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European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RO2021020012.J00
Spruch:
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit den Straferkenntnissen des Bürgermeisters der Stadt St. Pölten vom 9. August 2021 wurde den Mitbeteiligten als Vorstandsmitglieder jeweils gleichlautend zur Last gelegt, sie hätten als verantwortliche Organe der Niederösterreichischen Landesgesundheitsagentur (NÖ LGA) zu verantworten, dass die NÖ LGA als Arbeitgeberin entgegen § 20 Abs. 1 Z 1 Arbeitsstättenverordnung (AStV) gehandelt habe, wonach die Notausgänge jederzeit leicht und ohne fremde Hilfsmittel von innen auf die gesamte erforderliche nutzbare Mindestbreite geöffnet werden können müssen, weil am 11. Mai 2021, trotz Beschäftigung von ArbeitnehmerInnen, im Bereich eines näher genannten Gebäudes der Notausgang am Ende des Fluchtweges versperrt gewesen sei, wodurch die Notausgangstür bzw. der Notausgang daher nicht jederzeit leicht und ohne fremde Hilfsmittel von innen auf die gesamte erforderliche Mindestbreite habe geöffnet werden können. Dadurch hätten die Mitbeteiligten die Übertretung des § 20 Abs. 1 Z 1 AStV iVm § 130 Abs. 1 Z 15 ASchG begangen, weshalb über sie jeweils gemäß § 130 Abs. 1 Einleitungssatz ASchG eine Geldstrafe von € 1.000,‑‑ (Ersatzfreiheitsstrafe 40 Stunden) verhängt sowie ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von € 100,‑‑ vorgeschrieben wurde.
2 Den dagegen erhobenen Beschwerden der Mitbeteiligten gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) mit den gegenständlich angefochtenen Erkenntnissen statt, es hob jeweils die bekämpften Straferkenntnisse auf und stellte die Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG ein. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig.
3 Das Verwaltungsgericht begründete, dass die näher zitierte Rechtslage keinen Raum für Zweifel lasse, dass es sich bei den in den Schutzbereich der angelasteten Übertretung fallenden Personen ausschließlich um Landesbedienstete gehandelt habe, die samt deren Vorgesetzten ausnahmslos der Diensthoheit der Niederösterreichischen Landesregierung unterlägen. Zweifelhaft könne sein, ob es sich bei den Mitbeteiligten um Organe einer Gebietskörperschaft gemäß § 9 Abs. 5 Arbeitsinspektionsgesetz (ArbIG) handle. Im Zusammenhang mit einer Übertretung des Krankenanstalts‑Arbeitszeitgesetzes (KA‑AZG) habe der Verwaltungsgerichtshof diese Frage im Fall eines Geschäftsführers einer Betriebsgesellschaft, welcher die bei dieser beschäftigten Landesbediensteten gesetzlich ausdrücklich überlassen gewesen seien, im Wesentlichen mit der Begründung verneint, dass für die Dauer einer Überlassung die Beschäftiger als Dienstgeber im Sinne des KA‑AZG gelten würden. Im Unterschied dazu sei die gleichlautende Bestimmung des § 9 Abs. 2 ASchG im vorliegenden Fall nicht anwendbar gewesen, weil das NÖ Landesgesundheitsagenturgesetz (NÖ LGA‑G) keine ausdrückliche Überlassung der Landesbediensteten an die NÖ LGA regle. Vielmehr sei ausdrücklich geregelt, dass es sich bei der NÖ LGA und ihren Gesundheitseinrichtungen um „Dienststellen des Landes Niederösterreich im Sinne der NÖ Landesdienstrechte“ handle. Zudem sei die NÖ LGA im Unterschied zum zitierten Fall keine GmbH, sondern eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Die Mitbeteiligten seien als deren Vorstandsmitglieder Landesbedienstete. Die Vorstandsmitglieder würden von der Niederösterreichischen Landesregierung bestellt und könnten von dieser im Fall grober Pflichtverletzung abberufen werden. Die Aufsicht der Niederösterreichischen Landesregierung über die NÖ LGA und ihre verbundenen Unternehmen erstrecke sich auf die Einhaltung der Rechtsvorschriften. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes lasse dies keinen Raum für die Annahme einer Überlassung im Sinne des § 9 Abs. 2 ASchG. Das Verwaltungsgericht übersehe dabei nicht, dass die NÖ LGA im Sinne des für die Frage einer Überlassung maßgebenden wahren wirtschaftlichen Gehalts gemäß § 44 Abs. 12 NÖ LGA‑G mit 1. Jänner 2021 Rechtsträgerin der vom Land Niederösterreich betriebenen Gesundheitseinrichtungen geworden sei. Für eine allfällig aus diesem Anlass beabsichtigte Überlassung aller dort beschäftigten Landesbediensteten im Sinne des § 9 Abs. 2 ASchG wäre dem Land NÖ das Instrument einer Überlassung gemäß den Bestimmungen des NÖ Personalüberlassungsgesetzes, LGBl. 2010‑0 (NÖ PÜG), zur Verfügung gestanden, das (bereits seit 2004) die überlassungsweise Beschäftigung von Bediensteten des Landes Niederösterreich zur Dienstleistung an einen vom Dienstgeber verschiedenen Rechtsträger (= Beschäftiger) regle. Dass stattdessen im NÖ LGA‑G die Beschäftigung von Landesbediensteten an Landesdienststellen unter der Leitung von seitens der Niederösterreichischen Landesregierung zu Vorstandsmitgliedern bestellten Landesbediensteten geregelt worden sei, lasse das Land Niederösterreich als einzigen Arbeitgeber am Tatort und die Mitbeteiligten in einer Gesamtbetrachtung als Organe einer Gebietskörperschaft gemäß § 9 Abs. 5 ArbIG erscheinen.
4 Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig, weil im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen gewesen sei, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukomme, insbesondere, weil die Entscheidung auf der erstmaligen Beurteilung des Organisationsrechts der NÖ LGA beruhe.
5 Gegen diese Erkenntnisse richtet sich die auf § 13 ArbIG gestützte ordentliche Revision des (damaligen) Bundesministers für Arbeit wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts.
6 Die Mitbeteiligten erstatteten eine Revisionsbeantwortung und beantragten die Zurück- oder Abweisung der Revision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Das Verwaltungsgericht hat zusammengefasst die Auffassung vertreten, dass keine Überlassung der Landesbediensteten an die NÖ LGA im Sinne des § 9 Abs. 2 ASchG vorliege und die ‑ an Weisungen der Landesregierung gebundenen ‑ Mitbeteiligten als „Organe einer Gebietskörperschaft“ iSd § 9 Abs. 5 ArbIG anzusehen und folglich nicht durch die belangte Behörde zu bestrafen seien.
8 Die Revision bringt vor, dass entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. November 2016, Ro 2014/11/0096, auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar sei, weil gemäß dem ‑ mit § 11a KA‑AZG vergleichbaren ‑ § 9 ASchG sehr wohl eine Überlassung der Landesbediensteten an die NÖ LGA als eigenständige juristische Person vorliege und es sich bei der Beschäftigung in einer von der NÖ LGA als Rechtsträgerin betriebenen Gesundheitseinrichtung ‑ soweit es den Geltungsbereich des ASchG und der AStV betreffe ‑ auch nicht um eine Beschäftigung in einer Landesdienststelle handle. Die Entscheidung hänge somit von der Rechtsfrage ab, ob bei der Beschäftigung von Landesbediensteten in einer von der NÖ LGA betriebenen Gesundheitseinrichtung auch ohne ausdrückliche gesetzliche Zuweisung eine Überlassung im Sinne des § 9 ASchG vorliege und die NÖ LGA als Arbeitgeberin im Sinne des ASchG und der AStV anzusehen sei und die Vorstandsmitglieder der NÖ LGA für Übertretungen der AStV verwaltungsstrafrechtlich verantwortlich seien.
9 Die Revision erweist sich im Sinne dieser ergänzten Zulassungsbegründung als zulässig und berechtigt.
10 Die Mitbeteiligten wenden in der Revisionsbeantwortung ein, dass Arbeitgeber im Sinne des ASchG und der AStV das Land Niederösterreich sei. Die Mitbeteiligten seien als Organe des Landes Niederösterreich zu sehen und daher als Organe iSd § 9 Abs. 5 ArbIG zu qualifizieren. Daher hätte das Arbeitsinspektorat keine Anzeige gegen die Mitbeteiligten bei der belangten Behörde erstatten dürfen, sondern Anzeige bei der zuständigen obersten Behörde ‑ nämlich der Niederösterreichischen Landesregierung ‑ erstatten müssen.
