VwGH Ra 2023/01/0359

VwGHRa 2023/01/035926.9.2024

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Dr. Fasching, Mag. Brandl, Dr. Terlitza und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der revisionswerbenden Parteien 1. H D L P, 2. A S P und 3. L M P, alle in B und vertreten durch Dr. Karl Newole, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Zelinkagasse 6 (protokolliert zu Ra 2023/01/0360 bis 0362), sowie 4. der Wiener Landesregierung (protokolliert zu Ra 2023/01/0359), jeweils gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 31. August 2023, Zlen. 1. VGW‑152/075/13174/2022‑26, 2. VGW‑152/075/13175/2022 und 3. VGW‑152/075/13176/2022, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung),

I. zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §6
B-VG Art18
StbG 1985 §10 Abs1
StbG 1985 §58c Abs1
StbG 1985 §58c Abs1a
StbG 1985 §58c Abs1a idF 2019/I/096
StbG 1985 §58c Abs2
StbG 1985 §58c Abs3
StbG 1985 §58c Abs4
StbG 1985 §58c Abs5
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023010359.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird aufgrund der Revision der erst‑ bis drittrevisionswerbenden Parteien wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Erstrevisionswerber (zu Ra 2023/01/0360 bis 0362) Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Die Amtsrevision der viertrevisionswerbenden Partei (zu Ra 2023/01/0359) wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Begründung

1 Der 1968 in Argentinien geborene Erstrevisionswerber ist der Vater der (minderjährigen) zweit‑ und drittrevisionswerbenden Parteien. Sie alle sind argentinische Staatsangehörige.

2 Mit Bescheiden je vom 15. Juli 2022 stellte die belangte Behörde fest, dass die erst‑ bis drittrevisionswerbenden Parteien die österreichische Staatsbürgerschaft aufgrund der am 9. April 2021 eingelangten Anzeige gemäß § 58c Abs. 1a Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 „idF vor BGBl. I Nr. 48/2022“ nicht erworben haben.

3 Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Großmutter des Erstrevisionswerbers, die österreichische Staatsbürgerin A H (im Folgenden: Vorfahrin), im Jahr 1927 nach Argentinien ausgewandert sei. Den von der belangten Behörde veranlassten Recherchen des Österreichischen Nationalfonds zufolge habe sie 1927 keine Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder Behörden des Deutschen Reiches zu befürchten gehabt. Die Ermittlungen hätten keine Hinweise ergeben, dass sie - nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 ‑ zu einer vom Nationalsozialismus typischerweise verfolgten Personengruppe gehört habe oder dass sie Verfolgungen aufgrund von Handlungen des Widerstands zu befürchten gehabt hätte. Vielmehr habe sie Österreich 1927 ‑ wenn auch nicht aus ökonomischen Gründen ‑ so doch aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage und der düsteren Aussichten verlassen. Sie habe im Jahr 1930 ihre Tochter A J geboren und in weiterer Folge mit einem paraguayischen Staatsbürger die Ehe geschlossen. Es liege daher nahe, dass sie aufgrund ihrer familiären Verankerung in Argentinien nicht zwischen dem 30. Jänner 1933 und 9. April 1945 in das Bundesgebiet zurückgekehrt sei. Sie hätte jedenfalls bei einer Rückkehr keine Verfolgung zu befürchten gehabt.

4 Dagegen erhoben die erst‑ bis drittrevisionswerbenden Parteien Beschwerde, in der sie im Wesentlichen vorbrachten, dass aufgrund der „fortschrittlich‑sozialdemokratischen“ Weltanschauung der Vorfahrin bzw. der damit verbundenen Ablehnung des Faschismus und der NS‑Ideologie sowie ihrer Ehe mit einem paraguayischen Staatsangehörigen jüdischer Herkunft eine Rückkehr nach Österreich von vornherein nicht in Betracht gekommen sei; sie habe zu den politisch Unerwünschten gezählt.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und wurden die angefochtenen Bescheide mit der Maßgabe bestätigt, dass die erst‑ bis drittrevisionswerbenden Parteien die österreichische Staatsbürgerschaft aufgrund der Anzeige vom 9. April 2021 nicht gemäß § 58c Abs. 3 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 „idF BGBl. I Nr. 48/2022“ erworben haben. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG für unzulässig erklärt.

6 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der Erstrevisionswerber sei der Enkelsohn der am 24. November 1910 als österreichische Staatsbürgerin geborenen Vorfahrin. Die zweit‑ und drittrevisionswerbenden Parteien seien ihre Urenkelkinder.

