Bundesgesetz, mit dem das Bundesbehindertengesetz und das Behinderteneinstellungsgesetz geändert werden; BGBl I 2024/98 vom 18. 7. 2024 (AA-412 BlgNR 27. GP , AB 2698 BlgNR 27. GP , 4116/A BlgNR 27. GP )
1. Überblick
Das gegenständliche Bundesgesetz, das eine Novellierung des Bundesbehindertengesetzes und des Behinderteneinstellungsgesetzes zum Inhalt hat, soll verschiedene Verbesserungen für Menschen mit Behinderung bringen. Er sieht ua vor, die Behindertenanwaltschaft und den Bundesbehindertenbeirat zu stärken. Im BEinstG ist ua vorgesehen, dass Unternehmen mit mindestens 400 Beschäftigten zur Bestellung eines Barrierefreiheitsbeauftragten verpflichtet werden. Das BEinstG wird außerdem an die Weiterentwicklung der Integrativen Betriebe angepasst und wird klargestellt, dass der Behindertenpass nicht als Nachweis über die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gilt. Die Änderungen traten überwiegend mit 19. 7. 2024 in Kraft, die Pflicht großer Unternehmen zur Bestellung eines Barrierefreiheitsbeauftragten mit 1. 1. 2025.
Im Folgenden werden die wesentlichsten Änderungen – insbesondere das BEinstG betreffend – kurz zusammengefasst:
2. Änderungen im BEinstG
2.1. Anpassung an die Weiterentwicklung der Integrativen Betriebe
Die Bestimmungen des Behinderteneinstellungsgesetzes werden an die Weiterentwicklung der Integrativen Betriebe angepasst. Dies beinhaltet insbesondere folgende Punkte:
- Der Ausgleichstaxfonds muss nach § 10 Abs 7 lit b BEinstG in Zukunft bei Gewährung einer Förderung an einen Integrativen Betrieb ab einem Betrag von € 150.000,- angehört werden.
- In § 11 Abs 1 BEinstG wird insbesondere die Qualifizierung von Menschen mit Behinderungen in Integrativen Betrieben betreffend, eine Klarstellung zur Personengruppe aufgenommen. Im Gesetzestext wird nachvollzogen, dass nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch Ausbildungsplätze bereitgestellt werden. Außerdem erfolgt eine Klarstellung, dass auch die Personengruppe gemäß § 10a Abs 2 lit a und b BEinstG mit umfasst ist (dh: österreichische Staatsbürger oder diesen gleichgestellte Menschen mit Behinderung, deren Grad der Behinderung mindestens 30 vH beträgt und nicht österreichische Staatsbürger oder diesen gleichgestellte Menschen mit Behinderung, deren Grad der Behinderung mindestens 50 vH beträgt).
- In § 11 Abs 2 BEinstG wird künftig auf die Entwicklung, Erhöhung und Wiedergewinnung der Vermittlungsfähigkeit statt der Leistungsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen abgezielt, da dies ein umfassenderer Begriff als Leistungsfähigkeit ist. Zudem erfolgt eine Definition der Zielsetzung der Qualifizierung aus Abs 1 und eine weitere Konkretisierung der beiden Bereiche Beschäftigung und Qualifizierung.
- Weiters wird in § 11 Abs 3 BEinstG die bestehende Regelung der Richtlinienerlassung an die langjährige Praxis angepasst, wonach die Erlassung von Richtlinien nach Anhörung des Ausgleichstaxfondsbeirates erfolgt, wobei die Anzahl der vom Ausgleichstaxfonds förderbaren Arbeits- und Ausbildungsplätze auch Gegenstand dieser Anhörung ist.
- Zum produktiven Bereich wuchs der Dienstleistungsbereich in den Integrativen Betrieben an, sodass die Mindestwertschöpfung als kein geeigneter Parameter mehr erscheint und in § 11 Abs 4 lit g BEinstG durch wirtschaftliche Mindestleistungsfähigkeit ersetzt wird, da im Dienstleistungsbereich die Wertschöpfung generell niedrig ist. Eine Konkretisierung wird in den gemäß § 11 Abs 3 BEinstG zu erlassenden Richtlinien vorgenommen.
