wie die Beschwerde gegen die Wiederaufnahme 2011, mit folgenden Ergänzungen:
a. Zur Beschwerde betreffend Veranlagung 2013:
(1) Damit verbleibe als zweiter und letzter Wiederaufnahmegrund für das Veranlagungsjahr 2013 die Korrektur der Abschreibung eines Bürogebäudes um 1.071,65 €.
Unter Anwendung eines linearen Körperschaftsteuersatzes von 25% ergebe dies eine Steuernachforderung für 2013 von rund 268,00 €. Nach § 303 Abs 1 BAO unterliege die Wiederaufnahme eines Verfahrens dem pflichtgemäßen Ermessen der Abgabenbehörde. Der Vorrang der Rechtsrichtigkeit rechtfertige aber keine nur dieses Kriterium berücksichtigende Ermessensübung (Ritz, BAO, § 303 Tz 63). Wiederaufnahmen seien insbesondere dann nicht zu verfügen, wenn die steuerlichen Auswirkungen bloß als geringfügig anzusehen seien.
(2) Der beschwerdegegenständliche Betrag von 268,00 € sei sowohl in absoluter als auch in relativer Höhe als geringfügig zu werten, selbst unter Berücksichtigung der Nachforderungsbeträge (Verbrauch von Mindestkörperschaftsteuer) für die ebenfalls wiederaufgenommenen Veranlagungsjahre 2014 (268,00 €) und 2015 (451,00 €).
Aufgrund der Geringfügigkeit des Nachforderungsbetrages für 2013 und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Sparsamkeit der Verwaltung liege hinsichtlich der Ermessensentscheidung der Abgabenbehörde für eine Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Körperschaftsteuer 2013 Ermessensmissbrauch und damit Rechtswidrigkeit vor.
b. Zur Beschwerde betreffend Veranlagung 2014:
(1) Damit verbleibe als zweiter und letzter Wiederaufnahmegrund für das Veranlagungsjahr 2014 die Korrektur der Abschreibung eines Bürogebäudes um 1.071,65 €. Unter Anwendung eines linearen Körperschaftsteuersatzes von 25% ergebe dies eine Steuernachforderung für 2014 von rund 268,00 €.
(2) Der beschwerdegegenständliche Betrag von 268,00 € sei sowohl in absoluter als auch in relativer Höhe als geringfügig zu werten, selbst unter Berücksichtigung der Nachforderungsbeträge.
c. Zur Beschwerde betreffend Veranlagung 2015:
(1) Damit verblieben als weitere Wiederaufnahmegründe für das Veranlagungsjahr 2015 die Korrektur der Abschreibung eines Bürogebäudes um 1.071,65 € sowie die Nichtanerkennung von Betriebskosten für eine Wohnung in Wien in Höhe von 734,30 €.
(2) Unter Anwendung eines linearen Körperschaftsteuersatzes von 25% ergebe dies eine Steuernachforderung für 2015 von rund 451,00 €.
7. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 30. Juli 2019 wurde die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide KÖSt für 2011 bis 2015 als unbegründet abgewiesen.
a. Die Wiederaufnahme nach der BP vom 30. Januar 2017 (Datum des Prüfungsauftrages) betreffend Außenprüfung 2013 bis 2015 sei auf folgende neue Tatsachen und Beweismittel gestützt worden
- erstmalig sei bekannt geworden, dass wie unter "Tz 1 Firmenwert" angeführt, seit 2008 keine Zurechnung mehr bezüglich des unternehmensrechtlichen Firmenwertes durchgeführt worden sei;
- für den Zeitraum 2012 bis 2014 seien Investitionen auf fremdem Grund und Boden durchgeführt worden, die als verdeckte Ausschüttung an den alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführer zu beurteilen seien, wobei die AfA für den Umbau berücksichtigt worden sei ("Tz 2 Bürogebäude");
- wie unter "Tz 3 Betriebskosten Wohnung Wien" angeführt, seien Kosten für die private Wohnung des alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers in Wien von der Bf. übernommen worden.
Diese Umstände seien aus den Abgabenerklärungen der Veranlagungsjahre 2008 bis 2015 nicht ersichtlich und daher im Veranlagungsverfahren dieser Jahre dem Finanzamt nicht bekannt gewesen.
b. Da bei Kenntnis der Zurechnung des Firmenwertes in der MWR und einer verdeckten Ausschüttung bei den Investitionen vom Bürogebäude an den Gesellschafter-Geschäftsführer ein im Spruch anderslautender Bescheid ergangen wäre, sei eine Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig.
