VwGH Ro 2014/09/0050

VwGHRo 2014/09/00505.11.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die als Revision geltende Beschwerde des C B in L, vertreten durch die Korn Rechtsanwälte OG in 1040 Wien, Argentinierstraße 20, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 25. November 2013, Zl. UVS- 07/A/19/16235/2012-10, betreffend Bestrafung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (weitere Parteien: Bundesminister für Finanzen; Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

AuslBG §2 Abs2;
AuslBG §2 Abs4;
B-VG Art133 Abs4 idF 2012/I/051;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
ZPO §500;
ZPO §502 Abs1;
AuslBG §2 Abs2;
AuslBG §2 Abs4;
B-VG Art133 Abs4 idF 2012/I/051;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
ZPO §500;
ZPO §502 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde der Revisionswerber schuldig erkannt, er habe es als verantwortlicher Beauftragter und somit als gemäß § 9 Abs. 2 VStG 1991 zur Vertretung nach außen Berufener der M. GmbH, die persönlich haftender Gesellschafter der M. KG, jeweils mit Sitz in Wien zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin am 13. Dezember 2011 den indischen Staatsangehörigen PN als Zeitungszusteller beschäftigt habe, obwohl für diesen keine der im Einzelnen aufgezählten arbeitsmarktrechtlichen Bewilligungen bzw. Bestätigungen ausgestellt gewesen sei.

Er habe dadurch § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a iVm § 3 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) verletzt und es werde eine Geldstrafe von EUR 1.900,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag und 20 Stunden) verhängt.

Zur Begründung der Entscheidung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Revisionswerber sei im maßgeblichen Zeitraum als verantwortlicher Beauftragter für die Einhaltung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes durch die M. GmbH gewesen, die persönlich haftende Gesellschafterin der M. KG sei. Diese habe PN u. a. im angeführten Zeitraum als Zeitungszusteller beschäftigt.

Eine arbeitsmarktbehördliche Bewilligung dafür habe nicht vorgelegen.

Der Beschäftigung habe ein schriftlicher "GSVG-Werkvertrag-

Abonnentenbetreuung" zu Grunde gelegen.

Aus dem im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Vertrag

ergebe sich, dass PN die Aufgabe gehabt habe, die

Abonnentenbetreuung (insbesondere die Hauszustellung von Zeitungen

und Zeitschriften, Katalogen und sonstigen persönlich adressierten

Druckwerken an Abonnenten, Kunden und sonstige Dritte) und die

Abonnentenwerbung in diesbezüglich vereinbarten Zustellbezirken an

den vereinbarten Zustelltagen durchzuführen. Er schulde "die

erfolgreiche Zustellung der Produkte" an die von den Kunden bzw.

von der M. KG jeweils bekannt gegebenen Hinterlegungsplätzen.

Auftraggeber wie Auftragnehmer würden davon ausgehen, dass es sich bei diesem Vertragsverhältnis um eine "neue Selbständigkeit" iSd § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG handle. Eine Anmeldung bei der Gebietskrankenkasse durch den Auftraggeber sollte unterbleiben.

Für den Fall, dass entgegen dieser gemeinsam gewollten rechtlichen Beurteilung von einem dem ASVG unterliegenden Vertragsverhältnis auszugehen sein sollte, werde vereinbart, dass das Entgelt (auch rückwirkend) auf jene Höhe angepasst werde, die sich nach Abzug der ASVG-Dienstnehmeranteile ergeben hätte.

PN habe diesen Vertrag - so die belangte Behörde weiter - zu Beginn seiner Tätigkeit im Juli 2007 unterfertigt. Im Fall von Reklamationen von Kunden der M. KG sei seine Tätigkeit kontrolliert worden.

Der Revisionswerber habe im Verwaltungsverfahren die rechtliche Beurteilung der Tätigkeit des PN als arbeitnehmerähnlich und die daraus resultierende Bewilligungspflicht nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz bestritten.

Eine "Beschäftigung nach dem AuslBG" könne durchaus auch dann vorliegen, wenn die Person, die Arbeitsleistungen erbringe, ihre Arbeitskraft noch anderweitig für Erwerbszwecke einsetzen könne. Die "dem Ausländer" übertragene Tätigkeit der Zustellung von Zeitungen zu Wohnungen sei als einfache, im unmittelbaren Arbeitsablauf zu besorgende Tätigkeit zu qualifizieren, die typischerweise in einem Arbeitsverhältnis geleistet werde. Daran ändere nichts, dass es sich bei den "dem Ausländer" übergebenen Zustelllisten nicht um "Betriebsmittel" handle, sondern bloß um Aufzeichnungen, mit denen die Leistungspflicht "des Ausländers" konkretisiert worden sei. Solche Tätigkeiten seien derart durch die Vorgaben des Auftraggebers vorherbestimmt, dass sie als arbeitnehmerähnlich zu qualifizieren seien. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht bestehe für "den Ausländer" keine reale Möglichkeit, von dem ihm vorbehaltenen Recht, Hilfspersonal einzustellen, tatsächlich Gebrauch zu machen.