11 Das NÖ Landesgesundheitsagenturgesetz (NÖ LGA‑G), LGBl. Nr. 1/2020, lautet (auszugsweise):
„§ 1 Ziele und Errichtung
(1) Ziel dieses Gesetzes ist es, eine zeitgemäße, bedarfsgerechte, patientenorientierte, effiziente medizinische und pflegerische Versorgung durch Krankenanstalten und Pflegeeinrichtungen des Landes Niederösterreich sicherzustellen.
(2) Zu diesem Zweck wird eine Anstalt öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit errichtet. Sie trägt die Bezeichnung ‚NÖ Landesgesundheitsagentur‘ und die Abkürzung ‚NÖ LGA‘. [...]
[...]
§ 2 Begriffe
Im Sinne dieses Gesetzes sind
[...]
4. Landesbedienstete: Bedienstete im Sinne des § 1 Abs. 1 und 2 des NÖ Landes‑Bediensteten Gesetzes (NÖ LBG), LGBl. 2100, Vertragsbedienstete im Sinne des § 1 des Landes‑Vertragsbedienstetengesetzes (LVBG), LGBl. 2300, Beamte im Sinne des § 1 der Dienstpragmatik der Landesbeamten 1972 (DPL 1972), LGBl. 2200, und Ärzte in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zum Land Niederösterreich im Sinne des § 1 des NÖ Spitalsärztegesetzes 1992 (NÖ SÄG 1992), LGBl. 9410;
[...]
§ 3 Aufgaben der NÖ LGA
(1) Die Aufgaben der NÖ LGA sind die Errichtung und der Betrieb von Gesundheitseinrichtungen nach den Zielen dieses Gesetzes und den Zielvorgaben des Landes in der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (§ 39). Darüber hinaus können durch Verordnung der NÖ Landesregierung weitere Aufgaben im Bereich des Gesundheits- und Sozialwesens übertragen werden, soweit dies für eine bedarfsgerechte medizinische oder pflegerische Versorgung erforderlich ist.
[...]
(4) Die NÖ LGA ist Rechtsträgerin der von ihr betriebenen Krankenanstalten und Pflegeeinrichtungen.
§ 4 Organe
Die Organe der NÖ LGA sind der Vorstand, der Aufsichtsrat und der Beirat.
[...]
§ 6 Leitung durch den Vorstand
(1) Der Vorstand führt die Geschäfte der NÖ LGA unter eigener Verantwortung, soweit im Gesetz nichts anderes geregelt ist. Er hat die NÖ LGA so zu leiten, wie es zur Erreichung der Ziele der NÖ LGA gemäß § 1 erforderlich ist.
(2) Der Vorstand kann aus zwei bis drei Mitgliedern bestehen.
[...]
§ 8 Bestellung des Vorstands
(1) Die NÖ Landesregierung bestellt die Vorstandsmitglieder auf höchstens fünf Jahre. [...]
§ 28 Anwendungsbereich der Diensthoheit
(1) Die Bediensteten, die bei der NÖ LGA, in einer ihrer Gesundheitseinrichtungen (§ 2 Z 1) oder in einer gemäß Abs. 2 weiteren eingerichteten Dienststelle beschäftigt sind, sind Landesbedienstete (§ 2 Z 4). Dieser Abschnitt regelt die Ausübung der Diensthoheit dieser in einem vertraglichen Dienst- oder Ausbildungsverhältnis oder öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis zum Land stehenden Landesbediensteten.
(2) Die NÖ LGA und ihre Gesundheitseinrichtungen sind Dienststellen des Landes Niederösterreich im Sinne der NÖ Landesdienstrechte. Wenn dienstliche Interessen oder die Erfüllung dienstlicher Aufgaben es erfordern, können durch Verordnung noch weitere Dienststellen im Zuständigkeitsbereich der NÖ LGA durch das für Personalangelegenheiten zuständige Vorstandsmitglied der NÖ LGA eingerichtet werden. Diese Verordnung ist im Landesgesetzblatt für Niederösterreich kund zu machen.
