Normen
BFA-VG 2014 §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGG §25a Abs1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022180119.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein aus dem Gazastreifen stammender staatenloser Palästinenser, stellte am 3. August 2007 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Als Fluchtgrund gab er an, von der Hamas verfolgt zu werden.
2 Der Asylgerichtshof wies diesen Antrag im Jahr 2012 in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesasylamtes (BAA) aus dem Jahr 2009 zur Gänze ab.
3 Nach zwischenzeitlichem Aufenthalt in Norwegen stellte der Revisionswerber am 26. Juli 2012 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die neuerliche Antragstellung begründete der Revisionswerber damit, dass er bei der Stellung des ersten Antrages auf internationalen Schutz nicht die richtigen Gründe für seine Flucht genannt habe. Er habe in Gaza eine Beziehung zu einem Mädchen gehabt und dieses sei schwanger geworden. Er werde nun von ihrer Familie gesucht. Die Hamas würde in Gaza nach islamischem Recht regieren. Sollte die Hamas von der Sache erfahren, würde er gesteinigt werden.
4 Das BAA wies den neuerlichen Antrag mit Bescheid vom 28. November 2012 wegen entschiedener Sache zurück und sprach die Ausweisung des Revisionswerbers nach Gaza aus.
5 Der dagegen vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde gab der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 7. Jänner 2013 statt und behob den bekämpften Bescheid. Begründend führte der Asylgerichtshof ‑ zusammengefasst ‑ aus, dass sich die Sicherheitslage im Gazastreifen seit rechtskräftigem Abschluss des ersten Verfahrens verändert habe und sich die von der belangten Behörde herangezogenen Länderberichte als nicht aktuell erwiesen hätten. Es stehe fest, dass der Revisionswerber an einer dissoziativen Störung und einer Bewegungsstörung leide, weshalb medizinische Therapiemaßnahmen notwendig seien.
6 Mit Bescheid vom 8. August 2013 wies das BAA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab. Im Hinblick auf die Frage der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte es aus, dass nicht mit Sicherheit geklärt werden könne, ob die psychische Erkrankung des Revisionswerbers in Gaza behandelt werden könne, und davon ausgegangen werden müsse, dass er durch eine Abschiebung in eine lebensbedrohliche oder zumindest menschenunwürdige Lage geraten könne. Insgesamt liege eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK vor. Der Revisionswerber sei mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 7. Juli 2011, 31 Hv 60/11y, unter anderem wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 StGB zu einer Haftstrafe von 30 Monaten, davon 20 Monate bedingt, verurteilt worden. Er habe somit einen Grund für die Aberkennung subsidiären Schutzes gemäß § 9 Abs. 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) verwirklicht. Der Antrag auf internationalen Schutz sei daher gemäß § 8 Abs. 3a iVm. § 9 Abs. 2 AsylG 2005 abzuweisen. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem Bundesgebiet nach Gaza sei jedoch gemäß § 8 Abs. 3a iVm. § 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig.
7 Dem Revisionswerber wurde in weiterer Folge eine Karte für Geduldete nach § 46a FPG ausgestellt.
8 Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. März 2018, 16 Hv 102/17y, wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 2. Fall StGB und der Vergehen der falschen Beweisaussage gemäß § 288 Abs. 1 und 4 StGB, des Betrugs gemäß § 146 StGB und der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt.
9 Am 6. April 2018 stellte der Revisionswerber den im vorliegenden Fall relevanten dritten Antrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen damit begründete, dass er in Österreich einen Anhänger der Hamas angezeigt habe, weil dieser einen Terroranschlag geplant habe. Seine Familie werde nun von der Hamas bedroht und ihr Haus in Gaza sei angezündet worden. Um sich und seine Familie zu schützen, habe der Revisionswerber letztlich nicht gegen den Anhänger der Hamas ausgesagt und in Österreich eine Haftstrafe in Kauf genommen.
10 Mit Bescheid vom 6. September 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 Abs. 2 AsylG 2005 und § 52 Abs. 9 FPG für unzulässig.
11 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde, der das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Beschluss vom 16. April 2020 wegen mangelhafter Ermittlung des Sachverhalts gemäß § 21 Abs. 3 BFA‑VG stattgab und den Bescheid behob.
12 Das BFA wies mit Bescheid vom 25. August 2021 den Antrag auf internationalen Schutz erneut hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.) und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 Abs. 2 AsylG 2005 und § 52 Abs. 9 FPG für unzulässig (Spruchpunkt IV.).
