VwGH Ra 2022/06/0093

VwGHRa 2022/06/009316.11.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätinnen Mag.a Merl, Mag. Rehak, Mag. Liebhart‑Mutzl sowie Mag. Bayer als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der A T in P, vertreten durch Dr. Mag. Michael E. Sallinger und Dr. Christof Rampl, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Sillgasse 21/III, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 28. April 2022, LVwG‑2022/31/0260‑2, betreffend eine baurechtliche Angelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtmagistrat der Landeshauptstadt Innsbruck; mitbeteiligte Partei: Mag. M S in I, vertreten durch die Tinzl&Frank Rechtsanwälte‑Partnerschaft in 6020 Innsbruck, Museumstraße 21; weitere Partei: Tiroler Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

BauO Tir 1998 §21 Abs2 lita idF 2001/074
BauO Tir 2018 §29 Abs2 lita
WEG 2002 §16
WEG 2002 §16 Abs2
WEG 2002 §3 Abs2
WEG 2002 §52
WEG 2002 §52 Abs1 Z2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022060093.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird in seinem Spruchpunkt 1 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Die Stadt Innsbruck hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte beantragte mit Bauansuchen vom 28. Juli 2020 die Erteilung einer Baubewilligung für den Ausbau des Dachgeschoßes auf einem näher genannten Grundstück in I. Das Bauansuchen ist sowohl von der Mitbeteiligten als auch von A.F., B.R. und K.C. als Grundstücksmiteigentümerinnen unterschrieben.

2 Das vom Bauansuchen betroffene Gebäude ist ein sogenanntes Mischhaus, in dem also nicht an allen wohnungseigentumstauglichen Objekten Wohnungseigentum begründet wurde (vgl. OGH 27.5.2020, 5 Ob 169/19t). Die Revisionswerberin ist Miteigentümerin der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft; ihre Miteigentumsanteile sind mit Wohnungseigentum an der Wohnung W 5 verbunden. Auch die Mitbeteiligte ist Miteigentümerin der Liegenschaft, wobei nicht mit allen ihren Miteigentumsanteilen Wohnungseigentum verbunden ist. An dem Dachgeschoß, auf das sich der Bauantrag bezieht, wurde kein Wohnungseigentum begründet.

3 Mit Bescheid des Stadtmagistrates der Landeshauptstadt Innsbruck (Behörde) vom 22. November 2021 wurde den Antragstellerinnen die beantragte Baubewilligung erteilt.

4 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (LVwG) die Beschwerde der Revisionswerberin gegen den Bescheid als unzulässig zurück. Eine ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

Das LVwG führte begründend aus, das gegenständliche Bauvorhaben sei sowohl als Umbau im Sinn des § 2 Abs. 9 Tiroler Bauordnung 2018 (TBO 2018) als auch ‑ aufgrund einer Erweiterung des Dachraumes durch den Einbau von Dachkapfern ‑ als Zubau gemäß § 2 Abs. 8 TBO 2018 und als Änderung des Verwendungszweckes (§ 28 Abs. 1 lit. c TBO 2018) zu qualifizieren. Gemäß § 29 Abs. 2 lit. a TBO 2018 sei für Neu‑ und Zubauten an Liegenschaften, an denen Wohnungseigentum bestehe, die Zustimmungserklärung der übrigen Miteigentümer nicht mehr erforderlich.

Das LVwG zitierte dazu die Erläuternden Bemerkungen bei Einführung dieser Regelung im (damaligen) § 21 Abs. 2 lit. a TBO 1998 mit der Novelle LGBl. Nr.74/2001: demnach entfalle die Unterscheidung zwischen den im Wohnungseigentum stehenden Wohnungen, Räumlichkeiten und Liegenschaftsanteilen einerseits und den gemeinsam genutzten Anlagenteilen andererseits; der Landesgesetzgeber sehe keinen Bedarf für einen zusätzlichen Verwaltungsrechtsschutz für Wohnungseigentümer, weil diese eine unzulässige Inanspruchnahme von gemeinsam genutzten Anlagenteilen nach den wohnungseigentumsrechtlichen Vorschriften zivilgerichtlich bekämpfen könnten.

