1. Publizität als Basis für den Selbstschutz der informierten Gläubiger
Die funktionalen Aufgaben, für die gesetzliche Normen zum Gläubigerschutz geschaffen werden, umfassen (zumindest) zwei Aspekte. Den einen Aspekt bilden Maßnahmen zur Erzwingung unternehmerischer Publizität, wodurch eine bestehende Informationsassymmetrie abgebaut werden und Gläubiger eine bessere Grundlage für die privatautonome Einschätzung des Ausfallsrisikos erhalten sollen. Das ist jener Aspekt, bei dem das Gemeinschaftsrecht einen hohen Grad an Harmonisierung erreicht hat, namentlich durch die Publizitätsanforderungen der Ersten6 und Elften7 Gesellschaftsrechtlichen RL sowie, beschränkt auf Aktiengesellschaften, der Zweiten RL8 (letztere dürfte insoweit, als es bloß um die Publizität der Kapitalverhältnisse geht, auch nicht wirklich umstritten sein), und selbstverständlich durch die umfangreichen Rechnungslegungsnormen9,10; in einem weiteren Sinn gehören auch Teile des kapitalmarktrechtlichen RL-Bestands11 hierher. Nicht zuletzt die vergleichsweise intensive Harmonisierung dürfte den EuGH veranlasst haben, diesen einen Aspekt des Gläubigerschutzes in Centros und Inspire Art besonders herauszustreichen.12 Damit verbindet sich freilich die Gefahr, die Bedeutung und Effektivität dieser Publizität zu überschätzen. Ein System des Gläubigerschutzes, das allein auf Publizität und informierten Entscheidungen eigenverantwortlich handelnder Gläubiger aufbaut, dürfte sich empirisch in kaum einer entwickelten Volkswirtschaft nachweisen lassen.

