VwGH Ro 2017/08/0009

VwGHRo 2017/08/000912.10.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse in Graz, vertreten durch Dr. Helmut Destaller und Dr. Gerald Mader, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Wastiangasse 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 2017, Zl. W255 2146090-1/4E, betreffend Auslegung eines Gesamtvertrages (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Landesschiedskommission für das Land Steiermark; mitbeteiligte Partei: Ärztekammer für Steiermark in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 29), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §131 Abs1;
ASVG §131;
ASVG §341;
ASVG §345 Abs2 Z1;
B-VG Art133 Abs4;
ZPO §502 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RO2017080009.J00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Die revisionswerbende Gebietskrankenkasse (im Folgenden: GKK) brachte am 21. April 2016 bei der Landesschiedskommission für das Land Steiermark (im Folgenden: LSK) den Antrag ein, diese möge gemäß § 345 Abs. 2 Z 1 ASVG feststellen, dass die mit der GKK in einem Einzelvertrag stehenden Vertragspartner es künftig zu unterlassen hätten, für Leistungen der Krankenbehandlung, die von § 10 des Gesamtvertrages zwischen der Ärztekammer für die Steiermark und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 1. Juli 1993 umfasst seien, Privathonorarforderungen an Versicherte zu stellen. Dieser Antrag wurde mit Schreiben vom 3. Oktober 2016 dahingehend konkretisiert, die LSK möge feststellen, 1. dass die mit der GKK in einem Einzelvertrag stehenden Vertragspartner es zu unterlassen hätten, für Leistungen der Krankenbehandlung, die von der vertragsärztlichen Behandlungspflicht nach § 10 des Gesamtvertrages umfasst seien, von Anspruchsberechtigten ein Privathonorar zu verlangen, selbst wenn der Vertragspartner für ein weiteres Fach berufsberechtigt sei und die Leistungen in diesem vertragsfreien Fach erbracht würden; 2. dass dies selbst dann gelte, wenn für diese Leistungen ein gesonderter Einzelleistungstarif nur für ein anderes als das (einzel-)vertragsgegenständliche Fach vorgesehen sei oder wenn diese Leistung außerhalb der im Einzelvertrag festgelegten Ordinationszeiten erfolgt sei. Dem Antrag liege ein konkreter Anlassfall eines Vertragsarztes für Allgemeinmedizin (Dr. B.) zugrunde, der außerdem Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sei und als solcher Honorarnoten an Versicherte der GKK für Leistungen auf dem Gebiet der Frauenheilkunde und Geburtshilfe lege.

2 Die LSK wies den Antrag nach Befassung der Ärztekammer für Steiermark (im Folgenden: Ärztekammer) mit Bescheid vom 12. Dezember 2016 - mit näherer Begründung - ab.

3 Die gegen diesen Bescheid von der GKK erhobene Beschwerde wurde mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts abgewiesen.

4 Das Bundesverwaltungsgericht stellte im Wesentlichen fest, dass Dr. B. sowohl als Arzt für Allgemeinmedizin als auch als Arzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe ordnungsgemäß gemeldet und in die Ärzteliste der Österreichischen Ärztekammer eingetragen sei. Er übe seine Tätigkeit als Vertragsarzt für Allgemeinmedizin in der Ordinationsstätte in B. zu den im Einzelvertrag vereinbarten Ordinationszeiten aus. Darüber hinaus übe er - außerhalb der im Einzelvertrag vereinbarten Ordinationszeiten - seine Tätigkeit als Wahlfacharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe aus. Für diese Leistungen habe er seinen Patientinnen Honorarrechnungen ausgestellt. Auf diesen fänden sich sowohl Leistungen/Positionen, die ausschließlich von Fachärzten für Frauenheilkunde und Geburtshilfe (zB Pos. 353 Gynäkologischer Ultraschall), als auch solche, die auch von Allgemeinmedizinern erbracht werden könnten (zB Pos. 060 Harnbefund). Patientinnen von Dr. B., die diesen in seiner Eigenschaft als Wahlfacharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe aufgesucht und dafür Honorarrechnungen erhalten hätten, hätten diese bei der GKK zur Kostenerstattung gemäß § 131 ASVG eingereicht und das damit begründet, den Vertragspartner als Wahlfacharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Anspruch genommen zu haben. Auf Grund dieses konkreten Anlassfalles habe die GKK den gegenständlichen Antrag zur Auslegung des Gesamtvertrages gestellt.

