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European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2025:RA2022080013.L00
Spruch:
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 27. Jänner 2021 sprach die zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) aus, dass der Anspruch des Revisionswerbers auf Notstandshilfe „gemäß § 49, § 24 Abs. 1 in Verbindung mit § 38 [...] AlVG mit 26. Jänner 2021 vorläufig eingestellt“ worden sei, da der Revisionswerber den [gemeint: für das genannte Datum] „vereinbarten Kontrollmeldetermin“ nicht wahrgenommen habe.
2 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber mit Schriftsatz vom 11. Februar 2021 Beschwerde und brachte insbesondere vor, das AMS habe sich zu Unrecht nicht mit den ‑ nach der Ansicht des Revisionswerbers triftigen ‑ Gründen auseinandergesetzt, die der Revisionswerber in einem näher bezeichneten, an das AMS gerichteten Schreiben zur Rechtfertigung seines Fernbleibens vom Kontrollmeldetermin am 26. Jänner 2021 vorgebracht habe.
3 Mit einer weiteren, als Bescheid bezeichneten Erledigung vom 9. März 2021 sprach das AMS aus, der Revisionswerber erhalte gemäß § 49 AlVG für den Zeitraum von 26. Jänner 2021 bis zum 2. Februar 2021 keine Notstandshilfe. In der Begründung hielt das AMS fest, der Revisionswerber habe den vorgeschriebenen Kontrollmeldetermin am 26. Jänner 2021 nicht eingehalten und sich erst wieder am 3. Februar 2021 beim AMS gemeldet.
4 Die Erledigung vom 9. März 2021 wurde ihrem äußeren Erscheinungsbild nach elektronisch erstellt. Sie weist sowohl auf der im Verwaltungsakt enthaltenen Version als auch auf der an den Revisionswerber ergangenen Ausfertigung die folgende Fertigung auf:
„Für den Leiter/die Leiterin
[Vor‑ und Nachname der Genehmigenden]“
5 Eine Amtssignatur ist auf der Erledigung vom 9. März 2021 nicht vorhanden, und zwar weder auf der nach außen ergangenen Ausfertigung noch auf dem im Akt liegenden Exemplar. Eine Unterschrift der Genehmigenden oder eine Beglaubigung der Kanzlei sind auch nicht vorhanden.
6 Auch gegen die Erledigung vom 9. März 2021 erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der er vorbrachte, das AMS habe sich mit den von ihm vorgebrachten Gründen für das Fernbleiben vom Kontrollmeldetermin nicht auseinandergesetzt, insbesondere nicht mit seinem Vorbringen, dass der Kontrollmeldetermin ohne Angabe von Gründen nicht an der nach dem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice anberaumt, sondern in eine andere Geschäftsstelle verlegt worden sei.
7 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 19. April 2021 wies das AMS beide Beschwerden des Revisionswerbers ab.
8 In der Begründung der Beschwerdevorentscheidung hielt das AMS fest, dem im Bezug von Notstandshilfe stehenden Revisionswerber sei mit Schreiben vom 11. Dezember 2020 ein Kontrollmeldetermin im Sinne des § 49 AlVG für den 26. Jänner 2021 an der Adresse der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien, „Case Management Wien“, vorgeschrieben worden. Der Revisionswerber habe diesen Termin nicht eingehalten und erst wieder am 3. Februar 2021 bei der regionalen Geschäftsstelle des AMS vorgesprochen.
9 Bereits mit einem Schreiben vom 20. Jänner 2021, eingelangt am 22. Jänner 2021, habe der Revisionswerber dem AMS angekündigt, dass er zum Kontrollmeldetermin am 26. Jänner 2021 nicht erscheinen werde, und für den Fall einer Bezugssperre um umgehende Übermittlung eines entsprechenden Bescheides ersucht. Zur Begründung seines Nichterscheinens habe der Revisionswerber in diesem Schreiben vorgebracht, die Verlegung des Kontrollmeldetermins von der zu Fuß erreichbaren regionalen Geschäftsstelle zur nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbaren Landesgeschäftsstelle sei ohne nachvollziehbaren Grund erfolgt und bringe in Pandemiezeiten ein höheres Gesundheitsrisiko mit sich. Außerdem fehle es an einer individualisierten Begründung, weshalb gerade der Revisionswerber zu den wenigen Arbeitslosen in Wien gehören sollte, die eine Betreuung im „AMS‑Case Management“ benötigen würden.
