VwGH Ra 2022/17/0169

VwGHRa 2022/17/016918.12.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision 1. des S S, 2. der K K, 3. der G K und 4. des N K, alle in W, alle vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 6/6‑8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. August 2022, 1. W142 2145601‑4/3E, 2. W142 2145596‑4/3E, 3. W142 2145595‑4/3E und 4. W142 2145599‑4/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §55
BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs2
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022170169.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Erstrevisionswerber und die Zweirevisionswerberin sind verheiratet und Eltern der 2004 geborenen Drittrevisionswerberin und des 2006 geborenen Viertrevisionswerbers; alle sind indische Staatsangehörige.

2 Die revisionswerbenden Parteien reisten im September 2015 nach Österreich und stellten Anträge auf internationalen Schutz, die erfolglos blieben. Die revisionswerbenden Parteien verblieben trotz der gegen sie erlassenen Rückkehrentscheidungen im Bundesgebiet und stellten Folgeanträge, die im Beschwerdeverfahren mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 1. September 2017 ‑ wiederum verbunden mit Rückkehrentscheidungen ‑ zurückgewiesen wurden.

3 Die revisionswerbenden Parteien kamen weiterhin ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach, sondern stellten die gegenständlichen Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln aus Gründen des Art. 8 EMRK.

4 Im Februar 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) bescheidmäßig (u.a.) die Anträge der revisionswerbenden Parteien gemäß § 55 AsylG 2005 ab, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Indien zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen fest.

5 Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das BVwG mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach unter einem aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

6 Das BVwG stellte im Wesentlichen fest, obwohl der Erstrevisionswerber seit mittlerweile schon fast sieben Jahren im Bundesgebiet aufhältig sei, seien keine maßgeblichen Integrationsschritte feststellbar. Er verfüge über keine nennenswerten Deutschkenntnisse, sei nie selbsterhaltungsfähig gewesen, beziehe Leistungen aus der Grundversorgung und finanziere seinen bzw. den Aufenthalt seiner Familie durch Geldzuwendungen der Caritas. Auch die Zweitrevisionswerberin habe keine maßgeblichen Integrationsschritte darlegen können. Die Kinder des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin seien in Indien geboren und sozialisiert worden. Im Familienverband werde nach wie vor Punjabi gesprochen und die Familienmitglieder seien mit den kulturellen Gepflogenheiten ihres Herkunftsstaates vertraut. Auch wenn sich der minderjährige Viertrevisionswerber nicht mehr in einem Alter befinde, bei dem von einer grundsätzlichen Anpassungsfähigkeit ausgegangen werden könne, sei es ihm trotz seines mehrjährigen Aufenthalts in Österreich zumutbar und möglich, nunmehr sein Leben in seinem Herkunftsstaat weiterzuführen. Die Kinder hätten zwar den überwiegenden Teil ihrer Schullaufbahn in Österreich absolviert und beherrschten die deutsche Sprache, jedoch hätten sie ihre prägenden ersten Jahre in Indien verbracht.

7 Der Erstrevisionswerber besitze in Indien Grundstücke und (gemeinsam mit seinen Brüdern) ein leerstehendes Haus. Er habe bereits vor seiner Ausreise nach Europa den Lebensunterhalt der Familie als Landwirt verdient. Die Zweitrevisionswerberin verfüge über einen Hochschulabschluss (Lehramtsstudium in Punjabi) und habe in Indien als private Nachhilfelehrerin gearbeitet. Den revisionswerbenden Parteien sei im Falle einer Rückkehr nach Indien aufgrund der dortigen Lage und unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse die Teilnahme am Erwerbsleben möglich. Zudem lebten die Eltern sowie zwei Brüder der Zweitrevisionswerberin in Indien, sodass die revisionswerbenden Parteien bei einer Rückkehr zudem auf ein familiäres Netz zurückgreifen könnten. Die Drittrevisionswerberin sei mittlerweile volljährig. Sie könne in Indien weiter die Schule besuchen bzw. eine Berufsausbildung oder eine Erwerbstätigkeit beginnen und so zum Familieneinkommen beitragen. Auch der Viertrevisionswerber könne in Indien weiter in die Schule gehen oder eine Berufsausbildung beginnen.

8 In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das BVwG unter anderem fest, die Kinder hätten sich während ihres Aufenthalts seit 2015 in schulischer und sprachlicher Hinsicht gut in Österreich integriert. Allerdings hätte ihren Eltern von Anfang an der unsichere, weil bloß vorübergehend rechtmäßige Aufenthalt im österreichischen Bundesgebiet bewusst sein müssen und es schlage die Unsicherheit des Aufenthalts auch auf die Kinder durch, wobei diesem Umstand allerdings bei ihnen im Rahmen der Gesamtabwägung im Vergleich zu anderen Kriterien weniger Gewicht zukomme. Das Kindeswohl stehe jedoch einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in Anbetracht der aufgezeigten Umstände, insbesondere des weiteren Zusammenlebens mit ihren Eltern, nicht entgegen. Allein ein durch beharrliche Missachtung der fremden‑ und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften erwirkter Aufenthalt könne keinen Rechtsanspruch aus Art. 8 EMRK bewirken.

