Gesellschaftsrechtliches Digitalisierungsgesetz 2023

GesetzgebungPersonalrechtLindmayrDezember 2023

Einrichtung eines Systems zur Disqualifikation von Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern als Rechtsfolge bestimmter rechtskräftiger, strafgerichtlicher Verurteilungen

Inkrafttreten

1.1.2024

Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Gesetz

Letzte Änderung

30.12.2023

Betroffene Normen

AktG, Firmenbuchgesetz, GenG, GmbHG, SCE-Gesetz, SE-Gesetz

Betroffene Rechtsgebiete

Gesellschaftsrecht

Quelle

BGBl I 2023/178

Bundesgesetz, mit dem das GmbH-Gesetz, das Aktiengesetz, das Genossenschaftsgesetz, das SE-Gesetz, das SCE-Gesetz und das Firmenbuchgesetz geändert werden sollen (Gesellschaftsrechtliches Digitalisierungsgesetz 2023 – GesDigG 2023); BGBl I 2023/178 vom 30. 12. 2023 (AB 2341 BlgNR 27. GP ; RV 2228 BlgNR 27. GP 286/ME NR 27. GP )

Disqualifikation von Vertretungsorganen

Die Digitalisierungs-Richtlinie (EU) 2019/1151 [zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht] wurde größtenteils mit dem Gesellschaftsrechtlichen Digitalisierungsgesetz 2022, BGBl I 2022/186, umgesetzt. Mit diesem Bundesgesetz wird nun auch Art 13i RL (EU) 2017/1132 über „disqualifizierte Geschäftsführer“ in das nationale Recht übernommen werden (va in §§ 15 f GmbHG, § 75 AktG, § 15 GenG, § 19a Firmenbuchgesetz).

Erklärtes Ziel des Art 13i RL (EU) 2019/1151 ist es, betrügerisches oder anderweitig missbräuchliches Verhalten zu verhindern und damit den Schutz aller Personen sicherzustellen, die mit Gesellschaften interagieren, indem die Ernennung einer Person zum Geschäftsführer einer GmbH oder zum Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft aus bestimmten Gründen abgelehnt werden kann („Disqualifikation“). Diese Ausübungsschranke ist im öffentlichen Interesse geboten, da sie dem Schutz des Geschäftsverkehrs sowie der Hintanhaltung von betrügerischem oder anderweitig missbräuchlichem Verhalten dient. Alle Personen, die mit Gesellschaften interagieren, sollen auf die Verlässlichkeit eines Geschäftsführers oder Vorstandsmitglieds vertrauen können. Dazu haben die Mitgliedstaaten ein System zum grenzüberschreitenden Informationsaustausch über disqualifizierte Geschäftsführer einzurichten, wobei bereits auf Ebene der Gesellschaftsgründung sicherzustellen ist, dass Personen, die in der Vergangenheit bestimmte, näher zu konkretisierende verpönte Handlungen gesetzt haben, nicht als vertretungsbefugte Organe von Kapitalgesellschaften in das Firmenbuch eingetragen werden können. Dabei sind auch zum Ausschluss führende Verurteilungen zu berücksichtigen, die in anderen Mitgliedstaaten erfolgt sind; Disqualifikationen in anderen Mitgliedstaaten müssen jedoch nicht automatisch anerkannt werden.

Dem Gesetzgeber erschien es geboten, auch für bereits als Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder eingetragene Personen, die später disqualifiziert werden, entsprechende Rechtsfolgen vorzusehen. Außerdem wurde die Regelung auch auf Vorstandsmitglieder von Genossenschaften erstreckt, deren Tätigkeit mit jener von Geschäftsführern einer GmbH und Vorstandsmitgliedern einer AG durchaus vergleichbar ist.

Künftig haben die Firmenbuchgerichte daher bei allen Anträgen auf Neueintragung von Amts wegen durch eine Abfrage des Strafregister zu überprüfen, ob Personen, die als vertretungsbefugte Organe eingetragen sind oder werden sollen, die Ausübung dieser Funktion nicht untersagt ist. Um den zusätzlichen Arbeitsaufwand für die Firmenbuchgerichte gering zu halten, wird – unter Berücksichtigung der datenschutzrechtlichen Erfordernisse – eine möglichst weitgehende Automationsunterstützung implementiert.

Auch die zuständigen Behörden anderer Mitgliedstaaten der EU und des EWR müssen die Möglichkeit haben, über das System der Registervernetzung (BRIS) Informationen über eine geltende Disqualifikation oder Umstände anzufordern, die für die Disqualifikation in dem Mitgliedstaat, der die Anfrage erhalten hat, relevant sind; es besteht aber keine Verpflichtung, solche Informationen in jedem Fall anzufordern. Für die Beantwortung solcher Anfragen aus anderen EU- oder EWR-Staaten ist österreichweit das Handelsgericht Wien zuständig, das dabei im Rahmen der Rechtshilfe tätig wird.