10 Als Kontrollmeldestellen könnten gemäß § 49 AlVG seitens der Landesgeschäftsstelle auch andere Stellen als die nach dem Wohnort des Arbeitslosen zuständige regionale Geschäftsstelle des AMS bezeichnet werden. Die Landesgeschäftsstelle des AMS Wien sei in diesem Sinne als Meldestelle bezeichnet worden, weshalb dort auch Kontrollmeldetermine gemäß § 49 AlVG vorgeschrieben werden könnten. Kontrollmeldetermine gemäß der genannten Bestimmung könnten natürlich auch während der Corona‑Pandemie vorgeschrieben werden; das AMS halte selbstverständlich sämtliche Sicherheitsmaßnahmen und Hygienevorschriften ein.
11 Ob ein Kunde vom „Case Management“ betreut werde, liege im Ermessen der zuständigen regionalen Geschäftsstelle. Das „Case Management“ richte sich an Personen, die in der Entwicklung ihrer beruflichen Perspektiven mehr Betreuung als in der Regelbetreuung benötigen würden. Speziell geschulte Expertinnen und Experten würden diese Personen bei der Planung des weiteren beruflichen Werdegangs durch Orientierungsgespräche sowie Potential‑ und Ressourcenanalysen unter Berücksichtigung eines etwaigen Umschulungs‑ oder Weiterbildungsbedarfes und durch die gemeinsame Entwicklung einer beruflichen Perspektive unter Berücksichtigung der konkreten Lebensumstände unterstützen.
12 Der Revisionswerber habe sich bei einem früheren telefonischen Beratungsgespräch mit einem Mitarbeiter an der regionalen Geschäftsstelle unzufrieden mit der damaligen Betreuung gezeigt. Zwei weitere „eingeräumte“ telefonische Beratungstermine habe der Revisionswerber nicht wahrgenommen. Durch das „Case Management“ könne der Revisionswerber aufgrund der wesentlich erhöhten Zeitressourcen noch individueller betreut werden. Der Termin sei für 11 Uhr, also außerhalb der Stoßzeiten der öffentlichen Verkehrsmittel, angesetzt worden. Überdies habe der Revisionswerber keine Unterlagen vorgelegt, denen zufolge er der „Covid‑Risikogruppe“ angehört hätte, weshalb ihm die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln zumutbar gewesen sei. Die Vorschreibung des Kontrollmeldetermins für den 26. Jänner 2021 habe den gesetzlichen Voraussetzungen entsprochen; der Revisionswerber habe das Vorliegen eines triftigen Entschuldigungsgrundes für die Unterlassung der Kontrollmeldung nicht nachgewiesen.
13 Nach Stellung eines Vorlageantrages durch den Revisionswerber wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis die beiden Beschwerden des Revisionswerbers als unbegründet ab und bestätigte die Beschwerdevorentscheidung mit der Maßgabe, dass es zu lauten habe, der Revisionswerber „verliert für die Dauer von 26. Jänner 2021 bis 2. Februar 2021 seinen Anspruch auf Notstandshilfe.“ Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.
