VwGH Ra 2022/08/0104

VwGHRa 2022/08/010421.12.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des H A in O, vertreten durch Mag. Christoph Hatvagner, Rechtsanwalt in 7400 Oberwart, Steinamangerer Straße 16, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juni 2022, W255 2255412‑1/4E, betreffend Zurückweisung eines Rechtsmittels in einer Angelegenheit nach dem AlVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberpullendorf), zu Recht erkannt:

Normen

VwGVG 2014 §14 Abs1
VwGVG 2014 §15 Abs1
VwGVG 2014 §28 Abs1
VwGVG 2014 §31 Abs1
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022080104.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberpullendorf (im Folgenden: AMS Oberpullendorf) widerrief mit Bescheid vom 1. Juli 2021 gegenüber dem Revisionswerber die Zuerkennung von Notstandshilfe für den Zeitraum 1. September 2019 bis 30. Mai 2021 und verpflichtete ihn zur Rückzahlung von € 6.228,36.

2 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber fristgerecht Beschwerde. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 15. März 2022, dem Revisionswerber zugestellt am 18. März 2022, wurde der Beschwerde nicht stattgegeben.

3 Der Revisionswerber stellte einen Vorlageantrag.

4 Im angefochtenen Beschluss stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Vorlageantrag am 5. April 2022 „eingebracht“ worden und am 6. April 2022 beim AMS Oberpullendorf eingelangt sei. Ausgehend davon sei die zweiwöchige Frist des § 15 Abs. 1 VwGVG, die am 1. April 2022 geendet habe, versäumt worden und der Vorlageantrag verspätet. Aufgrund dessen sei spruchgemäß die Beschwerde als verspätet zurückzuweisen gewesen.

5 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

6 Über die gegen diesen Beschluss erhobene außerordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem das AMS Oberpullendorf eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Der Revisionswerber bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG vor, das Bundesverwaltungsgericht habe ‑ ausgehend von einem mangelhaften Ermittlungsverfahren, in dem es kein Parteiengehör gewährt habe ‑ nicht berücksichtigt, dass er den Vorlageantrag bereits am 1. April 2022 um 15:37 Uhr per Mail beim „AMS Eisenstadt“ eingebracht habe.

8 Das AMS Oberpullendorf bestätigte in der Revisionsbeantwortung, dass „das Mail mit dem Ersuchen um Vorlage der Beschwerde an das BVwG“ am 1. April 2022 beim AMS Eisenstadt eingelangt sei und in der Folge zuständigkeitshalber an das AMS Oberpullendorf weitergeleitet worden sei. Das entspricht auch der Aktenlage. In der Folge wurde der Antrag auch noch in Papierform, datiert mit 5. April 2022, eingebracht. Das Bundesverwaltungsgericht hätte aber ‑ da die Einbringung von Anbringen per E‑Mail nicht im Sinn des § 13 Abs. 2 AVG ausgeschlossen worden war ‑ schon das E‑Mail vom 1. April 2022 berücksichtigen müssen.

9 Abgesehen davon wäre bei Versäumung der Frist für den Vorlageantrag nicht die Beschwerde, sondern nur der Vorlageantrag als verspätet zurückzuweisen (vgl. dazu VwGH 18.5.2021, Ra 2020/08/0196). Damit wird bestätigt, dass die Beschwerdevorentscheidung in Rechtskraft erwachsen ist, während ein Beschluss betreffend die Zurückweisung der Beschwerde (sei es wegen Verspätung, sei es, weil sie aus einem anderen Grund unzulässig ist) an die Stelle der Beschwerdevorentscheidung tritt (vgl. grundlegend VwGH 17.12.2015, Ro 2015/08/0026).

10 Im fortgesetzten Verfahren wird zunächst zu klären sein, ob der Vorlageantrag noch rechtzeitig innerhalb der Frist des § 15 Abs. 1 VwGVG von einem Server, den die zuständige Behörde (somit die regionale Geschäftsstelle Oberpullendorf) für die Empfangnahme von an sie gerichteten E‑Mail‑Sendungen gewählt hatte, empfangen wurde und damit im elektronischen Verfügungsbereich der Behörde eingelangt war (vgl. in diesem Sinn VwGH 18.4.2012, 2010/10/0258, mwN) oder rechtzeitig an die zuständige Behörde weitergeleitet wurde.

11 Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

12 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 21. Dezember 2022

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