5 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht - unter Berufung auf Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes - aus, dass Vertragsärzte grundsätzlich eine ärztliche Tätigkeit in einem anderen Fach, in dem sie keinen Kassenvertrag besäßen, in Bezug auf Versicherte ausüben dürften. Im gegenständlichen Fall liege auch keine unzulässige Vermischung der Funktionen vor. Der Arzt sei zwar am selben Standort, jedoch zu unterschiedlichen Ordinationszeiten einerseits als Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag und andererseits (und insoweit getrennt von der vertragsärztlichen Tätigkeit als Allgemeinmediziner) als (Wahl‑)Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe niedergelassen. § 10 des Gesamtvertrages sei zwar eine ausreichende Behandlungspflicht zu entnehmen, keinesfalls jedoch ein Verbot für den Vertragsarzt, sich außerhalb seiner Tätigkeit als solcher jeglicher ärztlichen Tätigkeit in einem Fachgebiet zu enthalten. Würde man dem Antrag der GKK stattgeben, so hätte dies zur Folge, dass ein Vertragsarzt zwar außerhalb seiner Ordinationszeiten als Wahlarzt tätig sein dürfe, dafür aber weder von der GKK noch von den Patienten jegliche Entlohnung verlangen dürfte. Ein solches Verständnis des Gesamtvertrages sei weder auf Grund des Wortlauts noch auf Grund einer historischen, systematischen oder teleologischen Auslegung ableitbar und stünde auch im Widerspruch zur Auffassung des Verfassungsgerichtshofes.

§ 10 des Gesamtvertrages normiere eine ausreichende und zweckmäßige Krankenbehandlung, nicht aber ein Verbot der Ausübung einer wahlfachärztlichen Tätigkeit außerhalb der Vertragsordinationszeiten samt Verrechnung von Leistungen, die in diesem vertragsfremden Fachgebiet erbracht würden.

6 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle. Die gegenständliche Frage der korrekten Auslegung des Gesamtvertrages betreffe nicht nur einen Einzelfall, sondern es handle sich um eine regelmäßig vorkommende Konstellation, von der eine Mehrzahl von Ärzten betroffen sei.

 

Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision der GKK hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:

7 1. Die Revision ist aus dem vom Bundesverwaltungsgericht genannten Grund, auf den auch die Revision zurückkommt, zulässig. Zwar stellt die Frage, ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu § 502 ZPO (der als Vorbild für das Revisionsmodell in der Verwaltungsgerichtsbarkeit diente - vgl. etwa den hg. Beschluss vom 26. Februar 2014, Ro 2014/04/0016) im Allgemeinen nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (vgl. RIS-Justiz RS0042936). Der Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung kommt allerdings nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes - wegen des größeren Personenkreises der hievon betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer - nur dann keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs. 1 ZPO zu, wenn die relevante Rechtsfrage in der Rechtsprechung des Höchstgerichts geklärt oder die Auslegung klar und eindeutig ist (vgl. RIS Justiz RS0109942). Ebenso wie von einem Kollektivvertrag ist auch von einem Gesamtvertrag in der Regel ein größerer Personenkreis betroffen, wobei die Feststellung nach § 345 Abs. 2 Z 1 ASVG bindende Wirkung auch in Bezug auf die jeweiligen Einzelverträge entfaltet (vgl. in diesem Sinn das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 19.320/2011). Die hier strittige Frage ist auch nicht so spezifisch, dass diese typische Betroffenheit eines größeren Personenkreises im vorliegenden Fall zu verneinen wäre.