7 1927 sei die Vorfahrin nach Argentinien ausgewandert, wo sie 1932 einen paraguayischen Staatsangehörigen geheiratet habe. Durch die Eheschließung habe sie die österreichische Staatsbürgerschaft nicht verloren; sie sei bis zu ihrem Tod österreichische Staatsbürgerin geblieben.

8 Am 14. März 1933 habe die Vorfahrin in Buenos Aires ihre (zweite) Tochter, R B B, die Mutter des Erstrevisionswerbers bzw. die Großmutter der zweit‑ und drittrevisionswerbenden Parteien, geboren; diese habe mit ihrer Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft nicht erworben.

9 Mit Schreiben vom 24. März 2023 habe der Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus eine sachverständige Stellungnahme zum Vorbringen der revisionswerbenden Parteien erstattet, die in der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2023 unter Beiziehung von zwei Historikern des Nationalfonds erörtert worden sei. Mit Stellungnahme vom 12. Juni 2023 seien die revisionswerbenden Parteien den sachverständigen Ausführungen des Nationalfonds entgegengetreten.

10 Von der Fortführung der mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, insbesondere weil die Akten erkennen ließen, dass eine mündliche Erörterung (der erwähnten Stellungnahme vom 12. Juni 2023) eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse.

11 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, dass die Vorfahrin bis zu ihrem Tod österreichische Staatsbürgerin gewesen sei; sie sei nie „Fremde“ gewesen und hätte daher nicht mit einer Anzeige gemäß § 58c Abs. 1 oder Abs. 2 Z 1 StbG die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben können. Daher sei es auch ausgeschlossen, dass die erst‑ bis drittrevisionswerbenden Parteien durch Anzeige gemäß § 58c Abs. 3 StbG als Nachkommen der Vorfahrin die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben könnten, weil nach dieser Bestimmung der Staatsbürgerschaftserwerb nur für Nachkommen einer Person, die gemäß Abs. 1 oder Abs. 2 leg. cit. die Staatsbürgerschaft erworben hat oder erwerben hätte können, vorgesehen sei.

12 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliege, wenn sich das Verwaltungsgericht ‑ wie hier ‑ in seiner Entscheidung auf einen eindeutigen Gesetzeswortlaut stützten könne.

13 Dagegen richtet sich u.a. die vorliegende außerordentliche Revision der erst‑ bis drittrevisionswerbenden Parteien, die zur Zulässigkeit im Wesentlichen geltend macht, dass zur Auslegung der Bestimmung des § 58c Abs. 3 StbG keine „höchstgerichtliche Rechtsprechung“ vorliege; entgegen der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Auslegung sprächen sowohl objektiv‑teleologische Gründe als auch die in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende historische Absicht des Gesetzgebers für eine Auslegung, wonach nach dieser Bestimmung auch Nachkommen von Vorfahren, welche die österreichische Staatsbürgerschaft nicht verloren hätten, zum begünstigten Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft berechtigt seien.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die belangte Behörde (die als Viertrevisionswerberin das angefochtene Erkenntnis ebenfalls bekämpft) keine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen:

15 Die Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

Maßgebliche Rechtslage

16 Gemäß § 2 Z 4 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311(StbG) ist im Sinne dieses Bundesgesetzes „Fremder“ eine Person ohne Unterschied des Geschlechts, welche die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt.

17 § 58c Abs. 1 und 1a StbG in der Fassung BGBl. I Nr. 96/2019 lautete:

§ 58c. (1) Ein Fremder erwirbt unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt, sich als Staatsbürger oder Staatsangehöriger eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie oder Staatenloser jeweils mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet vor dem 15. Mai 1955 in das Ausland begeben zu haben, weil er Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte.

(1a) Ein Fremder erwirbt unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt und durch unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete und gleichwertige Bescheinigungsmittel nachweist, dass er Nachkomme in direkter absteigender Linie einer Person ist, die gemäß Abs. 1 oder 2 die Staatsbürgerschaft erworben hat oder erwerben hätte können. Die Abs. 2 und 3 gelten sinngemäß.“

18 In den Materialien (AA-146 26. GP 2) wird dazu (auszugsweise) ausgeführt: (Unterstreichungen durch den Verwaltungsgerichtshof):

„[...] Voraussetzung dafür, dass sich ein Nachkomme auf den neuen Erwerbstatbestand des Abs. la berufen kann, ist, dass sein Vorfahre unter die Zielgruppe des Abs. 1 fällt. Der Vorfahre muss dabei entweder die Staatsbürgerschaft tatsächlich erworben haben oder sie erwerben hätte können.