Für die Körperschaftsteuer 2011 bis 2015 betreffend Feststellungen Tz 1 bis Tz 3 sei eine Wiederaufnahme zulässig.
c. Zu den in den Beschwerden erwähnten Unterlagen sei anzumerken, dass
- das den Beschwerden angeschlossene Begleitschreiben vom 6. April 2005 aktenkundig sei und
- sich der Einbringungsvertrag, die beiden Bilanzen und das Verkehrswertgutachten im Akt befinden würden.
Ob die Jahresabschlüsse 2005 bis 2007 dem Finanzamt vorgelegen seien, könne weder bestätigt noch bestritten werden, da diese im aktuellen Veranlagungsakt nicht mehr vorhanden seien. Laut den EDV-Daten seien die Abgabenerklärungen für 2005 und 2006 bereits elektronisch eingereicht worden, für 2007 wieder in Papierform. Ab 2008 seien die Abgabenerklärungen durchgehend elektronisch eingereicht worden.
d. (1) Im vorliegenden Fall stelle sich die Frage, ob die für die Abgabenerhebung bedeutsamen Umstände in den Abgabenerklärungen (samt allfälligen Beilagen) der Bf. für die Veranlagungsjahre 2011 bis 2015 so umfassend und vollständig offengelegt worden seien, dass die Abgabenbehörde in Zusammenschau mit der bereits vorhandenen Aktenlage schon in den ursprünglichen Körperschaftsteuerverfahren bei richtiger rechtlicher Subsumption zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können.
(2) Die Prüferin stütze die Wiederaufnahme des Verfahrens für die Veranlagungsjahre 2011 und 2012 ausschließlich auf den Umstand, dass erst im Zuge der die Veranlagungsjahre 2013 bis 2015 umfassenden Außenprüfung durch die im Prüfungsverfahren vorgelegten Unterlagen (wie Jahresabschlüsse, Anlagenverzeichnis, MWR oder Belege) und die erteilten Auskünfte zutage getreten sei, dass die abgabenrechtlich gebotene Zurechnung der unternehmensrechtlich in Abzug gebrachten Abschreibung des Firmenwertes seit dem Jahr 2008 unterlassen wurde.
Dass die steuerlich gebotene Zurechnung der Abschreibungsbeträge in diesen Jahren bislang unterblieb, habe eine bisher unbekannte entscheidungsrelevante Tatsache dargestellt, die erst durch die Auswertung der im Prüfungsverfahren vorgelegten Unterlagen und die von der Geschäftsführung bzw der steuerlichen Vertretung erteilten Auskünfte für die Abgabenbehörde neu hervorgekommen sei. Sie habe in den bisherigen Körperschaftsteuerveranlagungen noch nicht berücksichtigt werden können. Erst durch Einsichtnahme in die der Abgabenbehörde im Zuge des Prüfungsverfahrens erstmalig zur Verfügung stehenden Unterlagen, habe der Sachverhalt im vollen Umfang erhellt und beurteilt werden können.
Den elektronisch eingereichten Abgabenerklärungen seien in den Streitjahren offenkundig keine Jahresabschlüsse und keine steuerlichen MWR in Papierform mehr angeschlossen gewesen, sodass für die Abgabenbehörde lediglich die elektronisch übermittelten Kennzahlen zur Verfügung gestanden seien. Aus den elektronisch übermittelten Daten der Abgabenerklärungen sei das Fehlen der Hinzurechnung des Abschreibungsbetrages des Firmenwertes aber nicht eindeutig ersichtlich. So sei einerseits die Notwendigkeit der steuerlichen Hinzurechnung der Abschreibungsbeträge aus den vom Unternehmen für 2011 und 2012 eingereichten Unterlagen nicht erkennbar gewesen und es hätte andererseits diese Hinzurechnung (etwa durch Saldierung von Beträgen) in diversen Kennzahlen versteckt sein können.
e. Für eine amtswegige Wiederaufnahme genügen schon relativ geringfügige Ergänzungen des Sachverhalts, weil dieser Sachverhalt des Erstverfahrens dann eben nicht vollständig gewesen ist (UFS 23.2.2006, RV/0080-L/06).
f. Unbestritten sei, dass die Einbringung des Einzelunternehmens der Abgabenbehörde bekannt gewesen sei und dass, beginnend mit 2005, eine jährliche steuerrechtliche Zurechnung des abgeschriebenen Firmenwertes zu erfolgen gehabt hätte. Im Zeitpunkt der Veranlagung 2011 und 2012 sei nicht bekannt gewesen, dass infolge des Wechsels der steuerlichen Vertretung diese Hinzurechnung schon seit der Veranlagung 2008 nicht mehr in den Abgabenerklärungen enthalten gewesen und die Offenlegungspflicht seit drei Jahren nicht mehr in vollem Umfang erfüllt worden sei. Erst die Beschäftigung der Prüferin mit den im Zuge der Außenprüfung erstmals vorgelegten Unterlagen habe den Umstand der fehlenden Hinzurechnung zutage gefördert.
