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37.8. Doppelbestrafungsverbot

Wallner3. AuflJuli 2024

Nach § 136 Abs 5 ÄrzteG ist die disziplinäre Verfolgung nicht dadurch ausgeschlossen, dass der dem angelasteten Disziplinarvergehen zugrunde liegende Sachverhalt einen gerichtlichen Straftatbestand oder einen Verwaltungsstraftatbestand bildet. Der VfGH hat lange Zeit judiziert, dass ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Wahrung des Standesansehens einen anderen Zweck verfolgt als gerichtliche oder verwaltungsbehördliche Strafverfahren und daher nicht gegen den Grundsatz des „ne bis in idem“ iSd Art 4 7. ZPEMRK verstößt.16841684Vgl VfGH 24. 6. 1999, B 191/99; VfGH 15. 6. 2009, B 1682/07; siehe auch die Erkenntnisse des Disziplinarsenats vom 7. 5. 2007, Ds 12/2005 RdM 2008/121 oder der DK Wien, NÖ, Bgld 23. 1. 2006, Dk-8/2005-W RdM 2007/84; sowie für die Literatur Stellamor/Steiner, Handbuch 523 f; sowie Zahrl/Steiner in Emberger/Wallner, Ärztegesetz2 FN 16 zu § 136; Nauta, Das Recht der freien Berufe 35 f; Dujmovits, Recht der freien Berufe, in Holoubek/Potacs (Hrsg), Öffentliches Wirtschaftsrecht I2 453. Später hat der VfGH diese Auffassung allerdings revidiert. Er hat darauf hingewiesen, dass ein Verstoß gegen das Verbot der Doppel- oder Mehrfachbestrafung iSd Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK dann vorliegt, wenn ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mit umfasst. Die historische Interpretation des Art 4 des 7. ZPEMRK zeige zwar, dass ein Nebeneinander von (durch Verwaltungsbehörden zu vollziehendem) Disziplinarrecht bzw Verwaltungsstrafrecht einerseits und (gerichtlichem) Strafrecht andererseits im Großen und Ganzen mit der Konvention im Einklang steht. Allerdings hätten die zuständigen Behörden bei Vorliegen eines Sachverhalts, der mehrfach sanktioniert ist, sicherzustellen, dass es zu keiner Doppelbestrafung im Lichte des Art 4 des 7. ZPEMRK komme.16851685VfGH 17. 12. 2009, B 446/09 RdM-LS 2010/14; aM Lamprecht, Das Disziplinarrecht der Ärzte in Österreich Teil I, JMG 2023, 365 (366), der meint, dass das Doppelbestrafungsverbot im ärztlichen Disziplinarrecht nicht gilt; aM offenbar auch VwGH 15. 7. 2015, Ro 2014/09/0064 RdM-LS 2016/4; krit zur Geltung des Doppelbestrafungsverbotes auch Pabel/Zahrl in Stöger/Zahrl, ÄrzteG § 136 Rz 10. Im Zusammenhang mit der Verfolgung von Disziplinarvergehen wird der „disziplinäre Überhang“, der eine zusätzliche Bestrafung durch die Disziplinarbehörde erfordert, darin zu sehen sein, dass das Disziplinarverfahren das für die ärztliche Berufsausübung essenzielle Vertrauen der Bevölkerung in die ärztliche Integrität absichern soll. Konsequenterweise dürfte daher der „disziplinäre Überhang“, der eine verbotene Doppelbestrafung vermeidet, nur dann bejaht werden, wenn das pflichtwidrige Verhalten des Arztes das Standesansehen der österreichischen Ärzteschaft gefährdet. Eine Disziplinarstrafe, die sich (auch) auf § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG stützt, verstößt nicht gegen das Doppelbestrafungsverbot nach Art 4 des 7. ZPEMRK, weil weder Strafgerichte noch Verwaltungsstrafbehörden dazu aufgerufen sind, im Rahmen ihrer Sanktionen die Absicherung bzw das Wiederherstellen des Ansehens der österreichischen Ärzteschaft im Auge zu behalten. Hingegen wird bei reinen Berufspflichtverletzungen nach § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG das Doppelbestrafungsverbot greifen, wenn derselbe Sachverhalt von ei

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nem Strafgericht oder einer Verwaltungsstrafbehörde sanktioniert wird.16861686Insofern inkonsequent die Entscheidung VfGH 17. 12. 2009, B 446/09, bei der ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot angenommen wurde, obwohl die disziplinarrechtliche Verurteilung wegen Beeinträchtigung des Standesansehens erfolgte. Auch einer Diversionsmaßnahme gem §§ 198 ff StPO kommt Sanktionscharakter iSd Doppelbestrafungsverbotes zu.16871687LVwG OÖ 31. 7. 2015, 050047/2/WEI.

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