14 In der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, der Kontrollmeldetermin am 26. Jänner 2021 sei dem Revisionswerber mit dem Schreiben vom 11. Dezember 2020 ordnungsgemäß vorgeschrieben worden; auch die Rechtsfolgen einer Nichteinhaltung des Termins seien dem Revisionswerber in diesem Schreiben zur Kenntnis gebracht worden. Die Berechtigung des AMS, dem Revisionswerber eine von der aufgrund der Wohnadresse zuständigen regionalen Geschäftsstelle abweichende Meldestelle vorzuschreiben, sei in § 49 Abs. 1 letzter Satz AlVG normiert. Von dieser Möglichkeit habe das AMS Gebrauch gemacht und das in der Landesgeschäftsstelle Wien eingerichtete „Case Management“ für den Revisionswerber in zulässiger Weise als Meldestelle bezeichnet. Die Übernahme der Betreuung des Revisionswerbers durch das „AMS Case Management“ diene der intensiveren Betreuung des Revisionswerbers, die unter anderem dadurch gewährleistet werde, dass die dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter flexiblere Zeitressourcen hätten, und stelle anders als vom Revisionswerber dargestellt weder eine Strafe noch eine unzulässige „Zwangsmaßnahme“ dar. Der Revisionswerber sei vom AMS auch darüber informiert worden, dass für außenstehende Personen nicht ersichtlich sei, welche Personen im „Case Management“ betreut würden, sodass Diskretion gewahrt sei. Das AMS verfüge im Bundesland Wien nur einmal über die Einrichtung „AMS Case Management“, und zwar in der Landesgeschäftsstelle Wien. Dem AMS sei es somit nicht möglich gewesen, dem Revisionswerber einen Kontrollmeldetermin in einer näher bei seiner Wohnadresse gelegenen „Case Management“‑Einrichtung, etwa an der nach dem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle, zuzuteilen.
15 Was das Ansteckungsrisiko in Pandemiezeiten im Zusammenhang mit einer Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beim Aufsuchen der Landesgeschäftsstelle betreffe, seien dem Revisionswerber allgemeine Schutzmaßnahmen wie das Tragen einer FFP2‑Maske zumutbar. Für die Wegstrecke von seinem Wohnsitz zur Landesgeschäftsstelle des AMS müsste der Revisionswerber (mit Umsteigen) höchstens 12 Minuten in U‑Bahnen oder Zügen verbringen.
16 Der Revisionswerber habe somit insgesamt keinen triftigen Grund für das Unterlassen der Kontrollmeldung im Sinne des § 49 Abs. 2 erster Satz AlVG dargetan. Die Beschwerden des Revisionswerbers seien daher abzuweisen und die Beschwerdevorentscheidung mit der im Spruch genannten Maßgabe zu bestätigen gewesen.
17 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
18 Zu ihrer Zulässigkeit bringt die Revision insbesondere vor, es bestehe „keine gesicherte Rechtsprechung“ des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage, ob das AMS einen Kontrollmeldetermin im Sinne des § 49 AlVG „zusammengekoppelt“ mit einem Termin im „Case Management“ vorschreiben und die Nichtteilnahme an diesem Termin gemäß § 49 Abs. 2 AlVG sanktionieren dürfe. Nach dem Erkenntnis VwGH 20.11.2002, 2002/08/0136, sei es jedenfalls nicht zulässig, die Teilnahme einer arbeitslosen Person an Veranstaltungen außerhalb der regionalen Geschäftsstelle des AMS im Wege der Vorschreibung eines Kontrollmeldetermins verpflichtend zu gestalten, bei denen weder im Sinne des § 9 AlVG Vermittlungsversuche vorgenommen würden noch die Zuweisung zu Maßnahmen erfolge. Dem Erkenntnis VwGH 28.3.2012, 2010/08/0250, zufolge stehe es nicht im freien Belieben des AMS, eine arbeitslose Person einer Wiedereingliederungsmaßnahme zuzuweisen; der Verwaltungsgerichtshof habe ausgesprochen, dass die vom AMS für die Zuweisung des damaligen Beschwerdeführers zur Maßnahme „Case Management“ angegebene Begründung weder ein konkretes beim Beschwerdeführer vorhandenes Defizit erkennen habe lassen, noch ersichtlich gemacht hätte, inwieweit ein bestehendes Defizit durch den Besuch der Maßnahme behoben würde. Ausgehend von diesen Grundsätzen ‑ so die Zulässigkeitsbegründung der Revision weiter ‑ hätte auch im Revisionsfall eine nachvollziehbare individualisierende Begründung erfolgen müssen, welche konkrete Problemlage beim Revisionswerber bestehe und wie diese Problemlage durch die „Überstellung ins Case Management unter Koppelung des Kontrolltermins“ beseitigt würde.
