BFG RV/6100323/2011

BFGRV/6100323/201127.8.2015

Bescheidbestandteile bei Festsetzungsbescheiden nach § 201 Abs. 2 Z 3 BAO

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2015:RV.6100323.2011

 

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter

A

 

in der Beschwerdesache

MV GmbH als Masseverwalter der BF GmbH, vormals BF1 GmbH, Straße, Ort,

vertreten durch

Mag. Werner Obermüller, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Villa Hummelhof, Maderspergerstraße 22a, 4020 Linz

 

gegen

FA Salzburg-Stadt, Aignerstraße 10, 5026 Salzburg

 

wegen

behaupteter Rechtswidrigkeit der Bescheide vom 28.02.2011, betreffend die Haftung für Lohnsteuer 2007, 2008 und 2009, den Dienstgeberbeitrag 2007, 2008 und 2009 sowie den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 2007, 2008 und 2009

 

zu Recht erkannt: 

1. Die angefochtenen Bescheide werden gemäß § 279 Abs. 1 BAO aufgehoben.

2. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

 

Entscheidungsgründe

 

Bei der BF fand im Jahr 2011 eine gemeinsame Prüfung der lohnabhängigen Abgaben über die Jahre 2006 bis 2009 statt.

Dabei traf der Prüfer im Bericht über die gemeinsame Prüfung der lohnabhängigen Abgaben, soweit dies im gegenständlichen Verfahren noch strittig ist die Feststellung, dass eine Anzahl von einzeln bezeichneten Personen als Arbeitnehmer der BF anzusehen seien und begründete dies für die einzelnen Personen gleichlautend damit, dass Arbeitgeber sei, wer Bezüge im Sinne des § 25 EStG 1988 auszahle und den damit verbundenen wirtschaftlichen Aufwand trage.

Bei einzelnen als Arbeitnehmer der BF qualifizierten Personen wurde diese Umschreibung noch dadurch ergänzt, dass sich der Begriff des Arbeitgebers nach § 47 Abs. 1 EStG 1988 mit dem des § 47 Abs. 2 EStG 1988 decke, weswegen im Zweifel auch zu prüfen sei, wem der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft schulde.

Dies wurde in einer Beilage zu den Bescheiden damit begründet, dass dieser Teil der Arbeitnehmer bei anderen Gesellschaften angemeldet gewesen sei, jedoch keine echte Personalgestellung vorgelegen sei, da diese Gesellschaften keine Lohnabgaben abgeführt hätten und als Scheinfirmen zu qualifizieren seien.

Weiters wurde im Bericht die Ermessensübung begründet, weswegen die Lohnsteuer im Haftungswege der BF vorgeschrieben worden sei.

Das FA erließ in der Folge für die aus den Feststellungen des Prüfers resultierenden Nachforderungen an Lohnsteuer für die Jahre 2007, 2008 und 2009 Haftungsbescheide nach § 82 EStG 1988 zu deren Begründung auf den Prüfungsbericht über diese Jahre verwiesen wurde.

Weiters erließ das FA Abgabenbescheide über die Festsetzung des Dienstgeberbeitrages zum Familienlastenausgleichsfonds für die Jahre 2007, 2008 und 2009 sowie Abgabenbescheide über die Festsetzung des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds für die Jahre 2007, 2008 und 2009. Auch zur Begründung dieser Bescheide wurde auf den Prüfungsbericht über diese Jahre verwiesen.

Gegen die Bescheide betreffend die Haftung für Lohnsteuer, den Dienstgeberbeitrag und den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag jeweils für die Jahre 2007, 2008 und 2009 erhob die BF durch ihren ausgewiesenen Vertreter fristgerecht Berufung und bestritt die Ausführungen des FA.

Darauf legte das FA die Berufungen ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung dem UFS zur Entscheidung vor.

Diese Berufung war zum 31. Dezember 2013 noch nicht erledigt.

Aufgrund der Erhebungen des BFG hat sich e geben, dass die BF im Jänner 2012 ihren Sitz nach Niederösterreich verlegt hat und über das Vermögen der BF mit 3. Mai 2012 der Konkurs eröffnet wurde.

Für die am 27. August 2015 durchgeführte mündlichen Verhandlung entschuldigte sich der Vertreter der BF wegen einer Terminkollision, der Vertreter des FA beantrage wie schriftlich.

 

Das BFG hat dazu erwogen:

 

Festzuhalten ist, dass die BF ursprünglich Lohnabgaben (in geringerer Höhe als durch das FA festgesetzt) abgeführt hatte.

Die BF wurde mit Haftungsbescheiden vom 28. Februar 2011 gemäß § 82 EStG 1988 als Arbeitgeber der im Bericht über die Außenprüfung gemäß § 150 BAO genannten Personen für die Einbehaltung und Abfuhr der vom Arbeitslohn zu entrichtenden Lohnsteuer für die Jahre 2007, 2008 und 2009 in Anspruch genommen.