§ 29 Ausübung der Diensthoheit, Dienstbehörde, Vertretung des Dienstgebers
(1) Die Ausübung der Diensthoheit obliegt den in diesem Abschnitt angeführten Behörden und Organen.
(2) Die Diensthoheit über die Landesbediensteten gemäß § 28 Abs. 1 steht der NÖ Landesregierung zu. Das für Personalangelegenheiten zuständige Vorstandsmitglied der NÖ LGA ist bei der Besorgung der Aufgaben der Dienstbehörde oder des Dienstgebers an die Weisungen der NÖ Landesregierung gebunden.
(3) Dienstbehörde für alle Landesbediensteten gemäß § 28 Abs. 1 ist das für Personalangelegenheiten zuständige Vorstandsmitglied der NÖ LGA (§ 10 Z 1), welches diese Funktion im Interesse der NÖ LGA ausübt. Die Zuständigkeit der Dienstbehörde umfasst alle Personalangelegenheiten, die der NÖ Landesregierung, dem Amt der NÖ Landesregierung, dem Land (als Kostenträger) oder der Landesamtsdirektorin bzw. dem Landesamtsdirektor als Dienst- oder Disziplinarbehörde obliegen, mit Ausnahme
1. der Disziplinarangelegenheiten von Landesbeamtinnen bzw. Landesbeamten, soweit die Zuständigkeit der Disziplinarkommission nach dem NÖ LBG gegeben ist und
2. der Dienstzuteilungen und Versetzungen, die über den Bereich der NÖ LGA hinausgehen.
Dienstzuteilungen und Versetzungen gemäß Z 2 können durch das für Personalangelegenheiten zuständige Vorstandsmitglied angeregt werden.
(4) Landesbedienstete gemäß § 28 Abs. 1 sind an Weisungen des für Personalangelegenheiten zuständigen Vorstandsmitglieds gebunden, soweit dem nicht andere gesetzliche Regelungen entgegenstehen.
(5) Soweit der Dienstbehörde in dienstrechtlichen Angelegenheiten keine Zuständigkeit zukommt, ist das für Personalangelegenheiten zuständige Vorstandsmitglied der NÖ LGA mit der Vertretung des Landes Niederösterreich als Dienstgeber betraut und übt diese Funktion im Interesse der NÖ LGA aus.
(6) Von der NÖ LGA aufgenommene Landesbedienstete sind entsprechend ihrer vertraglichen Tätigkeitspflicht entweder Vertragsbedienstete nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 NÖ LBG bzw. Bedienstete nach § 1 Abs. 2 NÖ LBG oder Ärztinnen bzw. Ärzte in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zum Land Niederösterreich gemäß § 1 NÖ SÄG 1992.
[...]“
12 Gemäß § 1 Abs. 2 Z 1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) gilt das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz nicht für Arbeitnehmer der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, die nicht in Betrieben beschäftigt sind.
13 Ausweislich der Materialien (ErläutRV 1590 BlgNR 18. GP 69) entspricht diese Bestimmung dem Art. 21 Abs. 2 B‑VG. Für jene Bediensteten der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, die nicht in Betrieben beschäftigt sind, kommt dem Bundesgesetzgeber keine Kompetenz zur Regelung des Arbeitnehmerschutzes zu. In diesem Bereich hat die Umsetzung der dem ASchG zu Grunde liegenden Richtlinien (aaO S 62 ff) durch den Landesgesetzgeber zu erfolgen. Der Begriff „Betrieb“ ist im Sinne der Literatur und Judikatur zu Art. 21 B‑VG auszulegen.
14 Das Vorliegen eines Betriebes im Sinne des Art. 21 Abs. 2 B‑VG ist anhand der damals (zum Zeitpunkt der B‑VG‑Novelle 1974) geltenden Rechtsvorschriften des Arbeitsverfassungsgesetzes (ArbVG) und der Arbeitnehmerschutzvorschriften (insbesonders des ASchG, des ArbIG, des Arbeitszeitgesetzes und des Verkehrs‑Arbeitsinspektionsgesetzes) vorzunehmen (vgl. Thienel, Öffentlicher Dienst und Kompetenzverteilung, [1990] S. 166 ff).
