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„Wir leben die Triage“ – Das (verfassungs-) rechtliche „Nicht-Thema“ des Jahres 202111Dieser Beitrag wurde Anfang April 2022 abgeschlossen. Für Hilfestellung danke ich Herrn Stud.-Ass. Leon Seller. Teile dieses Beitrags beruhen auf einem englischsprachigen Landesbericht zu Österreich, den der Verfasser bei einer Konferenz im Jahr 2021 vorgestellt hat und der in folgendem Werk veröffentlicht werden soll: Foglia ea (Hrsg), Legal Liability for Allocation of Scarce Resources in Health Care in the COVID-19 Pandemic (2022; in Vorbereitung). (Stöger)

Stöger1. AuflAugust 2022

1. Der „Aufreger“, der (rechtlich) keiner war

Entgegen der im Sommer 2021 getätigten politischen Ankündigung, die Pandemie sei – jedenfalls für die Geimpften – vorbei, hat die vierte Welle der Pandemie („Delta-Welle“) nicht nur einen bundesweiten Lockdown für alle erforderlich gemacht,225. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung (5. COVID-19-NotMV), BGBl II 475/2021. Schon davor war mit der 5. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung (5. COVID-19-SchuMaV), BGBl II 465/2021, ein „Lockdown für Ungeimpfte“ (§ 2 leg cit) angeordnet worden. Dieser wurde vom VfGH als gesetzes- und verfassungskonform eingestuft (vgl VfGH 17.3.2022, V 294/2021). sondern auch auf den Intensivstationen erneut eine ernste Lage

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bewirkt. Besonders in den Bundesländern Oberösterreich und Salzburg waren diese sehr stark belastet, aus ersterem Bundesland kam im November 2021 sogar die anonyme Nachricht: „Wir leben die Triage“.33 Wenzel, Oberösterreich zieht die Notbremse, Die Presse 11.11.2021, <https://www.diepresse.com/6059461/oberoesterreich-zieht-die-notbremse > (6.4.2022); Hilferuf aus der Notaufnahme: „Wir leben die Triage bereits jetzt schon“, Oberösterreichische Nachrichten (Online-Ausgabe) 11.11.2021, <https://www.nachrichten.at/oberoesterreich/wir-leben-diese-triage-bereits-jetzt-schon;art4 ,3488089> (6.4.2022). Dahinter stand die Thematik der begrenzten Ressourcen an Intensivbetten, die dazu führte, dass die betroffenen Ärzte die Patienten dahingehend beurteilen mussten, „wer eine bestimmte Gesundheitsversorgung (Intensivbett, Beatmungsgerät) erhält und wer sie nicht erhält, obwohl er sie – gemessen an den etablierten ethischen Orientierungspunkten – bräuchte“.44So die Definition in der Stellungnahme der Bioethikkommission, Zum Umgang mit knappen Ressourcen in der Gesundheitsversorgung im Kontext der Covid-19-Pandemie (2020) <https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:772d37b0-3db9-4c8b-b4fe-e6dca7b1b8d3/200402_Covid_Bioethik.pdf > (6.4.2022). Dennoch gab es auf die Nachrichten aus Oberösterreich keine große juristische Debatte, was auch damit zusammenhängen dürfte, dass in Österreich bereits im Jahr 2020 medizinische Handreichungen zur Thematik der „coronabedingten“ Triage im Intensivbereich55Diese stellt eben nur einen besonderen Anwendungsfall des „Routinefalls“ Triage dar; vgl zum Ganzen Kröll, Knappe Ressourcen in der Katastrophe und erhöhte Anforderungen im intensivmedizinischen Alltag, in Kröll ea (Hrsg), Die Corona-Pandemie: ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise (2020) 103. erstellt wurden und im Übrigen sowohl Mediziner als auch Juristen mit dem Ruf nach dem Gesetzgeber sehr zurückhaltend agierten.66Durchaus plakativ gegen die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung Birklbauer ea, Triage – der Nicht-Ärzte liebstes Kind, JMG 2020, 125; zurückhaltender formuliert, aber ähnlich Soyer (im Interview mit Kommenda), „Damoklesschwert über Ärzteschaft“, Die Presse 2020/30/01, der auf den bestehenden Strafrechtsrahmen verweist.

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