Wenn der Vorfahre die Staatsbürgerschaft als Verfolgter tatsächlich wiedererworben hat, ist der Nachweis für das Vorliegen der Voraussetzungen im Hinblick auf den Vorfahren jedenfalls erbracht. In den Fällen, in denen der Vorfahre die Staatsbürgerschaft als Verfolgter nicht wiedererworben hat, soll es - um unsachliche Ergebnisse zu vermeiden - weder schaden, wenn er bereits vor Inkrafttreten des § 58c (BGBI. Nr. 521/ 1993) verstorben ist, noch wenn er die Staatsbürgerschaft zuvor auf andere Weise erworben oder nie verloren hat. Der Verweis auf § 58c Abs. 1StbG bedeutet auch nicht, dass sich ein Nachkomme eines Verfolgten nur dann auf den neuen Erwerbstatbestand berufen kann, wenn der Verfolgte (oder ein Angehöriger einer dazwischenliegenden Generation) jemals ‚Fremder‘ war. Maßgebliche Rechtslage für die Prüfung, ob der Vorfahre die Staatsbürgerschaft hätte erwerben können, ist jene zum Zeitpunkt des Erwerbs der Staatsbürgerschaft durch den Nachkommen, dh. jene zum Zeitpunkt der Anzeigelegung (siehe Abs. 2) [...]“

19 Mit BGBl. I Nr. 48/2022 wurde § 58c StbG novelliert. Die Bestimmung lautet seither (auszugsweise):

„§ 58c. (1) Ein Fremder erwirbt unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt, sich als Staatsbürger oder Staatsangehöriger eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie oder Staatenloser jeweils mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet vor dem 15. Mai 1955 in das Ausland begeben zu haben, weil er Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte.

(1a) [...]

(2) Ein Fremder erwirbt unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er

1. Staatsbürger war und zwischen dem 30. Jänner 1933 und dem 9. Mai 1945 über keinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet verfügt hat, weil er im Falle einer Rückkehr oder erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet zur Begründung eines Hauptwohnsitzes Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches oder wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich zu befürchten gehabt hätte,

[...]

und er dies der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt.

(3) Ein Fremder erwirbt unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt und durch unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete und gleichwertige Bescheinigungsmittel nachweist, dass er Nachkomme in direkter absteigender Linie einer Person ist, die gemäß Abs. 1 oder 2 die Staatsbürgerschaft erworben hat oder erwerben hätte können, wobei die Prüfung der Erfüllung der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 hinsichtlich des Vorfahren entfällt.

(4) [...]

(5) Die Abs. 3 und 4 gelten nicht, wenn der Fremde die Staatsbürgerschaft nicht mehr besitzt, weil er eine fremde Staatsangehörigkeit erworben hat (§ 27), es sei denn, der Fremde wusste zum Zeitpunkt des Erwerbs der fremden Staatsangehörigkeit nicht, dass er im Besitz der Staatsbürgerschaft ist. Die Abs. 3 und 4 gelten weiters nicht, wenn der Fremde die Staatsbürgerschaft nach §§ 32 bis 34 oder 37 verloren hat.

(6) [...]

(7) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 1, 2, 3 oder 4 vor, so hat die Behörde mit schriftlichem Bescheid festzustellen, dass der Einschreiter die Staatsbürgerschaft mit dem Tag des Einlangens der Anzeige bei der Behörde (§ 39) erworben hat.

[...]“

20 Gemäß § 64a Abs. 35 erster Satz StbG idF BGBl I Nr. 48/2022 trat diese Neufassung des § 58c StbG mit dem Monatsersten nach Kundmachung dieses Bundesgesetzes, sohin am 1. Mai 2022, in Kraft. Gemäß dem zweiten Satz leg. cit. ist § 58c Abs. 5 auf Sachverhalte anzuwenden, in denen die Staatsbürgerschaft ab diesem Inkrafttretenszeitpunkt verloren wurde.

21 Die Materialien (vgl. AB 1421 zu IA 2146/A BlgNR 27. GP 2 ff) führen dazu (auszugsweise) aus (Unterstreichungen durch den Verwaltungsgerichtshof):

„Allgemeiner Teil

Als Ausdruck des Bekenntnisses Österreichs zu seiner Verantwortung für die Verbrechen während der NS-Zeit im Staatsbürgerschaftsrecht normieren die geltenden Bestimmungen des § 58c Sondererwerbstatbestände für die damaligen Verfolgten des Nationalsozialismus sowie deren Nachkommen.

