Spruch:
Art. 8 EMRK, Art. 10 EMRK, § 6 MedienG, § 7 MedienG, § 78 UrhG - Berichterstattung über homosexuelle Aktivitäten im Priesterseminar.
Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich Art. 8 EMRK in den ersten beiden Fällen (einstimmig).
Unzulässigkeit der Beschwerde im Übrigen in den ersten beiden Fällen (einstimmig).
Zulässigkeit der Beschwerde im dritten Fall (einstimmig).
Keine Verletzung von Art. 8 EMRK in den ersten beiden Fällen (einstimmig).
Keine Verletzung von Art. 10 EMRK im dritten Fall (einstimmig).
Begründung
Sachverhalt:
Der Bf. des ersten Falls war bis zu seinem Rücktritt am 4.7.2004 Regens des St. Pöltner Priesterseminars, wo zukünftige römisch-katholische Priester ausgebildet werden. Der Bf. des zweiten Falls war bis zu seinem Rücktritt im Juli 2004 Subregens desselben Seminars und Privatsekretär des St. Pöltner Bischofs Krenn.
Die ErstBf. des dritten Falls ist Herausgeberin des Profil. Der ZweitBf. des dritten Falls ist Journalist und Chefredakteur dieses Magazins.
Verfahren nach dem MedienG
In seiner Ausgabe vom 12.7.2004 veröffentlichte das Magazin Profil einen Artikel mit dem Titel »Trau dich doch«. Dort wurde behauptet, dass der damalige Regens und der damalige Subregens des St. Pöltner Seminars sexuelle Beziehungen zu ihren Seminaristen unterhielten und dass zwei von diesen regelmäßig Wochenenden oder längere Perioden mit dem Regens verbrachten. Es wurde zwar eingeräumt, dass die Gerüchte rund um nicht einvernehmliche homosexuelle Übergriffe nicht bestätigt werden konnten, von denen früher berichtet worden war. Der Artikel wies allerdings darauf hin, dass einige Seminaristen pornographisches Material auch von Kindern auf ihre Computer heruntergeladen hatten. Die Existenz von homosexuellen Beziehungen sei sowohl innerhalb des Seminars als auch dem Bischof wohlbekannt gewesen. Letzterer hätte zunächst versucht, die Sache zu vertuschen.
Zum Artikel gehörte ein Foto des Regens, auf dem dieser seinen linken Arm um einen Seminaristen gelegt hatte. Mit seiner linken Hand umfasste er das Handgelenk des Seminaristen, seine rechte Hand befand sich in dessen Schritt. Das Foto war von einem Seminaristen auf einer Geburtstagsfeier gemacht worden. Der Regens sah dabei in die Kamera und war sich offenbar bewusst, dass er fotografiert wurde. Der Artikel enthielt zudem zwei Fotos des Subregens, auf denen dieser im Begriff war, den Seminaristen K. zu umarmen bzw. ihn zu küssen. Auf letzterem Foto waren die Augen des Subregens geschlossen und sein Mund halboffen. Die zwei Fotos waren von einem Seminaristen am 24.12.2003 auf einer Weihnachtsfeier in der privaten Wohnung des Subregens gemacht worden. Die Namen des Regens und des Subregens wurden im Artikel offengelegt, nicht aber jene der beteiligten Seminaristen. Auf den Fotos waren die Gesichter des Regens und des Subregens zu erkennen, während das der Seminaristen unkenntlich gemacht worden war. Der Artikel enthielt weiters Stellungnahmen des Regens und des Subregens, wonach die Fotos auf unterschiedliche Weise interpretiert werden konnten.
Am 6.8.2004 leiteten die Bf. der beiden ersten Fälle wegen des Artikels vom 12.7.2004 ein Verfahren gegen die ErstBf. des dritten Falls nach dem MedienG ein. Nach den §§ 6 und 7 MedienG verlangten sie eine Entschädigung wegen übler Nachrede und der Verletzung ihres höchstpersönlichen Lebensbereichs durch die Veröffentlichung der Fotos sowie des oben genannten Artikels. Das LG Wien wies ihren Antrag am 15.9.2005 ab. Die im fraglichen Artikel enthaltenen Fakten wären im Wesentlichen wahr und die Öffentlichkeit hätte ein großes Interesse daran, darüber informiert zu werden, was innerhalb der römisch-katholischen Kirche vor sich geht. Insbesondere wäre auch die sexuelle Natur des Kusses zwischen dem Subregens und dem Seminaristen aus dem Foto klar ersichtlich. Insgesamt sei hinsichtlich der Bf. der beiden ersten Fälle festzustellen, dass sie einvernehmliche sexuelle Kontakte zu Seminaristen unterhielten. Berufungen der Bf. der ersten beiden Fälle wurden am 24.5.2006 bzw. am 28.6.2006 vom OLG Wien abgewiesen.