Sowohl Werbemittelverteiler als auch Zeitungszusteller würden kein selbständiges, näher umschriebenes Werk herstellen. Ihre Verwendung erfolge grundsätzlich in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis. Die Tätigkeit des PN habe sich darauf beschränkt, Druckwerke (Zeitungen) an die Abonnenten zuzustellen. Eine darüber hinausgehende "Betreuung" der Abonnenten habe nicht festgestellt werden können. Das Rechtsverhältnis sei als arbeitnehmerähnlich zu beurteilen. Der Zusteller sei nicht selbständig als Unternehmer tätig gewesen. Die Bezahlung sei nach einem von der Auftraggeberin fest vorgegebenen Tarif jeweils monatlich im Nachhinein erfolgt. Dies entspreche einer Entlohnung nach erbrachter Arbeitsleistung je Zeiteinheit. Es habe keine Rechnungslegung durch den Auftragnehmer stattgefunden.

Es sei von einer grundsätzlichen - wenn auch in mancher Hinsicht abgeschwächten - Einordnung der Auftragnehmerin "in die Betriebsorganisation" auszugehen, die insgesamt eher für die Arbeitnehmerähnlichkeit als für die Selbständigkeit spräche. Ein "zwingendes Vorhandensein substanzieller eigener Betriebsmittel des Auftragnehmers kann für die Selbständigkeit nicht in Anschlag gebracht werden". Die Verwendung eines eigenen Fahrzeuges sei "nicht von großem Gewicht im Sinn dieses Kriteriums". Eine systematische Verwendung von Hilfspersonal durch PN habe nicht vorgelegen. Dieser habe sich lediglich ein- oder zweimal innerhalb von zwei Jahren von einem Bekannten vertreten lassen.

Zusammenfassend ergebe sich ein Überwiegen der für die Verwendung in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis sprechenden Gründe.

Für die Beschäftigung "des Ausländers" wäre daher eine arbeitsmarktbehördliche Bewilligung erforderlich gewesen.

Die Behandlung der gegen diesen Bescheid zunächst an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 5. Juni 2014, B 263/2014-8, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wurde die als Revision geltende Beschwerde auftragsgemäß ergänzt.

Hat der Verfassungsgerichtshof eine Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG nach dem Ablauf des 31. Dezember 2013 an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten, ist in sinngemäßer Anwendung des § 4 VwGbk-ÜG vorzugehen.

Die Zulässigkeit der Revision bestimmt sich demnach gemäß § 4 Abs. 4 VwGbk-ÜG iVm Art. 133 Abs. 4 B-VG.

Das Verwaltungsgericht Wien hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Revision ist zulässig.

Das Revisionsmodell soll sich nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 f ZPO orientieren (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP, 16). Daher kommt § 502 Abs 1 ZPO und der dazu ergangenen Judikatur der ordentlichen Gerichte Bedeutung zu (vgl. die Urteile des OGH vom 26. Juli 2006, 3 Ob 241/05w, und vom 25. Februar 1997, 1 Ob 2147/96h).

Der Revisionswerber bringt vor, der belangten Behörde sei vorzuwerfen, dass sie bei ihrer "Abschreibübung" (von einem näher genannten anderen Bescheid) § 25 VStG massiv verletzt habe. Sämtliche in der rechtlichen Beurteilung zur Frage der Arbeitnehmerähnlichkeit von PN disloziert getroffenen "Feststellungen" seien durch keine Beweisergebnisse gedeckt und stünden mit dem konkret zu beurteilenden Sachverhalt in keinem Zusammenhang. Dies zeige sich etwa in den Aussagen, dass MA in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis verwendet worden sei und der Revisionswerber für die Beschäftigung des MA verantwortlich sei. Gegenständlich gehe es aber um PN. Der Revisionswerber wendet sich auch gegen die Feststellungen zur "systematischen Verwendung von Hilfspersonal" im Zusammenhang mit dem Vertretungsrecht. Die belangte Behörde habe dazu keine Ermittlungen angestellt.