15 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes orientiert sich der Betriebsbegriff des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes grundsätzlich an der Definition des § 34 Abs. 1 ArbVG. Danach gilt als Betrieb jede Arbeitsstätte, die eine organisatorische Einheit bildet, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolgt, ohne Rücksicht darauf, ob Erwerbsabsicht besteht oder nicht. Wesentliches Merkmal eines Betriebes im Sinne des ArbVG ist die organisatorische Einheit, die in der Einheit des Betriebsinhabers, des Betriebszweckes und der Organisation zum Ausdruck kommen muss (vgl. VwGH 13.10.2011, 2009/07/0197, mwN).
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26. Jänner 2005, 2004/12/0084, mit der Frage der Abgrenzung einer „sonstigen Verwaltungsstelle“ (im Sinne des § 33 Abs. 1 Z 2 ArbVG) von den unter das ArbVG fallenden „Betrieben“ einer Gebietskörperschaft befasst. Entscheidend sei, ob die im Rahmen der Verwaltungsstelle ausgeübte Tätigkeit auch von einer Privatperson oder von einer privaten Institution ausgeübt werden könnte. Sei dies nicht der Fall, handle es sich um eine „sonstige Verwaltungsstelle“, andernfalls um einen unter den II. Teil des ArbVG fallenden Betrieb. Bei einer ‑ damals gegebenen ‑ GmbH (einem Museum), die keine hoheitsrechtlichen, sondern privatrechtliche Aufgaben zu erfüllen hatte, habe es sich daher nicht um eine „sonstige Verwaltungsstelle des Landes“ handeln können. Nach § 34 Abs. 1 ArbVG ‑ so im zitierten Erkenntnis weiter ‑ gelte als Betrieb jede Arbeitsstätte, die eine organisatorische Einheit bilde, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolge, ohne Rücksicht darauf, ob Erwerbsabsicht bestehe oder nicht. Ein Betrieb im Sinne des § 34 ArbVG müsse ‑ neben den anderen dort genannten Voraussetzungen ‑ aber auch über Arbeitnehmer im Sinne des ArbVG verfügen. Auf Grund des weiten Arbeitnehmerbegriffes des § 36 Abs. 1 ArbVG, wonach es grundsätzlich nur auf ein faktisches Beschäftigungsverhältnis, das durch persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit gegenüber dem Betriebsinhaber gekennzeichnet sei, im Rahmen eines Betriebes ankomme, seien sohin auch Beamte Arbeitnehmer im Sinne der Betriebsverfassung, wenn sie in einem Betrieb eingegliedert seien, der in den Geltungsbereich des II. Teiles des ArbVG falle (vgl. wiederum VwGH 13.10.2011, 2009/07/0197, mwN).
17 Die der NÖ LGA obliegende Errichtung und der Betrieb von Gesundheitseinrichtungen ist eine Tätigkeit bzw. Unternehmung, die ebenso durch Private oder private Institutionen erfolgen kann, weshalb es sich um keine hoheitliche Tätigkeit handelt. Entsprechend der zitierten Rechtsprechung liegt somit gegenständlich ein Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 2 Z 1 ASchG und keine „sonstige Verwaltungsstelle“ vor.
18 Unstrittig ist, dass die Bediensteten der NÖ LGA gemäß § 2 Z 4 und § 28 Abs. 1 NÖ LGA‑G Landesbedienstete sind. Auch auf diese ist das ASchG anzuwenden, weil sie nach der dargestellten Rechtsprechung Arbeitnehmer im Sinne der Betriebsverfassung sind, wenn sie in einem Betrieb eingegliedert sind.
19 Für die Einhaltung der in Rede stehenden Arbeitnehmerschutzvorschriften ist nach dem ASchG der Arbeitgeber verantwortlich. Im Falle der Überlassung von Arbeitnehmern an Dritte iSd § 9 Abs. 1 ASchG gelten gemäß § 9 Abs. 2 ASchG die Beschäftiger als Arbeitgeber im Sinne dieses Bundesgesetzes. Folglich ist nunmehr zu klären, ob die NÖ LGA als Beschäftiger im Sinne des § 9 Abs. 2 ASchG anzusehen ist.