Gründe für eine Disqualifikation

Die Mitgliedstaaten sind bei der Festlegung, welche Tatbestände eine Disqualifikation auslösen, grundsätzlich frei. Um ein hohes Maß an Rechtssicherheit zu gewährleisten, wurde die Disqualifikation als Rechtsfolge bestimmter rechtskräftiger, strafgerichtlicher Verurteilungen vorgesehen; sie tritt damit ex lege ein, ohne dass es einer zusätzlichen gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung darüber bedarf.

Um der besonderen Verantwortung der vertretungsbefugten Organe gegenüber Personen, die mit der Gesellschaft interagieren, gerecht zu werden, sind grundsätzlich nur „wirtschaftsnahe“ Delikte relevant. Der Deliktskatalog nimmt darauf Bedacht, dass der Zweck der Geschäftsführer-Disqualifikation primär im Schutz der Allgemeinheit bzw außenstehender Dritter vor einem „ungeeigneten“ Geschäftsführer bzw Vorstandsmitglied zu sehen ist; Vermögensdelikte ohne typischen „Gesellschaftsbezug“ werden daher an sich nicht einbezogen. Allerdings ist auch der Betrug, der zwar fallweise, aber nicht typischerweise von vertretungsbefugten Organen begangen wird, vom Deliktskatalog umfasst, weil bei einer derartigen Verurteilung generell nicht auf eine ordentliche und den Regeln des Wirtschaftslebens entsprechende Geschäftsführung vertraut werden kann.

Strafgerichtliche Verurteilungen führen zudem erst dann zu einer Disqualifikation, wenn sie eine bestimmte Erheblichkeitsschwelle überschreiten. Diese Grenze liegt bei einer Verurteilung zu einer 6 Monate übersteigenden Freiheitsstrafeunabhängig davon, ob diese Strafe unbedingt verhängt oder bedingt nachgesehen wurde. Schließlich würde eine solche Verurteilung wohl auch eine fristlose Beendigung eines allfälligen Dienstverhältnisses rechtfertigen. Dasselbe gilt sinngemäß für derartige – also die Erheblichkeitsschwelle überschreitende – Verurteilungen wegen vergleichbarer Straftatbestände im Ausland. Diese Erheblichkeitsschwelle gilt auch bei gemeinsamer Verurteilung wegen mehrerer strafbarer Handlungen, ohne dass es darauf ankommt, ob die zur Disqualifikation führende Straftat strafsatzbestimmend war. Ist eine Disqualifikation aus spezial- oder generalpräventiven Gründen nicht erforderlich, kann gemäß § 44 Abs 2 StGB die Rechtsfolge der Disqualifikation vom Strafgericht – unabhängig von der Hauptstrafe – bedingt nachgesehen werden.

Inkrafttreten mit 1. 1. 2024

Die Rechtsfolge der Disqualifikation tritt ex lege ein; ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Verurteilung liegt also ein materielles Hindernis für die Bestellung zum Geschäftsführer bzw Vorstandsmitglied oder die weitere Ausübung dieser Funktion vor. Personen, die disqualifiziert sind, dürfen also nicht Geschäftsführer bzw Vorstandsmitglieder werden oder bleiben. Eine disqualifizierte Person, die zum Geschäftsführer bzw Vorstandsmitglied bestellt werden soll, hat dies daher – durch Hinweis auf das Bestellungshindernis – zu verhindern. Ein bereits bestellter Geschäftsführer bzw ein bereits bestelltes Vorstandsmitglied muss seinen Rücktritt erklären.

Ein Verstoß gegen diese Vorschriften bewirkt allerdings nicht, dass die Bestellung zum Geschäftsführer bzw Vorstandsmitglied unwirksam wäre oder würde; daher sind auch Vertretungshandlungen eines an sich disqualifizierten Geschäftsführers bzw Vorstandsmitglieds grundsätzlich wirksam. Die Disqualifikation ist jedoch vom Firmenbuchgericht amtswegig zu beachten und stellt ein Eintragungshindernis dar; ein disqualifizierter Geschäftsführer bzw ein disqualifiziertes Vorstandsmitglied darf daher nicht im Firmenbuch eingetragen werden oder bleiben. Kommt es allerdings dennoch zu einer solchen Eintragung oder wird sie nicht behoben, muss die Gesellschaft die an sich unrichtige bzw unrichtig gewordene Eintragung im Geschäftsverkehr mit Dritten gegen sich gelten lassen (§ 15 Abs 3 UGB).

Die Disqualifikation ist zeitlich mit 3 Jahren befristet. Liegt die Rechtskraft der Verurteilung mehr als 3 Jahre zurück, erlischt die Disqualifikation und die verurteilte Person darf wieder zum Geschäftsführer einer GmbH bzw zum Vorstandsmitglieder einer AG oder einer Genossenschaft bestellt werden.

Die Änderungen treten mit 1. 1. 2024 in Kraft und auf sind auf strafgerichtliche Verurteilungen anzuwenden, deren Rechtskraft nach dem 31. 12. 2023 eingetreten ist.



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