Demnach erwirbt gemäß dem geltenden § 58c Abs. 1 ein Fremder unter erleichterten Voraussetzungen die österreichische Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde schriftlich anzeigt, sich als Staatsbürger oder Staatsangehöriger eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen Österreichisch-Ungarischen Monarchie oder Staatenloser jeweils mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet vor dem 15. Mai 1955 in das Ausland begeben zu haben, weil er Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte.

Im Oktober 2019 wurde mit dem Staatsbürgerschaftsrechtsänderungsgesetz 2018, BGBl. I Nr. 96/2019, neben diesem Sondererwerbstatbestand für die Verfolgten selbst durch Einfügung eines neuen Abs. 1a in § 58c ein weiterer Sondererwerbstatbestand für deren Nachkommen eingeführt, bei denen anzunehmen ist, dass sie ohne das erlittene Unrecht ihrer Vorfahren während der NSZeit oder des Ständestaates heute im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft wären. Seit dieser Änderung können auch Nachkommen in direkter absteigender Linie einer Person, die als Verfolgter gemäß Abs. 1 die Staatsbürgerschaft erworben hat oder erwerben hätte können, unter erleichterten Bedingungen die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben.

[...].

Besonderer Teil

[...]

Zu § 58c

Zu Abs. 2:

Voraussetzung für den erleichterten Erwerb der Staatsbürgerschaft gemäß § 58c Abs. 1 ist dem Gesetzeswortlaut entsprechend neben dem Vorliegen bestimmter Voraussetzungen des § 10, dass der betreffende Fremde über einen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet verfügt hat, bevor er sich aufgrund der befürchteten oder erlittenen Verfolgung ins Ausland begeben hat. Die Wortfolge ‚ins Ausland begeben‘ verlangt eine freiwillige Ausreisebewegung, wobei der Begriff ‚Ausland‘ gemäß StbG alle Territorien umfasst, die nicht ‚Bundesgebiet‘ gemäß StbG sind.

Nicht umfasst vom geltenden Abs. 1 sind demnach [...] Fälle, in denen Staatsbürger aufgrund zu befürchtender Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches oder wegen ihres Eintretens für die demokratische Republik Österreich vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht in das Bundesgebiet zurückkehren konnten.

Um künftig auch diesen Personengruppen in sachgerechter Weise einen erleichterten Erwerb der Staatsbürgerschaft zu ermöglichen, soll ein neuer Abs. 2 eingefügt werden.

Die vorgeschlagene Z 1 des Abs. 2 sieht dabei einen erleichterten Erwerb der Staatsbürgerschaft für jene Fremden vor, die Staatsbürger waren und zwischen dem 30. Jänner 1933 und dem 9. Mai 1945 über keinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet verfügt haben, weil sie im Falle einer Rückkehr oder erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet zur Begründung eines Hauptwohnsitzes Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches oder wegen ihres Eintretens für die demokratische Republik Österreich zu befürchten gehabt hätten. Dieser Tatbestand soll sohin jene ehemaligen Österreicher umfassen, denen es aufgrund zu befürchtender Verfolgung verwehrt war, zwischen der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und damit der Machtübernahme Adolf Hitlers im Deutschen Reich sowie dem Ende des Zweiten Weltkrieges am 9. Mai 1945 in das Bundesgebiet zurückzukehren oder erstmalig einzureisen, um hier ihren Hauptwohnsitz zu begründen. Die Meldung eines Hauptwohnsitzes hat dabei wie auch in anderen Rechtsbereichen lediglich Indizwirkung. Haben daher Personen das Bundesgebiet vor dem 30. Jänner 1933 verlassen und sind bis zum 9. Mai 1945 nicht zurückgekehrt, haben sie ‑ unbeschadet einer allenfalls weiterhin formal bestehenden Hauptwohnsitzmeldung oder allenfalls kurzfristiger Aufenthalte im Bundesgebiet zu Urlaubszwecken oder für Familienbesuche ‑ ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet de facto aufgegeben und fallen unter den neuen Abs. 2 Z 1.

Die in Abs. 2 Z 1 vorgenommene Festlegung des Stichtages mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Jänner 1933 erweist sich insofern als sachgerecht, als ab diesem Zeitpunkt berechtigterweise stets mit einer potentiellen Machtergreifung der Nationalsozialisten auch in Österreich gerechnet und damit verbunden die Verfolgung durch diese befürchtet werden konnte bzw. musste.