Mit Abgabenbescheiden vom gleichen Tag erfolgte die Festsetzung des Dienstgeberbeitrages zum Familienlastenausgleichsfonds für die Jahre 2007, 2008 und 2009 sowie die Festsetzung des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds für die Jahre 2007, 2008 und 2009.

Gemäß § 82 EStG 1988 haftet der Arbeitgeber dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der vom Arbeitslohn einzubehaltenden Lohnsteuer.

Gemäß § 79 EStG 1988 ist die Lohnsteuer eine vom Arbeitgeber selbst zu berechnende Abgabe.

Gemäß § 43 Abs. 2 FLAG finden die Bestimmungen über den Steuerabzug vom Arbeitslohn sinngemäß auf den Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds Anwendung.

Gemäß § 122 Abs. 7 WKG finden die Bestimmungen des § 43 FLAG sinngemäß auf den Zuschlag Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds Anwendung.

Gemäß § 202 Abs. 1 BAO gelten die §§ 201 und 201a BAO sinngemäß, wenn nach den Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe einem abgabenrechtlich Haftungspflichtigen obliegt. Hierbei sind Nachforderungen mittels Haftungsbescheides (§ 224 Abs. 1 BAO) geltend zu machen.

Nach § 201 Abs. 1 BAO kann - sofern die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung durch einen Abgabepflichtigen anordnen oder gestatten - nach Maßgabe des Abs. 2 und muss nach Maßgabe des Abs. 3 auf Antrag des Abgabepflichtigen oder von Amts wegen eine erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfolgen, wenn der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, keinen selbst berechneten Betrag der Abgabenbehörde bekannt gibt oder wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist.

Gemäß § 201 Abs. 1 BAO 2 Z 3 BAO kann die Festsetzung erfolgen, wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden.

Die sinngemäße Anwendung der Bestimmungen des § 303 BAO nach § 201 Abs. 2 Z 3 BAO bedeutet, dass die Bestimmung des § 303 BAO im Geltungsbereich der Ausgangsnorm insoweit angewendet werden darf, als dies dem Sinn und Zweck des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO entspricht (zB VwGH vom 14.02.1991, 90/16/0184; 30.09.1994, 93/08/0254). Die Bestimmung des § 201 BAO in der derzeit gültigen Form geht zurück auf das Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz, BGBl. I 2002/97. In den Materialien zu diesem Gesetz (666/A BlgNR 21. GP ) wird zu dieser Bestimmung angeführt:

" Die Neufassung des § 201 BAO dient primär der Harmonisierung der Rechtswirkungen
(insbesondere im Bereich des Rechtsschutzes ) von Selbstberechnungen und von Veranlagungsbescheiden.
Erstmalige Festsetzungen von Selbstberechnungsabgaben (zB von Dienstgeberbeiträgen)
sollen somit grundsätzlich nur innerhalb jener Fristen (und bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen) zulässig sein, in denen bei Veranlagungsabgaben die Abgabenbescheide gemäß § 299 BAO aufhebbar sind bzw. Wiederaufnahmen der betreffenden Verfahren in Betracht kommen. …

Die erstmalige Festsetzung von Selbstberechnungsabgaben hat zwingend zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen einer beantragten Wiederaufnahme (abgesehen von einem durch Bescheid abgeschlossenen Verfahren) vorliegen. Dies bewirkt einen Gleichklang mit der bei einem durch Bescheid abgeschlossenen Verfahren geltenden Rechtslage. …

Der Gesetzgeber bezweckte also mit der Neufassung des § 201 BAO eine Harmonisierung der Rechtswirkungen von bescheidmäßigen Festsetzungen der Abgabenbehörde nach Selbstberechnungen und von Veranlagungsbescheiden. Dabei entspricht die erstmalige Festsetzung des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO bei Veranlagungsbescheiden der Wiederaufnahme nach § 303 BAO. (Ritz, BAO 5 , § 201 Tz. 3)

Diese Rechtsansicht wird offenbar auch vom VwGH vertreten:

"Die Festsetzung gemäß § 201 BAO in der Fassung vor der mit dem FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, vorgenommenen Änderung kann dann, wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung im Sinne des Abs. 1 der Bestimmung als 'nicht richtig' erweist, gemäß Abs. 2 Z 3 erfolgen, 'wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 Abs. 4 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen vorliegen würden'. Die Vorschrift hat insoweit den Zweck, einen 'Gleichklang mit der bei einem durch Bescheid abgeschlossenen Verfahren geltenden Rechtslage' herbeizuführen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 2012, 2008/13/0175, unter Hinweis auf den Bericht des Finanzausschusses zum Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz, BGBl. I Nr. 97/2002, 1128 BlgNR 21. GP 9)." (VwGH vom 30.01.2014, 2011/15/0156, Rs 2)

Die angestrebte Harmonisierung ist jedoch nur dann in vollem Umfang zu erreichen, wenn nicht nur § 303 BAO an sich, sondern auch die dazu ergangene höchstgerichtliche Rechtsprechung auf § 201 Abs. 2 Z 3 BAO uneingeschränkt angewendet wird.