- In § 11 Abs 8 BEinstG erfolgt die Klarstellung, dass die von Integrativen Betrieben als gemäß §§ 34 ff BAO abgabenrechtlich begünstigte Rechtsträger unterhaltene wirtschaftliche Geschäftsbetriebe als unentbehrliche Hilfsbetriebe iSd § 45 Abs 2 BAO zu behandeln sind, wenn die begünstigten Zwecke im Hinblick auf die Konzeption der Integrativen Betriebe nicht anders als durch den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb erreichbar sind. Die Integrativen Betriebe sind aufgrund gesetzlicher und richtlinienmäßiger Vorgaben als Wirtschaftsbetriebe konzipiert, mit denen die sozialen Zielsetzungen der Integrativen Betriebe, nämlich Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen und zu qualifizieren, umgesetzt werden. Sie werden in der Rechtsform einer GmbH nach kaufmännischen Grundsätzen geführt, die in § 11 Abs 1 BEinstG genannten Rechtsträger sind Gesellschafter dieser GmbH. Die Integrativen Betriebe sind in baulicher, personeller und organisatorischer Hinsicht so aufgestellt, dass eine wirtschaftliche Führung sichergestellt ist. Im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit stellen die Integrativen Betriebe Produkte her und bieten Dienstleistungen an. Jeder Integrative Betrieb ist in mehreren Geschäftsfeldern tätig – dies ist notwendig, um den Menschen mit Behinderungen eine ihren Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechende Arbeit sowie eine größtmögliche Bandbreite von Qualifizierungsmöglichkeiten bereitstellen zu können. Nach diesem Konzept ist das wirtschaftliche Handeln der Integrativen Betriebe eine unabdingbare Voraussetzung im Sinne eines unentbehrlichen Hilfsbetriebs, um den Zweck der Integrativen Betriebe zu erreichen, der in der Beschäftigung und Qualifizierung von Menschen mit Behinderungen besteht. Dieser wirtschaftliche Geschäftsbetrieb zur Zweckerreichung schließt auch die erforderliche Beschäftigung von Menschen ohne Behinderungen in dem Ausmaß, das in den gemäß § 11 Abs 3 BEinstG zu erlassenden Richtlinien festgelegt ist, mit ein.
2.2. Behindertenpass kein Nachweis über die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten
Vor dem Hintergrund divergierender Entscheidungen der Höchstgerichte (vgl OGH 25. 1. 2023, ARD 6851/5/2023, und VwGH 4. 4. 2016, Ra 2016/11/0016) erfolgen Klarstellungen in Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten und Behindertenpassinhaber sowie der Einschätzung des Grades der Behinderung im Lichte von Erfahrungen aus der Praxis. § 14 Abs 1 BEinstG wird um den Satz ergänzt, dass der Behindertenpass iSd § 40 BBG nicht als Nachweis über die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gilt.
2.3. Kenntniserlangung über Art und Ausmaß der Behinderung
Vor Aufnahme in einen Integrativen Betrieb von Menschen mit Behinderungen hat sich das Sozialministeriumservice nach Maßgabe des § 14 Abs 7 BEinstG über die Art und das Ausmaß der Behinderung Kenntnis zu verschaffen. Da es in der Praxis zu Unklarheiten gekommen ist, auf welchem Wege sich das Sozialministeriumservice darüber Kenntnis zu verschaffen hat, wird nun redaktionell klargestellt, dass hiefür wie bisher eine schriftliche Stellungnahme des ärztlichen Dienstes im Sozialministeriumservice ausreichend ist. Die Stellungnahme hat auf der Grundlage der vorliegenden Unterlagen und Befunde eine voraussichtliche wahrscheinliche Einschätzung des Grades der Behinderung zu enthalten.
2.4. Verarbeitung unternehmensbezogener Daten
Zur Verarbeitung von unternehmensbezogenen Daten zum Zweck der Beratung und Sensibilisierung von Unternehmen ist eine gesetzliche Grundlage erforderlich, da juristische Personen vom Schutzbereich des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grundrechtes auf Datenschutz gemäß § 1 Datenschutzgesetz erfasst sind. In diesem Sinne wird gesetzlich klargestellt, dass das BMSGPK und das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zur Erfüllung der gesetzlich übertragenen Aufgaben zum Zweck der Beratung und Sensibilisierung im Sinne der Förderung der beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zur Verarbeitung von unternehmensbezogenen Daten gemäß § 22 Abs 4 Z 5 BEinstG (Firmenname, Firmensitz, Branchenzugehörigkeit, Angaben zu beschäftigten begünstigen Behinderten etc) ermächtigt ist.
Weiters wird klargestellt, dass das BMSGPK und das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen personenbezogene Daten, die in Zusammenhang mit der Gewährung von Fördermaßnahmen und Unterstützungsmaßnahmen stehen, für statistische Auswertungen verwenden können.
2.5. Einrichtung von Barrierefreiheitsbeauftragten
Die Einrichtung von Barrierefreiheitsbeauftragten – innerhalb und außerhalb der Bundesverwaltung – soll in Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu einer Stärkung der Barrierefreiheit in der Bundesverwaltung sowie in großen Unternehmen führen.
Ein neuer § 22c BEinstG enthält eine Verpflichtung zur Errichtung von Barrierefreiheitsbeauftragten im öffentlichen Dienst. Diese sind berufen, sich innerhalb ihrer Organisation mit Fragen der umfassenden Barrierefreiheit – einschließlich der Vornahme angemessener Vorkehrungen – für Bedienstete sowie externe Personen zu befassen. Es ist möglich, mehrere Barrierefreiheitsbeauftragte zu bestellen, die jeweils für bestimmte fachliche oder örtliche Bereiche, wie zB für Gebäude von nachgeordneten Dienststellen, zuständig sind. Dies entspricht auch der gängigen Praxis, wonach es beispielsweise Barrierefreiheitsbeauftragte für den baulichen Bereich oder den Bereich IKT gibt.
