Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz und das Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz geändert werden (Betrugsbekämpfungsgesetz 2025 Teil Sozialabgaben – BBKG 2025 Teil Sozialabgaben); BGBl I 2025/107 vom 29. 12. 2025 (NR 10. 12. 2025, 99/BNR ; AB 335 BlgNR 28. GP ; RV 311 BlgNR 28. GP )
1. Überblick
Das Gesetzespaket zur effizienten Bekämpfung von Sozialbetrug und Scheinunternehmen ist in drei Sammelnovellen aufgesplittet, die die Bereiche Steuern (BGBl I 2025/98), Sozialabgaben (BGBl I 2025/107) und Daten BGBl I 2025/96) betreffen. Die (hier zusammengefassten) Regelungen zum Teil Sozialabgaben sehen ua eine Erweiterung der Auftraggeberhaftung im Baubereich in Fällen der Arbeitskräfteüberlassung sowie eine Erweiterung der sozialversicherungsrechtlichen Auskunftspflichten im ASVG nach dem Vorbild der BAO vor. Für den Fall, dass die Nachverrechnung von Sozialversicherungsbeiträgen mangels Zuordnung zu bestimmten Dienstnehmern nicht möglich ist, wird die Möglichkeit der Vorschreibung einer der Krankenversicherung zweckgewidmeten Prüfungsabgabe in Sozialbetrugsfällen geschaffen.
Die Änderungen treten mit 1. 1. 2026 in Kraft.
2. Ergänzung der sv-rechtlichen Auswirkungen der Scheinunternehmensfeststellung
Scheinunternehmen ist ein Unternehmen, das vorrangig darauf ausgerichtet ist,
- Lohnabgaben, Beiträge zur Sozialversicherung, Zuschläge nach dem BUAG oder Entgeltansprüche von Arbeitnehmern zu verkürzen, oder
- Personen zur Sozialversicherung anzumelden, um Versicherungs-, Sozial- oder sonstige Transferleistungen zu beziehen, obwohl diese keine Erwerbstätigkeit aufnehmen, oder
- Belege zu verfälschen, zu verwenden, herzustellen oder einem anderen Unternehmen zur Verfügung zu stellen, die dazu dienen, einen Geschäftsvorgang vorzutäuschen oder dessen wahren Gehalt zu verschleiern.
Wird die Scheinunternehmerschaft eines Unternehmens festgestellt, wird in den Bescheiden nach § 8 SBBG auch ausgesprochen, ab welchem Zeitpunkt das Unternehmen als Scheinunternehmen zu qualifizieren ist. Dieser Feststellungszeitpunkt liegt in der Regel viele Monate, manchmal sogar ein Jahr vor dem Rechtskraftdatum des Bescheides. Die Vollzugspraxis zeigt, dass der Großteil der betroffenen Personen im Regelfall auch bereits lange vor Rechtskraft des Bescheides über das Vorliegen eines Scheinunternehmens beim Scheinunternehmen gemeldet war. Aufgrund der derzeit geltenden Rechtslage kann der Krankenversicherungsträger jedoch hinsichtlich der Zeit vor Rechtskraft des Bescheides nach § 8 SBBG die betroffenen Versicherten erst nach Führung eines Feststellungsverfahrens im Verwaltungsverfahren aus der Versicherung ausscheiden.