19 Außerdem fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage, ob die Bestimmung des § 49 Abs. 1 letzter Satz AlVG eine taugliche Grundlage für die Vorschreibung einer gesonderten Kontrollmeldestelle für einzelne Arbeitslose im „Case Management“ bilde. Der Gesetzgeber habe mit der Bestimmung des letzten Satzes des § 49 Abs. 1 AlVG („Die Landesgeschäftsstelle kann auch andere Stellen als Meldestellen bezeichnen“) „eine Verordnungsermächtigung im Auge“ gehabt und nicht etwa die Vorschreibung gesonderter Kontrollmeldestellen „in einem Case Management“ für einzelne „betreuungsintensive“ Arbeitslose, ohne näher begründen zu müssen, welche Problemlage eigentlich bei ihnen bestehe und wie diese durch die „zugewiesene Maßnahme“ beseitigt würde.
20 Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Revision das Vorverfahren geführt. Das AMS erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der es die kostenpflichtige Zurück‑ bzw. Abweisung der Revision beantragte.
21 Mit Beschluss vom 20. Dezember 2022 stellte der Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 140 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 135 Abs. 4 sowie Art. 89 Abs. 2 B‑VG den Antrag an den Verfassungsgerichtshof, den fünften Satz des § 47 Abs. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 ‑ AlVG, BGBl. Nr. 609/1977 in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2017, („Ausfertigungen, die im Wege der automationsunterstützten Datenverarbeitung erstellt wurden, bedürfen weder einer Unterschrift noch einer Beglaubigung.“) als verfassungswidrig aufzuheben.
22 Mit Erkenntnis vom 9. März 2023, G 295/2022‑10 u.a., hat der Verfassungsgerichtshof Folgendes ausgesprochen:
„I. § 47 Abs. 1 fünfter Satz des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977, BGBl. Nr. 609/1977, idF BGBl. I Nr. 38/2017 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. März 2024 in Kraft.
III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
IV. Die aufgehobene Bestimmung ist in den am 9. März 2023 beim Verwaltungsgerichtshof und beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Verfahren nicht mehr anzuwenden.
V. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.“
23 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:
24 Die Revision ist mit Blick auf ihr oben wiedergegebenes Vorbringen zum Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 49 Abs. 1 letzter Satz AlVG zur Klärung der Rechtslage zulässig.
Zu den Auswirkungen des Erkenntnisses VfGH 9.3.2023, G 295/2022‑10 u.a.
25 Vorweg ist festzuhalten, dass der Revisionsfall als Anlassfall (Art. 140 Abs. 7 B‑VG) für die Aufhebung des fünften Satzes des § 47 Abs. 1 AlVG in der zitierten Fassung durch den Verfassungsgerichtshof nach der durch das aufhebende Erkenntnis „bereinigten Rechtslage“ zu beurteilen ist. Folglich ist die Frage der Bescheidqualität der Erledigung des AMS vom 9. März 2021 unter Anwendung von § 18 AVG und unter Außerachtlassung der (aufgehobenen) abweichenden Regelung des § 47 Abs. 1 AlVG zu beurteilen. Im Revisionsfall ist erwiesen, dass die an den Revisionswerber ergangene Ausfertigung der genannten Erledigung des AMS weder eine Amtssignatur noch eine Unterschrift der Genehmigenden oder eine Beglaubigung der Kanzlei aufweist. Da somit keine dem § 18 Abs. 4 AVG entsprechende Ausfertigung dieser Erledigung vorliegt, ist der vom AMS damit intendierte Bescheid als nicht erlassen anzusehen; das Bundesverwaltungsgericht hätte über die Beschwerde gegen diese Erledigung daher nicht meritorisch entscheiden dürfen, sondern sie zurückweisen müssen (vgl. VwGH 18.4.2023, Ra 2021/08/0043, mwN, zu einem anderen Anlassfall des Erkenntnisses VfGH 9.3.2023, G 295/2022‑10 u.a.).
