Sonderwochengeld-Gesetz

GesetzgebungPersonalrechtSabaraJuli 2024

Beseitigung der sogenannten Wochengeldfalle; Schaffung eines Sonderwochengeldes für den Fall, dass zum Zeitpunkt des Eintritts des Beschäftigungsverbots eine Karenz vorliegt und kein Anspruch auf Wochengeld besteht, ein solcher Anspruch aber bestünde, würde keine Karenz vorliegen

Inkrafttreten

1.9.2022

Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Gesetz

Letzte Änderung

4.7.2024

Betroffene Normen

ASVG, B-KUVG, BMSVG, FLAG, KBGG, LAG, MSchG, VKG

Betroffene Rechtsgebiete

 

Quelle

BGBl I 2024/64

Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Kinderbetreuungsgeldgesetz, das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Mutterschutzgesetz, das Väter-Karenzgesetz, das Landarbeitsgesetz und das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz geändert werden (Sonderwochengeld-Gesetz); BGBl I 2024/64 vom 4. 7. 2024, (958/BNR BlgNR 27. GP ; AB 2587 BlgNR 27. GP ; 2553 BlgNR 27. GP )

1. Überblick – Reparatur der Wochengeldfalle

Unselbstständig erwerbstätige Personen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, haben vor und nach einer Geburt Anspruch auf Wochengeld als Leistung der Krankenversicherung. Auch Personen, die Kinderbetreuungsgeld beziehen, sind in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert und haben Anspruch auf Wochengeld. Die Dauer des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld ist nicht an die Dauer der Karenz gekoppelt. Häufig wird aus finanziellen Überlegungen der einjährige Bezug des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes gewählt, aber dennoch eine längere Zeit der Karenz in Anspruch genommen. Tritt der Versicherungsfall der Mutterschaft (idR 8 Wochen vor dem voraussichtlichen Geburtstermin) während der Karenz, aber nach dem Auslaufen der gewählten Bezugsdauer des Kinderbetreuungsgeldes ein, so liegt keine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung aufgrund der karenzierten Beschäftigung vor. Aus diesem Grund besteht nach bisheriger Rechtslage kein Anspruch auf Wochengeld (sogenannte „Wochengeldfalle“).

Der OGH hat ausgesprochen, dass diese Rechtslage dem Unionsrecht widerspricht (vgl OGH 30. 8. 2022, 8 ObA 42/22t, ARD 6845/5/2023). Das Recht auf Mutterschutzurlaub iSd Mutterschutz-RL 92/85/EWG – und insbesondere auch die in diesem Zusammenhang gebührende Geldleistung – darf nicht durch die Inanspruchnahme eines Elternurlaubes beeinträchtigt werden.

Aus diesem Grund wurde nun ein Sonderwochengeld für die betroffene Personengruppe geschaffen. Dessen Einführung erfordert auch Anpassungen im KBGG, im FLAG, im MSchG, im VKG, im LAG und im BMSVG. Im Folgenden werden die wesentlichen geplanten Änderungen kurz dargestellt.

2. Sonderwochengeld – Änderungen im ASVG

2.1. Änderungen beim regulären Wochengeld

Die Einführung eines Sonderwochengeldes macht Änderungen im Bereich des regulären Wochengeldes notwendig, um ungerechtfertigte Ungleichheiten zu vermeiden. Konkret soll in zwei Konstellationen ein Günstigkeitsvergleich durchgeführt werden (§ 162 Abs 3b ASVG). Es gebührt in diesen Konstellationen ein Wochengeld in Höhe des fiktiv zu ermittelnden Sonderwochengeldes, sofern das fiktive Sonderwochengeld für die versicherte Person günstiger ist, dh wenn dieses höher als das regulär ermittelte Wochengeld ist. Zur Berechnung des fiktiven Sonderwochengeldes wird der Arbeitsverdienst vor dem letzten Wochengeldbezug oder, sollte das vorangegangene Kind adoptiert oder in Pflege genommen worden sein, der Arbeitsverdienst vor Beginn der Karenz (des ersten Karenzteils) nach dem MSchG herangezogen.