Verfahren nach dem UrhG
Bereits am 5.7.2004 hatte Profil einen Artikel über polizeiliche Durchsuchungen im St. Pöltner Seminar veröffentlicht. Als Grund für die Durchsuchungen wurde in dem Artikel der Download von kinderpornographischem Material aus dem Internet angegeben. Gerüchten zufolge hätte die Polizei auch Fotos gefunden, die Seminaristen während homosexueller Aktivitäten zeigten und sei es auch zu unfreiwilligen homosexuellen Übergriffen gegenüber Seminaristen unter Missbrauch von Autoritätsverhältnissen gekommen. Der Artikel wurde von einem Foto des Regens in einem Garten begleitet sowie seiner Aussage, dass er nicht glaube, dass es zu ungewollten sexuellen Übergriffen durch Vorgesetzte gekommen sei.
Am 9.7.2004 brachte der Bf. des ersten Falls eine Klage gegen die beiden Bf. des dritten Falls nach dem UrhG und dem ABGB ein. Er ersuchte vor dem Handelsgericht Wien darum, Letzteren nach § 78 UrhG zu verbieten, Behauptungen zu tätigen und zu veröffentlichen, dass Fotos existierten, die zeigten, dass er homosexuellen Kontakten nachging oder den Anschein erweckten, dass er homosexuell wäre sowie ebenfalls zu verbieten, dass sie Fotos von ihm veröffentlichten, die seine berechtigten Interessen verletzen, insbesondere in Verbindung mit der Behauptung homosexueller Übergriffe unter Missbrauch seiner Autorität, da diese seine Ehre und seinen guten Ruf schädigten. Der Bf. des ersten Falls verlangte zu diesem Zweck auch eine einstweilige Verfügung. Nach Veröffentlichung des Artikels vom 12.7.2004 mit dem oben erwähnten Foto wiederholte er sein Begehren mit Verweis auf diesen Artikel.
Der Antrag auf eine einstweilige Verfügung wurde vom Wiener Handelsgericht am 29.3.2005 und vom OLG Wien am 18.6.2005 zurückgewiesen.
Der OGH änderte die Entscheidungen der Untergerichte am 15.12.2005 insofern ab, als er dem zweiten Teil des Antrags des Bf. des ersten Falls stattgab und den Bf. des dritten Falls somit verbot, Fotos von ihm zu veröffentlichen, insbesondere in Verbindung mit Behauptungen von homosexuellen Übergriffen unter Missbrauch seiner Autorität. Die Veröffentlichung des Fotos sei für die Information der Öffentlichkeit nicht notwendig. Der erste Teil des Antrags wurde vom Gericht jedoch mit Verweis auf die Bedeutsamkeit von Informationen über die Homosexualität von Würdenträgern der römisch-katholischen Kirche abgewiesen.
Im Hauptverfahren schränkte der Bf. des ersten Falls am 4.7.2006 seine ursprüngliche Klage ein, fügte aber einen Entschädigungsanspruch hinzu. Er verlangte daher, den Bf. des dritten Falls zu verbieten, Fotos von ihm zu veröffentlichen, die seine berechtigten Interessen verletzten, insbesondere in Verbindung mit Behauptungen von nicht einvernehmlichen homosexuellen Übergriffen gegenüber Seminaristen unter Missbrauch seiner Autorität und/oder von Beteiligung an sexuellen Ausschweifungen oder anrüchigen Positionen mit Seminaristen oder Ähnlichem.
Das Handelsgericht Wien wies die Klage am 18.6.2007 ab. Das OLG Wien gab – auch unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OGH im vorangegangenen Verfahren über die einstweilige Verfügung – seiner Klage am 13.12.2007 im Wesentlichen statt, wies aber sein Begehren nach Entschädigung mangels Verschulden von Seiten der Beklagten ab.