Dies führt nach Ansicht des BFG auch im Anwendungsbereich des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO dazu, dass die Nichtdarlegung der maßgeblichen Tatsachen oder Beweismittel in der Bescheidbegründung sowie die unterlassene Anführung des maßgeblichen Wiederaufnahmetatbestandes im Spruch des Festsetzungsbescheides im gerichtlichen Verfahren nicht mehr sanierbar ist.

Im gegenständlichen Verfahren wurden in den nach § 201 BAO erlassenen Bescheiden die Rechtsgrundlagen nicht angegeben, nach denen die erstmalige Festsetzung der Selbstberechnungsabgaben erfolgte und für deren Entrichtung die BF mittels Haftungs- und Abgabenbescheiden herangezogen wurde. Es fehlt jedenfalls die Anführung des maßgeblichen Wiederaufnahmetatbestandes in den nach § 201 Abs. 2 Z. 3 BAO erlassenen Haftungs- und Abgabenbescheiden. Dies kann nach dem oben Gesagten im Rechtsmittelverfahren nicht saniert werden.

Diese Ansicht deckt sich auch mit der ständigen Rechtsprechung des UFS, wonach bei der Festsetzung einer Abgabe nach § 201 BAO das Finanzamt jene Sachverhaltselemente zu benennen und den Fallgruppen des § 201 Abs. 2 und 3 BAO zuzuordnen hat, welche die erstmalige Festsetzung der Abgabe rechtfertigen. Dies kann im Rechtsmittelverfahren nicht nachgeholt werden (vgl dazu UFS 17.08.2009, RV/0522-L/06; 25.8.2010, RV/0419-S/10; 21.01.2010, RV/1570-W/07; 14.01.2011, RV/3459-W/08; 23.11.2011, RV/2201-W/08; 25.11.2011, RV/2204-W/08).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis E 20.7.1999, 97/13/0131; E 30.11.1999, 94/14/0124) berechtigt die Bestimmung des § 289 Abs. 1 BAO, nunmehr: § 279 Abs. 1 BAO die Abgabenbehörde zweiter Instanz nicht dazu, den vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmegrund durch einen anderen - ihrer Meinung nach zutreffenden - zu ersetzen. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor (oder hat dieses die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt), muss die Berufungsbehörde den vor ihr angefochtenen Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben (VwGH 19.09.2007, 2004/13/0108.

Nach Ansicht des BFG ist es zudem nicht wesentlich, ob das Gericht einen Wiederaufnahmegrund erkennt. Entscheidend ist aus Rechtsschutzgründen, ob auch ein durchschnittlicher Bescheidadressat erkennen kann, dass aufgrund des Vorliegens eines Wiederaufnahmegrundes in seine an sich durch die ursprünglich vom Finanzamt unbeanstandet gebliebene Selbstberechnung und den Zeitablauf gesicherte Rechtsposition eingegriffen wird und auf welche Rechtsgrundlage sich die Behörde dabei stützt. Im verfahrensgegenständlichen Fall ist das zu verneinen, zumal sich weder im Haftungsbescheid noch im Bericht über die Außenprüfung ein Hinweis auf die Wiederaufnahme finden lässt, etwa in Form der Nennung der Rechtsgrundlage oder des Wortes Wiederaufnahme.

Auch die allfällige Erkennbarkeit eines Wiederaufnahmegrundes in einem verwiesenen Dokument kann dessen Darlegung in einem Bescheid, verbunden mit der rechtlichen Subsumtion, nicht ersetzen. Zur Rechtfertigung der Durchbrechung der Rechtskraft und Bestimmung der Identität der Sache ist es nicht ausreichend, in der Begründung des Bescheides lediglich gesetzliche Bestimmungen wiederzugeben oder bloß Sachverhaltselemente ohne Darstellung der Relevanz zum angewandten Rechtsinstitut zu erwähnen (UFS vom 12. Februar 2013, RV/0362-I/09).

Aus diesen Gründen war spruchgemäß zu entscheiden. Die angefochtenen Bescheide waren ersatzlos zu beheben.

 

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach Ritz, BAO 5 , § 201 Tz 39, ist bei Wiederaufnahmebescheiden die Nichtdarlegung der maßgeblichen Tatsachen oder Beweismittel in der Bescheidbegründung nicht im Berufungsverfahren sanierbar (vgl zB VwGH 21.6.1994, 91/14/0165; 21.7.1998, 93/14/0187, 0188). Es bleibe abzuwarten, ob der VwGH diese Auffassung auch im Anwendungsbereich des § 201 Abs 2 Z 3 BAO vertreten wird.

Die ordentliche Revision ist im vorliegenden Fall zulässig, da bis dato eine Rechtsprechung des VwGH, ob auch im Anwendungsbereich des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO die Nichtdarlegung des Wiederaufnahmegrundes im abgabenbehördlichen Verfahren zwingend zur Bescheidaufhebung durch das Bundesfinanzgericht führen muss, fehlt.

 

 

 

Salzburg-Aigen, am 27. August 2015

 

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 201 Abs. 2 Z 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 82 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988

Schlagworte:

Festsetzung, Wiederaufnahme

Stichworte