VwGH Ra 2022/02/0043

VwGHRa 2022/02/004323.11.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer‑Kober, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision der Landespolizeidirektion Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 17. Dezember 2021, VGW‑031/084/16095/2021‑5, betreffend Übertretung der StVO (mitbeteiligte Partei: E in W, vertreten durch Mag. Marcus Hohenecker, Rechtsanwalt in 2301 Groß‑Enzersdorf, Kaiser Franz Josef‑Straße 7), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §1
KFG 1967 §1 Abs2a
StVO 1960 §2 Abs1 Z19
StVO 1960 §2 Abs1 Z19 idF 2019/I/037
StVO 1960 §2 Abs1 Z22 idF 1998/I/092
StVO 1960 §2 Abs1 Z22 idF 2019/I/037
StVO 1960 §5
StVO 1960 §5 Abs1
StVO 1960 §68 Abs1
StVO 1960 §68 Abs4
StVO 1960 §88b Abs1 idF 2019/I/037
StVO 1960 §88b Abs2 idF 2019/I/037
StVO 1960 §88b idF 2019/I/037
StVO 1960 §88b idF 2022/I/122
StVO 1960 §95 Abs1 litb
StVO 1960 §99 Abs1a
StVO 1960 §99 Abs3 litj
VStG §24
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §38
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022020043.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der revisionswerbenden Landespolizeidirektion Wien vom 14. Oktober 2021 wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, er habe als Fahrer einen Klein‑ oder Miniroller mit elektrischem Antrieb am 7. September 2021 zu einer konkret angegebenen Uhrzeit auf einer näher genannten Straße in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt. Der Test am geeichten Alkomaten habe einen Alkoholgehalt der Atemluft von 0,68 mg/l ergeben. Der Mitbeteiligte habe dadurch § 99 Abs. 1a iVm. § 5 Abs. 1 StVO verletzt, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 1a StVO iVm. § 20 VStG eine Geldstrafe iHv. € 600,‑‑ (Ersatzfreiheitsstrafe 5 Tage) verhängt wurde.

2 Dagegen erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien.

3 Mit gegenständlich angefochtenem Erkenntnis hob das Verwaltungsgericht das bekämpfte Straferkenntnis wegen Unzuständigkeit der revisionswerbenden Landespolizeidirektion auf. Die Revision wurde für unzulässig erklärt.

4 In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, es sei unbestritten, dass dem Mitbeteiligten das Fahren eines Klein‑ oder Minirollers mit elektrischem Antrieb oder eines E‑Scooters und nicht etwa eines Fahrrades zur Last gelegt werde.

5 In rechtlicher Sicht sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber elektrisch betriebene Klein‑ und Miniroller oder E‑Scooter nicht als Fahrräder einstufe. Gemäß § 88b Abs. 2 erster Satz StVO hätten sich Benutzer von E‑Scootern aber so zu verhalten wie Radfahrer. Es seien von ihnen nicht nur die spezifisch für Radfahrer geltenden Verhaltensvorschriften einzuhalten, sondern auch all jene, die allgemein für Fahrzeuglenker ‑ somit auch für Radfahrer ‑ gelten würden. Dadurch würden aber Fahrer von E‑Scootern nicht zu Radfahrern und auch nicht zu Lenkern von Fahrzeugen werden (zu alldem verweist das Verwaltungsgericht auf Pürstl, E‑Scooter ‑ jetzt ist alles kompliziert, ZVR 2019, 327 sowie auf Pürstl, StVO‑ON, § 88b, Anm. 2). Ausgehend von dieser Rechtsansicht seien Zuwiderhandlungen gegen § 88b Abs. 2 erster Satz StVO stets Übertretungen des X. Abschnittes der StVO, gleichgültig in welcher Verbindung zu einzelnen Verhaltensvorschriften sie stünden. Gemäß § 95 Abs. 1 lit. b StVO würden sie somit unter die Verwaltungsstrafrechtskompetenz der Bezirksverwaltungsbehörden und nicht die der Landespolizeidirektionen fallen (neuerlicher Verweis auf Pürstl, aaO). Das Verwaltungsgericht schließe sich dieser Rechtsansicht an, insbesondere auch, weil eine Amtsrevision gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom Verwaltungsgerichtshof zur Zahl Ra 2020/02/0102 zurückgewiesen worden sei. Für die Ausübung des Verwaltungsstrafrechts bei Übertretungen des § 88b StVO, einschließlich dessen Abs. 2 in Verbindung mit einer für Radfahrer oder Fahrzeuglenker anwendbaren Verwaltungsvorschrift, sei somit gemäß § 95 Abs. 1 lit. b StVO nicht die Landespolizeidirektion Wien, sondern die Bezirksverwaltungsbehörde zuständig, in Wien daher der Magistrat. Daraus folge auch, dass im Beschwerdefall als Strafnorm gemäß § 44a Z 3 VStG § 99 Abs. 3 lit. j StVO anzuführen sei. Das Straferkenntnis sei daher wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben gewesen.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche (Amts‑)Revision mit dem Begehren, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