g. Selbst der Vorwurf, die Abgabenbehörde hätte bei gehöriger Prüfung des Veranlagungsaktes die Diskrepanz zwischen den Abgabenerklärungen für 2007 und 2011 erkennen müssen, gehe ins Leere. Auch eine umfassende Beschäftigung mit dem erklärten Zahlenmaterial über die Veranlagungsjahre hinweg hätte nur Zweifel wecken können. Keinesfalls wäre aber ohne Anforderung der vollständigen Bilanzen und MWR schon aufgrund der Aktenlage mit Sicherheit zu sagen gewesen, dass die Hinzurechnung der Abschreibungsbeträge in den Abgabenerklärungen fehle. Zudem würde selbst ein allfälliges Verschulden der Abgabenbehörde an der Nichtausforschung von Sachverhaltselementen nach ständiger Rspr des VwGH die amtswegige Wiederaufnhme des Verfahrens keineswegs ausschließen (VwGH 23.11.2016, Ra 2014/15/0006; VwGH 27.2.2019, Ra 2017/15/0015).
h. Wesentlich sei weiters die ständige Rspr des VwGH, wonach sich die Abgabenbehörde bloß den Wissensstand des jeweiligen Veranlagungsjahres zurechnen lassen müsse. Das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln sei aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen. Der VwGH halte an dieser Rechtsansicht seit vielen Jahren fest (VwGH 28.2.1012, 2008/15/0005; VwGH 24.2.2010, 2009/15/01561; VwGH 18.9.2003, 99/15/0120; VwGH 16.9.2003, 2000/14/0175; VwGH 29.5.2001, 97/14/0036). Das gelte auch dann, wenn das BFG in Einzelfällen eine weniger strenge Sichtweise zulasse.
i. Zudem sei der gegenständliche Sachverhalt nicht vergleichbar mit dem Verfahren in der BFG-Entscheidung 29.3.2017, RV/6100881/2014. Im hier vorliegenden Fall sei von Jahr zu Jahr neu zu prüfen, ob die steuerliche Hinzurechnung der Abschreibungsbeträge erklärt worden sei oder nicht. Dies könne theoretisch in jedem Jahr zu einem anderen Ergebnis führen, das heißt, ein unmittelbarer Zusammenhang im Sinne eines periodenübergreifenden Sachverhalts sei hier nicht gegeben. Lediglich ein in der Vergangenheit liegendes Ereignis habe Auswirkungen auf die folgenden Veranlagungsjahre, in denen jeweils der gleiche Hinzurechnungsbetrag zu erklären bzw dann steuerlich zu erfassen wäre. Aber nicht einmal ein Vergleich mit der vorangegangenen Veranlagung 2010 hätte Zweifel an der Vollständigkeit der Abgabenerklärung 2011 bzw 2012 wecken können, weil ja auch 2010 und die Jahre davor ab 2008 die Hinzurechnung bereits gefehlt habe. So gesehen hätte ohne Anforderung und Studium der Bilanzen samt MWR der Fehler auch bei Einbeziehung des Wissensstandes der vorangegangenen Veranlagungen nicht oder zumindest nicht zweifelsfrei festgestellt werden können.
j. Die obigen Ausführungen würden für die Wiederaufnahme der Körperschaftsteuerverfahren 2013 bis 2015 gleichermaßen gelten, wobei die Entdeckung des Fehlens des Hinzurechnungsbetrages von Veranlagung zu Veranlagung unwahrscheinlicher geworden sei, weil das auslösende Ereignis (der Wechsel der steuerlichen Vertretung und damit das erstmalige Unterbleiben der Hinzurechnung) immer weiter in den Hintergrund getreten sei und kein Anlass bestanden habe, plötzlich Vergleiche mit dem Veranlagungsjahr 2007 (dem letzten Jahr der Erfassung des Hinzurechnungsbetrages) zu ziehen.
k. (1) Für 2013 bis 2015 könne die Wiederaufnahme der Körperschaftsteuerverfahren aber ohnedies noch auf weitere Wiederaufnahmegründe gestützt werden, die bereits im Bericht über die Außenprüfung dargelegt worden seien. Es handle sich dabei insbesondere um die im Zusammenhang mit der Sanierung und Vermietung des Objektes MA durch die Besichtigung des Objekts und die Einsichtnahme in die vorgelegten Belege gewonnene Erkenntnis, dass das Mietverhältnis in der vorliegenden Form fremdunüblich gestaltet und daher steuerlich nicht anzuerkennen gewesen sei.
