VwGH Ra 2022/02/0119

VwGHRa 2022/02/011927.7.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter und die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer‑Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des P in K, vertreten durch die Lanker Obergantschnig Rechtsanwälte GmbH in 9020 Klagenfurt, Waagplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom 29. April 2022, KLVwG‑1854/5/2021, betreffend Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Kärnten), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
StVO 1960 §20 Abs2
VStG §6
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022020119.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Kärnten (im Folgenden: Verwaltungsgericht) die Beschwerde des Revisionswerbers gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Kärnten vom 17. August 2021 wegen einer Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet von 50 km/h um 51 km/h) als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig.

2 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

3 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

4 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

5 In der Revision wird zur Frage deren Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht, es liege eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob ein Notstand im Sinn des § 6 VStG anzunehmen sei, wenn ein Arzt von seinem Patienten, welcher sich in einer ärztlichen Notlage befinde, die Information erhalte, dass nur ihm die Türe geöffnet werde, um eine Behandlung durchzuführen. Es sei beim Revisionswerber aufgrund der ärztlichen Pflicht zur Hilfeleistung (Verweis auf §§ 48, 49 Ärztegesetz 1998) eine Interessenskollision vorgelegen. Weiters habe das Verwaltungsgericht die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes zu 85/02/0176 und 93/17/0266 „unrichtig angewendet“.

6 Unter Notstand im Sinne des § 6 VStG 1950 kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, dass er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht (vgl. etwa VwGH 28.7.2021, Ra 2021/05/0080; 15.9.1987, 86/04/0036).

7 Die Beurteilung, ob eine die Strafbarkeit ausschließende Notstandssituation gemäß § 6 VStG vorliegt, hat sich am festgestellten Sachverhalt zu orientieren und bildet damit keine über den jeweiligen Fall hinausgehende, grundsätzliche Rechtsfrage. Der Verwaltungsgerichtshof hat im geltenden Revisionsmodell damit bereits die rechtliche Einordnung sachverhaltsbezogener Fragen im Zusammenhang mit der Annahme der Notstandssituation gemäß § 6 VStG der jeweiligen einzelfallbezogenen Beurteilung durch das Verwaltungsgericht zugeordnet. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung könnte in diesem Zusammenhang nur vorliegen, wenn die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen wäre (vgl. denselben Revisionswerber betreffend VwGH 15.11.2016, Ra 2016/02/0229; 24.10.2016, Ra 2015/02/0243, mwN).

8 Dass dies hier der Fall wäre, gelingt der Revision mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht, zumal nach den ‑ unbekämpft gebliebenen ‑ Feststellungen der Revisionswerber davon ausgegangen ist, dass die Patientin kollabiert und ohnmächtig geworden sei. Vor diesem Hintergrund kann aber dem in der Revision geltend gemachten Umstand, dass die Patientin zuvor erklärt habe, nur dem Revisionswerber die Türe öffnen zu wollen, keine entscheidungswesentliche Bedeutung zukommen. Es war jedenfalls nicht unvertretbar, wenn das Verwaltungsgericht im vorliegenden Einzelfall zur Auffassung gelangte, dass der Revisionswerber der Gefahr der Patientin durch die Verständigung des Rettungsdienstes vor Ort begegnen hätte können.

9 Mit der pauschalen ‑ jegliche Konkretisierung vermissenden ‑ Behauptung zum Abweichen von den oben genannten Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan (vgl. etwa VwGH 1.7.2019, Ra 2019/14/0261; 23.10.2019, Ra 2019/01/0400; jeweils mwN).

10 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 27. Juli 2022

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