Der erste Anwendungsfall liegt vor, wenn der Versicherungsfall der Mutterschaft binnen 13 Wochen oder 3 Monaten nach Ende der Karenz eintritt. Da der Arbeitsverdienst der 13 Wochen oder 3 Monate vor Eintritt des Versicherungsfalls zur Berechnung des Wochengeldes herangezogen wird, kann es in diesen Fällen zu einer niedrigen Bemessungsgrundlage und einem dementsprechend niedrigen Wochengeld kommen. Um die Schlechterstellung tatsächlich pflichtversicherter Personen zu vermeiden, ist der Günstigkeitsvergleich durchzuführen.

Der zweite Anwendungsfall liegt vor, wenn eine Person nach dem Ende der Bezugsdauer des Kinderbetreuungsgeldes nicht in Karenz bleibt, sondern die Arbeitszeit herabsetzt („Teilzeit“). Ein neuerliches Wochengeld wird anhand des aufgrund der herabgesetzten Arbeitszeit verringerten Entgelts bemessen. Um die Schlechterstellung von Personen, die eine kürzere Karenzdauer wählen, zu vermeiden, ist der Günstigkeitsvergleich durchzuführen, wenn der Versicherungsfall vor dem Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes (längstmöglicher gesetzlicher Karenzanspruch) eintritt.

2.2. Sonderwochengeld: Voraussetzungen, Bezugsdauer und Höhe

Voraussetzung für den Bezug des neuen Sonderwochengeldes ist gemäß dem neuen § 163 ASVG, dass zum Zeitpunkt des Eintritts des individuellen oder des absoluten Beschäftigungsverbots eine Karenz nach §§ 15, 15b15d oder 15q MSchG oder vergleichbaren österreichischen Rechtsvorschriften (zB Landarbeitsgesetz 2021) vorliegt und kein Anspruch auf Wochengeld besteht, ein solcher Anspruch aber bestünde, würde keine Karenz vorliegen.

Das Sonderwochengeld gebührt in den letzten 8 Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung, für den Tag der Entbindung und für die ersten 8 Wochen nach der Entbindung (bei Frühgeburten, Mehrlingsgeburten oder Kaiserschnittentbindungen: 12 Wochen nach der Entbindung). Erfolgt die Geburt nicht zum errechneten Zeitpunkt, so gelten die gleichen Regeln wie beim regulären Wochengeld. Im Falle eines fach-, arbeitsinspektions- oder amtsärztlichen Zeugnisses, das nachweist, dass das Leben oder die Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung oder Aufnahme einer Beschäftigung gefährdet wäre (§ 120 Abs 3 zweiter Satz ASVG), liegt im Zeitraum nach der Karenz ein individuelles Beschäftigungsverbot vor. Auch in diesem Zeitraum (dh nach dem Ende der Karenz) gebührt Sonderwochengeld.

Das Sonderwochengeld gebührt in Höhe des erhöhten Krankengeldes nach § 141 Abs 2 ASVG, wobei als Bemessungsgrundlage jener Arbeitsverdienst heranzuziehen ist, der dem Ende des letzten Entgeltanspruchs vorausgegangen ist. Liegt dieser Arbeitsverdienst gänzlich in einem vergangenen Kalenderjahr, so wird er valorisiert.

Um die Personengruppe der ehemals Selbstversicherten nach § 19a ASVG vom Anspruch auf Sonderwochengeld nicht auszuschließen, wird eine Sonderregel getroffen. Für ehemals Selbstversicherte gilt der in § 141 Abs 5 ASVG festgelegte Betrag als Höhe des Sonderwochengeldes.

2.3. Teilversicherung

Während des Bezugs von Sonderwochengeld besteht gemäß § 8 Abs 1 lit h ASVG eine Teilversicherung in der Krankenversicherung, um die Sachleistungsversorgung sicherzustellen. Diese beginnt gemäß § 10 Abs 6a ASVG mit jenem Tag, ab dem Sonderwochengeld gebührt. Da bereits vor Beginn der Teilversicherung ein individuelles Beschäftigungsverbot bestanden haben könnte („Eintritt des Versicherungsfalles“), ist ausdrücklich normiert, dass die Sachleistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft ab Beginn der Teilversicherung dennoch gewährt werden. Die Beiträge zur Teilversicherung werden durch den FLAF entrichtet.