(2) Von der steuerlichen Vertretung werde die Geringfügigkeit der steuerlichen Auswirkung dieser Feststellung ins Treffen geführt (ab 2013 mit 268,00 € Körperschaftsteuer). Es sei richtig, dass Wiederaufnahmen in der Regel bei Geringfügigkeit der steuerlichen Auswirkungen nicht zu verfügen seien.
Aber einerseits handle es sich bei diesem Wiederaufnahmegrund nur um einen zusätzlichen Wiederaufnahmegrund zu dem oben dargestellten und andererseits sei auch durch diesen Wiederaufnahmegrund keine nur geringfügige steuerliche Auswirkung gegeben.
Stelle sich nämlich die Frage, ob eine Wiederaufnahme bei mehreren Verfahren (zB Einkommen- und Umsatzsteuer dreier Jahre) zu verfügen sei, sei die steuerliche Auswirkung nicht je Verfahren zu berücksichtigen, sondern insgesamt (VwGH 26.2.2013, 2009/15/0016; Ritz, BAO, § 303 Tz 74).
Rechne man im gegenständlichen Fall zu den sich aus dieser Prüfungsfeststellung ergebenden Auswirkungen auf die Körperschaftsteuerbelastung noch die Vorsteuerkürzungen mit 4.875,80 € (für 2013) und 1.854,44 € (für 2014) hinzu, ergebe sich aus diesem Punkt eine steuerliche Gesamtauswirkung im Ausmaß von 7.534,24 €. Damit könne aber nicht mehr von einer Geringfügigkeit der steuerlichen Auswirkungen dieses konkreten Wiederaufnahmegrundes ausgegangen werden. Der VwGH habe sich bereits mehrfach mit der Frage der Geringfügigkeit befasst und beispielsweise Umsatz- und Einkommensteuernachforderungen von 2.341,81 € und 1.598,80 € als nicht mehr geringfügig angesehen (VwGH 31.3.1998, 93/13/0093).
(3) Einzig hinsichtlich des dritten und letzten Wiederaufnahmegrundes (Übernahme der Betriebskosten der privaten Wiener Wohnung durch die GmbH) müsse der Bf. zugestimmt werden, dass die Auswirkungen dieses Wiederaufnahmegrundes für sich betrachtet zu geringfügig wären, um im vorliegenden Fall allein damit eine Wideraufnahme der Körperschaftsteuerverfahren zu rechtfertigen (Vorsteuerkürzung 123,70 €; Aufwandsminderung 734,30 €).
l. Die Verfügung der Wiederaufnahme liege im Ermessen. Sie sei unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der durchgeführten abgabenbehördlichen Ermittlungen und der sich daraus ergebenden Gesamtauswirkung für die Veranlagungsjahre 2011 bis 2015 erfolgt.
m. Billigkeit:
Es lägen keine besonderen Umstände vor, die eine Wiederaufnahme als unbillig erscheinen ließen. Weder liege ein Missverhältnis der steuerlichen Gesamtauswirkung gegen über der steuerlichen Auswirkung vor, welche sich allein aus den Wiederaufnahmegründen ergebe, noch lägen besondere Umstände vor (zB Treu und Glauben, Unverhältnismäßigkeit des Grundes und der Folge der Wiederaufnahme), welche ein derartiges Gewicht hätten, dass sie geeignet wären, einer Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens im Wege zu stehen. Es könne wohl nicht im Interesse der Partei liegen, dass eine von ihr (durch die nicht vollständige Offenlegung der abgabenrechtlich bedeutsamen Umstände) verursachte zu niedrige Abgabenfestsetzung nicht seitens der Abgabenbehörde im Wege einer Wiederaufnahme des Verfahrens korrigiert werde.
n. Zweckmäßigkeit:
Ziel der Wiederaufnahme des Verfahrens sei ein insgesamt rechtmäßiges Ergebnis (VwGH 22.3.2000, 99/13/0253) und demgemäß unter den Voraussetzungen des § 20 BAO dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen. Daneben seien andere öffentliche Interessen wie Zweckmäßigkeit und Besteuerungsgleichheit zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall könnten die steuerlichen Auswirkungen nicht als geringfügig angesehen werden, sodass eine Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens im Hinblick auf die gebotene Verwaltungsökonomie auch zweckmäßig sei.
Dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) werde der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit (Rechtskraft) eingeräumt. Die Beschwerden seien daher als unbegründet abzuweisen.