Die Bestimmung setzt nicht voraus, dass die Betreffenden über den gesamten relevanten Zeitraum Staatsbürger waren. Weiters setzt sie nicht voraus, dass sie vor dem 30. Jänner 1933 schon einmal im Bundesgebiet aufhältig bzw. wohnhaft waren und sind sohin auch Fälle umfasst, in denen Staatsbürger während der NS-Zeit im Ausland geboren wurden und aufgrund zu befürchtender Verfolgung verhindert waren, während dieser Zeit einen (erstmaligen) Hauptwohnsitz im Bundesgebiet zu begründen.

Bei der Prüfung der Verfolgung, die im Falle einer Rückkehr oder erstmaligen Einreise zur Begründung eines Hauptwohnsitzes zu befürchten gewesen wäre, ist ein objektiver Maßstab anzulegen und sohin jedenfalls bei jenen Personengruppen, die während der NS-Zeit typischerweise verfolgt wurden, wie insbesondere politischen Gegnern, Menschen jüdischer Herkunft, Roma und Sinti, Menschen mit geistiger oder physischer Beeinträchtigung, Zeugen Jehovas oder Homosexuelle, von einer zu befürchtenden Verfolgung auszugehen. Dies gilt gleichermaßen hinsichtlich der Prüfung des Vorliegens einer Absicht zur Rückkehr oder erstmaligen Einreise, sodass diese nicht in jedem Einzelfall konkret nachzuweisen sein wird, sondern auch in diesem Zusammenhang bei jenen Personengruppen, die während der NS-Zeit typischerweise verfolgt wurden, von einer verwehrten Rückkehr (bzw. verwehrten erstmaligen Einreise) auszugehen ist.

[...]

Abs. 3:

Der bisherige Abs. 1a wird zu Abs. 3 und sieht wie auch nach geltender Rechtslage zunächst den erleichterten Erwerb der Staatsbürgerschaft für Nachkommen in direkter absteigender Linie von Personen vor, die gemäß Abs. 1 die Staatsbürgerschaft erworben haben oder erwerben hätten können. Darüber hinaus soll der erleichterte Erwerb künftig auch Fremden ermöglicht werden, die Nachkommen in direkter absteigender Linie von Personen sind, die gemäß dem neuen Abs. 2 die Staatsbürgerschaft erworben haben oder erwerben hätten können (zur Begründung der vorgesehenen Erweiterung, die gleichermaßen für den Verfolgten selbst als auch dessen Nachkommen gilt, siehe Abs. 2). In beiden Fällen soll (weiterhin) Voraussetzung für den Erwerb der Staatsbürgerschaft sein, dass der Fremde, der gestützt auf Abs. 3 die Staatsbürgerschaft begehrt, die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 erfüllt.

Die Anwendbarkeit der neuen Regelung des Abs. 3 hängt (wie auch bereits im Falle des bisherigen Abs. 1a) weder davon ab, dass die Generation der Verfolgten von der Wiedererwerbsmöglichkeit des Abs. 1 oder 2, noch dass eine dazwischenliegende Generation vom neuen Abs. 3 Gebrauch gemacht hat. Es kann sich daher beispielsweise auch der Ur-Enkel eines Verfolgten des neuen Erwerbstatbestandes bedienen, wenn keiner seiner Vorfahren Österreicher geworden ist.

In den Fällen, in denen der Vorfahre die Staatsbürgerschaft als Verfolgter nicht wiedererworben hat, soll es ‑ um unsachliche Ergebnisse wie bereits beim bisherigen Abs. 1a zu vermeiden weder schaden, wenn er bereits vor Inkrafttreten des § 58c (BGBl. Nr. 521/1993) verstorben ist, noch wenn er die Staatsbürgerschaft zuvor auf andere Weise erworben oder nie verloren hat. Maßgebliche Rechtslage für die Prüfung, ob der Vorfahre die Staatsbürgerschaft hätte erwerben können, ist jene zum Zeitpunkt des Erwerbs der Staatsbürgerschaft durch den Nachkommen, dh. jene zum Zeitpunkt der Anzeigelegung nach Abs. 7 (neu). Fremde, deren Antrag nach der geltenden Rechtlage abgelehnt wurde, weil bspw. ihr Vorfahre im In‑ oder Ausland von Organen der NSDAP ermordet wurde und damit das Kriterium des ‚sich ins Ausland begeben‘ nicht erfüllt war, sollen daher auf Basis der vorgeschlagenen neuen Regelungen bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen die Staatsbürgershaft erhalten können.