Die Rechtsnatur der Eigentumsverhältnisse in Bezug auf den Dachboden nach wohnungseigentumsrechtlichen Vorschriften ‑ so das LVwG weiter ‑ sei nicht zu beurteilen gewesen, dies könne zivilgerichtlich bekämpft werden. (Seite 6 unten des Beschlusses) Die Revisionswerberin habe ein Nutzungsrecht am Dachboden nicht einmal behauptet. Ihr komme aus ihrer Rechtsstellung als Miteigentümerin am Bauplatz im gegenständlichen Bauverfahren keine Parteistellung zu, weshalb ihre Beschwerde zurückzuweisen gewesen sei.

5 Dagegen richtet sich ‑ in der Sache nach nur gegen Spruchpunkt 1. ‑ die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, es liege keine hg. Rechtsprechung zu der Frage vor, „ob die ‚Bereichsausnahme‘, die die TBO für den Fall beinhalte, dass an einer Liegenschaft Wohnungseigentum bestehe, und in einem solchen Fall jeder einzelne Rechtsgenosse für sich allein die öffentlich-rechtliche Baubewilligung beantragen könne, oder nicht, auf den hier vorliegenden Fall anzuwenden ist oder nicht.“.

6 Die Mitbeteiligte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben, der Revisionswerberin die Kosten der Revisionsbeantwortung aufzuerlegen und in eventu eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof anzuberaumen. Die Behörde beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision kostenpflichtig zurück‑ bzw. abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision ist angesichts der darin ausgeführten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zulässig; sie ist auch begründet.

8 Ein Zubau ist gemäß § 3 Abs. 8 TBO 2018 die Vergrößerung eines Gebäudes durch die Herstellung neuer oder die Erweiterung bestehender Räume.

Ein Umbau (§ 2 Abs. 9 TBO 2018) ist die bauliche Änderung eines Gebäudes, durch die dessen Außenmaße nicht geändert werden und die geeignet ist, die mechanische Festigkeit und Standsicherheit, den Brandschutz, die Energieeffizienz oder das äußere Erscheinungsbild des Gebäudes wesentlich zu berühren.

Eine Änderung des Verwendungszweckes von Gebäuden oder Gebäudeteilen bedarf gemäß § 28 Abs. 1 lit. c TBO 2018 einer Baubewilligung, wenn sie auf die Zulässigkeit des Gebäudes oder Gebäudeteiles nach den bau‑ oder raumordnungsrechtlichen Vorschriften von Einfluss sein kann [...].

Gemäß § 29 Abs. 2 lit. a TBO 2018 ist bei Bauansuchen für Neu- und Zubauten an Liegenschaften, an denen Wohnungseigentum besteht, der Nachweis des Miteigentums an der Liegenschaft bzw. die Zustimmungserklärung des betreffenden Miteigentümers, nicht jedoch der Nachweis der Zustimmung der übrigen Miteigentümer, erforderlich.

Gemäß § 33 Abs. 1 TBO 2018 sind Parteien im Bauverfahren der Bauwerber, die Nachbarn und der Straßenverwalter.

Gemäß § 2 Abs. 4 Wohnungseigentumsgesetz 2002 (WEG 2002), BGBl. I Nr. 70/2002 idF BGBl. I Nr. 124/2006, sind allgemeine Teile der Liegenschaft solche, die der allgemeinen Benützung dienen oder deren Zweckbestimmung einer ausschließlichen Benützung entgegensteht.

9 Die Revisionswerberin bringt im Wesentlichen vor, an den Miteigentumsanteilen, die verbaut werden sollten, bestehe kein Wohnungseigentum, es könnte aber ein solches bestehen; es handle sich um „schlichtes Miteigentum der Antragstellerin“. Mischhäuser seien von § 29 Abs. 2 lit. a TBO 2022 nicht erfasst.

10 Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein sogenanntes Mischhaus, in dem der Dachstuhl saniert sowie (etwa durch den Einbau von Dachkapfern) adaptiert und das Dachgeschoß zu Wohnzwecken ausgebaut werden soll.