7 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die kostenpflichtige Zurück‑ oder Abweisung der Revision beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, welche Behörde bei einer Übertretung der StVO durch alkoholisiertes Lenken eines E‑Scooters zuständig sei.

9 Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

10 Mit der 31. StVO‑Novelle, BGBl. I Nr. 37/2019, traten Bestimmungen zur Verwendung und rechtlichen Qualifikation von Klein‑ und Minirollern in Kraft. Die hier gegenständlich relevanten Bestimmungen der StVO, BGBl. Nr. 159/1960, lauten in dieser Fassung wie folgt:

§ 2. Begriffsbestimmungen.

(1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes gilt als

[...]

19. Fahrzeug: ein zur Verwendung auf Straßen bestimmtes oder auf Straßen verwendetes Beförderungsmittel oder eine fahrbare Arbeitsmaschine, ausgenommen Rollstühle, Kinderwagen, Schubkarren und ähnliche, vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmte Kleinfahrzeuge (etwa Mini‑ und Kleinroller ohne Sitzvorrichtung, mit Lenkstange, Trittbrett und mit einem äußeren Felgendurchmesser von höchstens 300 mm) sowie fahrzeugähnliches Spielzeug (etwa Kinderfahrräder mit einem äußeren Felgendurchmesser von höchstens 300 mm und einer erreichbaren Fahrgeschwindigkeit von höchstens 5 km/h) und Wintersportgeräte;

[...]

22. Fahrrad:

a) ein Fahrzeug, das mit einer Vorrichtung zur Übertragung der menschlichen Kraft auf die Antriebsräder ausgestattet ist,

b) ein Fahrzeug nach lit. a, das zusätzlich mit einem elektrischen Antrieb gemäß § 1 Abs. 2a KFG 1967 ausgestattet ist (Elektrofahrrad),

c) ein zweirädriges Fahrzeug, das unmittelbar durch menschliche Kraft angetrieben wird (Roller), oder

d) ein elektrisch angetriebenes Fahrzeug, dessen Antrieb dem eines Elektrofahrrads im Sinne des § 1 Abs. 2a KFG 1967 entspricht;

[...]

§ 88b. Rollerfahren

(1) Das Fahren mit Klein‑ und Minirollern mit elektrischem Antrieb (elektrisch betriebene Klein‑ und Miniroller) ist auf Gehsteigen, Gehwegen und Schutzwegen verboten. Ausgenommen von diesem Verbot sind Gehsteige und Gehwege, auf denen durch Verordnung der Behörde das Fahren mit elektrisch betriebenen Klein‑ und Minirollern mit einer höchsten zulässigen Leistung von nicht mehr als 600 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h erlaubt wurde. Das Fahren ist ferner mit elektrisch betriebenen Klein‑ und Minirollern mit einer höchsten zulässigen Leistung von nicht mehr als 600 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h auf Fahrbahnen, auf denen das Radfahren erlaubt ist, zulässig.