[...]

Zu § 64a Abs. 35

Diese Bestimmung regelt das Inkrafttreten. Mit einer Ausnahme (siehe hierzu die nachstehenden Ausführungen betreffend § 58c Abs. 5) gilt mangels ausdrücklicher Festlegung anders lautender Übergangsbestimmungen auch für Verfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes anhängig sind, bereits die neue Rechtslage. Demzufolge kommt - auch wenn sich während des Verfahrens aufgrund des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes die Voraussetzungen geändert haben - auch der geltende § 58c Abs. 2 (künftig § 58c Abs. 7), wonach die Behörde bei Vorliegen der Voraussetzungen mit schriftlichem Bescheid festzustellen hat, dass der Einschreiter die Staatsbürgerschaft mit dem Tag des Einlangens der Anzeige wiedererworben hat, uneingeschränkt zur Anwendung.

Ausschließlich § 58c Abs. 5 soll aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung erstmals auf Fälle anwendbar sein, in denen der Verlust der Staatsbürgerschaft ab dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes eingetreten ist.

[...]“

22 Vorweg ist festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht ‑ unbeschadet der Einbringung der Anzeige gemäß § 58c Abs. 3 StbG der erst‑ bis drittrevisionswerbenden Parteien am 9. April 2021 ‑ zutreffend davon ausgegangen ist, dass § 58c StbG in der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses geltenden Fassung BGBl. I Nr. 48/2022 anzuwenden ist (vgl. § 64a Abs. 35 leg. cit., sowie die erwähnten Materialien, wonach „mangels ausdrücklicher Festlegung anders lautender Übergangsbestimmungen auch für Verfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes anhängig sind, bereits die neue Rechtslage [gilt].“)

Erlangung der Staatsbürgerschaft durch Anzeige nach § 58c StbG

23 Wie der Verwaltungsgerichtshof (bereits zur Rechtslage vor Inkrafttreten der StbG‑Novelle BGBl I Nr. 48/2022) festgehalten hat, ist wesentlicher Inhalt des § 58c Abs. 1 StbG, dass Personen, die auf Grund von nationalsozialistischer Verfolgung aus Österreich fliehen mussten oder die wegen ihres Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt waren oder solche zu befürchten hatten, die Staatsbürgerschaft durch bloße Anzeige wiedererlangen können. Neben diesen Personen werden auch Nachkommen dieser „§ 58c Abs. 1 StbG‑Personen“ in direkter absteigender Linie von dieser Bestimmung erfasst (vgl. nunmehr Abs. 3 und 4 leg. cit.). Den Materialien zufolge wollte der Gesetzgeber die „§ 58c Abs. 1 StbG‑Personen“ und deren Nachkommen bewusst gesetzlich privilegieren. Damit werden Erleichterungen bei den nach § 10 Abs. 1 StbG für eine Verleihung zu erfüllenden Voraussetzungen („Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn“) normiert. Insbesondere wird entgegen der dem österreichischen Staatsbürgerschaftsrecht zugrunde liegenden Ordnungsvorstellung, mehrfache Staatsangehörigkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden, die Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit erlaubt (vgl. VwGH 31.1.2022, Ra 2021/01/0322).

Erwerb der Staatsbürgerschaft für Nachkommen gemäß § 58c Abs. 3 StbG

24 Nach dem Wortlaut des ‑ insoweit gegenüber der Vorgängerbestimmung des § 58c Abs. 1a idF BGBl. I Nr. 96/2019 unveränderten ‑ § 58c Abs. 3 StbG idF BGBl I Nr. 48/2022 erwirbt ein Fremder unter den dort genannten Voraussetzungen die Staatsbürgerschaft, wenn er Nachkomme in direkter absteigender Linie einer Person ist, die gemäß Abs. 1 (oder nunmehr: Abs. 2) leg. cit. die Staatsbürgerschaft erworben hat oder erwerben hätte können.

25 Dem angefochtenen Erkenntnis liegt die Auffassung zu Grunde, dass der Staatsbürgerschaftserwerb der erst‑ bis drittrevisionswerbenden Parteien nach § 58c Abs. 3 StbG schon deshalb ausgeschlossen sei, weil die Vorfahrin (immer) österreichische Staatsbürgerin gewesen sei und daher als „Ankerperson“ gemäß Abs. 1 und 2 leg. cit. nicht in Frage komme, weil der Staatsbürgerschaftserwerb nach diesen Bestimmungen nur „Fremden“ möglich sei. Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht die Frage, ob die Vorfahrin Opfer nationalsozialistischer Verfolgung war, bzw. ‑ im Falle ihrer Rückkehr nach Österreich ‑ nationalsozialistische Verfolgung zu befürchten gehabt hätte, nicht geprüft.

