Normen
AWG 1990
AWG 2002 §15 Abs3
AWG 2002 §2 Abs7 Z4
AWG 2002 §79 Abs2 Z3
VwGG §47 Abs1
VwGG §47 Abs2
VwGG §48 Abs2
VwGG §48 Abs3
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021050104.L00
Spruch:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Der Antrag des Erstrevisionswerbers auf Aufwandersatz für die Erstattung der Revisionsbeantwortung zu Ra 2021/05/0105 wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz‑Land vom 15. Oktober 2020 wurde dem Erstrevisionswerber zur Last gelegt, er habe am 20. Mai 2020 an einem näher bezeichneten Straßenabschnitt in T. nicht gefährliche Abfälle, nämlich eine Bierdose, gelagert, obwohl Abfälle außerhalb von hiefür genehmigten Anlagen oder für die Sammlung oder Behandlung vorgesehenen geeigneten Orten nicht gesammelt, gelagert oder behandelt werden dürfen. Er habe dadurch § 79 Abs. 2 Z 3 iVm § 15 Abs. 3 Z 1 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) verletzt. Gemäß § 79 Abs. 2 AWG 2002 wurde über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von € 450,‑‑ (Ersatzfreiheitsstrafe 18 Stunden) verhängt und gemäß § 64 VStG ein Kostenbeitrag von € 45,‑‑ vorgeschrieben.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) der dagegen eingebrachten Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung teilweise statt, indem es von der Verhängung einer Geldstrafe absah und stattdessen eine Ermahnung erteilte. Die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG erklärte es für nicht zulässig.
3 Begründend hielt das Verwaltungsgericht fest, der Erstrevisionswerber sei am 20. Mai 2020 mit seinem Fahrzeug, einem Cabrio, auf einem näher bezeichneten Straßenabschnitt in T. gefahren. Er habe dabei mehrere Bierdosen lose am Beifahrersitz mit sich geführt. Das Dach des Cabrios sei geöffnet gewesen. Bei einem Bremsmanöver vor dem Kreisverkehr sei eine der Bierdosen in den Fußraum des Beifahrersitzes gefallen und habe dabei Leck geschlagen. Es sei Bier aus der Dose gesprüht und der Erstrevisionswerber habe sie aus dem Auto geworfen. Die hinter ihm fahrende Autofahrerin habe ihn daraufhin angehupt. Es habe sich ein Streitgespräch zwischen den beiden entwickelt, währenddessen der Erstrevisionswerber ausgestiegen sei, die Dose aufgehoben habe, der Autofahrerin gezeigt und dann über deren Auto hinweg wieder weggeworfen habe. Er sei danach zunächst weggefahren, habe aber nach ca. 800 m sein Fahrzeug gewendet und die weggeworfene Dose aus der Wiese geholt, entleert, mit nach Hause genommen und im Müll entsorgt.
4 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, dass das AWG 2002 keine Ausnahme für besonders kurzfristige Lagerungen von Abfällen vorsehe. Nach dem ersten Aufheben der Bierdose habe der Erstrevisionswerber sie ein weiteres Mal in die Wiese geworfen und sei weggefahren. Da er bei nächster Gelegenheit zurückgekehrt sei, um die Dose einzusammeln und ordnungsgemäß zu entsorgen, könne aber mit einer Ermahnung das Auslangen gefunden werden. Den Zulässigkeitsausspruch begründete das Verwaltungsgericht damit, dass keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG vorliege.
5 Gegen dieses Erkenntnis richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen einerseits des Erstrevisionswerbers (Ra 2021/05/0104) mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, aufzuheben; andererseits der Zweitrevisionswerberin (Ra 2021/05/0105 ‑ Amtsrevision) mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis dahingehend abzuändern, dass die Beschwerde gegen das Straferkenntnis als unbegründet abgewiesen werde, in eventu das angefochtene Erkenntnis aufzuheben.
6 Nach Einleitung des Vorverfahrens brachte der Erstrevisionswerber in Bezug auf die Amtsrevision der Zweitrevisionswerberin eine „Revisionsbeantwortung“ ein und beantragte die kostenpflichtige Zurück- in eventu Abweisung der Amtsrevision. Die Zweitrevisionswerberin erstattete in Bezug auf die Revision des Erstrevisionswerbers keine Revisionsbeantwortung.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revisionen wegen ihres sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Zur Zurückweisung der Revision des Erstrevisionswerbers:
12 Voranzustellen ist, dass die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulässigkeitsbegründung erfolgt. Der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit einer Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. für viele etwa VwGH 2.3.2021, Ra 2019/06/0022; 13.1.2021, Ra 2020/05/0239, jeweils mwN).