(2) Bei der Benutzung von elektrisch betriebenen Klein‑ und Minirollern sind alle für Radfahrer geltenden Verhaltensvorschriften zu beachten; insbesondere gilt die Benützungspflicht für Radfahranlagen (§ 68 Abs. 1) sinngemäß. Bei der Benützung von Radfahranlagen haben Rollerfahrer die gemäß § 8a vorgeschriebene Fahrtrichtung einzuhalten.

(3) Benutzer von elektrisch betriebenen Klein‑ und Minirollern haben sich so zu verhalten, dass andere Verkehrsteilnehmer weder gefährdet noch behindert werden; insbesondere haben sie auf Gehsteigen und Gehwegen Schrittgeschwindigkeit einzuhalten sowie die Geschwindigkeit in Fußgängerzonen, in Wohnstraßen und in Begegnungszonen dem Fußgängerverkehr anzupassen.

[...]“

11 Bereits in der Stammfassung des § 2 Abs. 1 Z 19 StVO war als Fahrzeug ein Beförderungsmittel oder eine fahrbare Arbeitsmaschine im Straßenverkehr, ausgenommen Rollstühle für Kranke, Kinderwagen, Schubkarren und ähnliche, vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmte Kleinfahrzeuge sowie fahrzeugähnliches Kinderspielzeug und Wintersportgeräte, definiert.

12 In den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 22 BlgNR 9. GP  51) wurde dazu ausgeführt:

„Mit Rücksicht auf die vielen Arten der Beförderungsmittel im Straßenverkehr war es notwendig, den Begriff des Fahrzeuges einzuschränken. Soweit es sich nicht um Arbeitsmaschinen handelt, ist mit dem Begriff des Fahrzeuges die Vorstellung verbunden, dass damit Personen und Sachen auch über weitere Strecken befördert werden können. Dieser Vorstellung will der Entwurf Rechnung tragen. Ob mit Kleinfahrzeugen die Fahrbahn oder der Gehsteig zu benützen ist, ergibt sich aus den besonderen Bestimmungen des Entwurfs, insbesondere aus § 75 Abs. 9 StVO“.

13 Aus diesen Erwägungen zur Stammfassung ist im Zusammenhalt mit den im Gesetzestext angeführten Gerätetypen (Rollstuhl, Kinderwagen, Schubkarren) ableitbar, dass auch bei einem „vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmten Kleinfahrzeug“ die ‑ typischerweise auf kürzere Distanzen beschränkte ‑ Beförderung von Personen und Sachen im Vordergrund stehen soll (vgl. OGH 24.9.2008, 2 Ob 18/08y, mwN).

14 Nach der derzeitigen Legaldefinition der Fahrzeuge gemäß § 2 Abs. 1 Z 19 StVO in der Fassung der 31. StVO‑Novelle, BGBl. I Nr. 37/2019, werden als Beispiele für vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmte Kleinfahrzeuge Mini‑ und Kleinroller ohne Sitzvorrichtung, mit Lenkstange, Trittbrett und mit einem äußeren Felgendurchmesser von höchstens 300 mm genannt und damit vom Begriff des Fahrzeuges nach der StVO ausgenommen.

15 In den Materialien dazu (ErläutRV 559 BlgNR 26. GP  1) heißt es:

„Die rechtliche Einordnung der Trendsportgeräte erfolgt bereits jetzt über den Fahrzeugbegriff. Schon aus den Materialien zur Stammfassung der Straßenverkehrsordnung ergibt sich, dass mit dem Begriff des Fahrzeuges ,die Vorstellung verbunden ist, dass damit Personen und Sachen auch über weitere Wegstrecken befördert werden können‘. Daraus ergibt sich, dass Fortbewegungsmittel, die nicht vorrangig einem Verkehrsbedürfnis dienen sondern auch einen Spiel‑ und Freizeitzweck verfolgen oder für die für die Benützung besondere Geschicklichkeit erforderlich ist, keine Fahrzeuge sein können. Ebenfalls trifft dies auf Fortbewegungsmittel zu, die aufgrund ihrer technischen Ausführung nicht geeignet sind, ein sicheres Fahren zu gewährleisten und die den üblichen Anforderungen im Straßenverkehr somit nicht gerecht werden können.