8. Mit Schreiben vom 30. August 2019 wurde vom Bf. ein Vorlageantrag betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens zur Körperschaftsteuer 2011 bis 2015 eingebracht. Die Vorlageanträge würden insbesondere wegen des Hervorkommens neuer Beweismittel gestellt. Beantragt werde eine mündliche Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
9. Am 30. September 2019 wurden die Beschwerden betreffend Wiederaufnahme Körperschaftsteuer 2011 bis 2015 dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.
10. Anlässlich der mündlichen Verhandlung am 29. Juni 2020 wurde folgendes vorgebracht:
SB: Der Sachverhalt wird vorgetragen.
Gibt es dazu noch etwas von Finanzamtsseite?
Finanzamtsvertreter: Nein, es ist alles gesagt, was ich sagen wollte.
SB: Gut, dann ist die Steuerberatung an der Reihe.
Stb.: Also da gibt es schon noch Ergänzungen. Wir haben im Archiv eine Einreichung vom Jahr 2006, wo man bezüglich des Jahresabschlusses 30.6.2005 an das Finanzamt geschrieben hat, mit der Beilage, KÖSt-Erklärung und so weiter. Die Bilanz 2006 haben wir auch gefunden, abgestempelt mit Selbststempler und 2007. Das sind ja die drei Jahre, die wir da damals gemacht haben, da ist jede Erklärung mit einem Anlageverzeichnis gemacht worden, wo genau drin steht, Firmenwert ist 500.000,00 € gemäß Einbringung und § 15 UmgrStG. Ich kann das insoweit glaubwürdig vorlegen, dass wir 2005, 2006 und 2007 eingereicht haben.
Ich habe dann mit dem Herrn Kollegen FT Kontakt aufgenommen und er hat mir gesagt, er sucht auch Unterlagen und hat sie mir dann mitgegeben. Also 2008 hat ja FT das dann eingereicht. Und er hat mir mitgegeben die KÖSt-Erklärung 2008, die hat er elektronisch über Finanz-Online eingegeben und hat in der Erklärung 2008 angekreuzt, siehe Bilanzen usw. Das ist dem Finanzamt zugegangen. Er hat mir auch den Jahresabschluss 2008 in Kopie übermittelt und auch hier hat er das Anlageverzeichnis mit dem Firmenwert und der Umgründung abgegeben.
Das heißt, auch 2005, 2006, 2007, was wir gemacht haben und 2008, was Herr FT gemacht hat, da hat er zwar vergessen, das einzutragen, das steht auch völlig außer Streit, aber er hat die Beilage und die KÖSt-Erklärung eingegeben und hat dann angekreuzt, ja da sind Beilagen. Die Finanzverwaltung ist daher ab 2008 informiert über diesen Firmenwert, der besteht.
Nachdem das ein periodenübergreifender Ansatz ist und alles offengelegt wurde, was man bilanztechnisch vorlegen kann, war das Finanzamt schon soweit informiert, dass es hätte auffallen müssen. Noch dazu, wenn man die Steuererklärung anschaut, ist es ja eine Korrektur um 50.000,00 €, die Hinzurechnung ist der mit Abstand größte Wert, wenn man das ansieht. Wenn ich mir die KÖSt-Erklärung 2008 ansehe, hat er 140.000,00 € Umsatz und sonst in der MWR kaum etwas, das hätte eigentlich auffallen müssen, aufgrund des hohen Betrages.
SB: Die Unterlagen wären zu kopieren.
Finanzamtsvertreter: Wissen sie ab wann nichts mehr in Papierform vorgelegt worden ist? Keine Papierbilanzen?
Stb: Von Herrn FT?
Finanzamtsvertreter: Ja:
Stb: Ich habe jetzt nur 2008 und 2009 bei mir.
Finanzamtsvertreter: Ich glaube nachher ist nichts mehr gekommen.
Stb: Das kann ich jetzt nicht beantworten. Da war nur der Übergang, wo ich gesagt habe, hat er es so weitergeführt, wie wir das gemacht haben oder hat er es nicht so weitergeführt. Das war meine Frage, die ich an ihn gerichtet habe. Aber wenn im BP-Bericht drinnen steht, dass "keine Unterlagen vorhanden sind, aus denen man es hätte erkennen können", da steht drin, "im Rahmen der BP wurde erstmalig bekannt, dass es zu keiner Hinzurechnung gekommen ist und diese Unterlagen vor Beginn der Außenprüfung nicht vorlagen." Also das stimmt nicht, die sind vorgelegen. 2008 - 2009, wie ich das jetzt habe, da war das bei mir nur der Übergang. Aber es ist dem Finanzamt vorgelegen.