Ebenso wie Personen, die Wochengeld beziehen, sind auch die Sonderwochengeldbezieherinnen während des Bezugs in der Pensionsversicherung teilversichert. Beitragsgrundlage ist das 30-Fache des täglichen Sonderwochengeldes. (§ 8 Abs 1 Z 2 lit a, § 10 Abs 6b Z 1 und § 44 Abs 1 Z 12 ASVG)

2.4. Inkrafttreten

Die mit dem Sonderwochengeld in Zusammenhang stehenden Bestimmungen treten rückwirkend mit 1. 9. 2022, dem Monatsersten nach Ergehen der OGH-Entscheidung 8 ObA 42/22t in Kraft. Sonderwochengeld gebührt, wenn das (individuelle oder absolute) Beschäftigungsverbot frühestens am 1. 9. 2022 eintrat. Trat das Beschäftigungsverbot vor Kundmachung des Gesetzes ein, so kann die betroffene Person bis 30. 6. 2025 einen Antrag auf Sonderwochengeld oder auf Nachbemessung des Wochengeldes aufgrund des Günstigkeitsvergleichs stellen. Spätere Anträge sind nicht mehr zulässig.

Wurde in Zeiträumen, für die aufgrund des rückwirkenden Inkrafttretens der Bestimmungen zum Sonderwochengeld nunmehr ein Anspruch auf Sonderwochengeld bestehet, Entgelt durch den Dienstgeber fortgezahlt, so gebührt in diesen Zeiträumen kein Sonderwochengeld. Dies betrifft aber nur Einzelfälle.

3. Anpassungen beim Kinderbetreuungsgeld

Im Hinblick auf die Einführung des Sonderwochengeldes sind auch Anpassungen im Bereich des KBGG erforderlich. Wie dies bereits für das Wochengeld und diesem vergleichbaren Leistungen vorgesehen ist, ruht der Bezug des Kinderbetreuungsgeldes auch dann, wenn ein Anspruch auf Sonderwochengeld nach § 163 ASVG besteht, und zwar in der Höhe des gebührenden Sonderwochengeldes (§ 6 Abs 1 KBGG). Damit wird eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung vermieden.

Im Zuge der Einführung des Sonderwochengeldes ist eine Klarstellung bei der Berechnung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes erforderlich. Da das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld das Ziel hat, erwerbstätigen und besserverdienenden Eltern für kurze berufliche Auszeiten einen teilweisen Einkommensersatz zu gewähren und so den raschen Wiedereinstieg zu fördern, ist es zwingend erforderlich, das Sonderwochengeld nicht als Bemessungsgrundlage für die Höhe des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens heranzuziehen, um eine sachlich nicht gerechtfertigte schlechtere Behandlung von erwerbsorientierten Müttern zu vermeiden (§ 24a Abs 1a KBGG).

Auch die Änderungen im KBGG treten rückwirkend mit 1. 9. 2022 in Kraft.

4. Anpassungen im MSchG und VKG

Die im Folgenden skizzierten Änderungen im MSchG und VKG treten mit 5. 7. 2024 in Kraft:

4.1. Vorlage eines Freistellungszeugnisses während der Karenz

Arbeitsrechtlich wird das individuelle Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs 3 MSchG erst durch Vorlage gegenüber dem Dienstgeber wirksam. Während der Karenz ist ein individuelles Beschäftigungsverbot arbeitsrechtlich nicht möglich und entfaltet keine Wirkung. Eine Gefährdung „bei Fortdauer der Beschäftigung“ liegt nicht vor, da die Dienstnehmerin im karenzierten Dienstverhältnis keine Arbeitsleistung schuldet.

Zur Klarstellung ist nun in § 3 Abs Abs 3a MSchG geregelt, wann das Beschäftigungsverbot bei Vorlage eines Freistellungszeugnisses während einer Karenz eintritt. Das Beschäftigungsverbot tritt arbeitsrechtlich erst durch Vorlage und mit dem Ende der Karenz ein. Dies gilt unabhängig davon, ob das Zeugnis bereits während der Karenz oder am ersten Arbeitstag nach der Karenz dem Dienstgeber vorgelegt wird.