20 Nach § 9 Abs. 1 ASchG liegt eine Überlassung im Sinne dieses Gesetzes dann vor, wenn Arbeitnehmer Dritten zur Verfügung gestellt werden, um für sie unter deren Kontrolle zu arbeiten. Überlasser ist, wer als Arbeitgeber Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung an Dritte verpflichtet. Beschäftiger ist, wer diese Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung einsetzt.
21 Für die Beurteilung, ob eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt, ist gemäß § 4 Abs. 1 Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG) der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes maßgebend. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung nicht entscheidend, ob und welche Rechtsbeziehungen zwischen dem Beschäftiger (Auftraggeber) und der Arbeitskraft, aber auch zwischen dem Beschäftiger und dem Überlasser bestehen (vgl. VwGH 27.3.2015, 2012/02/0196, mwN). Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Arbeitskräfteüberlassung vorliegt oder nicht, ist ‑ unabhängig von der zivilrechtlichen Form, in die das Arbeitsverhältnis gekleidet ist ‑ die Beurteilung sämtlicher für und wider ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis im konkreten Fall sprechender Umstände, die nicht isoliert voneinander gesehen werden dürfen, sondern in einer Gesamtbetrachtung nach Zahl, Stärke und Gewicht zu bewerten sind (vgl. VwGH 9.2.2017, Ra 2016/02/0179, mwN).
22 § 9 Abs. 1 und 2 ASchG, der eine verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit der Beschäftiger im Rahmen einer Arbeitskräfteüberlassung normiert, enthält keine Einschränkung dahingehend, dass eine Arbeitskräfteüberlassung durch eine Gebietskörperschaft davon nicht betroffen wäre. Die Erfassung von Überlassungen durch Gebietskörperschaften entspricht somit dem ASchG (während nach der „allgemeinen“ Regelung des § 1 Abs. 2 AÜG die Überlassung von Arbeitskräften durch Gebietskörperschaften vom Geltungsbereich dieses Gesetzes ‑ soweit hier von Interesse ‑ ausgenommen war). Auch das Fehlen einer Einschränkung auf vertragliche Überlassungen (wie nach § 3 Abs. 2 AÜG) entspricht dem Konzept des ASchG (vgl. VwGH 9.11.2016, Ro 2014/11/0096, VwSlg. 19478 A).
23 Die bei der NÖ LGA beschäftigten Bediensteten sind nach § 28 Abs. 1 NÖ LGA‑G Landesbedienstete und somit schon kraft Gesetzes dieser Anstalt öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit (vgl. § 2 Abs. 2 NÖ LGA‑G) zur Erbringung der Dienste zugewiesen. Gemäß § 29 Abs. 2 NÖ LGA‑G steht die Diensthoheit der Landesregierung zu, Dienstbehörde ist jedoch das für Personalangelegenheiten zuständige Vorstandsmitglied der NÖ LGA. Die Zuständigkeit der Dienstbehörde umfasst alle Personalangelegenheiten, die der Niederösterreichischen Landesregierung, dem Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, dem Land (als Kostenträger) oder der Landesamtsdirektorin bzw. dem Landesamtsdirektor als Dienst- oder Disziplinarbehörde obliegen (§ 29 Abs. 3 NÖ LGA‑G).
24 In der Erörterung des „Soll‑Zustandes“ in den Materialien ‑ dem „Motivenbericht“ ‑ zur Stammfassung des NÖ LGA‑G (siehe Ltg.‑849/G‑30‑2019, S. 3), ist vorgesehen, dass die Diensthoheit über die bisher bei den Landeskrankenanstalten und Pflege- und Betreuungszentren bzw. Pflege- und Förderzentren des Landes beschäftigten Landesbediensteten an die bei der NÖ LGA eingerichtete Dienstbehörde zugewiesen werden soll. Die Bediensteten sollen daher Landesbedienstete bleiben, ebenso sollen von der NÖ LGA neu aufgenommene Bedienstete Landesbedienstete werden.