SB: Wie war das eigentlich mit dem Prozedere gedacht? Zuerst sie als Steuerberater, dann ein Betriebsprüfer und wieder sie als Steuerberater? Das ist ein ziemliches hin und her.
Stb: Ganz einfach. Der Herr Ing KB und ich sind langjährig befreundet. Wir haben ihn bis 2008 betreut. Wir sind aber eine sehr kleine Kanzlei und machen grundsätzlich nicht gern Buchhaltung. Eigentlich gar nicht Buchhaltung und Herr KB hat überwiegend nur Buchhaltung. Darum hat man gesagt, in seiner Nähe ist Herr FT und man ist in Kontakt gewesen. Was die steuerliche Vertretung anbelangt bezüglich der Beschwerde, da habe ich ihm angeboten, dass ich das wieder mache, nur die Beschwerde und FT macht laufend die Buchhaltung. Für mich ist das nach dem Beschwerdeverfahren wieder abgeschlossen.
Finanzamtsvertreter: Das heißt, sie sind erst nach der BP dazu gestoßen?
Stb: Ja. Da gab es eine Wohnung in Wien und das habe ich betreut und für mich ist das dann wieder abgeschlossen.
SB: Also sie sagen, aus dem was der Herr FT da eingereicht hat, geht eindeutig hervor, dass man die Zurechnung erkennen konnte.
Stb: Na ja, ich wollte nur damit sagen, weil das Finanzamt im Rahmen der Betriebsprüfung gesagt hat ….
SB: Na, was das Finanzamt dazu sagt ist jetzt nicht so wichtig, sondern entscheidend ist, was sie da jetzt sagen. Nämlich, dass man aus den Beilagen, wenn man hineinschaut, eindeutig erkennen kann, dass etwas zuzurechnen ist.
Stb: Also aus meiner Sicht ja, natürlich. Weil die Einbringungsbilanz, der Einbringungsvertrag usw. vorgelegen sind, aus 2005. Wir haben das damals genauso formuliert mit dem Firmenwert, den der Herr FT quasi übernommen hat, 1:1 in seiner Buchhaltung.
SB: Die Zurechnung hätte man erkennen können?
Stb: Aus meiner Sicht, hätte man mit den Unterlagen, die eingereicht wurden, zu der Steuererklärung 2008, wenn man das durchgeschaut hätte, erkennen können oder erkennen müssen.
SB: Da wird sich das Finanzamt wohl überlegen müssen, was der Strafreferent unternehmen wird, gegen den Prüfer oder gegen den, der da immer verantwortlich ist dafür. Das ist klar, denn das kann ja nicht sein, das gibt es ja gar nicht, dass man das übersieht.
Stb: Dass er das nicht hinzugerechnet hat?
SB: Ja, das kann doch keiner erzählen, dass ein Betriebsprüfer oder Steuerberater, der das vorher gekannt hat - nämlich 2007 muss man kennen, wenn man 2008 macht - dann, wenn das ja so deutlich offengelegt ist und man es erkennen kann, dass ich es dann in die Zurechnung nicht hineinschreibe. Da wird man sich überlegen müssen, ob der Ing KB oder FT das absichtlich nicht gemacht haben. Denn diese Zurechnung hier kann man gar nicht übersehen, in der Position des die Steuererklärung Erstellenden. Das Finanzamt kann es sehr wohl übersehen, denn das Finanzamt hat das nicht geprüft.
Das kann man sich für die Folgejahre auch wie folgt heraussuchen: Im Jahr 2009 elektronischer Eingang der Erklärung am 29.5.2010. Freigabe von der Gruppe am 30.5.2010 und endgültig persönlich freigegeben am 1.6.2010. Da ist das schon versteuert worden, also hat das keiner angeschaut, bei dieser sofortigen Eingabe. Und wenn es keiner anschaut, kann er das auch nicht erkennen. Dann kann er es nicht sehen. Dasselbe ist 2010: Erklärung am 30.3.2011, Veranlagung am 31.3.2011. Kein Mensch hat das angesehen. Dasselbe 2011: Am 27.4.2012 ist die Erklärung gekommen, dann der Fehlercode am 30.4.2012, weil Einkünfte da waren, aber der Verlust beim Code 681 nicht ausgefüllt war. Das ist dann angesehen worden, aber nur dass diese Kennzahl nicht ausgefüllt war. Am 4.5.2012 ist auch das schon bereinigt worden. Früher einmal hatte man S- und Ü-Fälle, die S-Fälle gab man sofort ein und die Ü-Fälle hat man angesehen. Jetzt gibt es das nicht mehr und es wird nichts mehr angeschaut. Daher kann man das Finanzamt nicht verantwortlich machen, sondern verantwortlich ist der, der das gemacht hat.