13 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die nur gegen die Spruchpunkte I. bis III. dieses Bescheides gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
14 Begründend hielt das BVwG ‑ soweit für den gegenständlichen Fall von Relevanz ‑ fest, dem neuen Vorbringen, dass dem Revisionswerber bei einer Rückkehr in den von der Hamas beherrschten Gazastreifen Verfolgung drohe, weil er ein Hamas-Mitglied in Österreich wegen Terrorverdachts angezeigt habe, komme kein glaubhafter Kern zu: Bereits das BFA habe aufgrund von Ermittlungen des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung festgestellt, dass die Person, die der Revisionswerber angezeigt habe, in keiner Beziehung zur Hamas stehe und dass der Revisionswerber bereits mehrfach falsche Anschuldigungen gegen andere Personen getätigt habe. Auch hinsichtlich der letzten Sachentscheidung über den subsidiären Schutz sei keine maßgebliche Änderung der Lage eingetreten. Hingewiesen werde darauf, dass die Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers (vgl. den nicht angefochtenen Spruchpunkt IV. des Bescheides des BFA vom 25. August 2021) in Rechtskraft erwachsen sei.
15 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung gemäß Art. 144 Abs. 2 B‑VG mit Beschluss vom 18. März 2022, E 4581/2021‑5, ablehnte und sie an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
16 Die vorliegende außerordentliche Revision macht zu ihrer Zulässigkeit geltend, das BVwG habe den Ausspruch über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht hinreichend begründet. Zudem habe das BVwG in Verkennung der maßgeblichen Bestimmungen ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt und eine antizipierende Beweiswürdigung angestellt, da es trotz Antrages keine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt habe.
17 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
18 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B‑VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B‑VG).
19 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
20 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
21 Soweit die Revision in der Zulässigkeitsbegründung bemängelt, das BVwG habe seinen Ausspruch nach § 25a Abs. 1 VwGG (Unzulässigkeit der Revision) nur „inhaltsleer“ begründet, gehen die dazu erstatteten Revisionsausführungen schon deshalb ins Leere, weil nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch eine fehlende Begründung des Ausspruches über die Zulässigkeit der Revision nicht dazu führt, dass die Revision im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG allein deshalb zulässig wäre (vgl. etwa VwGH 19.10.2021, Ra 2021/18/0259, mwN).
22 Mit ihrem Vorbringen, das BVwG habe kein ausreichendes Ermittlungsverfahren durchgeführt, macht die Revision einen Verfahrensmangel geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 16.6.2021, Ra 2020/18/0476, mwN). Diesen Anforderungen wird die Revision mit ihrem abstrakt gehaltenen Vorwurf, das BVwG habe „das Ermittlungsverfahren mangelhaft abgeführt“, nicht gerecht.
23 Soweit die Revision eine antizipierende Beweiswürdigung rügt, ist zu entgegnen, dass sie diesen Vorwurf nicht mit dem Hinweis auf das Unterbleiben einer konkreten Beweisaufnahme, deren vermutetes Ergebnis das BVwG vorweggenommen hätte (vgl. etwa VwGH 25.1.2022, Ra 2021/14/0397, mwN), verbindet. Vielmehr verweist die Revision in diesem Zusammenhang allein darauf, das BVwG habe zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen. Eine der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes widersprechende antizipierende Beweiswürdigung legt die Revision damit nicht dar.
24 Zur Behauptung, das BVwG habe seine Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung verletzt, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA‑VG dann gerechtfertigt ist, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet worden sein, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA‑VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 28.3.2022, Ra 2020/18/0339, mwN).
25 Ihren Vorwurf der Verletzung der Verhandlungspflicht stützt die Revision darauf, dass dem Revisionswerber sein Recht genommen worden sei, „im Zuge einer Beschwerdeverhandlung sämtliche Gründe darzulegen, die es rechtfertigen, die Asyleigenschaft zuzuerkennen und keinesfalls eine Formalentscheidung im Sinne das § 68 AVG zu treffen“. Eine Nichteinhaltung der oben wiedergegebenen Voraussetzungen für die Abstandnahme von der mündlichen Verhandlung tut die Revision mit diesem Vorbringen nicht dar und ist auch nicht ersichtlich.
26 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 21. Juni 2022
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