VwGH Ro 2022/05/0001

VwGHRo 2022/05/00017.6.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner und die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger und Dr.in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision der revisionswerbenden Parteien 1. DI H Z (Ro 2022/05/0001), 2. Mag. E Z (Ro 2022/05/0002), 3. Dr. M J (Ro 2022/05/0003), 4. Dr. H K (Ro 2022/05/0004), 5. M S (Ro 2022/05/0005), 6. S L (Ro 2022/05/0006), 7. R M (Ro 2022/05/0007), 8. Dr. K G (Ro 2022/05/0008) und 9. Mag. E G (Ro 2022/05/0009), alle in W, alle vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 21. Dezember 2021, 1. VGW‑111/V/055/5624/2021, 2. VGW‑111/055/5623/2021-59, 3. VGW‑111/V/055/5625/2021, 4. VGW‑111/V/055/5626/2021, 5. VGW‑111/V/055/5629/2021, 6. VGW‑111/V/055/5630/2021, 7. VGW 111/V/055/5633/2021, 8. VGW‑111/V/055/5634/2021 und 9. VGW‑111/V/055/5635/2021, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; weitere Partei: Wiener Landesregierung; mitbeteiligte Partei: E GmbH in W, vertreten durch die HSP Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gonzagagasse 4), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §8
BauO Wr §134a Abs1 litc
BauO Wr §79 Abs6
BauRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RO2022050001.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die revisionswerbenden Parteien haben (jeweils zu gleichen Teilen) der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 und der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 3. März 2021, MA37/1076870‑2019‑1, wurde der mitbeteiligten Partei die baubehördliche Bewilligung für den Neubau eines unterkellerten, mehrgeschoßigen Wohngebäudes für insgesamt 16 Wohnungen samt einer im Bereich der südlichen Freifläche situierten unterirdischen Tiefgarage für 14 Kfz‑Stellplätze, welche über eine im südlichen Bauplatzteil geführte Garagenrampe und eine im Bereich der östlichen Grundgrenze situierte Gehsteigauf‑ und ‑überfahrt mit dem öffentlichen Gut verbunden ist, sowie für Geländeveränderungen samt Herstellung erforderlicher Stützbauwerke erteilt.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurden die Beschwerden unter anderem der Revisionswerber, die Eigentümer bzw. Miteigentümer zum Baugrundstück benachbarter Grundstücke sind, abgewiesen und der angefochtene Bescheid mit näher dargestellten Modifikationen bestätigt. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig, weil keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage vorliege, ob und inwiefern Nachbarn iSd § 134 Abs. 3 Bauordnung für Wien (im Folgenden: BO) im Rahmen der Zulässigkeit „weiterer raumbildender Aufbauten“ gemäß § 81 Abs. 6 2. Satz BO die Beachtung der Tatbestandsmerkmale „wenn diese den Proportionen der Fenster der Hauptgeschoße sowie dem Maßstab des Gebäudes entsprechen“ als subjektiv-öffentliches Recht iSd § 134a Abs. 1 lit. b BO geltend machen können.

3 Dagegen richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, in welcher als Revisionspunkte die Verletzung im Recht „auf Erteilung einer baurechtlichen Genehmigung, obwohl das Bauvorhaben der mitbeteiligten Partei der Wiener Bauordnung, den Intentionen des Flächenwidmungs‑ und Bebauungsplans und der relevanten einschlägigen Rechtsprechung des VwGH widerspricht“ und in den „Verfahrensrechten“ der Revisionswerber (Recht auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 EMRK), weil das Verwaltungsgericht entgegen der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die beantragten Sachverständigengutachten nicht eingeholt und bei der Beweiswürdigung das vorgelegte Privatgutachten von Herrn Dipl.- Ing. S. nicht ausreichend gewürdigt habe, geltend gemacht wird. Im Detail seien folgende subjektiv‑öffentliche Rechte verletzt:

- subjektiv‑öffentliche Nachbarrechte gemäß § 134a Abs. 1 lit. c BO in ihren Rechten auf gärtnerische Ausgestaltung der benachbarten Grundstücksflächen