Wenn sie da die Beilage dazugeben, da sehe ich halt, dass es einen Firmenwert gibt, aber nichts weiter, wenn ich es nicht zusätzlich ansehe. Aber es ist ja nicht mehr angeschaut worden. Das liegt am Veranlagungsablauf.
Finanzamtsvertreter: Noch dazu hatten wir die Verfahren 2011 bis 2015, da war das alles noch weiter in der Vergangenheit.
SB: Also dem Finanzamt jetzt zuzumuten, das müsste es sehen, wenn der, der den Fall 2008 oder 2009 macht und auf 2007 zurückschauen muss, das nicht sieht, das gibt es nicht. Derjenige der die Steuererklärung macht muss das sehen, das kann man nicht übersehen. Das kann kein Steuerberater der Welt übersehen, noch dazu, wenn er neu dazukommt und das Vorjahr daher ansehen muss.
Stb: Wir haben ja sämtliche Unterlagen dem Herrn übergeben.
SB: Ja, das kann er nicht übersehen. Da kann man nur annehmen, dass die das absichtlich gemacht haben. Denn wie sollte das gehen - er macht das erstmals für 2008 und schaut sich das Vorjahr nicht an? Das gibt es nicht.
Stb: Ich werde das so weitergeben.
SB: Das muss man sehen. Umso mehr als sie betonen, da sind die Unterlagen, aus denen man das erkennen kann. Dann muss das der, der die Unterlagen erstellt, erst recht erkennen.
Stb: Ich kann ihnen da eh nicht wiedersprechen.
SB: Gut, das wäre es zu diesem Thema. Wenn es sonst nichts mehr gibt, ersuche ich draußen Platz zu nehmen.
B. Der Entscheidung zugrunde gelegter Sachverhalt
1. Die Zurechnung aus der Abschreibung eines unternehmensrechtlich aktivierten Firmenwertes iHv 51.422,93 wurde zwar von 2005 bis 2007, aber ab 2008 nicht mehr vorgenommen.
2. Das Bundesfinanzgericht geht davon aus, dass anhand der vorgelegten Unterlagen ab dem Jahr 2008 und folgend die fehlende Zurechnung für die Veranlagung nicht zu erkennen war.
C. Rechtslage
1. § 303 Abs 4 in der bis 31.12.2013 geltenden Fassung lautete:
Eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen ist unter den Voraussetzungen des Abs 1 lit a und c in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
2. § 303 Abs 1 in der ab 2014 geltenden Fassung lautet:
Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn (b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
D. Rechtliche Erwägungen zum festgestellten Sachverhalt:
1. Strittig ist, ob und wann Tatsachen oder Beweismittel bezüglich der Wiederaufnahmen zur Körperschaftsteuer 2011 bis 2015 neu hervorgekommen sind.
2. a. Das "Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln" im Sinne des § 303 Abs 4 BAO bezieht sich auf den Wissensstand des jeweiligen Veranlagungsjahres.
b. Führt beispielsweise die Finanzbehörde bei erklärungsgemäßer Veranlagung keine weiteren Erhebungen über Entstehen oder rechtlichen Hintergrund von Prozesskosten durch, hindert dies nicht die spätere Verfahrenswiederaufnahme, weil selbst ein Verschulden der Behörde am Unterbleiben der Feststellung der maßgeblichen Tatsachen und Beweismittel im Erstverfahren eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht ausschließt (VwGH 27.4.2000, 97/15/0207).
3. Im gegenständlichen Fall gibt die BP an, erst durch die im Prüfungsverfahren vorgelegten Unterlagen (wie Jahresabschlüsse, Anlagenverzeichnis, MWR oder Belege) zusammen mit den erteilten Auskünften sei es ihr möglich gewesen, zu erkennen, dass die notwendigen Zurechnungen in der MWR nicht erfolgt seien.
Dagegen führt die Bf. aus, aufgrund der übermittelten Unterlagen zur Einbringung 2004 (Einbringungsvertrag vom 22. Februar 2005, Schlussbilanz 31. Dezember 2004 und Einbringungsbilanz zum 31. Dezember 2004 sowie Gutachten über den positiven Verkehrswert des eingebrachten Vermögens), den Steuererklärungen und Jahresabschlüssen 2005 bis 2007, sei die Behörde umfassend in Kenntnis gesetzt worden und es sei für die Abgabenbehörde unzweifelhaft erkennbar gewesen, dass jährlich - über den Zeitraum 2005 bis 2015 - eine steuerliche Hinzurechnung von 51.422,93 € zu erfolgen habe.