25 Zu § 6 NÖ LGA‑G (Leitung durch den Vorstand) wird in demselben Motivenbericht (Ltg.‑849/G‑30‑2019, S. 11) folgendes ausgeführt (Hervorhebungen nicht im Original):
„Zu § 6 Abs. 1: Der Vorstand leitet die NÖ LGA weisungsfrei. Weder der Aufsichtsrat, noch der Beirat haben ein Weisungsrecht. Auch der Landesregierung kommt kein allgemeines Weisungsrecht zu. Da die Bediensteten der NÖ LGA Landesbedienstete sind, kommt der Landesregierung in Dienstangelegenheiten das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß an Weisungsbefugnis zu (vgl. § 29 Abs. 2). Die dienstrechtliche Weisungsbefugnis gegenüber den Vorstandsmitgliedern selbst als öffentlich‑rechtliche Bedienstete darf nicht mit der eigenverantwortlichen Leitungskompetenz des Vorstands kollidieren. Die zwingende Weisungsfreiheit des Vorstands überlagert somit die dienstrechtliche Weisung. ...“
26 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in einem ähnlich gelagerten Fall ‑ der ebenso im angefochtenen Erkenntnis sowie in der Revision zitiert wird ‑ nämlich in dem schon oben zitierten Erkenntnis vom 9. November 2016, Ro 2014/11/0096, ausgeführt, dass die im dortigen Fall anzuwendende Regelung des Salzburger Landesbediensteten‑Zuweisungsgesetzes (LZG), wonach die Diensthoheit über die einer Betriebsgesellschaft zugewiesenen Landesbediensteten der Landesregierung zusteht, an deren Weisungen ihr Geschäftsführer bei Besorgung der Aufgaben der Dienstbehörde oder des Dienstgebers gebunden ist, nichts an der durch § 11a KA‑AZG normierten Zuordnung der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung, die durch § 12 Abs. 2 KA‑AZG insofern nicht berührt wird, ändere. § 9 Abs. 1 und Abs. 2 ASchG entspricht den Bestimmungen des § 11a KA‑AZG (vgl. Lechner‑Thomann in Novak/Lechner‑Thomann, ASchG, § 9 Rz 24), sodass insoweit die zitierte Rechtsprechung auf das ASchG übertragbar ist.
27 Zwar liegt im hier gegenständlichen Fall keine mit denselben Worten gesetzlich vorgenommene Zuweisung, etwa nach dem im angefochtenen Erkenntnis genannten NÖ PÜG wie in dem schon oben zitierten Erkenntnis vom 9. November 2016 vor, jedoch ist nicht nur diese Formulierung allein ausschlaggebend, weil es ‑ wie bereits erwähnt ‑ nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht darauf ankommt, ob und welche Rechtsbeziehungen zwischen dem Beschäftiger und der Arbeitskraft, aber auch zwischen dem Beschäftiger und dem Überlasser bestehen. Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Arbeitskräfteüberlassung vorliegt oder nicht, ist im Sinne der zuvor zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ‑ unabhängig von der zivilrechtlichen Form, in die das Arbeitsverhältnis gekleidet ist ‑ die Beurteilung sämtlicher für und wider ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis im konkreten Fall sprechender Umstände, die nicht isoliert voneinander gesehen werden dürfen, sondern in einer Gesamtbetrachtung nach Zahl, Stärke und Gewicht zu bewerten sind. Diese Rechtsprechung ist auch auf die Überlassung von Landesbediensteten übertragbar.
28 Aufgrund dessen kann von einer Überlassung der Landesbediensteten des Landes Niederösterreich an die NÖ LGA ausgegangen werden.
29 Auch spricht gegenständlich der Landesgesetzgeber in den Materialien (Ltg. 849/G 30‑2019, S. 26 und 28) von der Zuweisung der Diensthoheit für die betroffenen Landesbediensteten an das für Personalangelegenheiten zuständige Vorstandsmitglied der NÖ LGA als Dienstbehörde. Der Landesgesetzgeber führt zudem weiters aus, dass das für Personalangelegenheiten zuständige Vorstandsmitglied der NÖ LGA jene Kompetenzen erhält, um der NÖ LGA auch im Bereich der beamteten Bediensteten eine rasche disziplinäre Handhabbarkeit zu geben, die bisher unter anderem dem Amt der Niederösterreichischen Landesregierung zukam (Suspendierungen, Erlassung von Disziplinarverfügungen, Behandlung von Disziplinaranzeigen).