Um die Umsetzung der Barrierefreiheit für Mitarbeiter sowie für Kunden auch außerhalb der Bundesverwaltung zu fördern, bestimmt § 22h BEinstG, dass die verpflichtende Einrichtung von Barrierefreiheitsbeauftragten ab 1. 1. 2025 auch für Unternehmen gilt, die über 400 Arbeitnehmer beschäftigten. Der Schwellenwert orientiert sich an der Ausgleichstaxe gemäß § 9 Abs 2 BEinstG.
Zu den Aufgaben der Barrierefreiheitsbeauftragten gehört ua das Aufzeigen von Missständen, das Einbringen von Veränderungsvorschlägen, der Austausch mit den jeweiligen Behindertenvertrauenspersonen und die Zusammenarbeit mit den Personen, die für die Umsetzung der Barrierefreiheit zuständig sind, sowie mit Experten in den Behindertenorganisationen (§ 22d BEinstG). Die Dienstgeber haben sie in die Planungsprozesse aller relevanten Maßnahmen einzubeziehen. Die Zuständigkeit umfasst nicht nur die bauliche Barrierefreiheit, sondern auch alle anderen für die Barrierefreiheit wesentlichen Bereiche, wie Information und Kommunikationstechnologie, EDV-Ausstattung, Gestaltung des ELAK, Informationen in leichter Sprache, Blindenleitsysteme, Induktionsanlagen, Gebärdensprachdolmetscher etc.
Die Bestellung zum Barrierefreiheitsbeauftragten bzw dessen Stellvertreter erfolgt für 5 Jahre und bedarf der Zustimmung der betreffenden Person; Wiederbestellungen sind zulässig. Die Tätigkeit ist ehrenamtlich neben den Berufspflichten und möglichst ohne Beeinträchtigung des Dienstbetriebes auszuüben, dabei ist auf die zusätzliche Belastung aus dieser Tätigkeit Rücksicht zu nehmen. Den Barrierefreiheitsbeauftragten steht unter Fortzahlung ihrer Bezüge die zur Erfüllung ihrer Aufgaben sowie die für die erforderliche Aus-, Weiter- und Fortbildung notwendige freie Zeit zu (§ 22f BEinstG). Sie unterliegen im Hinblick auf alle ihnen ausschließlich in Ausübung ihres Amtes bekannt gewordenen Dienst- und Betriebsgeheimnisse ausdrücklich einer Verschwiegenheitsverpflichtung (§ 22f BEinstG).
3. Änderungen im Bundesbehindertengesetz – BBG
Im Bundesbehindertenbeirat soll künftig nicht nur das Sozialministerium, sondern die gesamte Regierung beraten und in sämtlichen Belangen, die Menschen mit Behinderung betreffen, gehört werden. Vor diesem Hintergrund soll auch die Zahl der Beiratsmitglieder aufgestockt werden. Da jedes Ministerium in Hinkunft einen Vertreter in den Beirat entsenden soll, wird auch die Zahl der Vertreter von Menschen mit Behinderung paritätisch angehoben. Zudem wird innerhalb des Beirats eine Kommission eingerichtet, die für die Vorbereitung von Gutachten, Stellungnahmen und Empfehlungen zuständig ist.
Eine Aufwertung erfährt auch die Behindertenanwaltschaft, die eine wichtige Beratungs- und Anlaufstelle für Menschen mit Behinderung bei Diskriminierungserfahrungen ist. Einerseits soll der Behindertenanwalt diese Funktion künftig in jedem Fall hauptberuflich ausüben und wird andererseits die Stellvertretung dieses unabhängigen und weisungsfreien Organs klarer geregelt. Zudem können nunmehr Regionalstellen eingerichtet werden, wobei solche den Erläuterungen zufolge vorerst in Wien, Salzburg und Graz geplant sind. Gleichzeitig wird klargestellt, dass der Behindertenanwalt bei vermuteten Diskriminierungen auch im Namen der betroffenen Person das Schlichtungsverfahren im Sozialministeriumservice führen kann.
Sowohl die Funktionsperiode des Bundesbehindertenbeirats als auch jene des Behindertenanwalts wird von vier auf fünf Jahre verlängert.
Um Menschen mit Behinderung administrativ zu entlasten, wird bei der Beantragung eines Behindertenpasses in Bezug auf das erforderliche Lichtbild künftig vorrangig auf bestehende Datenbanken zugegriffen. Auch eine Vereinfachung bei der Identitätsfeststellung wurde vorgesehen.