Nach § 136 Abs 5 ÄrzteG ist die disziplinäre Verfolgung nicht dadurch ausgeschlossen, dass der dem angelasteten Disziplinarvergehen zugrunde liegende Sachverhalt einen gerichtlichen Straftatbestand oder einen Verwaltungsstraftatbestand bildet. Der VfGH hat lange Zeit judiziert, dass ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Wahrung des Standesansehens einen anderen Zweck verfolgt als gerichtliche oder verwaltungsbehördliche Strafverfahren und daher nicht gegen den Grundsatz des „ne bis in idem“ iSd Art 4 7. ZPEMRK verstößt.1684 Später hat der VfGH diese Auffassung allerdings revidiert. Er hat darauf hingewiesen, dass ein Verstoß gegen das Verbot der Doppel- oder Mehrfachbestrafung iSd Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK dann vorliegt, wenn ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mit umfasst. Die historische Interpretation des Art 4 des 7. ZPEMRK zeige zwar, dass ein Nebeneinander von (durch Verwaltungsbehörden zu vollziehendem) Disziplinarrecht bzw Verwaltungsstrafrecht einerseits und (gerichtlichem) Strafrecht andererseits im Großen und Ganzen mit der Konvention im Einklang steht. Allerdings hätten die zuständigen Behörden bei Vorliegen eines Sachverhalts, der mehrfach sanktioniert ist, sicherzustellen, dass es zu keiner Doppelbestrafung im Lichte des Art 4 des 7. ZPEMRK komme.1685 Im Zusammenhang mit der Verfolgung von Disziplinarvergehen wird der „disziplinäre Überhang“, der eine zusätzliche Bestrafung durch die Disziplinarbehörde erfordert, darin zu sehen sein, dass das Disziplinarverfahren das für die ärztliche Berufsausübung essenzielle Vertrauen der Bevölkerung in die ärztliche Integrität absichern soll. Konsequenterweise dürfte daher der „disziplinäre Überhang“, der eine verbotene Doppelbestrafung vermeidet, nur dann bejaht werden, wenn das pflichtwidrige Verhalten des Arztes das Standesansehen der österreichischen Ärzteschaft gefährdet. Eine Disziplinarstrafe, die sich (auch) auf § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG stützt, verstößt nicht gegen das Doppelbestrafungsverbot nach Art 4 des 7. ZPEMRK, weil weder Strafgerichte noch Verwaltungsstrafbehörden dazu aufgerufen sind, im Rahmen ihrer Sanktionen die Absicherung bzw das Wiederherstellen des Ansehens der österreichischen Ärzteschaft im Auge zu behalten. Hingegen wird bei reinen Berufspflichtverletzungen nach § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG das Doppelbestrafungsverbot greifen, wenn derselbe Sachverhalt von ei Seite 339