Die außerordentliche Revision des Bf. des ersten Falls und der Bf. des dritten Falls wurde vom OGH am 26.3.2009 zurückgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Die Bf. der beiden ersten Fälle behaupten eine Verletzung von Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Privatlebens) durch die Urteile der Gerichte nach dem MedienG, die ihnen eine Entschädigung für die Veröffentlichung eines Artikels mit Fotos im Profil vom 12.7.2004 verweigerten.
Die Bf. des dritten Falls beschweren sich über die Urteile des OLG Wien vom 13.12.2007 und des OGH vom 26.3.2009 im Hauptverfahren nach dem UrhG. Die gerichtliche Verfügung, die ihnen verbot, das Bildnis des Bf. des ersten Falls in Zusammenhang mit bestimmten Äußerungen zu veröffentlichen, hätte ihr Recht nach Art. 10 EMRK (Meinungsäußerungsfreiheit) verletzt.
Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK im ersten und zweiten Fall
Diese Beschwerde ist in beiden Fällen weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen Grund unzulässig. Sie muss daher für zulässig erklärt werden (jeweils einstimmig).
Die positiven Verpflichtungen unter Art. 8 EMRK verlangen auch die Annahme von Maßnahmen, die die Achtung des Privatlebens in der Beziehung von Einzelnen untereinander sicherstellen. Das gilt ebenso für den Schutz des Bildes einer Person gegen den Missbrauch durch andere. Die im Rahmen von Art. 8 EMRK anwendbaren Grundsätze sind für negative und positive Verpflichtungen ähnlich: es ist ein gerechter Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen zu schaffen.
Der GH muss daher im vorliegenden Fall untersuchen, ob die nationalen Gerichte das Recht der Bf. auf Achtung ihres Privatlebens hinsichtlich des am 12.7.2004 im Profil veröffentlichten Artikels mit den strittigen Fotos mit dem Recht der Herausgeberin auf Meinungsäußerungsfreiheit im Einklang mit der Rechtsprechung des GH abgewogen haben. Der GH hat in seiner Rechtsprechung eine Reihe von Kriterien herausgearbeitet, die zu beachten sind, wenn es um die Abwägung des Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens geht.
Bei der Abwägung der berührten Interessen spielt der Beitrag von Fotos oder Artikeln zu einer Debatte von allgemeinem Interesse eine wichtige Rolle. Die nationalen Gerichte verwiesen auf die Bedeutung der römisch-katholischen Kirche als Vorbild und ihre wichtige Stellung in der österreichischen Gesellschaft und stellten fest, dass die Öffentlichkeit ein Interesse hatte, zu erfahren, was innerhalb der Kirche vor sich ging. Angesichts der Position der Kirche, Homosexualität zu verurteilen, hätte die Öffentlichkeit ein Recht darauf, über das Verhalten eines Würdenträgers der Kirche informiert zu werden, das in offenem Widerspruch zu dieser Position stand. Dies umso mehr, als das Verhalten in einer Ausbildungseinrichtung für angehende Priester gesetzt wurde und auch Kontakte zwischen diesen zukünftigen Priestern und ihren Vorgesetzten umfasste. Der GH teilt diese Einschätzung. Material wie das vorliegende, das sich auf die von einer einflussreichen Religionsgemeinschaft vertretene moralische Position bezieht sowie die Frage betrifft, ob kirchliche Würdenträger den von ihrer Kirche proklamierten Standards gerecht werden, trägt zu einer Debatte von allgemeinem Interesse bei.
Die Bf. der beiden ersten Fälle haben bestritten, dass die Enthüllung ihrer Namen und die Veröffentlichung ihrer Bildnisse einen nützlichen Beitrag zu einer öffentlichen Debatte leisten würde. Der GH beobachtet allerdings, dass die nationalen Gerichte darin übereinstimmten, dass Profil berechtigt war, den Bericht zu veröffentlichen und die Identität der Bf. der ersten beiden Fälle im besonderen Kontext des Falls und insbesondere aufgrund der Stellung der Bf. im Priesterseminar zu enthüllen. Zur Frage der Veröffentlichung der Fotos wird sich der GH weiter unten äußern.