Die Feststellungen stünden zudem im Widerspruch zu der (nicht als unglaubwürdig eingestuften) Aussage der ausschließlich einvernommenen Zeugin Dr. S. Wäre der Sachverhalt nicht aktenwidrig und auf unvollständigen Ermittlungen beruhend festgestellt worden, so wäre hervorgekommen, dass er jenem gleiche, der dem hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2012, Zl. 2009/09/0128, zu Grunde gelegen sei.

Mit diesem Vorbringen behauptet der Revisionswerber das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG, weil die belangte Behörde den Bescheid mit Ausführungen aus einem anderen Verfahren begründe, denen hier kein Begründungswert zukomme, und sie zu den entscheidenden Punkten jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe (vgl. etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. September 1986, B 265/86). Das Schicksal der Revision hängt von der Lösung dieser Rechtsfrage ab.

2. Die Revision ist berechtigt.

Die belangte Behörde hat als "Sachverhalt" festgestellt (S. 3 des angefochtenen Bescheides), dass PN als Zeitungszusteller "beschäftigt" gewesen sei.

Der Begriff der "Beschäftigung" ist ein Rechtsbegriff. Grundlage für die rechtliche Würdigung ist ein ausreichend erhobener Sachverhalt. Dabei ist nach § 2 Abs. 4 AuslBG dessen wahrer wirtschaftlicher Gehalt maßgebend (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 17. November 2004, Zl. 2003/09/0025).

Soweit die belangte Behörde die Aussagen der auch im Verfahren zur GZ UVS/07/A/8826/12 einvernommenen Zeugen und den vorgelegten schriftlichen Vertrag ins Treffen führt, ist ihr zu entgegnen, dass sie weder anführt welche Zeugen in diesem anderen Verfahren einvernommen worden sind, noch sind deren Aussagen in der im gegenständlichen Verfahren durchgeführten Verhandlung vorgekommen. Der Zusteller PN wurde im Verfahren vor der belangten Behörde nicht einvernommen, die belangte Behörde hat sich auch auf keine anderweitig getätigten Angaben des PN berufen.

Dazu merkt der Verwaltungsgerichtshof an, dass das Verfahren zur GZ UVS/07/A/8826/12 Gegenstand des hg. Erkenntnisses vom 12. November 2013, Zl. 2013/09/0068, war. Der dort festgestellte Sachverhalt beruhte u.a. auf den Aussagen des dortigen Zustellers.

Worauf die im gegenständlichen Verfahren getroffenen Feststellungen zur "unternehmerischen Infrastruktur", zum "Organisationsplan" und "eine systematische Verwendung von Hilfspersonal durch die Auftragnehmer", "dieser hat sich lediglich ein- oder zweimal innerhalb von zwei Jahren von einem Bekannten vertreten lassen", (sollten sie überhaupt den Fall des PN, der nicht als Zeuge einvernommen wurde, betreffen (siehe auch die Hervorhebungen durch Fettdruck)) beruhen, wird im Bescheid nicht angeführt und ist auch nicht nachvollziehbar.

Der Revisionswerber bringt vor, dass die Aussage der Zeugin Dr. S zum "GSVG-Werkvertrag-Abonnentenbetreuung" und wie dieser Werkvertrag in der Praxis "gelebt" wurde, zu Unrecht nicht berücksichtigt wurde.

Die belangte Behörde hat die Aussage der Zeugin nicht als unglaubwürdig erachtet. Die Zeugin hat u.a. ausgesagt, "die Zusteller werden von uns nicht kontrolliert". Nimmt man an, dass es sich bei der (wiederholten) Namensnennung MA (statt richtig: PN) in den "Feststellungen" der belangten Behörde um einen Schreibfehler handelt (andernfalls hätten alle sich auf MA beziehenden Begründungsteile überhaupt keine Bedeutung im gegenständlichen Fall), so ist nicht nachvollziehbar, auf welchen Grundlagen die belangte Behörde die zur Aussage der Zeugin im

Widerspruch stehende Feststellung einer "Kontrolle ... im Falle

von Reklamationen von Kunden" gelangt.

Die belangte Behörde hat es demnach unterlassen, erhebliche Tatfragen zum objektiven Tatbestand der vorgeworfenen Verwaltungsübertretung zu ermitteln und danach hinreichende Feststellungen zu treffen.

3. Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der gemäß §§ 3 und 4 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, idF BGBl. II Nr. 8/2014, auf "Übergangsfälle" weiter anzuwendenden Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 5. November 2014

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