Da dies auf nahezu alle Trendsportgeräte zutrifft, sind diese bereits jetzt als vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmte Kleinfahrzeuge bzw. als fahrzeugähnliches Kinderspielzeug zu qualifizieren, wobei diese Unterscheidung hinsichtlich der Rechtsfolgen für die Benützung auf Straßen mit öffentlichem Verkehr unerheblich bleibt. Als Beispiel dafür lassen sich Skateboards, Hoverboards, Einräder oder auch Scooter und Miniscooter nennen, unabhängig davon, ob sie über einen elektrischen Antrieb verfügen.

Zur rechtlichen Klarstellung sollen Klein‑ und Miniroller (Scooter und Miniscooter) näher definiert werden.“

16 Mit § 88b StVO schuf der Gesetzgeber unter der irreführenden Überschrift „Rollerfahren“ (vgl. Pürstl, StVO15 § 88b Anm. 1) eine eigene Bestimmung für Klein‑ und Miniroller mit elektrischem Antrieb.

17 Klein‑ und Miniroller mit elektrischem Antrieb werden heute, im Vergleich zur Stammfassung, vorwiegend als Fortbewegungsmittel zur schnelleren und einfacheren Beförderung von Personen benutzt (vgl. etwa Pürstl, Mini‑ und Kleinroller sind niemals Fahrzeuge, ZVR 2020, 41, der dort einleitend auf den offenkundigen Beförderungszweck für Personen und Sachen hinweist, und E‑Scooter ‑ jetzt ist alles kompliziert, ZVR 2019, 327, 331, wo er den vorrangigen Verkehrszweck hervorhebt).

18 § 88b Abs. 1 StVO sieht vor, dass das Fahren von Klein‑ und Minirollern mit elektrischem Antrieb unabhängig von deren Leistung und Bauartgeschwindigkeit auf Gehsteigen, Gehwegen und Schutzwegen grundsätzlich verboten ist. Das Fahren mit elektrisch betriebenen Klein‑ und Minirollern mit einer höchsten zulässigen Leistung von nicht mehr als 600 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h ist auf den meisten Fahrbahnen ausdrücklich erlaubt.

19 In § 88b Abs. 2 StVO wird normiert, dass bei der Benutzung von elektrisch betriebenen Klein‑ und Minirollern die für Radfahrer geltenden Verhaltensvorschriften zu beachten sind und insbesondere gilt die Benützungspflicht für Radfahranlagen (§ 68 Abs. 1 StVO) sinngemäß.

20 Bereits hier hat der Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht, dass Fahrer von Klein‑ und Minirollern mit elektrischem Antrieb ‑ im Gegensatz zu den Benutzern von vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmten Kleinfahrzeugen oder fahrzeugähnlichen Spielzeugen (§ 2 Abs 1 Z 19 StVO) ‑ nicht den Regeln für Fußgänger, sondern jenen für Radfahrer unterworfen sind.