Hinweis
Geht die Dienstnehmerin einer Beschäftigung nach § 15e MSchG während ihrer Karenz nach, so tritt ein individuelles Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 3 MSchG weiterhin sofort mit Vorlage ein, da dieses ein vom karenzierten Arbeitsverhältnis unabhängiges Arbeitsverhältnis darstellt, das nicht karenziert ist, bei dem daher eine Fortdauer der Beschäftigung möglich ist und für das die weitere Beschäftigung verboten ist.

4.2. Weiterzahlung des Arbeitsentgelts

Um eine Entgeltfortzahlung und einen zeitgleichen Bezug von Sonderwochengeld auszuschließen, wurden auch die Zeiten, während derer Sonderwochengeld bezogen werden kann, in § 14 Abs 3 MSchG aufgenommen. Der Anspruch auf Weiterzahlung des Entgelts nach § 14 Abs 1 und Abs 2 MSchG besteht demnach nicht für Zeiten, während derer Wochengeld, Sonderwochengeld oder Krankengeld nach dem ASVG bezogen werden kann.

Außerdem sind die Zeiten, in denen Sonderwochengeld bezogen wurde, gemäß § 14 Abs 4 MSchG beim arbeitsrechtlichen Anspruch auf die sonstigen, insbesondere einmaligen Bezüge nicht zu berücksichtigen.

4.3. Freistellungszeugnis – kein vorzeitiges Ende der Karenz

Ein neuer § 15f Abs 4a MSchG sieht vor, dass ein vorzeitiges Ende der Karenz nicht vereinbart werden kann, wenn der Dienstnehmerin bereits ein Freistellungszeugnis nach § 3 Abs 3 MSchG ausgestellt wurde und sie nach dem Ende der Karenz bei Vorlage des Zeugnisses nicht beschäftigt werden dürfte. Die Dienstnehmerin hat in der Vereinbarung schriftlich zu bestätigen, dass ihr kein Freistellungszeugnis nach § 3 Abs 3 MSchG ausgestellt wurde.

Sollte daher die Dienstnehmerin das Zeugnis nach § 3 Abs 3 MSchG ihrem Dienstgeber nicht vorlegen und ein vorzeitiges Ende der Karenz vereinbaren, um im Anschluss das Zeugnis vorzulegen, wird die Vereinbarung rückwirkend unwirksam. Sollte der Dienstnehmerin ein zeitlich befristetes Freistellungszeugnis ausgestellt worden sein, muss sie bis zum Ablauf der Befristung abwarten, bis sie ein vorzeitiges Ende der Karenz vereinbaren kann.

4.4. Gleichgeschlechtliche Beziehung

Sind die Eltern in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung, hat nach dem MSchG die entbindende Mutter einen Anspruch auf Elternkarenz. Nach § 1 Abs 1a VKG hat der andere Elternteil einen Karenzanspruch nach §§ 2 ff VKG. Wird nun dieser andere Elternteil schwanger und wird ihm ein Freistellungszeugnis nach § 3 Abs 3 MSchG ausgestellt, soll auch in diesem Fall Sozialmissbrauch vermieden werden. § 7c VKG regelt daher, dass für Vereinbarungen über ein vorzeitiges Ende der Karenz § 15f Abs 4a MSchG für Elternteile nach § 1 Abs 1a VKG anzuwenden ist.

5. Begleitung von Kindern bei Rehabilitationsaufenthalt

Mit BGBl I 2023/85, ARD 6859/10/2023, wurde in einem neuen § 14e AVRAG ein Anspruch auf Freistellung von der Arbeitsleistung gegen Entfall des Entgelts zum Zweck der notwendigen Begleitung eines Kindes bei einem Rehabilitationsaufenthalt geschaffen. Ebenso wie Zeiten der Freistellung oder der Herabsetzung der Arbeitszeit zur Sterbebegleitung, zur Begleitung schwersterkrankter Kindern und zur Pflege naher Angehöriger, bleiben auch diese Zeiten bei der Berechnung des Wochengeldes außer Betracht (§ 162 Abs 3 lit c ASVG). Diese Bestimmung tritt rückwirkend mit 1. 11. 2023 in Kraft.



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