26 Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nicht nur über die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die (wie dargelegt keinen wirksam erlassenen Bescheid darstellende) Erledigung des AMS vom 9. März 2021 ‑ sie lautete darauf, dass der Revisionswerber gemäß § 49 AlVG für den Zeitraum von 26. Jänner 2021 bis zum 2. Februar 2021 keine Notstandshilfe erhalte ‑ sondern auch über die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid des AMS vom 27. Jänner 2021 entschieden. Mit diesem Bescheid, der eine Unterschrift des Genehmigenden trägt und daher wirksam erlassen wurde, hatte das AMS dem Wortlaut des Spruches zufolge festgestellt, dass der Anspruch des Revisionswerbers auf Notstandshilfe „gemäß § 49, § 24 Abs. 1 in Verbindung mit § 38 [...] AlVG mit 26. Jänner 2021 vorläufig eingestellt“ worden sei, da der Revisionswerber den [gemeint: für das genannte Datum] „vereinbarten Kontrollmeldetermin“ nicht wahrgenommen habe.
27 Zur hier intendierten Sanktionierung des im Bezug von Notstandshilfe stehenden Revisionswerbers wegen Nichterscheinens zu einem Kontrolltermin ist richtigerweise nicht mit der Einstellung der Notstandshilfe im Sinne des § 24 Abs. 1 iVm § 38 AlVG vorzugehen; vielmehr tritt gegebenenfalls unmittelbar gemäß § 49 Abs. 2 AlVG ‑ ex lege ‑ der Verlust des Anspruches ein. Eine Einstellung nach § 24 Abs. 1 AlVG ist ‑ schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmung ‑ nur bei einem Wegfall einer Anspruchsvoraussetzung vorzunehmen, nicht aber dann, wenn es um die (nur zu einem zeitlich befristeten Anspruchsverlust führende) Reaktion auf ein verpöntes Verhalten gemäß § 49 Abs. 2 AlVG geht (vgl. VwGH 15.11.2022, Ra 2022/08/0147, Rn 15).
28 Auch wenn der Anspruchsverlust gemäß § 49 Abs. 2 AlVG demnach ex lege eintritt, ist darüber aus Rechtsschutzgründen ein Feststellungsbescheid zu erlassen (vgl. idS ‑ zum Anspruchsverlust nach § 10 Abs. 1 AlVG ‑ VwGH 26.3.2021, Ra 2021/08/0016). Dies ist im vorliegenden Fall mit dem Bescheid vom 27. Jänner 2021 ‑ ungeachtet der fehlerhaften Bezeichnung als Einstellung iSd § 24 Abs. 1 AIVG ‑ erfolgt. Der Bescheid enthielt zwar noch keinen Endzeitpunkt des Anspruchsverlusts; das Bundesverwaltungsgericht bewegte sich aber innerhalb der Sache des Verfahrens, wenn es auf Grund der Beschwerde gegen diesen Bescheid den (zum Zeitpunkt seiner Entscheidung feststehenden) Endzeitpunkt feststellte (vgl. zur Festsetzung eines [neuen] Sanktionszeitraums im Rechtsmittelverfahren schon VwGH 4.6.2008, 2007/08/0165; ebenso ‑ zum Anspruchsverlust nach § 10 Abs. 1 AlVG ‑ VwGH 4.4.2024, Ra 2022/08/0132, mH auf VwGH 6.5.2020, Ra 2019/08/0114). Dass der Erledigung vom 9. März 2021 die Bescheidqualität fehlte, änderte somit nichts an der Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zu der mit dem angefochtenen Erkenntnis getroffenen meritorischen Entscheidung. Dass das Bundesverwaltungsgericht aber neben der ‑ zu Recht abweisenden (vgl. unten) ‑ Entscheidung in der Sache nicht auch die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Erledigung des AMS vom 9. März 2021 zurückgewiesen hat, verletzt den Revisionswerber in dieser Konstellation nicht in Rechten.
Zum Verlust des Anspruchs des Revisionswerbers auf Notstandshilfe gemäß § 49 Abs. 2 AlVG
29 § 49 AlVG lautet:
„Kontrollmeldungen
§ 49. (1) Zur Sicherung des Anspruches auf den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe hat sich der Arbeitslose wöchentlich mindestens einmal bei der nach seinem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich zu melden. Je nach der Situation auf dem Arbeitsmarkt kann die regionale Geschäftsstelle die Einhaltung von Kontrollmeldungen gänzlich nachsehen, die Zahl der einzuhaltenden Kontrollmeldungen herabsetzen oder öftere Kontrollmeldungen vorschreiben. Die regionale Geschäftsstelle kann auch öftere Kontrollmeldungen vorschreiben, wenn der begründete Verdacht besteht, daß das Arbeitslosengeld bzw. die Notstandshilfe nicht gebührt. Die näheren Bestimmungen über die Kontrollmeldungen trifft die Landesgeschäftsstelle. Die Landesgeschäftsstelle kann auch andere Stellen als Meldestellen bezeichnen.