8 2. §10 des Gesamtvertrages über kurative Leistungen, abgeschlossen zwischen einerseits der Ärztekammer für Steiermark und andererseits dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger für die Steiermärkische GKK und weitere Versicherungsträger, in der hier maßgeblichen Fassung lautet auszugsweise:

"§10

Ärztliche Behandlung

(1) Die vertragsärztliche Behandlung der Anspruchsberechtigten obliegt dem Vertragsarzt nach den Bestimmungen dieses Gesamtvertrages und des Einzelvertrages. Diese ärztliche Tätigkeit ist grundsätzlich durch den Vertragsarzt selbst auszuüben.

(2) Die Krankenbehandlung muss ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Die vertragsärztliche Behandlung hat in diesem Rahmen alle Leistungen zu umfassen, die aufgrund der ärztlichen Ausbildung und der dem Vertragsarzt zu Gebote stehenden Hilfsmittel sowie zweckmäßigerweise außerhalb einer stationären Krankenhausbehandlung durchgeführt werden können. Muss ärztliche Hilfe in einem besonderen Ausmaß geleistet werden, so ist dies auf Verlangen des Versicherungsträgers vom Arzt zu begründen. (für Einzelvertragsabschlüsse ab 1.10.2013: Ausgenommen von der Behandlungspflicht sind jene Leistungen, die in der Honorarordnung entsprechend gekennzeichnet sind und deren Erbringung bestimmten Planstellen vorbehalten ist.) Für erforderliche Leistungen, die der Vertragsarzt nicht selbst erbringen kann, hat er Überweisungen oder Zuweisungen unter Berücksichtigung des Ökonomiegebotes vorzunehmen, wobei er sich auch zu vergewissern hat, ob und inwieweit entsprechende maßgebliche Vorbefunde vorhanden sind. Im Falle einer notwendigen Überweisung oder Zuweisung ist grundsätzlich zu Vertragspartnern zu überweisen oder zuzuweisen. Eine Zuweisung oder Überweisung zu Wahlbehandlern soll nur dann erfolgen wenn ein Vertragspartner unter Berücksichtigung der Dringlichkeit der Behandlung oder Untersuchung in zumutbarer Entfernung nicht vorhanden ist.

(3) Durch die Krankenbehandlung soll die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wieder hergestellt, gefestigt oder ge-bessert werden.

(...)

(5) Der Anspruchsberechtigte darf während desselben Krankheitsfalles innerhalb des Abrechnungszeitraumes einen Arztwechsel nur mit Zustimmung des Versicherungsträgers, welcher den behandelnden Arzt vorher anzuhören hat, vornehmen. (...)"

9 Die revisionswerbende GKK ist der Meinung, diese Bestimmung sei so auszulegen, dass sie jegliche wahlärztliche Tätigkeit von Vertragsärzten - auch außerhalb des vom Einzelvertrag erfassten Faches - verbiete. In diesem umfassenden Sinn ist auch ihr Antrag zu verstehen. Ein ausdrückliches Verbot sei im Gesamtvertrag deswegen nicht enthalten, weil zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die Tätigkeit der Ärztinnen und Ärzte berufsrechtlich auf ein Fach und einen Berufssitz beschränkt gewesen sei; ein Verbot im Gesamtvertrag habe sich daher erübrigt. Dass eine Tätigkeit in einem weiteren Fach mittlerweile berufsrechtlich erlaubt sei, bewirke nicht automatisch, dass Vertragsärzte nun auch gleichzeitig als Wahlärzte tätig werden könnten. Die Änderung des Ärztegesetzes habe die vom Gesetzgeber des ASVG geschaffene strikte Trennung von Vertragsärzten und Wahlärzten nicht aufgehoben. Zu einer Änderung des Gesamtvertrages sei es nicht gekommen, weil sie der Zustimmung der Ärztekammer bedürfte, die aber vielmehr an der Auflösung der Grenze zwischen Vertragsärzten und Wahlärzten sowie an Privathonorierungsmöglichkeiten für Vertragsärzte interessiert sei. Angesichts des Verständnisses des Gesetzgebers und des Gesamtvertrages vom Sachleistungssystem im Sinne einer strikten Trennung zwischen Vertrags- und Wahlärzten und des umfassenden Charakters des Gesamtvertrages könne es jedoch keinem Zweifel unterliegen, dass es nicht an einem Verbot mangle, sondern umgekehrt an einer ausdrücklichen Ermächtigung, die den Vertragsärzten ein solches Tätigwerden auf Privathonorarbasis im Rahmen der Krankenbehandlung für Versicherte erlauben würde.

