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A. Auslegungsgrundsätze (Koller)

Koller1. AuflJuli 2011

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Die Auslegung von Schiedsvereinbarungen richtet sich – trotz ihrer prozessrechtlichen Natur – nach bürgerlichrechtlichen Grundsätzen.776776Vgl etwa Oberhammer, FS Beys 1154; für einen Überblick über die vor allem in der älteren Lehre vertretenen gegenteiligen Ansichten s Koller, Aufrechnung 19 ff; Schneider, Auslegung 228 ff; Zeiler § 581 Rz 42 ff. Das von einer streng publizistischen Betrachtungsweise aufgestellte Verbot, den inneren Willen der Parteien über den äußeren Erklärungswert hinausgehend zu beachten, scheint daher überholt. Auch die hRsp wendet die Auslegungsregeln des ABGB analog auf die Auslegung von Schiedvereinbarungen an – soweit die Vorschriften des Prozessrechts nicht ausreichen; vgl etwa OGH 4 Ob 331/69, ÖBl 1970, 29; 5 Ob 221/75, JBl 1976, 377; 4 Ob 533/95, SZ 68/112 = ecolex 1995, 712 (Feyl) = RdW 1995, 465; 4 Ob 37/01x, ecolex 2001/350 (Reich-Rohrwig/Karollus-Bruner); 7 Ob 67/01 f, JBl 2002, 50; 3 Ob 281/06d, ZfRV 2007/10. Die Ermittlung des Parteiwillens hat sich daher zunächst am Wortlaut der Vereinbarung zu orientieren, wobei der dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechende Wortsinn den Ausgangspunkt bildet.777777 Zeiler § 581 Rz 53. In der Rsp wird zum Teil auf den Wortlaut – bzw äußersten Wortsinn – als Grenze der Auslegung abgestellt.778778OGH 7 Ob 631/82; 2 Ob 529/87; 6 Ob 658/87; 7 Ob 310/02t, RdW 2003/320; ähnlich auch die Jud zu Gerichtsstandsvereinbarungen vgl OGH 3 Ob 278/57, EvBl 1957/386; s auch Simotta in Fasching2 § 104 JN Rz 10 mwN. Dies gilt jedoch nach allgemeinen Auslegungsregeln nur für die einfache Vertragsauslegung, nicht hingegen für die ergänzende.779779Vgl allg Koziol/Welser, Bürgerliches Recht13 I 108; Binder in Schwimann3 IV § 914 ABGB Rz 23; Rummel in Rummel3 § 914 ABGB Rz 4 f. Bei näherer Betrachtung dieser Entscheidungen zeigt sich, dass eine Beschränkung auf den Wortlaut aus dem für Schiedsvereinbarungen geltenden Formgebot abgeleitet wird.780780Anschaulich dazu OGH 2 Ob 529/87: „Das Erfordernis der Schriftlichkeit des Schiedsvertrages (§ 577 Abs 3 ZPO) schließt eine im Widerspruch zum Wortlaut der schriftlichen Vereinbarung stehende Auslegung aus.“ Im Anschluss daran Hausmaninger in Fasching/Konecny2 § 581 ZPO Rz 185. Diese – ohnehin nur teilweise vertretene – Auffassung ist jedoch insofern überholt, als es für die Auslegung formpflichtiger Rechtsgeschäfte im Allgemeinen zutreffend abgelehnt wird, die verfügbaren Auslegungsmittel oder den Auslegungsgegenstand zu beschränken.781781Vgl nur OGH 9 ObA 57/04d, RdW 2004/566; 1 Ob 213/03k, SZ 2003/156 = JBl 2004, 508; P. Bydlinski in KBB2, § 886 Rz 2 aE; Dehn, Formnichtige Rechtsgeschäfte 141; Fremuth-Wolf, Schiedsvereinbarung 76; Haas/Oberhammer, FS Schmidt 507. Es ist mithin zuerst unter Berücksichtigung aller Umstände der Inhalt der Vereinbarung zu ermitteln und in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ein Formzweck die Verlautbarung der Erklärung in der Urkunde erfordert.782782 Haas/Oberhammer, FS Schmidt 507. Nach hRsp gilt für formpflichtige Rechtsgeschäfte

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– und somit auch für Schiedsvereinbarungen – die Andeutungstheorie, nach welcher in der Urkunde soviel andeutungsweise enthalten sein muss, dass der Formzweck erfüllt ist.783783Instruktiv S. Haas, ÖBA 2001, 880 f; OGH 1 Ob 213/03k, SZ 2003/156 = JBl 2004, 508. Demnach wird die Auslegung von Schiedsvereinbarungen nach dem Parteiwillen nicht durch das Formgebot nach § 583 ZPO beschränkt. Die Reichweite der Formvorschrift erstreckt sich lediglich auf den Mindestinhalt der Schiedsvereinbarung. Folgt man der Andeutungstheorie, so wäre der Formvorschrift nur dann Genüge getan, wenn die Parteien, die Bezeichnung des Streitfalles oder des bestimmten Rechtsverhältnisses – aus dem zukünftige Streitigkeiten resultieren können – sowie die Vereinbarung, dass die Streitentscheidung durch einen Schiedsrichter oder ein Schiedsgericht erfolgen soll, in der Urkunde angedeutet sind.784784 Haas/Oberhammer, FS Schmidt 507; Zeiler § 581 Rz 54. Der Andeutungstheorie kommt daher weniger bei der Auslegung der Schiedsvereinbarung als bei der Prüfung der Formwirksamkeit Bedeutung zu; vgl Koller, Aufrechnung 25.

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