(2) Ein Arbeitsloser, der trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine Kontrollmeldung unterläßt, ohne sich mit triftigen Gründen zu entschuldigen, verliert vom Tage der versäumten Kontrollmeldung an bis zur Geltendmachung des Fortbezuges den Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Liegen zwischen dem Tag der versäumten Kontrollmeldung und der Geltendmachung mehr als 62 Tage, so erhält er für den übersteigenden Zeitraum kein Arbeitslosengeld bzw. keine Notstandshilfe. Der Zeitraum des Anspruchsverlustes verkürzt sich um die Tage einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung, die er in diesem Zeitraum ausgeübt hat. Ist die Frage strittig, ob ein triftiger Grund für die Unterlassung der Kontrollmeldung vorliegt, so ist der Regionalbeirat anzuhören.“
30 Die im maßgeblichen Zeitpunkt in Geltung gestandene Bekanntmachung der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 12. Oktober 2020, kundgemacht durch öffentlichen Aushang an den Anschlagtafeln der regionalen Geschäftsstellen sowie im Internet unter https://www.ams.at/arbeitsuchende/arbeitslos-was-tun/wichtige-informationen-zu-ams-leistungen#local-details-id , lautete auszugsweise:
„[...] Die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien bezeichnet die folgenden Örtlichkeiten als
Meldestellen im Sinne des § 49 AlVG:
Ungargasse 37, 1030 Wien ‑ Landesgeschäftsstelle des AMS Wien
[...]“
31 Unstrittig ist, dass dem im Bezug von Notstandshilfe stehenden Revisionswerber mit Schreiben des AMS vom 11. Dezember 2020 ein Kontrollmeldetermin im Sinne des § 49 AlVG für den 26. Jänner 2021 an der Adresse der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien, „Case Management Wien“, vorgeschrieben und ihm auch die Rechtsfolgen eines Nichterscheinens zu diesem Termin ohne Entschuldigung mit einem triftigen Grund ‑ nämlich insbesondere der Anspruchsverlust bis zur persönlichen Vorsprache ‑ zur Kenntnis gebracht wurden. Ebenso unstrittig ist, dass der Revisionswerber diesen Termin nicht eingehalten und erst wieder am 3. Februar 2021 an der regionalen Geschäftsstelle des AMS vorgesprochen hat.
32 Zur Darlegung der Rechtswidrigkeit der mit dem angefochtenen Erkenntnis über den Revisionswerber wegen der Unterlassung der Kontrollmeldung gemäß § 49 Abs. 2 erster Satz AlVG verhängten Sanktion des Verlustes des Anspruches des Revisionswerbers auf Notstandshilfe von 26. Jänner 2021 bis 2. Februar 2021 verweist die Revision zunächst auf das Erkenntnis VwGH 20.11.2002, 2002/08/0136.