21 Auf jenen Fahrbahnen, auf denen das Radfahren erlaubt ist, ist nach § 88b Abs. 1 StVO das Fahren mit elektrisch betriebenen Klein‑ und Minirollern bis zur gesetzlich geregelten Leistungsgrenze und Bauartgeschwindigkeit vorgesehen. An der damit vom Gesetz ausdrücklich eingeräumten Erlaubnis ändert es nichts, wenn diese Bestimmung im X. Abschnitt der StVO mit der Überschrift „Benützung von Straßen zu verkehrsfremden Zwecken“ enthalten ist, weil dadurch deren Verwendung auf der Fahrbahn dennoch vorgesehen ist. Würde man diese Geräte zu den in den Begriffsbestimmungen der StVO beispielsweise aufgezählten Mini‑ und Kleinrollern zählen, führte dies zu einem Widerspruch im Gesetz, weil sie in § 2 Abs. 1 Z 19 StVO zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn definiert wären, während § 88b Abs. 1 StVO das Fahren mit den die physikalischen Werte nicht überschreitenden Klein‑ und Minirollern auf Fahrbahnen ausdrücklich als zulässig erklärt. Zur Vermeidung einer solchen Antinomie ist die exemplarische Aufzählung der vom Fahrzeugbegriff ausgenommenen Beförderungsmittel in § 2 Abs. 1 Z 19 StVO um die Klein‑ und Miniroller mit einer höchsten zulässigen Leistung von nicht mehr als 600 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h einzuschränken. Damit sind derartige Klein‑ und Miniroller nicht als Kleinfahrzeuge sondern als Fahrzeuge im Sinne der Definition von § 2 Abs. 1 Z 19 StVO anzusehen (im Ergebnis ähnlich etwa HnatekPetrak und Kaltenegger, Der Benzinscooter, ZVR 2004, 265, schon vor der 31. StVO‑Novelle und danach Hoffer, Elektroroller kann auch Kfz sein/werden, ZVR 2020, 40, und Figl, Kraftfahrrechtliche Einordnung von elektrisch angetriebenen Klein‑ und Minirollern (E‑Scootern), ZVR 2022, 13; aM NedbalBures, 31. StVO‑Novelle, ZVR 2019, 245, und Pürstl, E‑Scooter ‑ jetzt ist alles kompliziert, ZVR 2019, 327).

22 Mit § 88b Abs. 2 erster Halbsatz StVO hat der Gesetzgeber eine Verweisnorm geschaffen, die für sich allein gesehen keine Rechtswirkungen auslöst, sondern nur in Verbindung mit der verwiesenen Verhaltensvorschrift normative Rechtsfolgen nach sich ziehen kann.

23 In den Erläuterungen zu § 88b Abs. 2 StVO (ErläutRV 559 BlgNR 26. GP  2) wird Folgendes ausgeführt:

„Dabei sind alle für Radfahrer geltenden Verhaltensbestimmungen auch für Rollerfahrer verbindlich; es sind nicht nur die spezifischen Verhaltensbestimmungen für Radfahrer, sondern sämtliche Verhaltensregeln erfasst, wie zum Beispiel die Alkohol‑ und Drogenbestimmungen des § 5 oder die Regeln betreffend Abstellen auf Straßen mit öffentlichem Verkehr (vgl. § 68 Abs. 4).“

24 Hierbei ist ebenso klar erkennbar, dass der Gesetzgeber eine Gleichbehandlung der Fahrer von Klein‑ und Minirollern mit einer höchsten zulässigen Leistung von nicht mehr als 600 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h und der Radfahrer vornehmen wollte. Diese Regelung wäre überflüssig, wollte man die Klein‑ und Miniroller mit einer höchsten zulässigen Leistung von nicht mehr als 600 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h als Fahrräder im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 lit. d StVO qualifizieren.

25 Explizit vorgesehen ist in den Beispielen der Erläuterungen die Einhaltung der Alkohol‑ und Drogenbestimmungen gemäß § 5 StVO.

26 § 5 Abs. 1 StVO sieht vor, dass ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen darf, wer sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet. Bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder darüber oder bei einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder darüber gilt der Zustand einer Person jedenfalls als von Alkohol beeinträchtigt.

27 Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 22 StVO, https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1960_159_0/1960_159_0.pdf in der Fassung der 20. StVO‑Novelle, https://www.ris.bka.gv.at/eli/bgbl/I/2019/37GBl . I Nr. 92/1998, ist ein Fahrrad: a) ein Fahrzeug, das mit einer Vorrichtung zur Übertragung der menschlichen Kraft auf die Antriebsräder ausgestattet ist, b) ein Fahrzeug nach lit. a, das zusätzlich mit einem elektrischen Antrieb gemäß § 1 Abs. 2a KFG 1967 ausgestattet ist (Elektrofahrrad), c) ein zweirädriges Fahrzeug, das unmittelbar durch menschliche Kraft angetrieben wird (Roller), oder d) ein elektrisch angetriebenes Fahrzeug, dessen Antrieb dem eines Elektrofahrrads im Sinne des § 1 Abs. 2a KFG 1967 entspricht.