10 3. Der Verfassungsgerichtshof hatte sich in seinem Erkenntnis vom 20. Februar 2015, B 495/2013, mit einem vergleichbaren Fall zu befassen. Es ging um einen Arzt, der mit der GKK einen Einzelvertrag für eine Kassenplanstelle als Arzt für Allgemeinmedizin abgeschlossen hatte und daneben - außerhalb der mit der GKK vereinbarten Ordinationszeiten - auch als Wahlarzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe tätig war. Die GKK hatte an die Paritätische Schiedskommission den Antrag auf Feststellung gerichtet, dass die (als Wahlarzt gestellten) Privathonorarforderungen einen Vertragsverstoß darstellten und es der Arzt künftig zu unterlassen habe, für Leistungen der Krankenbehandlung Privathonorare an Versicherte zu stellen. Dass der Arzt in unzulässiger Weise eine Mischpraxis führte, in der gleichzeitig sowohl Kassen- als auch Privatleistungen angeboten und erbracht wurden, oder dass er die Praxis sonst auf eine Weise führte, die für Kassenpatientinnen im überschneidenden Befugnisbereich von Allgemeinmedizinern und Fachärzten für Frauenheilkunde und Geburtshilfe nicht erkennen ließ, in welcher Eigenschaft der Arzt tätig wurde, war im Verfahren nicht behauptet worden. Ausgehend davon führte der Verfassungsgerichtshof unter Berufung auf frühere Rechtsprechung aus, dass nach dem Wortlaut und der systematischen Stellung des § 131 ASVG, vor allem aber nach seinem offenkundigen Zweck, ein niedergelassener Arzt nur entweder ein Vertragsarzt (Kassenarzt) oder Wahlarzt sein könne. Ein Vertragsfacharzt, dessen Einzelvertrag in Berücksichtigung der Anordnung des § 338 Abs. 2a ASVG die Durchführung einer bestimmten Untersuchung durch diesen Facharzt nicht vorsehe, könne daher von einem Versicherten dieser Gebietskrankenkasse nicht als Wahlarzt in Anspruch genommen werden. Der hier zu beurteilende Fall unterscheide sich von den bisher entschiedenen Fällen allerdings dadurch, dass ein und derselbe Arzt zwar am selben Standort, aber zu verschiedenen Ordinationszeiten, einerseits als Allgemeinmediziner mit Einzelvertrag und andererseits (und insoweit getrennt von der vertragsärztlichen Tätigkeit als Allgemeinmediziner) als (Wahl‑)Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe niedergelassen sei. Die von der GKK aufgezeigte Problematik - dass der Arzt Honorarnoten über Leistungen gelegt hätte, die zum größeren Teil auch von Allgemeinmedizinern erbracht werden dürften - ergebe sich ganz allgemein aus dem Umstand, dass Allgemeinmediziner (vgl. § 31 Abs. 1 ÄrzteG) anders als Fachärzte (vgl. § 31 Abs. 2 ÄrzteG) nicht auf bestimmte ärztliche Tätigkeiten beschränkt seien und daher mit Fachärzten beträchtliche Überschneidungen in der Berufsbefugnis aufweisen könnten. Die GKK habe angesichts dessen aber im Verfahren nicht darzutun vermocht, dass der Gesamtvertrag oder der Einzelvertrag eine ausdrückliche Verpflichtung des Vertragsarztes enthielten, sich einer (wahl-)ärztlichen Tätigkeit in jedem anderen Fach, in dem er keinen Kassenvertrag besitze, in Bezug auf sozialversicherte Personen zu enthalten.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hält ebenfalls am Grundsatz fest, dass ein Vertragsarzt schon auf Grund der gesetzlichen Regelung des § 131 ASVG nicht zugleich Wahlarzt sein kann:

Versicherte können nach § 131 Abs. 1 ASVG entweder einen Vertragsarzt in Anspruch nehmen oder für die Inanspruchnahme eines anderen - nicht in einem Einzelvertragsverhältnis mit dem Krankenversicherungsträger stehenden - Arztes eine Kostenerstattung im Ausmaß von 80 vH des Betrages, der vom Versicherungsträger bei Inanspruchnahme des Vertragsarztes aufzuwenden gewesen wäre, geltend machen. Das damit geschaffene System beruht auf der Verschiedenheit von Vertragsarzt und Wahlarzt, was - wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 4. Dezember 1992, VfSlg. 13.286, erläutert hat - einerseits dem Schutz der Versicherten dient, denen unter Wahrung der freien Arztwahl die Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen ermöglicht werden soll, ohne selbst zur Honorierung des Arztes herangezogen zu werden, und andererseits auch das Funktionieren des für diesen Zweck notwendigen Vertragsarztsystems gewährleisten soll.

12 Diese Überlegungen (ebenso wie die Argumente der GKK betreffend eine umfassende, auch über die einzelnen Positionen der Honorarordnung hinausgehende Behandlungspflicht des Vertragsarztes) gelten aber nur insoweit, als es sich um eine Tätigkeit in dem Fach handelt, für das der Einzelvertrag des betreffenden Arztes abgeschlossen wurde. Dagegen ergibt sich weder aus einer gesetzlichen Regelung noch aus dem hier anzuwendenden Gesamtvertrag, dass eine daneben ausgeübte Tätigkeit als Wahlarzt in einem anderen Fach - mit entsprechendem Honorarbzw. Erstattungsanspruch - nicht zulässig wäre, solange insbesondere das im Einzelvertrag bedungene Ausmaß der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht beschnitten wird und die jeweiligen Tätigkeiten klar und (gerade bei einem teilweise überschneidenden Leistungsspektrum) schon im Vorhinein - etwa durch unterschiedliche Ordinationszeiten - voneinander abgrenzbar sind sowie tatsächlich eine Behandlung aus dem anderen Fach erbracht wird.

13 Dabei wird nicht verkannt, dass ein Tätigwerden in einem zweiten Fachbereich zum Zeitpunkt des Abschlusses des Gesamtvertrages berufsrechtlich ausgeschlossen war, sodass sich für die Gesamtvertragsparteien insoweit kein Regelungsbedarf gezeigt haben mag. Der Wegfall dieses Verbots hat sich auf den Bereich des sozialversicherungsrechtlichen Vertragspartnerrechts insoweit ausgewirkt, als den Ärzten einschließlich der Vertragsärzte neue Handlungsoptionen eröffnet wurden; ob und inwieweit diese Handlungsoptionen für die Vertragsärzte unter sozialversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten eingeschränkt werden sollen, ist eine Frage, deren normative Beantwortung nunmehr den Gesamtvertragsparteien bzw. dem Gesetzgeber des ASVG obliegt. Solange sich weder die Gesamtvertragsparteien auf eine beschränkende Regelung einigen noch der Gesetzgeber tätig wird, fehlt es an einer Grundlage, Vertragsärzten in der von der GKK geforderten Allgemeinheit die Verrechnung von (Wahlarzt‑)Honoraren in einem weiteren - nicht den Gegenstand des Einzelvertrages bildenden - Fach zu untersagen.

14 4. Die Revision erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Wien, am 12. Oktober 2017

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