33 Der im Bezug von Arbeitslosengeld stehenden Beschwerdeführerin des Falles, der diesem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes zugrunde lag, war ein Kontrollmeldetermin für die „Maßnahme“ eines „Bewerbungsimpulstages“ an einem anderen Ort als der nach dem Wohnort der Beschwerdeführerin zuständigen regionalen Geschäftsstelle des AMS vorgeschrieben worden. Der Verwaltungsgerichtshof erkannte die über die Beschwerdeführerin gemäß § 49 Abs. 2 AlVG verhängte Sanktion des Verlustes des Arbeitslosengeldanspruches wegen Nichteinhaltung dieses Termins als inhaltlich rechtswidrig. Denn § 49 AlVG lässt es ‑ so das genannte Erkenntnis ‑
„nicht zu, die Teilnahme einer arbeitslos gemeldeten Person an Veranstaltungen, bei denen weder im Sinne des § 9 AlVG Vermittlungsversuche (wie dies bei Arbeitsplatzbörsen der Fall sein mag), noch (Schulungs‑, Ausbildungs‑ oder Eingliederungs‑)Maßnahmen vorgenommen werden sollen, zu denen also Zuweisungen im Sinne der §§ 9 und 10 AlVG nicht zulässig sind, im Wege der Vorschreibung eines Kontrolltermins verpflichtend (mit den möglichen Rechtsfolgen des § 49 Abs. 2 AlVG) zu gestalten. § 49 AlVG lässt es seinem klaren Wortlaut nach nur zu, Kontrolltermine in der Weise vorzuschreiben, dass sich der Arbeitslose ‚monatlich mindestens einmal bei der nach seinem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle unter Vorweisung der Meldekarte persönlich zu melden‘ hat. Die Behörde darf zwar gemäß § 49 Abs. 1 zweiter und dritter Satz AlVG die Zahl der Kontrolltermine erhöhen oder vermindern, nicht aber den Ort der Meldung verändern. Aus dem im Gesetz genannten Zweck der Kontrollmeldung, nämlich ‚zur Sicherung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe‘, ergibt sich nämlich, dass die Kontrollmeldung der Kontrolle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für den Leistungsbezug, wie z.B. der Arbeitslosigkeit, der Verfügbarkeit, der Arbeitswilligkeit und der Arbeitsfähigkeit bzw. ‑ wie die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides selbst erkennt ‑ der Abklärung des Ergebnisses von Vermittlungsversuchen und der Planung von Maßnahmen dient. Die Teilnahme an einem außerhalb der regionalen Geschäftsstelle abgehaltenen ‚Impulstag‘ kann daher ‑ sofern nicht die Voraussetzungen des § 9 AlVG auf ihn zutreffen ‑ einer arbeitslosen Person nicht im Wege des § 49 AlVG verpflichtend vorgeschrieben werden.“
34 Nicht auseinanderzusetzen hatte sich der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis allerdings mit dem Fall, dass die Landesgeschäftsstelle des AMS im Sinne der Ermächtigung des § 49 Abs. 1 letzter Satz AlVG „auch andere Stellen [gemeint: als die nach dem Wohnort der arbeitslosen Person zuständige regionale Geschäftsstelle] als Meldestellen“ bezeichnet hat, wie es im vorliegenden Fall mit der oben wiedergegebenen Bekanntmachung der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 12. Oktober 2020 geschehen ist. Eine solche Bezeichnung anderer Meldestellen bedarf ‑ wegen des normativen, an die Rechtsunterworfenen gerichteten Inhalts einer solchen Festlegung ‑ einer Rechtsverordnung (vgl. Julcher in AlV‑Komm, 101. Lieferung [2023], zu § 49, Rn 18, und das Erkenntnis VfGH 10.6.2024, V 30/2023‑9, mit dem der Verfassungsgerichtshof eine „Bekanntmachung zu Meldestellen im Sinne des § 49 AlVG“ durch eine [andere] Landesgeschäftsstelle des AMS als Verordnung im Sinne des Art. 139 Abs. 1 B‑VG ansah und mangels [aktenkundiger] Genehmigung durch den Landesgeschäftsführer als gesetzwidrig aufhob; dass die hier anzuwendende Bekanntmachung der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 12. Oktober 2020 durch die Landesgeschäftsführerin genehmigt wurde, ergibt sich aus den Akten). Wurden im Sinne des § 49 Abs. 1 letzter Satz AlVG durch Verordnung der Landesgeschäftsstelle des AMS auch andere Stellen als die nach dem Wohnort der arbeitslosen Person zuständige regionale Geschäftsstelle als Meldestellen bezeichnet, erfolgt auf dieser Basis die individuelle Bestimmung der Meldestelle für die einzelnen Arbeitslosen im Wege der Vorschreibung der Meldetermine. Die Erlassung eines Bescheides ‑ die dann die verwaltungsgerichtliche Überprüfung der Vorschreibung ermöglicht ‑ ist erst erforderlich, wenn es wegen Versäumung des Kontrollmeldetermins zum Anspruchsverlust kommt.