11 Am Dachgeschoß wurde bisher kein Wohnungseigentum eingeräumt. Dem vorgelegten Auszug aus dem Grundbuch zufolge, auf den sich sowohl die Revisionswerberin, das LVwG, die Mitbeteiligte als auch die Behörde beziehen, sind sowohl die Revisionswerberin als auch die Mitbeteiligte Miteigentümerinnen der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft. Während die Miteigentumsanteile der Revisionswerberin mit Wohnungseigentum verbunden sind, ist die Mitbeteiligte sowohl Eigentümerin von Anteilen, die mit Wohnungseigentum an den Wohnungen W 20, W 19, W 12 und W 13 verbunden sind, als auch (ebenso wie A.F., B.R., P.M. und K.C.) Eigentümerin von weiteren Anteilen, die nicht mit Wohnungseigentum verbunden sind; hinsichtlich dieser Anteile ist auch keine Zusage der Einräumung von Wohnungseigentum angemerkt.

12 § 21 Abs. 2 lit. a TBO 1998, LGBl. Nr. 15/1998, lautete:

„Dem Bauansuchen sind die Planunterlagen (§ 23) in dreifacher Ausfertigung sowie die sonstigen zur Beurteilung der Zulässigkeit des Bauvorhabens nach den bau- und raumordnungsrechtlichen Vorschriften erforderlichen Unterlagen anzuschließen. Diese haben jedenfalls zu enthalten:

a) den Nachweis des Eigentums oder des Baurechtes am Bauplatz oder, wenn der Bauwerber nicht Grundeigentümer oder Bauberechtigter ist, die Zustimmungserklärung des Grundeigentümers bzw. des Bauberechtigten; für Änderungen an im Wohnungseigentum stehenden Wohnungen oder sonstigen Räumlichkeiten und an damit verbundenen Liegenschaftsteilen bedarf es jedoch nicht der Zustimmung der übrigen Miteigentümer; bei gemeinsamem Wohnungseigentum von Ehegatten ist jedoch die Zustimmung des anderen Ehegatten erforderlich;“

Die Erläuternden Bemerkungen zu dieser Bestimmung führten u.a. Folgendes aus:

„Neu ist in diesem Zusammenhang aber, dass es bei Änderungen an Wohnungen oder sonstigen Räumlichkeiten, die im Wohnungseigentum stehen, und an den damit verbundenen Liegenschaftsteilen nicht mehr der Zustimmung der übrigen Miteigentümer bedarf. Zwar entfällt damit in den im Wohnungseigentumsgesetz geregelten Fällen nicht das Erfordernis der Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer. [...] Es muss jedoch der Bauwerber im Zuge des Bauverfahrens das Vorliegen der Zustimmung der übrigen Miteigentümer nicht mehr nachweisen. [...] Erfahrungsgemäß treffen Baumaßnahmen, die auf die jeweiligen im Wohnungseigentum stehenden Räumlichkeiten und die damit verbundenen Liegenschaftsteile beschränkt sind, Interessen der übrigen Miteigentümer nicht oder nur geringfügig. [...] Wie dargelegt, gilt die Neuerung [...] nicht für die gemeinsam genutzten Anlagenteile. Es liegt auf der Hand, daß bauliche Veränderung in diesem Bereich die Rechtsstellung der übrigen Miteigentümer unmittelbar berühren. In diesen Fällen soll daher weiter deren Zustimmung im Bauverfahren nachgewiesen werden müssen.“

Mit der 4. Bauordnungsnovelle, LGBl. Nr. 74/2001, erhielt die lit. a in § 21 Abs. 2 TBO 1998 folgende Fassung:

„a) bei Neu‑ und Zubauten der Nachweis des Eigentums oder des Baurechtes am Bauplatz oder, wenn der Bauwerber nicht Grundeigentümer oder Bauberechtigter ist, die Zustimmungserklärung des Grundeigentümers bzw. des Bauberechtigten; für Neu- und Zubauten an Liegenschaften, an denen Wohnungseigentum besteht, bedarf es des Nachweises des Miteigentums an der Liegenschaft bzw. der Zustimmungserklärung des betreffenden Miteigentümers, nicht jedoch des Nachweises der Zustimmung der übrigen Miteigentümer;“

Die Erläuternden Bemerkungen zu dieser Bestimmung führen dazu u.a. Folgendes aus:

„Schließlich soll künftig auch bei Bauvorhaben an im Wohnungseigentum stehenden Wohnungen und sonstigen Räumlichkeiten der Nachweis generell und nicht wie bisher nur im Falle von Änderungen (im Sinne des § 20 Abs. 1 lit. b) entfallen. Auch entfällt die Unterscheidung zwischen den im Wohnungseigentum stehenden Wohnungen, Räumlichkeiten und Liegenschaftsteilen einerseits und den gemeinsam genutzten Anlagenteilen andererseits. Eine unzulässige Inanspruchnahme der Letzteren durch einzelne Wohnungseigentümer kann nämlich von den übrigen Wohnungseigentümern nach den wohnungseigentumsrechtlichen Vorschriften unmittelbar zivilgerichtlich bekämpft werden, weshalb es hier nicht zusätzlich eines Verwaltungsrechtsschutzes bedarf. [...] Selbstverständlich entfällt auch in diesen Fällen nur die Nachweispflicht im Bauverfahren, die Zustimmungserfordernisse nach dem Wohnungseigentumsgesetz [...] an sich bleiben unberührt.“

Diese Bestimmung blieb seither unverändert; sie war in dem für den Revisionsfall maßgeblichen Zeitpunkt als § 29 Abs. 2 lit. a TBO 2018, LGBl. Nr. 28/2018, in Geltung.

13 Im Falle einer Liegenschaft, an der Wohnungseigentum besteht, bedarf es demnach für Neu‑ und Zubauten des Nachweises des Miteigentums bzw. der Zustimmungserklärung des „betreffenden“ Miteigentümers, womit ‑ auch wenn dies nicht ausdrücklich angeordnet wird ‑ jener Miteigentümer gemeint ist, mit dessen Miteigentumsanteilen Wohnungseigentum an jenen Wohnungen oder sonstigen Räumlichkeiten verbunden ist, die durch die Baumaßnahmen in Anspruch genommen werden sollen. Darüber hinaus ist aber auch für den Fall, dass durch die Baumaßnahmen allgemeine Teile der Liegenschaft ‑ an denen kein Wohnungseigentum besteht ‑ in Anspruch genommen werden sollen, seit der 4. Bauordnungsnovelle der Nachweis des Miteigentums oder die Zustimmung des Miteigentümers, der den allgemeinen Teil durch eine Baumaßnahme in Anspruch zu nehmen gedenkt, ausreichend. Unabhängig von der wohnungseigentumsrechtlichen Zulässigkeit der geplanten Baumaßnahmen wäre daher aus baurechtlicher Sicht auch für eine Inanspruchnahme allgemeiner Teile der Liegenschaft durch Baumaßnahmen eines Wohnungseigentümers alleine der Nachweis des Miteigentums dieses Wohnungseigentümers bzw. dessen Zustimmung ausreichend.

14 Damit ist jedoch noch nicht die Frage beantwortet, ob die Regelung des § 29 Abs. 2 lit. a letzter Halbsatz TBO 2018 im Falle eines „gemischten Hauses“ ‑ also einer Liegenschaft, an der neben Wohnungseigentum auch ideelles Miteigentum besteht, und demnach nicht mit allen Miteigentumsanteilen Wohnungseigentum an bestimmten wohnungseigentumstauglichen Objekten verbunden ist ‑ ebenso anzuwenden ist. Diese Bestimmung geht vom Regelfall aus, in dem an einer Liegenschaft ausschließlich Wohnungseigentum besteht (vgl. dazu § 3 Abs. 2 WEG 2002). Die in den Erläuterungen (zu § 21 Abs. 2 lit. a TBO 1998, LGBl. Nr. 74/2001) gegebene Begründung für den Entfall der Zustimmung der übrigen Miteigentümer im Fall von „Liegenschaften, an denen Wohnungseigentum besteht“, bezieht sich ausdrücklich darauf, dass es keines Verwaltungsrechtsschutzes (der „übrigen Miteigentümer“) bedarf, da diese eine unzulässige Inanspruchnahme von allgemeinen Teilen nach den wohnungseigentumsrechtlichen Vorschriften unmittelbar zivilgerichtlich bekämpfen können.