30 Nach § 29 Abs. 4 NÖ LGA‑G sind die Landesbediensteten an die Weisungen des für Personalangelegenheiten zuständigen Vorstandsmitglieds gebunden.
31 Zu dieser Bestimmung wird in den bereits zitierten Materialien (Ltg.‑849/G‑30‑2019, S. 28) festgehalten, dass mit dieser Regelung die faktische Dienstgebereigenschaft der NÖ LGA verdeutlicht werden und folglich dem für Personalangelegenheiten zuständigen Vorstandsmitglied das Recht eingeräumt werden soll, Weisungen an die Landesbediensteten gemäß § 28 Abs. 1 NÖ LGA‑G zu erteilen.
32 Daraus wird auch klar, dass der Niederösterreichische Landesgesetzgeber die NÖ LGA als faktischen Dienstgeber ansieht, der damit diese Landesbediensteten zur Arbeitsleistung einsetzt und Beschäftiger im Sinne des § 9 Abs. 1 ASchG ist. Dementsprechend bedarf es keiner zusätzlichen normativen Zuweisung der Landesbediensteten zur NÖ LGA, etwa nach dem NÖ PÜG, weil sich diese schon hinreichend aus dem NÖ LGA‑G selbst ergibt.
33 Infolgedessen ist im Ergebnis festzuhalten, dass entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes von einer Überlassung im Sinne des § 9 Abs. 1 ASchG ausgegangen werden kann. Beschäftiger nach dieser Bestimmung und somit auch verwaltungsstrafrechtlich verantwortlicher Arbeitgeber im Sinne der §§ 9 Abs. 2 und 130 Abs. 1 Z 15 ASchG ist die NÖ LGA.
34 Gemäß § 9 Abs. 5 ArbIG hat das Arbeitsinspektorat anstelle einer Anzeige gemäß Abs. 2 und 3 bei Organen des Bundes oder eines Landes Anzeige an das oberste Organ, dem das der Übertretung verdächtige Organ untersteht (Art. 20 Abs. 1 erster Satz B‑VG), in allen anderen Fällen Aufsichtsbeschwerde an die Aufsichtsbehörde zu erstatten, wenn die Übertretung von einem Organ einer Gebietskörperschaft oder eines Gemeindeverbandes begangen wurde.
35 Wie gezeigt war als Arbeitgeber im Sinne des ASchG gegenständlich nicht das Land Niederösterreich, sondern NÖ LGA, eine Anstalt öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit, anzusehen. Die Mitbeteiligten hätten die ihnen angelasteten Übertretungen nicht als Organe des Landes begangen, sondern unter eigener Verantwortung als Beschäftiger der betroffenen Arbeitnehmer. Für die Anwendung des § 9 Abs. 5 ArbIG bleibt demgemäß kein Raum.
36 Soweit das Verwaltungsgericht für sein Ergebnis, das Land Niederösterreich sei der einzige Dienstgeber am Tatort und die Revisionswerber seien Organe einer Gebietskörperschaft gemäß § 9 Abs. 5 ArbIG, auf die in § 28 Abs. 2 NÖ LGA‑G enthaltene Bestimmung abstellt, wonach die NÖ LGA und ihre Gesundheitseinrichtungen Dienststellen des Landes Niederösterreich im Sinne der NÖ Landesdienstrechte seien, kann dies schon deshalb nicht überzeugen, weil mit der zuletzt genannten Regelung nach dem Willen des Gesetzgebers (Ltg.‑849/G‑30‑2019, S. 27) keine Aussage getroffen werden soll, ob es sich um einen „Betrieb“ im Sinne des ArbVG handelt. Die Einordnung als „Dienststellen des Landes Niederösterreich“ hat vielmehr dienstrechtliche Bedeutung für die Beschäftigten, führt aber nicht dazu, dass die Mitbeteiligten aus diesem Grund als Organe des Landes Niederösterreich anzusehen seien.
37 Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht die Rechtslage unrichtig beurteilt, weshalb die angefochtenen Erkenntnisse wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben waren.
Wien, am 18. Jänner 2024
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