Zur Verringerung des Verwaltungsaufwandes bei der Beseitigung von betrügerisch herbeigeführten Meldungen zur Sozialversicherung wird daher künftig an den im rechtskräftigen Bescheid nach § 8 SBBG festgestellten Zeitpunkt, ab dem ein Unternehmen als Scheinunternehmen gilt, angeknüpft. Das Ende der Pflichtversicherung tritt daher – nach Eintritt der Rechtskraft des Scheinunternehmensbescheids – rückwirkend bereits mit dem im Bescheid nach § 8 SBBG festgesetzten Datum, ab dem das Unternehmen als Scheinunternehmen gilt, ein. (§ 11 Abs 7 ASVG)
Eine entsprechende Regelung ist auch im GSVG hinsichtlich jener Personen vorgesehen, die nach den Feststellungen im rechtskräftigen Bescheid nach § 8 SBBG organschaftliche Vertreter oder Inhaber eines Scheinunternehmens waren. Ihre Pflichtversicherung endet hinsichtlich dieser Funktion nicht erst mit Rechtskraft des Bescheides, sondern – nach Eintritt der Rechtskraft des Scheinunternehmensbescheids – bereits rückwirkend mit dem Ende des Kalendermonats, in den der Zeitpunkt fällt, ab dem das Unternehmen mit rechtskräftigem Bescheid nach § 8 SBBG als Scheinunternehmen gilt oder in dem die Vertretung oder Inhaberstellung eines solchen Unternehmens später übernommen wurde. (§ 7a GSVG)
3. Erweiterung der sv-rechtlichen Auskunftspflichten und Einführung einer Prüfungsabgabe
Nach § 42 Abs 3 ASVG ist der Versicherungsträger berechtigt, die für das Versicherungsverhältnis maßgebenden Umstände aufgrund anderer Ermittlungen oder unter Heranziehung von Daten anderer Versicherungsverhältnisse bei demselben Dienstgeber sowie von Daten gleichartiger oder ähnlicher Betriebe festzustellen, wenn die zur Verfügung stehenden Unterlagen für die Beurteilung nicht ausreichen.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass diese dem Versicherungsträger eingeräumte Feststellungsbefugnis oft nicht ausreicht, festgestellte Sachverhalte bzw bezahlte Entgelte, welche sich aus den Geschäftsbüchern und Aufzeichnungen eines Dienstgebers ergeben, in ausreichendem Maße konkreten als Dienstnehmer tätigen Personen und/oder bestimmten Beitragszeiträumen zuzuordnen. Dies kann darin begründet sein, dass die Identität der tatsächlich tätigen Personen nicht bekannt ist. Die Sachverhaltsermittlungen lassen ohne entsprechende Mitwirkung der Dienstgeber oft keine eindeutige Aufteilung bzw Zuordnung der festgestellten Beitragsgrundlagen auf konkrete gemeldete Versicherte zu.
Die Befugnis nach § 42 Abs 3 ASVG setzt aber nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass eine konkrete Person als Dienstnehmer (oder in einer anderen, die Versicherungspflicht begründenden Weise) für den Dienstgeber (Auftraggeber) tätig gewesen ist und in Bezug auf diese Person die zur Beurteilung des Versicherungsverhältnisses erforderlichen Daten unvollständig sind oder fehlen (vgl VwGH 19. 10. 2005, 2002/08/0273, ARD 5679/14/2006). Die Bestimmung ermächtige den Versicherungsträger demnach nicht, nicht näher feststellbare Beschäftigungsverhältnisse unbekannter Personen durch die Schätzung von deren Zahl und einer Lohnsumme zu substituieren und aufgrund dieser Lohnsumme eine Beitragsnachverrechnung unter der Annahme eines durchgehenden Beschäftigungsverhältnisses vorzunehmen. Soweit der Versicherungsträger nicht in der Lage ist, Beitragsverpflichtungen einem konkreten Beschäftigungsverhältnis zuzuordnen, könne dieses auch im Schätzungswege nicht substituiert werden. In der Prüfpraxis der Krankenversicherungsträger bzw der Finanzverwaltung führt dies bei Feststellung von Schwarzlohnzahlungen an nicht näher bekannte Dienstnehmer zu der Diskrepanz, dass eine Nachverrechnung verkürzter Lohnabgaben im Wege der abgabenrechtlichen Schätzung nach § 184 BAO erfolgt, eine Nachverrechnung der ebenfalls verkürzten Sozialversicherungsbeiträge hingegen unterbleibt.
Durch die Regelungen in einem neuen § 42c ASVG werden daher einerseits die Auskunfts- und Einsichtsrechte des Versicherungsträgers im ASVG in Anlehnung an die BAO erweitert. Während die Auskunftspflicht nach § 143 Abs 1 BAO grundsätzlich „jedermann“ trifft, auch wenn es sich nicht um seine persönliche Abgabepflicht handelt, sind die auskunftspflichtigen Stellen in § 42 Abs 1 ASVG im Einzelnen angeführt. Es werden daher auch im ASVG unter bestimmten Umständen Dritte zur Auskunft verpflichtet, wenn keine (hinreichende) Offenlegung durch die nach § 42 ASVG primär zur Auskunft verpflichteten Dienstgeber erfolgt und sich aus dem bisherigen Verwaltungsverfahren die berechtigte Annahme ergibt, dass diese Dritten über entsprechende Informationen verfügen bzw aufgrund der Lebenserfahrungen verfügen müssen. Die Auskunft durch Dritte ist wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu erteilen. Die Verpflichtung zur Auskunftserteilung schließt die Verbindlichkeit mit ein, Urkunden und andere schriftliche Unterlagen, die für die Sachverhaltsermittlung durch den Versicherungsträger von Bedeutung sind, vorzulegen oder die Einsichtnahme in diese zu gestatten (vgl § 143 Abs 2 BAO).