28 Da das Fahrrad ein Fahrzeug iSd. StVO ist, ist § 5 Abs. 1 StVO auch von Radfahrern einzuhalten.

29 Da gemäß § 88b Abs. 2 StVO die Fahrer von Klein‑ und Minirollern dieselben Verhaltensvorschriften einzuhalten haben wie Radfahrer, folgt daraus, dass demzufolge auch die Einhaltung der Alkohol‑ und Drogenbestimmungen des § 5 StVO miteingeschlossen ist. Hinzu kommt, dass nach den bisherigen Ausführungen die hier in Rede stehenden Klein‑ und Miniroller mit einer höchsten zulässigen Leistung von nicht mehr als 600 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h Fahrzeuge im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 19 StVO sind (s. Rn. 23).

30 Das Verwaltungsgericht führt zu dieser Frage mit Hinweis auf Pürstl, E‑Scooter ‑ jetzt ist alles kompliziert, ZVR 2019, 327, aus, dass durch § 88b Abs. 2 StVO aber Fahrer von E‑Scootern nicht zu Radfahrern und auch nicht zu Lenkern von Fahrzeugen würden. Ausgehend von dieser Rechtsansicht seien daher Zuwiderhandlungen gegen § 88b Abs. 2 erster Satz StVO stets Übertretungen des X. Abschnittes der StVO, gleichgültig in welcher Verbindung zu einzelnen Verhaltensvorschriften sie stünden. Gemäß § 95 Abs. 1 lit. b StVO würden sie somit in die Verwaltungstrafrechtskompetenz der Bezirksverhaltungsbehörden und nicht der Landespolizeidirektionen fallen.

31 Dies ist nicht überzeugend: Der in § 88b Abs. 2 StVO vorgenommene Verweis auf die Vorschriften der Radfahrer mit der Berücksichtigung der Erläuterungen verdeutlicht, dass der Gesetzgeber eine normative gleiche Behandlung anordnen wollte und Klein‑ und Miniroller mit einer höchsten zulässigen Leistung von nicht mehr als 600 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h als zur Verwendung auf Fahrbahnen bestimmte Fahrzeuge im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 19 StVO anzusehen sind.

32 Es kann dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden, dass er die Fahrer von Klein‑ und Minirollern mit einer höchsten zulässigen Leistung von nicht mehr als 600 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h denselben Regeln wie für Radfahrer unterstellt, sie jedoch rechtlich anders beurteilen wollte. Dies hätte der Meinung des Verwaltungsgerichtes folgend die Konsequenz, dass § 5 StVO auf Fahrer der Klein‑ und Miniroller mit den genannten Leistungs‑ und Bauartgeschwindigkeitsgrenzen nicht anwendbar wäre und sie daher gemäß § 99 Abs. 3 lit. j StVO mit milderen Strafen (bis zu € 726,‑‑) zu rechnen hätten.

33 Diese Ansicht widerspricht verkehrs‑ und sicherheitsrechtlichen Überlegungen, weil Fahrer von Klein‑ und Minirollern mit einer höchsten zulässigen Leistung von nicht mehr als 600 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h zwar denselben Regeln wie Radfahrer unterworfen sind, aber einer niedrigeren Strafandrohung unterliegen würden.

34 Mit der Anwendbarkeit des § 5 StVO kommt als Strafnorm § 99 Abs. 1a StVO in Betracht, die eine Geldstrafe von € 1.200,‑‑ bis € 4.400,‑‑ vorsieht.

35 Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass die Fahrer von Klein‑ und Minirollern mit einer höchsten zulässigen Leistung von nicht mehr als 600 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h Fahrzeuge im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 19 StVO lenken und § 5 StVO unmittelbar beachten müssen.

