vorheriges Dokument
nächstes Dokument

3. Konflikte zwischen steuer- und beitragsfinanzierten Systemen der sozialen Sicherheit innerhalb der Europäischen Union

Moldaschl1. AuflAugust 2024

3.1. Allgemeines

In Rechtsbereichen, die nicht durch die Europäische Union geregelt wurden oder werden dürfen – in sogenannten nicht harmonisierten Rechtsbereichen – besteht weiterhin eine nationale Rechtsetzungskompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten. Das betrifft insbesondere das direkte Steuerrecht sowie den Bereich der sozialen Sicherheit. Diese Rechtsbereiche erfuhren in der Vergangenheit kaum bis gar keine Harmonisierung durch die Europäische Union.370370 Gerade im direkten Steuerrecht sowie im Sozialversicherungsrecht haben sich die Mitgliedstaaten aufgrund der politischen Sensibilität der Rechtsbereiche sowie vor dem Hintergrund der ausgeprägten nationalen Traditionen weitestgehend Kompetenzen zurückbehalten. Vgl bspw Khan in Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV7 Art 114 AEUV, Rz 15; Korte in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV6 Art 114 AEUV, Rz 15. Siehe dazu genauer unter Kapitel ‎4.1.5.2. Die Mitgliedstaaten können die Festlegung des nationalen Rechts aufgrund ihrer verbliebenen Souveränität unabhängig voneinander ausüben. Aufgrund der sehr restriktiven Regulierung im Bereich der Sozialpolitik und im Bereich des Steuerrechts auf Unionsebene haben sich sohin auch die Systeme der sozialen Sicherheit in den einzelnen Mitgliedstaaten zum Teil sehr unterschiedlich entwickelt. Einer der zentralen Aspekte der Systeme der sozialen Sicherheit ist ihre Finanzierung. Diese erfolgt in einigen Mitgliedstaaten über Steuern, in anderen über eigene Sozialversicherungsbeiträge, in den meisten Staaten jedoch über Mischsysteme, wobei hier die Gewichtung von Steuer- und Beitragsfinanzierung voneinander abweicht.371371 Vgl hierzu im Detail die Ausführungen in Kapitel ‎2. Als Folge der unabhängigen Rechtsetzung der einzelnen Mitgliedstaaten besteht daher das Risiko, dass die Mitgliedstaaten dieselben Sachverhalte unterschiedlich regeln und sohin ein Sachverhalt uU gar nicht oder sogar mehrfach, jedoch abweichend, erfasst wird. Isoliert betrachtet, ist die parallele Rechtsetzung in unterschiedlichen innerstaatlichen Rechtsordnungen grundsätzlich unproblematisch, weil die Rechtunterworfenen ohnehin bloß zu ihrer eigenen Rechtsordnung Anknüpfungspunkte haben.372372 Allerdings können durchaus auch innerhalb einer einzigen Rechtsordnung Konflikte zwischen dem direkten Steuerrecht und der sozialen Sicherheit entstehen. Vgl dazu Prinz, Wechselseitige Anknüpfung und faktische Gegensätze von Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht 154 ff. Siehe dazu bereits Kapitel ‎1.1. In grenzüberschreitenden Fällen, sobald also mehr als eine einzige Rechtsordnung zur Anwendung kommt, kann die doppelte oder mehrfache Regulierung desselben Sachverhalts im Zuge abweichender Ausgestaltung des nationalen Rechts auch zu einer doppelten oder mehrfachen Belastung für den Rechtsunterworfenen führen. Im Schrifttum wurde dieses Phänomen als doppelte Hürde beschrieben.373373 Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht 299; Cordewener, in Vanistendael, EU Freedoms and Taxation 1 (37); Englisch, Intertax 2005, 310 (314); Kofler/Metzler, ÖStZ 2009, 219 (222); Kofler/Mason, in Van Thiel, The internal market and direct taxation 176 (183); Kofler, SWI 2006, 62 (68); Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Europäisches Gemeinschaftsrecht 95, 156 mwN; Lyal, EC Tax Review 2003, 68; Szudoczky, The Sources of EU Law and their Relationships, Kapitel 7.4.4.2. (ii) (iii) und 7.4.3.3. (iii); Terra/Wattel, European Tax Law 37; Van Thiel, Tax Law Review 2008, 143 (144 ff).

Sie möchten den gesamten Inhalt lesen?

Melden Sie sich bei Lexis 360® an.
Anmelden

Sie haben noch keinen Zugang?
Testen Sie Lexis 360® zwei Wochen kostenlos!
Jetzt testen!