26 § 58c Abs. 3 erste Alternative StbG („die Staatsbürgerschaft erworben hat“) regelt seinem klaren Wortlaut nach den Fall, dass der Vorfahre als Verfolgter die Staatsbürgerschaft auf der Grundlage des § 58c Abs. 1 oder 2 StbG tatsächlich (wieder‑)erworben hat. In diesem Fall bedarf es keines weiteren „Nachweises“ für das Vorliegen der Erwerbsvoraussetzungen hinsichtlich des Vorfahren (vgl. die zitierten Materialien zur StbG‑Novelle BGBl. I Nr. 96/2019).

27 Dieser Fall liegt gegenständlich nicht vor.

28 Im Revisionsfall von Bedeutung ist vielmehr der Regelungsgehalt der zweiten Tatbestandsalternative des § 58c Abs. 3 StbG („erwerben hätte können“).

29 Bei der Interpretation einer Gesetzesnorm ist auf den Wortsinn und insbesondere auch den Zweck der Regelung, auf den Zusammenhang mit anderen Normen sowie die Absicht des Gesetzgebers abzustellen. Erläuterungen zur Regierungsvorlage können im Rahmen der Interpretation des Gesetzes einen Hinweis auf das Verständnis des Gesetzes bieten. Dabei bewirkt die Bindung der Verwaltung nach Art. 18 B‑VG einen Vorrang des Gesetzeswortlautes, wobei § 6 ABGB auf die Bedeutung des Wortlauts in seinem Zusammenhang verweist (vgl. etwa VwGH 10.5.2023, Ra 2022/01/0314, mwN).

30 Ausweislich der erwähnten Materialien (vgl. oben AA‑146 , 26. GP 2) verfolgte der Gesetzgeber mit der Wendung „oder erwerben hätte können“ bereits mit der Einführung des § 58c Abs. 1a StbG im Zuge der Novelle BGBl. I Nr. 96/2019 das Ziel, damit („um unsachliche Ergebnisse zu vermeiden“) gleichsam einen Auffangtatbestand für jene Fälle zu normieren, „in denen der Vorfahre die Staatsbürgerschaft als Verfolgter nicht wiedererworben hat.“ Demnach sollte die Möglichkeit des Staatsbürgerschaftserwerbs durch Anzeige auch jenen Nachkommen eröffnet werden, deren verfolgte Vorfahren im Zeitpunkt der Anzeigenlegung bereits verstorben waren, die die Staatsbürgerschaft (zuvor) auf andere Weise erworben oder die die Staatsbürgerschaft nie verloren haben. Ausdrücklich halten die Materialien fest, dass der Verweis auf § 58c Abs. 1 (nunmehr auch Abs. 2) StbG nicht bedeutet, dass sich ein Nachkomme eines Verfolgten nur dann auf diesen Erwerbstatbestand berufen kann, wenn der verfolgte Vorfahre „jemals ‚Fremder‘ war.“

31 Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen scheint es auch verständlich bzw. nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber bereits in Abs. 1a des § 58c idF BGBl. I Nr. 96/2019 zur Umschreibung einer für den Staatsbürgerschaftserwerb durch Nachkommen geeigneten „Ankerperson“ den - allgemeinen - Begriff „Person“ (und nicht: „Fremder“) verwendet hat (vgl. so auch nunmehr § 58c Abs. 3 Abs. 4 und StbG).

32 An diesem Normverständnis bzw. dieser Terminologie hat der Gesetzgeber bei der Neuregelung der Bestimmung des § 58c im Zuge der Novelle BGBl. I Nr. 48/2022 ‑ die im Übrigen durch die Neufassung des Abs. 3 und 4 darüber hinaus das allgemeine Ziel verfolgte, den Kreis der anspruchsberechtigen „Nachkommen“ zu erweitern bzw. diesen den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Anzeige weiter zu erleichtern ‑ bewusst festgehalten (vgl. den erwähnten IA 2146/A bzw. AB 1421 27. GP ).