9 Das BFA sei sohin zu Recht davon ausgegangen, dass die Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat‑ und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA‑VG iSd Art. 8 EMRK nicht geboten sei.

10 Zum Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung führte das BVwG aus, dass es sich für seine Feststellungen auf jene in den angefochtenen Bescheiden gestützt habe. Die Beschwerden seien der Richtigkeit dieser Feststellungen und der zutreffenden Beweiswürdigung der Behörde nicht „ansatzweise substantiiert entgegengetreten“ und hätten keine neuen Tatsachen vorgebracht. Zudem seien die Drittrevisionswerberin und der Viertrevisionswerber vor der Behörde befragt worden. Es seien keine neuen Sachverhaltselemente aufgezeigt worden, welche einer mündlichen Erörterung bedurft hätten. Das BVwG habe daher von einem geklärten Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA‑VG ausgehen können.

11 Die revisionswerbenden Parteien erhoben gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Erkenntnis vom 15. März 2023, E 2424‑2427/2022‑11, die zudem gegen den Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin gemäß § 53 Abs. 2 Z 6 FPG erlassenen Einreiseverbote aufhob, im Übrigen jedoch die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie insoweit zur Entscheidung abtrat.

12 In der Folge erhoben die revisionswerbenden Parteien die vorliegende außerordentliche Revision.

13 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

15 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

16 In der gesonderten Zulässigkeitsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. VwGH 9.3.2023, Ra 2023/17/0035, mwN).

17 Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG (nur) im Rahmen der dafür in der Revision (gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert) vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Demgemäß erfolgt die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulässigkeitsbegründung (vgl. wiederum VwGH 9.3.2023, Ra 2023/17/0035, mwN).

18 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit macht die Revision im Wesentlichen eine Verletzung der Verhandlungspflicht geltend.

19 Aus § 21 Abs. 7 BFA‑VG ergibt sich, dass die Unterlassung einer Verhandlung nur dann einen relevanten, zur Aufhebung führenden Verfahrensmangel begründet, wenn ein entscheidungswesentlicher Sachverhalt klärungsbedürftig ist; dieser ist in der Revision darzutun (vgl. VwGH 24.8.2022, Ra 2022/17/0117, mwN).

20 Die revisionswerbenden Parteien legen in der Begründung zur Zulässigkeit der Revision nicht dar, inwiefern das BVwG von der Durchführung einer Verhandlung nicht hätte absehen dürfen. Insbesondere führen sie nicht an, welche „bisher nicht berücksichtigten Aspekte der Integration in Ausbildung und Schule“ vorgebracht bzw. nicht berücksichtigt worden seien.

21 Zudem zeigt die Revision mit ihrem bloßen Verweis ‑ in Bezug auf den Viertrevisionswerber ‑, in der Abwägung des BVwG komme dem unsicheren Aufenthaltsstatus überragende Bedeutung zu, keinen vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehler betreffend die vom BVwG nach § 9 BFA‑VG ‑ auch unter dem Aspekt der Berücksichtigung des Kindeswohls ‑ durchgeführte Interessenabwägung auf.

22 Wenngleich minderjährigen Kindern dieser Vorwurf nicht zu machen ist, muss das Bewusstsein der Eltern über die Unsicherheit ihres Aufenthalts nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch auf die Kinder durchschlagen, wobei diesem Umstand allerdings bei ihnen im Rahmen der Gesamtabwägung im Vergleich zu anderen Kriterien weniger Gewicht zukommt (VwGH 21.5.2019, Ra 2019/19/0136, mwN). Es wird nicht verkannt, dass die Beendigung des Aufenthaltes des Viertrevisionswerbers in Bezug auf seinen Schulbesuch in Österreich eine tiefgreifende Veränderung mit sich bringen würde. Diese Folgen sind jedoch im großen öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen, weil sich das vom BVwG dargestellte Verhalten der Eltern in einer solchen Konstellation in maßgeblicher Weise auch auf die Kinder auswirkt. Das BVwG berücksichtigte nämlich zutreffend, dass die revisionswerbenden Parteien nach Abschluss ihres (ersten) Asylverfahrens im Bundesgebiet verblieben, um neuerlich ‑ erfolglose ‑ Anträge auf internationalen Schutz zu stellen. Auch wenn ‑ gemäß dem Revisionsvorbringen ‑ „die Familie über ein Jahr völlig unbehelligt“ geblieben sei und das BFA die rechtskräftige Ausreiseverpflichtung nicht „exekutiert“ habe, sind die revisionswerbenden Parteien ihren mehrfach rechtskräftig ausgesprochenen Ausreiseverpflichtungen nicht nachgekommen. Es widerspricht dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen, dem ein hoher Stellenwert zukommt, wenn der Fremde durch seinen unrechtmäßigen Verbleib nach rechtskräftiger Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz und in Missachtung des damit verbundenen Ausreisebefehls versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. dazu etwa VwGH 28.5.2020, Ra 2020/21/0139, mwN). Vor diesem Hintergrund gelangte das BVwG zutreffend zum Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen der revisionswerbenden Parteien an einem Verbleib im Inland überwiegen würden.

23 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 18. Dezember 2023

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