Die Rolle oder Funktion der betreffenden Person und die Natur der Aktivitäten, die Gegenstand eines Berichts bzw. eines Fotos sind, stellt ein weiteres wichtiges Kriterium dar, das mit dem vorigen in Verbindung steht. Hier muss zwischen Privatpersonen und Personen des öffentlichen Lebens unterschieden werden. Ersteren kommt ein besonderer Schutz zu.
Während das LG Wien befand, dass es sich bei den Bf. der beiden ersten Fälle um Personen des öffentlichen Lebens handelt, folgte das OLG Wien diesem Ansatz nicht. Der GH erinnert allerdings daran, dass der Umstand, ob eine Person bekannt ist, nur ein Kriterium unter einigen anderen darstellt. Insgesamt maßen die nationalen Gerichte der Verbindung zwischen der Stellung der Bf. der ersten beiden Fälle als Regens bzw. Subregens des Seminars und dem Gegenstand des Artikels, der zu einer Debatte von allgemeinem Interesse beitrug, die gebotene Bedeutung bei. Der GH stimmt mit ihrer Schlussfolgerung überein, dass das öffentliche Interesse an der Berichterstattung und damit verbunden an der Kenntlichmachung der Bf. gegenüber dem Interesse Letzterer an der Achtung ihres Privatlebens überwog.
Hinsichtlich des früheren Verhaltens der Bf. stellt der GH fest, dass die Entscheidungen der nationalen Gerichte nicht viele Informationen enthalten. Man kann allerdings annehmen, dass sie in der Diözese St. Pölten bekannt waren. Im Gegensatz zu Bischof Krenn, der Homosexualität in den Medien wiederholt auf das Strengste verurteilt hatte, hatte der Bf. des ersten Falls offensichtlich weder zu dieser Debatte beigetragen noch hatte er die öffentliche Bühne vor den hier gegenständlichen Ereignissen auf andere Weise betreten. Hinsichtlich des Bf. des zweiten Falls, der auch Privatsekretär von Bischof Krenn war, kann festgestellt werden, dass aus den nationalen Entscheidungen zumindest nicht klar hervorgeht, ob er zu dieser Debatte beigetragen oder die öffentliche Bühne vor den fraglichen Ereignissen auf andere Weise betreten hatte.
Die Art und Weise, wie die Informationen erhalten wurden, sowie ihre Glaubwürdigkeit und die Umstände, unter denen die Fotos gemacht wurden, stellen weitere bedeutsame Faktoren dar.
Die nationalen Gerichte befassten sich nicht im Detail mit der Frage, wie die ErstBf. des dritten Falls an die Informationen gelangte, die im Artikel vom 12.7.2004 veröffentlicht wurden. Sie untersuchten allerdings gründlich die Glaubwürdigkeit dieser Informationen. Der GH ist im vorliegenden Fall damit zufrieden, dass die nationalen Gerichte nach einer gründlichen und detaillierten Untersuchung des Falls zu dem Schluss kommen, dass die veröffentlichten Behauptungen wahr waren.
Hinsichtlich der Fotos stellten die nationalen Gerichte fest, dass sie in den Wohnungen der Bf. während einer Geburtstagsfeier eines Seminaristen bzw. während einer Weihnachtsfeier gemacht wurden. Sie wurden von Seminaristen gemacht und waren nicht für Außenstehende bestimmt. Es scheint aus dem veröffentlichten Artikel hervorzugehen, dass die Fotos zu dem während der Durchsuchungen des Seminars beschlagnahmten Material gehörten. Es ist klar, dass die Herausgeberin sie ohne Zustimmung der Bf. der ersten beiden Fälle erlangte.
Wie ein Foto oder Bericht veröffentlicht werden und die Art, wie die betroffene Person auf dem Foto oder in dem Bericht dargestellt wird, können ebenfalls zu berücksichtigende Faktoren sein.
Was den Bf. des ersten Falls betrifft, behandelten die Gerichte die Frage der Veröffentlichung des Fotos und ihre Folgen für den Bf. in den Verfahren nach dem MedienG nicht gesondert. In den Verfahren nach dem UrhG erwähnte der OGH hingegen insbesondere die Bloßstellung der Intimsphäre des Bf. und die anprangernde Wirkung der Veröffentlichung des Fotos in Verbindung mit dem Artikel.
