Normen
AVG §56
AVG §59 Abs1
NAG 2005 §2 Abs1 Z10 idF 2018/I/056
NAG 2005 §24 Abs1
NAG 2005 §24 Abs4
NAG 2005 §41 Abs2 Z2
NAG 2005 §46 Abs1
NAG 2005 §46 Abs1 Z2 litb
NAG 2005 §64
NAG 2005 §69 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220139.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine minderjährige serbische Staatsangehörige, stellte am 15. März 2018 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Familiengemeinschaft“ gemäß § 69 Abs. 1 Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG).
2 Mit Bescheid vom 5. Juli 2019 wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) diesen Antrag ab, weil der Zusammenführende (der Vater der Revisionswerberin) nicht im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung „Student“ sei. Das Verlängerungsverfahren des Zusammenführenden sei seit 26. März 2018 in Bearbeitung und ein Abschluss des Verfahrens sei nicht abzusehen.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 21. April 2021 als unbegründet ab und es erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.
Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Zusammenführende habe zuletzt von 16. Juni 2017 bis 16. Juni 2018 über eine Aufenthaltsbewilligung „Studierender“ verfügt. Am 26. März 2018 habe er einen Verlängerungsantrag eingebracht, am 21. Oktober 2019 einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung einer „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte“. Über diesen Antrag sei noch nicht entschieden worden.
In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das Verwaltungsgericht fest, der Zusammenführende strebe mittlerweile keine Aufenthaltsbewilligung „Student“ mehr an, sondern eine „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte“. Damit sei die Voraussetzung für die gegenständlich beantragte Aufenthaltsbewilligung als Familienangehörige gemäß § 69 NAG nicht mehr gegeben und der Antrag sei abzuweisen gewesen.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
Revisionsbeantwortung wurde keine erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
5 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit ihrer Revision unter dem Gesichtspunkt des Fehlens von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor, es sei ungeklärt, ob bzw. mit welchem Aufenthaltstitel Familienangehörige während eines laufenden Verlängerungs‑ bzw. Zweckänderungsverfahrens des Zusammenführenden eine Familienzusammenführung beantragen könnten. Sowohl § 24 Abs. 4 NAG als auch § 26 NAG sähen vor, dass der Aufenthalt eines Antragstellers während eines laufenden Verfahrens über einen rechtzeitig gestellten Antrag weiterhin rechtmäßig sei. Der Zusammenführende sei daher bis zur Entscheidung über seinen Antrag weiterhin als „Student“ rechtmäßig aufhältig, weshalb die Revisionswerberin ‑ entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes ‑ ihren Aufenthaltszweck auf die Familienzusammenführung mit ihrem Vater als „Student“ stützen könne.
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VwGH 18.6.2021, Ro 2021/22/0003, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, auf das Wesentliche zusammengefasst dargelegt, dass einem Fremden im Fall eines rechtzeitigen Verlängerungsantrags bis zur Entscheidung über diesen Antrag dieselbe Rechtsposition eingeräumt ist, die er nach dem Inhalt des letzten Aufenthaltstitels innehatte; das durch die rechtswirksame Erteilung eines Aufenthaltstitels erlangte Niederlassungsrecht ist somit während des Verfahrens über den Verlängerungsantrag perpetuiert (vgl. Rn. 14 des genannten Erkenntnisses, mwN). Die Titelerteilung nach (dem im dort zu entscheidenden Fall maßgeblichen) § 46 Abs. 1 Z 2 lit. b NAG setzt ‑ so der Verwaltungsgerichtshof in Rn. 18 jenes Erkenntnisses weiter ‑ voraus, dass der Zusammenführende im Entscheidungszeitpunkt das in dieser Bestimmung genannte Aufenthaltsrecht innehat. Anders als bei einem Erstantrag verfügt der Zusammenführende vor der Entscheidung über seinen Antrag auf Verlängerung auch bereits vor der konstitutiven und rechtsgestaltenden Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels über ein entsprechendes Aufenthaltsrecht.
7 Nach den unstrittigen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes stellte der Zusammenführende im vorliegenden Fall rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung „Studierender“, über den im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunktes VwGH 8.7.2020, Ra 2019/22/0020, Rn. 18, mwN) noch nicht entschieden worden war. Da der Zusammenführende somit jedenfalls im Entscheidungszeitpunkt noch über das zuletzt eingeräumte Aufenthaltsrecht verfügte, wäre der Revisionswerberin ‑ bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 NAG ‑ eine Aufenthaltsbewilligung „Familiengemeinschaft“ zu erteilen gewesen.
8 Daran vermag der Umstand, dass der Zusammenführende in weiterer Folge einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte“ gemäß § 41 Abs. 2 Z 2 NAG stellte (vgl. zur Zulässigkeit der Verbindung eines Verlängerungsantrags mit einem Zweckänderungsantrag § 24 Abs. 4 NAG), nichts zu ändern. Bei einem mit einem Zweckänderungsantrag verbundenen Verlängerungsantrag handelt es sich um einen einheitlichen Antrag (vgl. VwGH 27.2.2020, Ra 2019/22/0203, Rn. 19, mwN). Da über diesen (einheitlichen) Antrag des Zusammenführenden zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses (wie dargelegt) noch keine Entscheidung vorlag, verfügte der Zusammenführende ungeachtet des Zweckänderungsantrages nach wie vor über die durch die zuletzt erteilte Aufenthaltsbewilligung „Studierender“ eingeräumte Rechtsposition. Dass der Zusammenführende für die Zukunft primär einen anderen Aufenthaltstitel anstrebt, ist ‑ anders als das Verwaltungsgericht offenbar vor Augen hat ‑ im vorliegenden Zusammenhang somit nicht entscheidungserheblich.
9 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
10 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.
11 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 18. November 2021
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