Andererseits wird in Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Rechtsprechung durch die Vorschreibung einer Prüfungsabgabe eine Möglichkeit eröffnet, verkürzte Beträge auf Basis geschätzter Grundlagen vorzuschreiben, wenn die Nachverrechnung von Sozialversicherungsbeiträgen mangels Zuordnung zu konkreten Versicherungsverhältnissen nicht in Betracht kommt. Die Vorschreibung einer Prüfungsabgabe ist nur subsidiär zu einer Vorgehensweise nach § 42 Abs 3 ASVG vorgesehen und erfolgt in sinngemäßer Anwendung des § 42 Abs 3 ASVG. Damit wird klargestellt, dass – abgesehen von der Feststellung der Identität der Versicherten – die bestehenden materiell- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen einer beitragsrechtlichen Schätzung auch bei Vorschreibung der Prüfungsabgabe zu beachten sind. Die Prüfungsabgabe ist – ähnlich wie die Dienstgeberabgabe nach DAG – als ausschließliche Bundesabgabe ausgestaltet, die von den Krankenversicherungsträgern im übertragenen Wirkungsbereich eingehoben wird und der Finanzierung der Krankenversicherung zweckgewidmet ist.
4. Verhinderung von Anfechtungen im Insolvenzfall gegenüber SV-Trägern
Das in §§ 27 ff der Insolvenzordnung verankerte Anfechtungsrecht stellt sicher, dass bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens getätigte Rechtshandlungen des Insolvenzschuldners rückabgewickelt werden können, um eine Bevorzugung einzelner Gläubiger in zeitlicher Nähe zur Insolvenz zu verhindern. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gläubigergruppen können sich Sozialversicherungsträger die Schuldner nicht aussuchen, sondern haben jede Person, die die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, als Versicherte in die Versicherung aufzunehmen. In dieser Rolle als Pflichtgläubiger bestehen gewisse Ähnlichkeiten mit dem Fiskus im Hinblick auf Steuerschulden. Zudem stehen den Beitragsforderungen des Versicherungsträgers konkrete Leistungsverpflichtungen der SV-Träger gegenüber, die einzelnen Versicherten gegenüber auch unabhängig von der tatsächlichen Einbringlichkeit der Forderung uneingeschränkt aufrecht bleiben.
Es ist dahergeregelt, dass entrichtete Beiträge sowie Sicherheiten und Pfändungspfandrechte, die für Beiträge bestellt oder erworben wurden, nicht nach der Insolvenzordnung angefochten werden können, wenn das Vermögen des Schuldners ausreicht, um zumindest die Anlaufkosten des Insolvenzverfahrens zu finanzieren. Fehlt es an einem solchen Vermögen, ist eine Anfechtbarkeit der entrichteten Beiträge bzw der für diese Beiträge bestellten Pfandrechte oder Sicherheiten bis zum Betrag von € 4.000,- möglich, um so die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sowie die Bestellung eines Insolvenzverwalters zu ermöglichen. (§ 65 Abs 3 ASVG)
5. Erweiterung der Auftraggeberhaftung im Baubereich
Wird die Erbringung von Bauleistungen von einem Unternehmen an ein anderes Unternehmen ganz oder teilweise weitergegeben, so haftet das Auftrag gebende Unternehmen nach der bislang geltenden Rechtslage für alle Beiträge und Umlagen des Auftrag nehmenden Unternehmens bis zu einem Höchstausmaß von 20 % des geleisteten Werklohns.