Der GH stimmt mit der Einschätzung durch die Gerichte in den Verfahren nach dem MedienG überein, soweit die Berichterstattung als solche betroffen ist. Was das Foto angeht, so zeigt dieses ein intimes Detail des Privatlebens des Bf. des ersten Falls. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sein Aussehen der Öffentlichkeit vor der Veröffentlichung des Artikels nicht bekannt war, befindet der GH, dass die Veröffentlichung seines Fotos einen gewichtigeren Eingriff darstellte als der geschriebene Artikel.
Gleiches gilt im Wesentlichen für den Bf. des zweiten Falls. Auch hier stimmt der GH mit der Einschätzung durch die Gerichte überein, soweit die Berichterstattung als solche betroffen ist. Eine Frage könnte jedoch dadurch auftauchen, dass die Gerichte nicht zwischen dem Text des Berichts und der Veröffentlichung des Fotos unterschieden. Mit anderen Worten führten sie keine gesonderte Abwägung der konfligierenden Interessen im Hinblick auf die Fotos durch. Die Fotos zeigten den Bf. des zweiten Falls beim Austausch eines Zungenkusses mit einem Seminaristen und enthüllten somit ein intimes Detail seines Privatlebens. Auch hier befindet der GH unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sein Aussehen der Öffentlichkeit zuvor nicht bekannt war, dass die Veröffentlichung seines Fotos einen wesentlicheren Eingriff darstellte als der geschriebene Artikel.
Im Ergebnis stimmten die nationalen Gerichte darin überein, dass der Text des im Profil vom 12.7.2004 veröffentlichten Artikels und die darin erfolgte Enthüllung der Identität der Bf. innerhalb der Grenzen zulässiger Berichterstattung über eine Sache von allgemeinem Interesse lag. Der GH sieht keinen Grund, geschweige denn einen überzeugenden, um von ihren Feststellungen abzuweichen, die sich auf sorgfältig ermittelte Tatsachen und eine detaillierte Beurteilung der konfligierenden Interessen stützen und im Einklang mit der Rechtsprechung des GH stehen.
Was den zweiten Aspekt der Beschwerde betrifft, nämlich dass die Gerichtsentscheidungen unter dem MedienG es verabsäumten, die Bf. gegen die Veröffentlichung der Fotos zu schützen, so wirft dieser eine schwierige Grenzfrage auf. In den Verfahren nach den §§ 6 und 7 MedienG wendeten die nationalen Gerichte die Kriterien an, die der GH in seiner Rechtsprechung herausgearbeitet hat, als sie die Frage untersuchten, ob Profil die Rechte der Bf. verletzt hatte, indem es die Fotos veröffentlichte, auch wenn sie weniger ins Detail gingen als hinsichtlich der im Bericht gemachten Äußerungen. Der GH sieht keine überzeugenden Gründe, um seine eigene Sicht der Dinge an Stelle derjenigen der nationalen Gerichte zu setzen.
Außerdem beobachtet der GH, dass das österreichische Recht neben den Verfahren nach dem MedienG einen Schutz gegen die Veröffentlichung des Bildnisses einer Person auch nach § 78 UrhG vorsieht. Diese Bestimmung zielt speziell darauf ab, Einzelne vor der Veröffentlichung ihres Bildnisses zu schützen, während die §§ 6 und 7 MedienG eher allgemeiner mit dem Schutz gegen üble Nachrede oder Bloßstellung des streng persönlichen Bereichs des Einzelnen durch irgendeine Form von Veröffentlichung in den Medien befasst sind.
Im vorliegenden ersten Fall strengte der Bf. Verfahren nach dem UrhG an und erhielt in der Tat Schutz durch eine einstweilige Verfügung, die die weitere Veröffentlichung seines Bildes untersagte. Er warf auch die Frage eines möglichen Widerspruchs zwischen den Ergebnissen der Verfahren nach dem MedienG einerseits und nach dem UrhG andererseits auf. In seiner Entscheidung vom 26.3.2009 befand der OGH, dass die Verfahren nach dem MedienG keine Vorfrage hinsichtlich der Verfahren nach dem UrhG klärten. Es würde auch kein logischer Widerspruch zwischen dem Verbot nach § 78 UrhG, ein Foto zu veröffentlichen, und der Verweigerung einer Entschädigung nach den §§ 6 und 7 MedienG bestehen. Außerdem beobachteten die nationalen Gerichte in den Verfahren nach dem UrhG selbst, dass die Frage der Zulässigkeit der Veröffentlichung des Fotos einen Grenzfall darstellte. Unter diesen Umständen enthüllt die Tatsache, dass der Bf. des ersten Falls in den Verfahren nach dem MedienG keine Entschädigung wegen der Veröffentlichung seines Bildes zugesprochen bekam, kein Versäumnis von Seiten der nationalen Behörden, das Recht des Bf. auf Achtung seines Privatlebens zu schützen. Keine Verletzung von Art. 8 EMRK im Rahmen des ersten Falls (einstimmig).
Der Bf. des zweiten Falls entschied sich dagegen nicht, ein Verfahren nach § 78 UrhG einzuleiten. Unter den Umständen dieses Falls enthüllt die Tatsache, dass der Bf. in den Verfahren nach dem MedienG keine Entschädigung für die Veröffentlichung seines Bildnisses erhielt, auch kein Versäumnis der nationalen Gerichte, das Recht des Bf. auf Achtung seines Privatlebens zu schützen. Keine Verletzung von Art. 8 EMRK im Rahmen des zweiten Falls (einstimmig).
Zu den übrigen im ersten und zweiten Fall behaupteten Verletzungen
Der Bf. des ersten Falls rügt daneben eine Verletzung von Art. 6 EMRK wegen falscher Beweiswürdigung durch das OLG Wien in seiner Entscheidung vom 24.5.2006. Der Bf. des zweiten Falls sieht Art. 6 EMRK verletzt, weil die Gerichte sich weigerten, eines der Fotos von einem Experten in fotografischer Analyse untersuchen zu lassen. Beide Bf. rügen zudem eine Verletzung von Art. 13 EMRK wegen fehlender Berufungsmöglichkeit gegen die Entscheidungen des OLG vom 24.5.2006 bzw. 28.6.2006.
Diese Beschwerden sind offensichtlich unbegründet und als unzulässig zurückzuweisen (jeweils einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 10 EMRK im dritten Fall
Die Beschwerde ist weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen Grund unzulässig. Sie muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).
Die Bf. des dritten Falls beschweren sich über die gerichtliche Verfügung nach dem UrhG, die ihnen verbietet, Fotos des Bf. des ersten Falls zu veröffentlichen, insbesondere im Zusammenhang mit Behauptungen sexueller Übergriffe auf Seminaristen unter Missbrauch von Autorität oder der Beteiligung an sexuellen Ausschweifungen oder anrüchigen Positionen mit Seminaristen. Der GH stellt fest, dass die Berichterstattung als solche – einschließlich Aussagen über die angebliche Homosexualität und homosexuelle Beziehungen des Bf. des ersten Falls zu Seminaristen – nicht eingeschränkt wurde. Es geht folglich lediglich um das Verbot der Veröffentlichung des Bildnisses des Bf. des ersten Falls im Rahmen von bestimmten Anschuldigungen.
Die Urteile des OLG Wien vom 13.12.2007 und des OGH vom 26.3.2009 stellten einen Eingriff in das Recht der Bf. des dritten Falls auf Meinungsäußerungsfreiheit dar, da dieses Recht auch die Veröffentlichung von Fotos umfasst.
Im vorliegenden Fall sind sich die Parteien uneinig darüber, ob der Eingriff »in einer demokratischen Gesellschaft notwendig« war. Während sie beide akzeptieren, dass der Fall das Abwägen konfligierender Interessen nach Art. 8 und 10 EMRK erfordert, gehen ihre Meinungen auseinander, ob die nationalen Gerichte diese Abwägung korrekt vorgenommen haben. Der GH muss daher untersuchen, ob die nationalen Gerichte das Recht des Bf. des ersten Falls auf Schutz seines Bildes gegen das Recht der Bf. auf Meinungsäußerungsfreiheit im Einklang mit den in der Rechtsprechung des GH entwickelten Kriterien abgewogen haben.
Wie im Rahmen der Untersuchung der ersten beiden Fälle unter Art. 8 EMRK festgestellt wurde, steht es außer Streit, dass die von Profil veröffentlichten Artikel zu einer öffentlichen Debatte beitrugen.
Hinsichtlich des Gegenstands der Artikel befanden die nationalen Gerichte, dass der Fokus auf der Diskrepanz zwischen der offiziellen Position der römisch-katholischen Kirche hinsichtlich Homosexualität und dem privaten Verhalten von Repräsentanten dieser Kirche lag. Sie berücksichtigten, dass der Bf. des ersten Falls ein hochrangiger Würdenträger der römisch-katholischen Kirche war. Darüber hinaus trugen sie dem Umstand Rechnung, dass sich die berichteten Ereignisse in dem Seminar abspielten, dessen Regens der Bf. des ersten Falls damals war.
Dennoch machten sie einen Unterschied zwischen den Artikeln als solchen und der Veröffentlichung des Bildnisses des Bf. des ersten Falls. In seiner Entscheidung vom 13.12.2007 stellte das OLG Wien ausdrücklich fest, dass der Umstand, dass ein öffentliches Interesse an den Artikeln bestand, nicht automatisch die Veröffentlichung von Fotos der betroffenen Person rechtfertigte.
Der GH stimmt mit dieser Einschätzung überein. Er anerkennt in seiner Rechtsprechung, dass der Schutz der Rechte und des guten Rufs anderer im Rahmen der Veröffentlichung von Fotos besondere Bedeutung annimmt, da diese sehr persönliche oder gar intime Informationen enthalten können. Die Unterscheidung zwischen der Veröffentlichung des Texts und jener des Fotos kann daher nicht beanstandet werden.
Was die Umstände betrifft, unter denen die Fotos gemacht wurden, maßen die nationalen Gerichte dem Umstand große Bedeutung zu, dass das Foto auf einer privaten Geburtstagsfeier gemacht wurde, die in der Wohnung des Bf. des ersten Falls stattfand. Das OLG Wien bemerkte, dass diese Räumlichkeiten von der Privatsphäre einer Person umfasst waren und diese daher auch Dritte davon ausschließen konnte. Dies war hinsichtlich der Wohnung des Bf. des ersten Falls eindeutig gegeben. Das Gericht stellte auch fest, dass ein weiteres wichtiges Element darin bestand, ob die betreffende Person unter den Umständen des Falls erwarten konnte, dass ihr Privatleben geschützt wird. Auch dies war der Fall.
Der GH stimmt dieser Beurteilung weitgehend zu, bemerkt aber, dass eine Verbindung zur Funktion des Bf. des ersten Falls als Regens des Seminars gegeben war, da seine Gäste ausschließlich Seminarteilnehmer waren. Die Feier fand jedoch in seiner Wohnung statt, die als »Wohnung« gemäß Art. 8 EMRK zu qualifizieren ist. Das Foto wurde von einem Seminaristen gemacht und war nicht für Außenstehende bestimmt. Das Foto gelangte ohne Zustimmung des Bf. des ersten Falls zu den Bf. des dritten Falls.
Was Inhalt, Form und Folgen der Veröffentlichung anbelangt, stellten die nationalen Gerichte insbesondere einen Eingriff in die Intimsphäre des Bf. des ersten Falls sowie die anprangernde Wirkung der Veröffentlichung des Bildnisses in Verbindung mit dem Artikel fest. Der OGH befasste sich auch mit dem Vorbringen der Bf. des dritten Falls, dass die Veröffentlichung des Fotos notwendig war, um einen Nachweis für die erhobenen Behauptungen zu bringen, nämlich dass es homosexuelle Beziehungen zwischen Seminaristen und ihren Vorgesetzten gab, was vom Bf. des ersten Falls verneint wurde. Während er akzeptiert, dass dieses Argument einiges Gewicht hat, bemerkte der OGH die intime Natur der Information, die durch das Foto transportiert wurde. Er fügte hinzu, dass sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen in den von Art. 8 EMRK geschützten Bereich fielen. Dieser Schutz erstreckte sich auch auf Repräsentanten der Kirche, auch wenn ihr Verhalten in Widerspruch mit der Position der Kirche stand. Im Ergebnis stellte der OGH fest, dass das Interesse des Bf. des ersten Falls am Schutz seines Bildes überwog, da es möglich war, die Öffentlichkeit angemessen zu informieren, indem die Fakten des vorliegenden Falls berichtet wurden und auf die Existenz von Beweisfotos hingewiesen wurde.
Der GH stimmt mit dieser Einschätzung überein. Das Foto zeigte ein intimes Detail des Privatlebens des Bf. des ersten Falls. Der GH würde unterstreichen, dass – ginge es nicht um den besonderen Kontext der Position der römisch-katholischen Kirche hinsichtlich Homosexualität und den Umstand, dass der Bf. des ersten Falls ein Repräsentant dieser Kirche war – ein solcher intimer Aspekt seines Privatlebens, der einvernehmliche homosexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen betrifft, keine Berichterstattung rechtfertigen würde.
Hinsichtlich der Schwere der auferlegten Sanktion ist festzustellen, dass die gerichtliche Verfügung die Bf. des dritten Falls in ihrer redaktionellen Wahl einschränkte, wie sie zukünftige Artikel über die gegenständliche Sache präsentieren. Die nationalen Gerichte erkannten dem Bf. des ersten Falls jedoch keine Entschädigung nach dem UrhG in Verbindung mit dem ABGB zu. Das OLG Wien wies darauf hin, dass es sich um einen Grenzfall handelte. Es befand, dass die Bf. des dritten Falls nicht schuldhaft gehandelt hätten, da sie ihre Entscheidung, die Fotos zu veröffentlichen, auf eine vertretbare Rechtsmeinung gestützt hätten. In diesem Zusammenhang stellte das OLG Wien fest, dass es wie auch das Handelsgericht Wien im Verfahren wegen der einstweiligen Verfügung befunden hatte, dass die Veröffentlichung des gegenständlichen Fotos zulässig war, während erst eine genauere Untersuchung zum Ergebnis geführt hatte, dass die Interessen des Bf. des ersten Falls überwiegen sollten. Die auferlegte Sanktion war daher ausgewogen und enthüllt keine mangelnde Verhältnismäßigkeit.
Letztlich hat der OGH in seiner endgültigen Entscheidung vom 26.3.2009 die Frage eines möglichen Widerspruchs zwischen den Entscheidungen nach dem MedienG einerseits und jenen nach dem UrhG andererseits angesprochen. Er stellte fest, dass die Verfahren unter dem MedienG keine Vorfrage hinsichtlich der Verfahren nach dem UrhG lösten. Es war auch kein logischer Widerspruch zwischen dem Verbot der Veröffentlichung eines Fotos nach § 78 UrhG und der Verweigerung einer Entschädigung nach den §§ 6 und 7 MedienG hinsichtlich des fraglichen Artikels gegeben.
Im Ergebnis haben die nationalen Gerichte die vom GH in seiner Rechtsprechung herausgearbeiteten Kriterien angewendet, als sie die gerichtliche Verfügung nach § 78 UrhG verhängten. Sie haben »maßgebliche und ausreichende« Gründe für den Schluss geliefert, dass – im Gegensatz zum Text der Artikel, der keinen Einschränkungen unterworfen wurde – die zukünftige Veröffentlichung des Fotos im Kontext der besonderen Behauptungen zu verbieten war, da die Interessen des Bf. des ersten Falls am Schutz der Intimsphäre die Interessen der Bf. des dritten Falls an der weiteren Veröffentlichung seines Bildnisses überwogen. Der GH sieht keinen überzeugenden Grund, um seine Sicht der Dinge an Stelle jener der nationalen Gerichte zu setzen. Keine Verletzung von Art. 10 EMRK (einstimmig).
Vom GH zitierte Judikatur:
Eerikäinen u.a./FIN v. 10.2.2009
Axel Springer AG/D v. 7.2.2012 (GK) = NL 2012, 42 = EuGRZ 2012, 294
Von Hannover/D (Nr. 2) v. 7.2.2012 (GK) = NL 2012, 45 = EuGRZ 2012, 278
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über die Urteile des EGMR vom 4.12.2012, Bsw. 51151/06, Bsw. 6490/07 und Bsw. 59631/09 entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2012, 390) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Die Urteile im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/12_6/Kuchl.pdf
www.menschenrechte.ac.at/orig/12_6/Rothe.pdf
www.menschenrechte.ac.at/orig/12_6/Verlagsgruppe News und Bobi.pdf
Die Originale der Urteile sind auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.
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