33 Zusammenfassend geht die Bestimmung des § 58c Abs. 3 StbG bei der Verwendung des Tatbestandsmerkmals „Person, die die Staatsbürgerschaft hätte erwerben können“ daher ‑ wie bereits die Vorgängerbestimmung des Abs. 1a (aF) ‑ von einem weiten Begriffsverständnis aus: Als mögliche „Ankerpersonen“ erfasst sind nicht nur (lebende) Vorfahren („Personen“) fremder Staatsangehörigkeit, die im Sinne des Abs. 1 und 2 leg. cit. tatsächlich verfolgt wurden bzw. Verfolgungen zu befürchten hatten (die Staatsbürgerschaft ihrerseits aber ‑ aus welchen Gründen immer ‑ nicht nach Maßgabe der Abs. 1 oder 2 leg. cit. erworben haben), sondern insbesondere auch Vorfahren, die im Zeitpunkt der Anzeige (durch den Nachkommen) bereits verstorben sind, die österreichische Staatsbürgerschaft bereits auf andere Weise erworben oder die österreichische Staatsbürgerschaft nie verloren haben (vgl. dazu auch Plunger/Schober in Plunger/Esztegar/Eberwein [Hrsg.], StbG2 [2023] § 58c Rz 12).

34 Ausgenommen vom Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Anzeige nach § 58c Abs. 3 (und 4) StbG sind lediglich jene Nachkommen, die die Staatsbürgerschaft in einem der in Abs. 5 leg. cit. geregelten Fälle ab dem 1. Mai 2022 verloren haben, was von der Staatsbürgerschaftsbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht im Anzeigeverfahren zu prüfen ist.

Einzelfallbezogene Beurteilung

35 Das Verwaltungsgericht hat den Staatsbürgerschaftserwerb der erst- bis drittrevisionswerbenden Parteien mit der Begründung verneint, dass die Vorfahrin, die Großmutter des Erstrevisionswerbers (bzw. Urgroßmutter der zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien) ‑ als Person, die die österreichische Staatsbürgerschaft nie verloren hat ‑ die Staatsbürgerschaft im Sinne des § 58c Abs. 1 oder 2 Z 1 StbG nicht nur nicht erworben hat, sondern diese auch nicht „erwerben hätte können“, weshalb sie keine geeignete „Ankerperson“ für den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Anzeige der erst‑ bis drittrevisionswerbenden Parteien (als „Nachfahren“) gemäß § 58c Abs. 3 leg. cit. sein könne.

36 Diese Auffassung erweist sich nach dem dargelegten Norminhalt des § 58c Abs. 3 StbG als unzutreffend; das Verwaltungsgericht hat das angefochtene Erkenntnis insofern mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

37 Ausgehend von dieser unrichtigen Rechtsauffassung hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen der weiteren in § 58c Abs. 3 StbG iVm Abs. 1 bzw. Abs. 2 Z 1 leg. cit. normierten Erwerbserfordernisse, nämlich das Vorliegen der dort genannten allgemeinen Voraussetzungen des § 10 StbG sowie insbesondere die ‑ von der belangten Behörde in den erstinstanzlichen Bescheiden verneinte ‑ Frage, ob die Vorfahrin Verfolgung durch die NSDAP oder die Behörden des deutschen Reiches erlitten hat oder solche (im Falle ihrer Rückkehr) zu befürchten hatte, nicht geprüft. Das Verwaltungsgericht hat demnach das angefochtene Erkenntnis auch mit sekundären Feststellungsmängeln belastet.

38 Das angefochtene Erkenntnis war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

39 Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014. Gemäß § 53 Abs. 1 VwGG ist bei Anfechtung eines Erkenntnisses oder Beschlusses durch mehrere revisionswerbende Parteien in einer Revision die Frage des Anspruches auf Aufwandersatz so zu beurteilen, als ob die Revision nur vom erstangeführten Revisionswerber eingebracht worden wäre. Diese Bestimmung gilt jedoch nur für den Fall, dass die Revisionen aller revisionswerbenden Parteien dasselbe Schicksal teilen, was hier der Fall ist (vgl. VwGH 13.9.2022, Ra 2022/01/0102 bis 0103, mwN).

40 Von der Durchführung der von den erst- bis drittrevisionswerbenden Parteien beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Zur Amtsrevision (Ra 2023/01/0359):

41 Im Hinblick auf die aufgrund der Revision der erst‑ bis drittrevisionswerbenden Parteien erfolgte Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses war die Amtsrevision der belangten Behörde infolge der dadurch bewirkten Klaglosstellung gemäß § 33 Abs. 1 VwGG mit Beschluss einzustellen (vgl. etwa VwGH 21.2.2024, Ra 2023/05/0204 bis 0205, mwN).

Wien, am 26. September 2024

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