36 Die für die Beurteilung der Zuständigkeit maßgeblichen Bestimmungen sind:

§ 99. Strafbestimmungen.

(1a) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 1200 Euro bis 4400 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von zehn Tagen bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt, obwohl der Alkoholgehalt seines Blutes 1,2 g/l (1,2 Promille) oder mehr, aber weniger als 1,6 g/l (1,6 Promille) oder der Alkoholgehalt seiner Atemluft 0,6 mg/l oder mehr, aber weniger als 0,8 mg/l beträgt.

[...]

(3) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen,

[...]

j) wer in anderer als der in lit. a bis h sowie in den Abs. 1, 1a, 1b, 2, 2a, 2b, 2c und 4 bezeichneten Weise Gebote, Verbote oder Beschränkungen sowie Auflagen, Bedingungen oder Fristen in Bescheiden nicht beachtet,

[...]

§ 94b. Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde

(1) Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, sofern der Akt der Vollziehung nur für den betreffenden politischen Bezirk wirksam werden soll und sich nicht die Zuständigkeit der Gemeinde oder ‑ im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist ‑ der Landespolizeidirektion ergibt, die Bezirksverwaltungsbehörde

[...]

§ 95. Landespolizeidirektionen.

(1) Im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, obliegt der Landespolizeidirektion, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist,

a) die Handhabung der Verkehrspolizei (§ 94b lit. a), jedoch nicht auf der Autobahn,

b) die Ausübung des Verwaltungsstrafrechts (§§ 99 und 100) einschließlich der Führung des Verzeichnisses von Bestrafungen (§ 96), jedoch nicht die Ausübung des Verwaltungsstrafrechts hinsichtlich Übertretungen der Bestimmungen über die Benützung der Straße zu verkehrsfremden Zwecken (X. Abschnitt)

[...]“

37 Wie bereits dargelegt, stellt § 88b Abs. 2 StVO eine Verweisnorm dar. In diesem Fall ist die Übertretungsnorm jene, auf die verwiesen worden ist.

38 In Wien ist die revisionswerbende Landespolizeidirektion die Sicherheitsbehörde erster Instanz. Gemäß § 95 Abs. 1 lit. b StVO ist sie nicht für die Übertretungen nach dem X. Abschnitt zuständig.

39 Da jedoch § 88b Abs. 2 StVO allein keine Übertretungsnorm sein kann, sondern auf weitere Bestimmungen verweist, ist gegenständlich nicht von einer Übertretung nach dem X. Abschnitt auszugehen.

40 § 5 StVO ist im I. Abschnitt geregelt. Von der Systematik ausgehend liegt sohin gegenständlich eine Übertretung des I. Abschnittes vor. Gemäß § 99 Abs. 1a StVO liegt eine Übertretung vor, wer ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt, obwohl der Alkoholgehalt seines Blutes 1,2 g/l (1,2 Promille) oder mehr oder der Alkoholgehalt seiner Atemluft 0,6 mg/l oder mehr beträgt.

41 Für den I. Abschnitt liegt sohin eine Zuständigkeit der Landespolizeidirektion vor.

42 Im Übrigen hat der Gesetzgeber der 33. StVO‑Novelle, BGBl. I Nr. 122/2022, die Zuständigkeit der Landespolizeidirektion für die Ausübung des Verwaltungsstrafrechts bei (anderen) Übertretungen des § 88b StVO klargestellt (ErläutRV 1535 BlgNR 27. GP  5) und nicht geändert.

43 Angemerkt sei noch zum Versuch des Verwaltungsgerichts, seine Rechtsansicht dadurch zu untermauern, der Verwaltungsgerichtshof habe zu VwGH 23.9.2020, Ra 2020/02/0102, eine Amtsrevision in einem ähnlich gelagerten Fall zurückgewiesen, dass dieser Beschluss sich nicht inhaltlich mit der Rechtsfrage auseinandersetzte, sondern aus formalen Gründen erging.

44 Das angefochtene Erkenntnis beruht im Ergebnis daher auf einer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht und war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 23. November 2022

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