15 Während es bei Liegenschaften, die in schlichtem Miteigentum stehen, weiterhin des Nachweises des Eigentums aller Miteigentümer (bzw. der Zustimmung aller Grundeigentümer) bedarf ‑ wenngleich die Zulässigkeit von Baumaßnahmen eines Miteigentümers ebenfalls zum Gegenstand zivilgerichtlicher Verfahren nach den Regeln über die Gemeinschaft des Eigentums gemacht werden können ‑, soll also bei Liegenschaften, an denen Wohnungseigentum besteht, von diesem Erfordernis im Hinblick auf die besonderen wohnungseigentumsrechtlichen Vorschriften abgesehen werden.

16 Der Gesetzgeber ist damit ersichtlich davon ausgegangen, dass es nur in jenen Fällen, in denen die Frage der Zulässigkeit einer Baumaßnahme nach den besonderen wohnungseigentumsrechtlichen Vorschriften einer gerichtlichen Überprüfung ‑ insbesondere im wohnungseigentumsrechtlichen Außerstreitverfahren (§ 52 WEG 2002) ‑ unterzogen werden kann, zum Entfall des Nachweises der Zustimmung aller übrigen Miteigentümer kommen soll.

17 Im vorliegenden Fall umfasst das Bauansuchen der Mitbeteiligten den unbestritten gebliebenen Ausführungen des LVwG zufolge Baumaßnahmen im Dachgeschoß, die rechtlich als Zubau im Sinne des § 2 Abs. 8 TBO 2018 zu beurteilen sind. Dieses Bauansuchen wurde von der Mitbeteiligten nicht als Wohnungseigentümerin ‑ die sie hinsichtlich anderer, nicht von den Baumaßnahmen betroffener Wohnungen ist ‑, sondern als schlichte Miteigentümerin gestellt, wobei am Dachboden derzeit kein Wohnungseigentum begründet ist. Dabei wurde die Zustimmung von weiteren drei schlichten Miteigentümerinnen, nicht aber von den übrigen Miteigentümern, mit deren Miteigentumsanteilen Wohnungseigentum verbunden ist, nachgewiesen.

18 Das LVwG traf keine Feststellungen darüber, ob hinsichtlich der von den Baumaßnahmen betroffenen Räumlichkeiten ein vertraglich eingeräumtes ausschließliches Nutzungsrecht der Mitbeteiligten oder eine Zusage zur Einräumung von Wohnungseigentum besteht. Selbst wenn aber der Mitbeteiligten ein ausschließliches Nutzungsrecht an den von den Baumaßnahmen in Anspruch genommenen Räumlichkeiten vertraglich eingeräumt worden sein sollte, dürfte es sich bei den vom Bauansuchen umfassten Baumaßnahmen ‑ soweit dies nach den im Akt erliegenden Unterlagen zu beurteilen ist ‑ um solche handeln, bei denen zumindest nicht auszuschließen ist, dass sie in die Rechtssphäre der übrigen Miteigentümer eingreifen.

19 Für Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Vornahme solcher Änderungen durch schlichte Miteigentümer ist aber in einem „Mischhaus“ ‑ anders als bei Änderungen in reinen Wohnungseigentumsobjekten ‑ nicht der außerstreitige Rechtsweg nach dem WEG 2002 (Änderungsverfahren nach § 16 Abs. 2 WEG 2002 iVm § 52 WEG 2002) eröffnet (vgl. dazu, dass schlichten Miteigentümern nicht nur das Änderungsrecht nach § 16 WEG 2002 nicht zusteht, sondern auch keine Antragslegitimation in einem Verfahren nach § 52 Abs. 1 Z 2 WEG 2002, etwa OGH 26.8.2008, 5 Ob 16/21w).

20 Vor diesem Hintergrund ist § 29 Abs. 2 lit. a TBO 2018 dahin auszulegen, dass bei Bauansuchen, die von schlichten Miteigentümern betreffend einen solchen Liegenschaftsanteil eines „Mischhauses“ gestellt werden, an dem Wohnungseigentum nicht begründet ist, nicht der Nachweis des schlichten Miteigentums oder die Zustimmung anderer schlichter Miteigentümer ausreicht, sondern die Zustimmung aller Miteigentümer ‑ auch jener, deren Miteigentumsanteile mit Wohnungseigentum verbunden sind ‑ erforderlich ist.

21 Da das LVwG dies verkannte, war das angefochtene Erkenntnis im spruchgemäßen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

22 Von der in der Revisionsbeantwortung in eventu beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG Abstand genommen werden.

23 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 16. November 2022

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