4. a. Entscheidend ist nach der Rechtsprechung der Wissensstand (insbesondere aufgrund der Abgabenerklärungen und Beilagen) der zur Durchführung des konkreten Verfahrens zuständigen Organisationseinheit (in diesem Fall der Veranlagungsabteilung) im jeweiligen Veranlagungsjahr (VwGH 26.2.2013, 2009/15/0016).
Die Finanzverwaltung hat anlässlich der abgegebenen Steuererklärungen ab 2008 keine weiteren Ermittlungen angestellt. Aus den Steuererklärungen selbst, die elektronisch eingereicht wurden, war die vorzunehmende Zurechnung ohne zusätzliche Ermittlungen nicht zu entnehmen.
Die Steuererklärungen (bis 2015) wurden unmittelbar nach dem Eingang beim Finanzamt weiterverarbeitet. Erklärungen und Beilagen wurden von der Veranlagung nicht ausgedruckt. Selbst dann, wenn die Einreichung in Papierform erfolgt wäre, wäre die Beilage mit dem Firmenwert nur dann ein verwertbarer Hinweis gewesen, wenn Ermittlungen in den Vorjahren angestellt worden wären. In den Jahren 2008 bis 2010 waren infolge fehlender Ermittlungen der Schlüsse hinsichtlich einer Zurechnung nicht möglich. Die Soforteingabe wurde in der mündlichen Verhandlung ausreichend thematisiert.
Ab dem Jahr 2011 bestand für eine Miteinbeziehung von Vorgängen aus den Jahren 2005 bis 2007 auch keine erkennbare Notwendigkeit mehr. Auch in diesen Jahren erfolgten nur Korrekturen eines Fehlercodes mit Bezug auf den Verlustvortrag, die Steuererklärungen wurden nicht gesondert überprüft, sondern sofort eingegeben.
Damit fehlte aber die Kenntnis jener Umstände, die im Jahr 2005 zur Zurechnung geführt hatte.
b. Im Übrigen hätte die Finanzverwaltung (ohne Ermittlung der Zusammenhänge) Umstände erkennen sollen, die im Übergang von 2007 auf 2008 dem für sie Abfassung der Steuererklärung herangezogenen Prüfer nicht aufgefallen sind. Ein neu eingearbeiteter Prüfer - gerade dann, wenn er diese Tätigkeit neu übernommen hat - musste jedenfalls das Jahr 2007, die Steuererklärung und die Bilanz 2007 in seine Überlegungen für 2008 miteinbeziehen. Der wesentlichste Zurechnungsposten mit 51.423,00 € konnte dabei nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes vom Verfasser der Steuererklärung nicht übersehen werden, da eine Erstellung der Steuererklärung 2008 ohne genaue Kenntnis der Zahlen 2007 undenkbar ist. Spätestens im Zuge der Bilanzbesprechung musste im Vergleich mit 2007, wenn alle wesentlichen Positionen durchgearbeitet werden, dieser Zurechnungsposten auffallen, zudem wurde jeweils mit den Steuererklärungen eine Beilage des Anlageverzeichnisses inklusive Firmenwert erstellt.
Warum der Finanzverwaltung bei erklärungsgemäßer Eingabe diese Position hätte auffallen sollen, wo der Umstand angeblich nicht einmal dem Ersteller der Steuererklärung im maßgeblichen Zeitpunkt 2008 - mit dem unmittelbaren Beispiel der Zurechnung im Jahr 2007 vor Augen - erkannt worden ist, stellt für das Bundesfinanzgericht eine nicht nachvollziehbare Behauptung dar. Sofern der Nichtansatz durch den dabei herangezogenen ehemaligen Betriebsprüfer ein Versehen war, wäre es ein klarer Hinweis darauf, dass nur eine intensive Beschäftigung mit den Bilanzen der Prüfungsjahre und der zurückliegenden Jahre zu einem Aufdecken der unterlassenen Zurechnung führen konnte.
5. Bezüglich der Auswirkungen der Wiederaufnahme der Veranlagungsjahre 2013 bis 2015 in Bezug auf die Tz 2 und 3 ist auf die Ausführungen in der BVE zu verweisen: Für 2013 und 2014 ist bereits aufgrund dieser Zurechnungen die Auswirkung nicht mehr als geringfügig anzusehen.
Die Beschwerde ist als unbegründet abzuweisen.
E. Zulassung zur Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Entscheidung orientiert sich an der ständigen Rechtsprechung des VwGH. Eine Rechtsfrage mit besonderer Bedeutung liegt nicht vor.
Linz, am 3. Juli 2020
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |