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VII. Die Mittäterschaft

Bürkl1. AuflMärz 2023

Wird gemeinschaftlich (iSd § 1301 ABGB) und vorsätzlich (iSd § 1302 ABGB) gehandelt, spricht man von der sog Mittäterschaft380380 Feil, ABGB Handkommentar §§ 1301, 1302 77; Graf/Brandstätter, Schadenersatz- und Bereicherungsrecht14 27; Gruber, ÖJZ 2017, 47; Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 1302 Rz 6; Karner in KBB6 § 1301 Rz 2; Koziol, Haftpflichtrecht I4 D5 Rz 20; Langer, GerZ 1920, 69, der in diesen Fällen von „Täterschaftskonkurrenz“ spricht; Perner/Spitzer/Kodek, Bürgerliches Recht7 328; Riedler, ZR IV SchRBT GesSch6 Rz 2/114; Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08 § 1302 Rz 6; Wittwer in Schwimann/Neumayr, ABGB Taschenkommentar5 § 1302 Rz 1. Die Bezeichnung als Mittäter ist daher zB in 4 Ob 36/10p, wo einerseits jemand einen Ofen falsch montiert hat, es dadurch zu einer Gasvergiftung gekommen ist und andererseits ein Krankenhaus, das keine Behandlung vorgenommen hat, jedenfalls als unrichtig zu werten. Vgl für das deutsche Recht Quentin, Kausalität 160: „Eine Schadensverursachung durch eine von mehreren gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung“. Sa Deutsch, JZ 1972, 105; Quentin, Kausalität 162, 165: Im deutschen Zivilrecht setze sich der Mittäterschaftsbegriff aus zwei Elementen zusammen – einerseits bedürfe es eines sog gemeinsamen Tatentschlusses (Kollektiventscheidung sämtlicher Täter, die darauf abziele, einen bestimmten Tatbestand durch arbeitsteiliges Verhalten zu verwirklichen; Kenntnis und Billigung der Lage ausreichend) und andererseits müsse demnach objektiv jeder Mittäter ein Verhalten gezeigt haben, das als eine Förderung der Tatbestandsverwirklichung durch einen eigenen Tatbeitrag aufzufassen sei. Jedenfalls sei nach seinen Ausführungen eine Mittäterschaft iSd § 830 Abs 1 S 1 BGB nach der dortigen Rsp nur denkbar, wenn alle Beteiligten vorsätzlich handeln – er selbst erkennt auch die Möglichkeit fahrlässiger Mittäterschaft an. Vgl auch Bodewig, AcP 1985, 513; Brambring, Mittäter 17 f, 50: „Mittäter ist, wer vorsätzlich gemeinschaftlich handelt, d.h. wer den Erfolg voraussieht und ihn als Folge des gemeinschaftlichen Handelns zumindest billigt“.. Bei gemeinschaftlicher und vorsätzlicher Schädigung kommt es auf einen bestimmten Tatbeitrag eines einzelnen Mittäters nicht an – unerheblich ist, ob ein bestimmter Schaden von dem einen oder dem anderen Täter stammt381381 Vgl zB GlUNF 5598; 2 Ob 226/53; 6 Ob 160/70; 1 Ob 713/85; 1 Ob 567/90; 9 Ob 104/00k; RS0026616 und RS0026618. Sa Griss, JBl 2005, 69 f; Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 1302 Rz 6. Sa Ehrenzweig, Schuldhaftung 251; Ehrenzweig/Mayrhofer, System II/13 262; Feil, ABGB Handkommentar §§ 1301, 1302 80; Rummel, Ersatzansprüche 19; Scheidlein, Privatrecht II/2 630, der das Beispiel eines Geschädigten nennt, der von einem Schädiger verwundet worden ist, von einem anderen Schädiger wird seine Kleidung zerrissen; Swoboda, ABGB III2 95. So auch zum deutschen Recht Traeger, Kausalbegriff 279. Anders allerdings der OGH in 2 Ob 34/56.. Im Rahmen des § 1302 S 2 ABGB besteht also die Möglichkeit, dass der einzelne Schädiger auch für solche Schäden einzustehen hat, die nicht von ihm (mit-)verursacht worden sind382382 Bumberger, Kausalitätsbeweis 15. Vgl aber zB Brambring, Mittäter 25 ff, 46 für das deutsche Recht: „Die Haftung des Mittäters setzt den Nachweis eines eigenen ursächlichen Tatbeitrages für den Schadenserfolg voraus. Nur mögliche Kausalität (Kausalitätsverdacht) reicht nicht aus, selbst wenn die Mittäter bewusst und gewollt zusammengewirkt haben“; diesbezüglich krit jedoch Weckerle, Verantwortlichkeit 88.. Mittäter haften solidarisch aufgrund der Vermutung der psychischen Kausalität383383 Barta, Zivilrecht II2 593; F. Bydlinski, AcP 158, 411 ff, 417; Gruber, ÖJZ 2017, 47; Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 1302 Rz 6: Dieser Verdacht ergebe sich aus dem bewussten Zusammenwirken der Mittäter; Kleewein, Hypothetische Kausalität 19; Perner/Spitzer/Kodek, Bürgerliches Recht7 328; Rabl/Herndl/Riedler, Schuldrecht BT III7 Rz 13/59 (iSv: vielleicht hätten die anderen ohne das Mitwirken des Einen die schädigende Handlung unterlassen); Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1302 Rz 1; Rudolf, Schuldner- und Gläubigermehrheiten 129; Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08 § 1302 Rz 7; Vrba in Vrba, Schadenersatz A.II Rz 41; Wolff, Grundriss4 60; Zankl, Bürgerliches Recht9 Rz 197. Sa Koziol, Haftpflichtrecht I4 C8 Rz 21, wonach bei den Mittätern entscheidend sei, dass durch die Teilnahme an einer gemeinschaftlichen unerlaubten Handlung das Risiko der Unaufklärbarkeit mitbegründet und damit eine Erschwerung der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen durch die geschädigte Person herbeigeführt werde. Ähnlich für das deutsche Recht Quentin, Kausalität 163, wonach die Annahme nahe liege, dass zwischen der Verlautbarung der Teilnahmebereitschaft einerseits und den jeweiligen Handlungsentschlüssen andererseits psychische Kausalzusammenhänge bestehen, sodass einiges dafür spreche, dass auch ein Mitglied der Gemeinschaft, das im Hinblick auf die konkrete Schädigung kein Verhalten an den Tag gelegt habe, durch sein Mittragen der Kollektiventscheidung die übrigen Beteiligten erst dazu motiviert habe, sich in einer Weise zu verhalten, die im Ergebnis zur Schädigung geführt habe. und zwar unabhängig davon, ob sich die jeweiligen Anteile am Schaden bestimmen lassen oder nicht384384 S zB 3 Ob 781/53; 6 Ob 160/70; 1 Ob 567/90; 9 Ob 104/00k; 2 Ob 24/16t und RS0026616. Bumberger, Kausalitätsbeweis 18, die von einer Beweislastumkehr zu Lasten des Mitschädigers spricht; Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 1302 Rz 2, 6; Karner in KBB6 § 1301 Rz 2; Kramer in Fenyves/Weyers, Multikausale Schäden – Länderberichte Schweiz/Österreich 76; Nippel, Erläuterung VIII/1 110; Riedler, ZR IV SchRBT GesSch6 Rz 2/115; Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08 § 1302 Rz 7. Stubenrauch, Commentar II8 654: Jeder habe durch seine Teilnahme an der gemeinschaftlichen Schädigung mittelbar auch die Handlungen seiner Genossen veranlasst und deshalb müsse auch dafür eingestanden werden. Zu denken ist dabei zB an Fälle, in denen mehrere Personen einen Einzelnen verprügeln und letztlich feststeht, wer die konkreten Verletzungen des Geschädigten verursacht hat. An dieser Stelle gilt es hinzuzufügen, dass aufgrund der vermuteten psychischen Kausalität in Mittäterschaftskostellationen ohnehin die Anteile am Schaden nach der in Kapitel VI.B. dargestellten Definition nicht klar abgegrenzt werden können.. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer Haftung ohne nachgewiesene Verursachung, wenn es zu keiner Aufklärung des zum Schaden führenden Kausalverlaufs kommt385385 Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08 § 1302 Rz 2. Vgl auch Kapitel IX.A.3. S für das deutsche Recht Quentin, Kausalität 160, wonach nach dem dortigen Zurechnungsmodell der hM nicht eine partielle Suspendierung des Verursachungsgrundsatzes Wesensmerkmal mittäterschaftlicher Begehungsweise sei, sondern die wechselseitige Zurechnung des jeweiligen Individualverhaltens unter den Mittätern. Demnach erweitere der einschlägige § 830 BGB den Kreis dessen, was sich jeder Mittäter als sein Verhalten zurechnen lassen müsse, auf die Aktivität des gesamten Kollektivs (der Nachweis, dass dieser Verhaltenskomplex in einem Kausalzusammenhang zu der erlittenen Schädigung stehe, müsse jedoch nach wie vor geführt werden).. Es genügt nach der Rsp der Verdacht psychischer Kausalität, das Vorliegen schweren Verschuldens und ein hoher Grad an Adäquität für die Annahme von Solidarhaftung386386 S zB 8 Ob 535/87; 2 Ob 12/98y; 2 Ob 24/16t; 2 Ob 97/16b; 8 Ob 55/19z und RS0109825.. Die geschädigte Person habe lediglich die Mittäterschaft der Beklagten zu beweisen, woran die Vermutung geknüpft sei387387 Koziol, Haftpflichtrecht I4 B2 Rz 39; Rohrer/Spitzer, ÖJZ 2017, 734.. Jedem Mittäter steht dabei aber nach der hA der haftungsbefreiende Beweis offen, entgegen der vermuteten psychischen Kausalität kein ursächliches Verhalten, aus dem der Schaden resultiert, gesetzt zu haben (da die anderen auch ohne seine psychische Unterstützung den Schaden herbeigeführt hätten)388388 F. Bydlinski, AcP 158, 418 ff; Ehrenzweig, Schuldhaftung 255; Feil, ABGB Handkommentar §§ 1301, 1302 80; Gruber, ÖJZ 2017, 47; Gschnitzer, Schuldrecht BT2 467; Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 1302 Rz 9; Karner in KBB6 § 1301 Rz 5; Koziol, Haftpflichtrecht I4 B2 Rz 39 und D7 Rz 25 mit dem Hinweis, dass allerdings die geschädigte Person zu beweisen habe, dass jemand überhaupt Mittäter sei, wobei hier oftmals ein Anscheinsbeweis zu Hilfe kommen könne; Rabl/Herndl/Riedler, Schuldrecht BT III7 Rz 13/58; Riedler, ZR IV SchRBT GesSch6 Rz 2/115; Rohrer/Spitzer, ÖJZ 2017, 734; Rudolf, Schuldner- und Gläubigermehrheiten 129; Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08 § 1302 Rz 8; Wittwer in Schwimann/Neumayr, ABGB Taschenkommentar5 § 1301 Rz 4. S allerdings Rummel, Ersatzansprüche 21 und Zeiller, Commentar III/2 723 f, die insb auf den pönalen und präventiven Zweck der Solidarhaftung hinweisen, der der Entlastung entgegenstehen könnte. Dazu auch Gimpel-Hinteregger, Umwelthaftung 178. Allerdings ist dem hinzuzufügen, dass die Solidarhaftung ua damit gerechtfertigt wird, dass die Mittäter durch ihr gefährliches Verhalten eine unaufklärbare Situation schaffen, wodurch die Anspruchsverfolgung erschwert wird. Gerade dieser Aspekt ist nicht gegeben, wenn eine der Personen nachweisen kann, kein iSd psychischen Kausalität kausales Verhalten gesetzt zu haben. Eine bedingungslose Solidarhaftung, nur aus dem „politischen Grunde“ des Pönal- bzw Präventionszwecks, scheint mAn bei entsprechendem Gegenbeweis nicht rechtfertigbar. Zur Rsp s insb 2 Ob 97/16b und RS0130943, wo festgehalten wird, dass eine Mitfahrt bei einer Schwarzfahrt kein haftungsbegründender Beitrag sei, wenn der Mitfahrende nachweisen könne, dass die Schwarzfahrt bzw der Schaden auch ohne ihn eingetreten wäre. Vgl auch 5 Ob 39/11p.. Dies wird grundsätzlich als konsequent angesehen, weil ein Verzicht auf diese Entlastungsmöglichkeit einer völligen Preisgabe des Kausalitätserfordernisses gleichkommen würde – das Schadenersatzrecht reagiere nicht schon auf ein missbilligtes Verhalten als solches, sondern auf die wenigstens möglichen Folgen dieses Verhaltens, sodass kein Grund ersichtlich sei, bei gewiss fehlender (auch bloß psychischer) Kausalität eine Haftung anzunehmen389389 S zB Gruber, JBl 2017, 612..

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