- Einhaltung der Bestimmung des § 4 Abs. 4 Wiener Garagengesetz 1957, wonach Anlagen zum Einstellen von Kraftfahrzeugen auf gärtnerisch auszugestaltenden Teilen der Liegenschaft grundsätzlich unzulässig seien, und daher eine Verletzung der subjektiv‑öffentlichen Nachbarrechte gemäß § 134a Abs. 1 lit. a und c BO darstellten

- Missachtung der Intentionen des Flächenwidmungs‑ und Bebauungsplans, wie auch fehlende baurechtliche und verfahrensrechtliche Beurteilung durch die MA 19

- unzureichende Auseinandersetzung mit den vorgelegten Beweismitteln, nämlich dem Privatgutachten von Dipl.‑Ing. S.

- nicht ausreichende Begründung der Abweisung des Antrags auf Einholung von Sachverständigengutachten, obwohl sich das Verwaltungsgericht über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen dürfe

- Nichtdurchführung eines beantragten Lokalaugenscheins

- Nichterfüllung der Pflicht zur Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts in Bezug auf die Geländeveränderungen

- Das Verwaltungsgericht habe die Pflicht verletzt, auf das Parteivorbringen einzugehen, welches wesentlich für die Feststellung des Sachverhalts gewesen sei

- vorgreifende Beweiswürdigung

- Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 EMRK.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes legt der Revisionspunkt den Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens fest und steckt den Rahmen ab, an den der Verwaltungsgerichtshof bei der Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses gemäß § 41 VwGG gebunden ist. Ist der Revisionspunkt unmissverständlich ausgeführt, so ist er einer Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang der Revision nicht zugänglich. Die Überprüfung des angefochtenen Erkenntnisses, aber auch der Zulässigkeit einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof hat daher im Rahmen des Revisionspunktes zu erfolgen und sich auf das dort geltend gemachte Recht zu beschränken (vgl. VwGH 13.1.2021, Ra 2020/05/0036 bis 0041; 15.5.2020, Ra 2019/05/0316 bis 0322, mwN).

8 Mit dem in der vorliegenden Revision genannten Recht „auf Erteilung einer baurechtlichen Genehmigung, obwohl das Bauvorhaben der mitbeteiligten Partei der Wiener Bauordnung, den Intentionen des Flächenwidmungs‑ und Bebauungsplans und der relevanten einschlägigen Rechtsprechung des VwGH widerspricht“ wird nicht dargelegt, in welchem konkreten subjektiv‑öffentlichen, einem Nachbarn durch die Bauordnung für Wien (vgl. etwa § 134a BO) eingeräumten Recht die Revisionswerber verletzt seien (vgl. etwa VwGH 21.12.2020, Ra 2019/05/0111 bis 0113; 12.6.2020, Ra 2018/05/0201, mwN).

9 Bei einer behaupteten Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes handelt es sich nicht um die Geltendmachung eines Revisionspunktes, sondern um die Behauptung von Revisionsgründen (vgl. etwa VwGH 2.4.2020, Ra 2019/06/0026, oder auch 27.2.2020, Ra 2020/06/0056, 0057, jeweils mwN). Dies trifft auch auf die weiteren angeführten Rechte, nämlich in Bezug auf die behauptete Missachtung der Intentionen des Flächenwidmungs‑ und Bebauungsplans, die unzureichende Auseinandersetzung mit vorgelegten Beweismitteln, die unzureichende Begründung der Abweisung von Beweisanträgen, die vorgreifende Beweiswürdigung, die Nichtdurchführung eines beantragten Lokalaugenscheins und die unzureichende Sachverhaltserhebung zu; auch bei diesen handelt es sich nicht um Revisionspunkte im Sinn des § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG, sondern um Revisionsgründe im Sinn des § 28 Abs. 1 Z 5 VwGG, die nur in Verbindung mit der Verletzung eines aus einer materiell-rechtlichen Vorschrift ableitbaren subjektiven Rechts zielführend vorgebracht werden können (vgl. etwa VwGH 26.4.2021, Ro 2021/05/0015, oder auch 9.3.2020, Ra 2018/05/0042, jeweils mwN).

