1. Einleitende Bemerkungen
Das österreichische Umsatzsteuerrecht ist – wie in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – maßgeblich durch die MwStSyst-RL determiniert. Das nationale Umsatzsteuerrecht ist damit seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union keine rein national geregelte Steuer mehr. Dies wird vor allem auch dadurch deutlich, dass sich die Europäische Union zum Teil über das unionsweite Umsatzsteueraufkommen finanziert. So zählen zu den Eigenmittel der Union ua die Einnahmen, die sich aus der Anwendung eines einheitlichen Prozentsatzes auf die harmonisierte Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer eines jeden Mitgliedstaates ergeben.165Die schrittweise – und bis heute nicht abgeschlossene – Steuerharmonisierung hat dabei vor allem die Schaffung eines funktionierenden Binnenmarktes und gleicher Wettbewerbsverhältnisse zwischen den Mitgliedstaaten zum Ziel.166 Das gegenwärtige System einer Netto-Allphasen-Steuer mit Vorsteuerabzug wird seit seiner Einführung insb durch die fraktionierte Erhebung der Mehrwertsteuer gekennzeichnet. Demnach fließt dem Fiskus das Mehrwertsteueraufkommen in Form fraktionierter Zahllasten auf allen Ebenen des Produktions- und Vertriebsprozesses zu. Dies ergibt sich bereits aus Art 1 Abs 2 UAbs 2 MwStSyst-RL, wonach die Mehrwertsteuer nur abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet wird, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat. Grundgedanke der fraktionierten Erhebung ist es dabei, die Gefahr von Steuerausfällen auf die gesamte Produktions- und Vertriebskette zu verteilen und das Risiko der Nichtabfuhr des Steuerbetrages somit zu streuen.167 Dieses Grundprinzip spiegelt sich in den Grundlagen des Mehrwertsteuersystems wider. Die Mehrwertsteuer ist unionsweit als allgemeine Verbrauchsteuer ausgestaltet und beruht auf dem Neutralitätsprinzip.168 Der Verbrauchsteuercharakter zeigt sich in der Ausgestaltung der Mehrwertsteuer dahingehend, dass idR nur der Endkonsument die Steuerbelastung trägt. Gegenstand der Mehrwertsteuer ist daher die Gegenleistung, die der Endkonsument für einen bestimmten Umsatz aufwendet. Als allgemeine Verbrauchsteuer erfasst die Mehrwertsteuer zudem möglichst alle Güter und Dienstleistungen gleichermaßen. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die grds enge Auslegung von Steuerbefreiungen und Steuerermäßigungen im Mehrwertsteuerrecht durch den EuGH erklären.169 Lediglich aus administrativen Gründen soll die Mehrwertsteuer durch den leistungserbringenden Steuerpflichtigen eingesammelt und von diesem an den Fiskus abgeführt werden. So hält der EuGH in seiner Rsp regelmäßig fest, dass dem Steuerpflichtigen im gemeinsamen Mehrwertsteuersystem die Funktion eines „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates“ zukommt.170 In manchen Entscheidungen betont der Gerichtshof auch, dass der Steuerpflichtige „im Interesse der Staatskasse“ tätig wird,171 dieser aber von der ihn treffenden Steuerbelastung wieder entlastet werden muss.172 Damit beschreibt der EuGH einen für das gemeinsame Mehrwertsteuersystem wesentlichen Grundsatz, nämlich den Grundsatz der mehrwertsteuerlichen Neutralität auf dem das Mehrwertsteuerrecht der Europäischen Union aufbaut. Wenngleich diesem Grundsatz in der Rsp des Gerichthofs insb die Rolle einer Auslegungsmaxime zukommt, ist er weder unionsrechtlich, noch national explizit gesetzlich geregelt.173Die Mehrwertsteuerneutralität äußert sich in zwei verschiedenen Ausprägungen, von denen ebenfalls keine ausdrücklich in der MwStSyst-RL genannt ist: der Belastungsneutralität sowie der Wettbewerbsneutralität.174