35 Dass das AMS dem Revisionswerber die Kontrollmeldung für den 26. Jänner 2021 nicht an der Adresse der nach dem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle, sondern an der Adresse der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vorschrieb, war somit grundsätzlich durch die Bezeichnung dieser Adresse als „andere Meldestelle“ im Wege einer auf § 49 Abs. 1 letzter Satz AlVG gestützten Rechtsverordnung der Landesgeschäftsstelle des AMS gedeckt. Das AMS traf seine Entscheidung, den Kontrollmeldetermin nicht an der nach dem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle, sondern an der Adresse der Landesgeschäftsstelle vorzuschreiben, auch nicht etwa willkürlich, sondern wegen der an der ausgewählten Adresse zur Verfügung stehenden speziell ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit erhöhten Zeitressourcen. Im Rahmen der dort angebotenen Betreuung, die vom AMS als „Case Management“ bezeichnet und von der „Regelbetreuung“ unterschieden wird, werden die Arbeitslosen bei der Planung des weiteren beruflichen Werdegangs durch Orientierungsgespräche sowie Potential‑ und Ressourcenanalysen unter Berücksichtigung eines etwaigen Umschulungs‑ oder Weiterbildungsbedarfes und durch die gemeinsame Entwicklung einer beruflichen Perspektive unter Berücksichtigung der konkreten Lebensumstände unterstützt. Damit befand sich die Auswahl der Meldestelle im vorliegenden Fall im Einklang mit den Zielsetzungen der Kontrollmeldungen, die „zur Sicherung des Anspruchs auf den Bezug“ schon in § 13 AlVG 1920, StGBl. Nr. 153, vorgesehen waren: Es geht vor allem darum, dass sich die Arbeitslosen für das AMS verfügbar halten sollen, um diesem etwa die regelmäßige Kontrolle der Anspruchsvoraussetzungen (vgl. den 3. Satz des § 49 Abs. 1 AlVG sowie etwa VwGH 19.9.2007, 2006/08/0172, mwN) und eine ausreichende Betreuung (insbesondere im Hinblick auf die Arbeitsvermittlung) zu ermöglichen (vgl. etwa VwGH 19.12.2007, 2006/08/0332; VwGH 4.6.2020, Ro 2019/08/0002, jeweils mwN).
Entgegen dem Revisionsvorbringen besteht auch kein Widerspruch zum Erkenntnis VwGH 20.11.2002, 2002/08/0136. Damals ging der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass das AMS nicht den Ort der Meldung verändern dürfe ‑ dies war im vorliegenden Fall aber, wie dargelegt, durch eine Verordnung nach § 49 Abs. 1 letzter Satz AlVG gedeckt. Inhaltlich ging es u.a. um die Planung von Maßnahmen, was der Verwaltungsgerichtshof im genannten Erkenntnis ausdrücklich als zulässigen Zweck von Kontrollmeldungen ansah.
36 Mit dem Hinweis auf das Erkenntnis VwGH 28.3.2012, 2010/08/0250, dem zufolge die Zuweisung einer arbeitslosen Person zu einer Wiedereingliederungsmaßnahme nicht im freien Belieben des AMS stehe, sondern einer nachvollziehbaren individualisierenden Begründung bedürfe, welche konkrete Problemlage bestehe und wie diese Problemlage durch die Wiedereingliederungsmaßnahme beseitigt würde, zeigt die Revision schon deshalb keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses auf, weil hier ‑ anders als im Fall, der dem zitierten Erkenntnis zugrunde lag ‑ keine Zuweisung zu einer Wiedereingliederungsmaßnahme im Sinne des § 9 Abs. 8 AlVG und keine Sanktionierung wegen Nichtteilnahme an einer solchen gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AlVG erfolgt ist.
37 Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis insgesamt zu Recht angenommen, dass der Revisionswerber die ihm für den 26. Jänner 2021 vorgeschriebene Kontrollmeldung unterlassen hat, ohne sich mit triftigen Gründen zu entschuldigen, und deshalb gemäß § 49 Abs. 2 erster Satz AlVG den Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe vom 26. Jänner 2021 bis 2. Februar 2021 (angesichts der Wiedermeldung am 3. Februar 2021) ausgesprochen.
38 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
39 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 10. März 2025
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