10 Mit der Geltendmachung einer Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 EMRK übersehen die Revisionswerber, dass der Verwaltungsgerichtshof zur Prüfung einer Verletzung dieses Rechtes gemäß Art. 133 Abs. 5 B‑VG nicht berufen ist (vgl. etwa VwGH 24.2.2022, Ra 2022/05/0035, mwN).

11 Somit verbleiben als taugliche Revisionspunkte das Recht auf gärtnerische Ausgestaltung der benachbarten Grundstücksflächen gemäß § 134a Abs. 1 lit. c BO sowie das Recht auf Freihaltung gärtnerisch auszugestaltender Teile der Liegenschaft von Anlagen zum Einstellen von Kraftfahrzeugen (hier unter § 134a Abs. 1 lit. a und c BO geltend gemacht).

12 Dazu bringt die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung vor, der Verwaltungsgerichtshof habe zu klären, ob das Wiener Garagengesetz bzw. die Bestimmungen über Anlagen zum Einstellen von Kraftfahrzeugen auf gärtnerisch auszugestaltende Teile der Liegenschaft „grundsätzlich und jedenfalls“ anzuwenden seien, unabhängig davon, ob diese Anlagen ober‑ oder unterirdisch situiert seien.

13 Das subjektiv‑öffentliche Recht der Nachbarn an der flächenmäßigen Ausnützbarkeit gemäß § 134a Abs. 1 lit. c BO ist auch darin begründet, dass dort, wo außerhalb des bebaubaren Bereichs der Liegenschaft gärtnerische Ausgestaltung angeordnet ist, eine solche zu erfolgen hat. Diese Bestimmung dient zum Schutz der Nachbarn unabhängig davon, wo ihre Liegenschaft situiert ist (vgl. VwGH 27.2.2013, 2010/05/0108; 14.12.2007, 2006/05/0192, jeweils mwN). Allerdings bezieht sich das genannte Nachbarrecht nicht auf unterirdische Bauten und Bauteile (vgl. wiederum VwGH 27.2.2013, 2010/05/0108; vgl. auch VwGH 29.6.2016, 2013/05/0143; 20.1.2015, 2012/05/0058 und 2012/05/0071).

14 Damit ist durch die hg. Rechtsprechung klargestellt, dass dem Nachbarn hinsichtlich unterirdischer Bauten kein Mitspracherecht im Hinblick auf die flächenmäßige Ausnützbarkeit zukommt. Die Zulässigkeitsbegründung weist allerdings aufgrund ihrer abstrakten Formulierung keinen Fallbezug auf, sodass nicht erkennbar ist, inwiefern die pauschal gestellte Rechtsfrage von Einfluss auf die Rechtsposition der Revisionswerber sein könnte. Nach dem Inhalt der erteilten Baubewilligung liegt fallbezogen eine unterirdische Tiefgarage vor, sodass durch diese das Nachbarrecht auf gärtnerische Ausgestaltung nicht verletzt werden könnte. Vor diesem Hintergrund wird mit dem auf gärtnerisch auszugestaltende Flächen bezogenen Zulässigkeitsvorbringen keine zulässige Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dargetan.

15 Mit den übrigen, von den Revisionswerbern vorgebrachten Rechtsfragen, wie etwa jener, die seitens des Verwaltungsgerichtes zur Begründung der Zulässigkeit der Revision herangezogen wurde, werden keine Fragen angesprochen, die einen Bezug zu den zulässig geltend gemachten Revisionspunkten aufweisen. Dieses Vorbringen kann insofern nicht zur Zulässigkeit der Revision führen.

16 Schließlich bringt die Zulässigkeitsbegründung vor, es sei vom Verwaltungsgerichtshof zu klären, ob die vorhandenen verfahrensgegenständlichen Stellungnahmen der MA 19 zu § 85 BO als Entscheidungsgrundlage hinsichtlich der Bewilligungsfähigkeit „in der gegenständlichen Rechtsangelegenheit“ geeignet seien. Damit wird eine ausschließlich einzelfallbezogene Beurteilung abverlangt. Einer Rechtsfrage kann jedoch nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt; eine solche ist der Zulässigkeitsbegründung nicht zu entnehmen.

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff., insbesondere § 53 Abs. 1 letzter Satz VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 7. Juni 2022

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