Nach Wahrnehmung der Vollzugsbehörden handelt es sich bei vielen Subleistungen, die von betrügerisch agierenden Bauunternehmen abgewickelt werden, de facto um verschleierte Arbeitskräfteüberlassungen. Die betrügerisch tätigen Unternehmen würden über keinerlei Infrastruktur verfügen und tatsächlich nur mit der Arbeitsleistung der überlassenen Arbeitskräfte kalkulieren, wenngleich pro forma ein Gewerk verrechnet würde. Die tätigen Dienstnehmer würden zudem mit sehr niedrigen Beitragsgrundlagen angemeldet und ein großer Teil des tatsächlich bezogenen Entgelts „schwarz“ ausbezahlt. Die auflaufenden Beitragsrückstände werden durch die derzeit zu entrichtenden 20 % „aufgesogen“, stellen somit für den Subunternehmer keine Belastung dar und befreien den Auftraggeber zudem vollständig aus der Haftung.
Zur Sicherung des Beitragsvolumens und um den effektiven Anteil der haftungsgegenständlichen Beiträge und Umlagen realitätsnah abzubilden, wird nun die Haftungsgrenze auf 32 % angehoben, wenn die Leistungserbringung in Form einer Arbeitskräfteüberlassung erfolgt. Systemkonform erfordert auch die Haftungsbefreiung des § 67a Abs 3 Z 2 ASVG in Fällen der Arbeitskräfteüberlassung künftig, dass das Auftrag gebende Unternehmen einen Haftungsbetrag im Ausmaß von 32 % an das bei der ÖGK eingerichtete Dienstleistungszentrum überweist. (§ 67 Abs 1 und 3 ASVG)
Hinweis
Korrelierend zur Änderung im ASVG wird auch im EStG 1988 die Auftraggeberhaftung im Baubereich in Fällen der Arbeitskräfteüberlassung erweitert (siehe RV 310 BlgNR 28. GP ).
6. Sonstige Maßnahmen
Desweiteren sieht die Gesetzesnovelle ua noch folgende Maßnahmen vor:
- Aufnahme der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen in die Kooperationsstellen: Gemäß § 3 SBBG obliegt die Sozialbetrugsbekämpfung den in diesem Gesetz aufgezählten Behörden oder Einrichtungen (Kooperations- und Informationsstellen). Durch die Aufnahme der SVS in den Kreis der Kooperationsstellen soll sie in die Lage versetzt werden, zeitnah über die Sozialbetrugsdatenbank die Informationen über Scheinunternehmen zu erhalten und geeignete Maßnahmen zur rückwirkenden Beendigung der einschlägigen Versicherungsverhältnisse nach dem GSVG vornehmen zu können.
- Klarstellung eines Verdachtsanhaltspunktes in Bezug auf das Vorliegen von Scheinunternehmen: Nach dem BFG sollen nicht bloß geringe Rückstände an SV-Beiträgen für Dienstnehmer nur dann einen Anhaltspunkt für das Vorliegen eines Scheinunternehmens bilden, wenn gleichzeitig auch Anmeldungen zur Sozialversicherung vorgenommen werden. Bloß laufend steigende Beitragsrückstände werden hingegen – soweit eine weitere Anmeldung zur Sozialversicherung nicht erfolgt – nicht berücksichtigt. Dies steht im Widerspruch zum Einleitungsteil des § 8 Abs 3 SBBG, wonach die Aufzählung von Anhaltspunkten für das Vorliegen eines Scheinunternehmens lediglich demonstrativ ist. Daher entfällt die Wortfolge „im Zeitpunkt einer Anmeldung des/der Dienstnehmers/Dienstnehmerin zur Sozialversicherung“. Die Beschreibung des Anhaltspunktes wird weiters insofern verändert, als klargestellt wird, dass auch maßgebliche Rückstände von BUAG-Beiträgen und Lohnsteuer für die Beurteilung herangezogen werden. Wie bisher handelt es sich lediglich um einen Anhaltspunkt, der nach § 8 Abs 2 SBBG in einer Gesamtbetrachtung zu würdigen ist.
- Schaffung einer fakultativen Beschwerdevorentscheidung: Die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung hat abweichend von § 262 Abs 2 BAO zu unterbleiben, wenn das Amt für Betrugsbekämpfung die Beschwerde innerhalb von 3 Monaten ab ihrem Einlangen dem Verwaltungsgericht vorlegt.
- Klarstellung der Unentgeltlichkeit des „Freezingvorgangs“ (bei gleichzeitig möglicher Abbuchung der laufenden Kontoführungskosten) gegenüber der Finanzverwaltung sowie Vereinheitlichung des Zustellvorgangs mit Zustellungen beim Verfahren zur Feststellung von Scheinunternehmen