13 Der Erstrevisionswerber bringt vor, die Revision sei zulässig, „weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob das Wegwerfen einer Sache unter den Lagerungsbegriff § 79 Abs. 2 Z. 3 iVm § 15 Abs. 3 Z. 1 AWG 2002 subsumiert werden kann, noch nicht ergangen ist und die Revision von der Auslegung dieser Bestimmung abhängt, weshalb eine Rechtsfrage vorliegt, der gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weil von der ständigen höchstgerichtlichen Judikatur, wonach dem Lagerungsbegriff § 79 Abs. 2 Z. 3 iVm § 15 Abs. 3 Z. 1 AWG 2002 eine Innehabung bzw. ein sachbesitz zugrundliegen muss abgegangen wurde.“
14 Sowohl zum Begriff der Lagerung als auch zum Begriff des Abfallbesitzes hat der Verwaltungsgerichtshof bereits judiziert: Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum AWG 1990 und zum AWG 2002 bedeutet „lagern“ etwas Vorübergehendes, „ablagern“ hingegen etwas Langfristiges. Unter der Lagerung von Abfällen im Sinne des § 15 Abs. 3 AWG 2002 ist daher die vorübergehende Lagerung von Abfällen zu verstehen. Das AWG 2002 unterwirft jede Lagerung von Abfällen den Vorschriften des § 15 Abs. 3 AWG 2002, auch die Lagerung von Abfällen nur über kurze Zeiträume. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits ausgesprochen, dass dem AWG 2002 eine Ausnahmebestimmung für „besonders kurzfristige“ Lagerungen von Abfällen nicht zu entnehmen ist (vgl. zu allem etwa VwGH 15.9.2011, 2009/07/0154, mwN). Ebenso gibt es Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Definition des Abfallbesitzers (vgl. VwGH 28.5.2019, Ro 2018/05/0019).
15 Vor diesem Hintergrund legt die Revision mit der ‑ ohne Darlegung eines ausreichenden Bezuges zum gegenständlichen Fall erfolgten ‑ allgemeinen Formulierung „ob das Wegwerfen einer Sache ... unter den Lagerungsbegriff ... subsumiert werden kann“ nicht dar, welche Rechtsfrage, die für das gegenständliche Verfahren von entscheidender Bedeutung wäre, vom Verwaltungsgerichtshof erstmals zu beantworten wäre und zeigt somit nicht konkret auf, warum die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG vorlägen.
16 Auch das Vorbringen der Revision zum Abweichen von der ständigen höchstgerichtlichen Judikatur genügt mangels näherer Konkretisierung den Anforderungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht, zumal schon nicht ‑ unter Angabe zumindest einer nach Datum und Geschäftszahl bezeichneten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes ‑ angegeben wird, von welcher hg. Judikatur das Verwaltungsgericht nach Ansicht des Revisionswerbers abgewichen sein soll (vgl. dazu etwa VwGH 24.10.2022, Ra 2022/05/0087; 9.8.2022, Ra 2019/05/0115). Dabei wäre konkret darzulegen gewesen, dass der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt einer der vom Revisionswerber ins Treffen zu führenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes gleicht, das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall dennoch anders entschieden hat und damit von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist (vgl. dazu etwa VwGH 14.5.2021, Ra 2021/05/0074; 29.1.2021, Ra 2020/05/0257, jeweils mwN). Die Begründung für die Zulässigkeit der Revision erweist sich daher auch insofern nicht als gesetzmäßig ausgeführt (vgl. zu allem VwGH 8.11.2021, Ra 2021/05/0146, mwN).
17 Zur Zurückweisung der Amtsrevision der Zweitrevisionswerberin:
18 Die Amtsrevision wendet sich gegen die Anwendung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG (Ermahnung) und wirft damit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG auf, sondern nur die Einzelfallgerechtigkeit berührende Wertungsfragen (vgl. VwGH 22.2.2022, Ra 2022/06/0009, mwN). Das Zulässigkeitsvorbringen, das Verwaltungsgericht hätte sich nicht bzw. nicht im Sinn der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit der für eine Ermahnung vorausgesetzten geringen Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und der geringen Intensität der Beeinträchtigung dieses Rechtsgutes durch die Tat auseinandergesetzt, lässt die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses, das diese Umstände fallbezogen explizit bejaht, außer Betracht. Die Revision vermag daher mit ihrer pauschalen Kritik, ohne auf den konkreten Fall einzugehen, nicht aufzuzeigen, dass die Voraussetzungen hier nicht gegeben wären. Dass die Wertungsfragen der Strafbemessung durch das Aussprechen einer Ermahnung im angefochtenen Erkenntnis unvertretbar behandelt worden wären, zeigt die Revision nicht auf. So setzt sie sich nicht mit dem Argument des Verwaltungsgerichtes auseinander, dass der Revisionswerber bei nächster Gelegenheit umkehrte und die Dose wieder einsammelte, um sie zu Hause zu entsorgen.
19 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie waren daher zurückzuweisen.
20 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
21 Der Erstrevisionswerber hat im Verfahren über die Revision der Zweitrevisionswerberin (Ra 2021/05/0105) eine „Revisionsbeantwortung“ erstattet, darin die Zurück- in eventu Abweisung der Amtsrevision begehrt und Kostenersatz beantragt.
22 Das VwGG sieht aber einen Ersatz des Schriftsatzaufwandes einer Revisionsbeantwortung nur für die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht und für mitbeteiligte Parteien (§ 48 Abs. 2 und 3 VwGG) vor. Erstattet ‑ wie hier ‑ ein Revisionswerber in einem Verfahren eines anderen Revisionswerbers eine als „Revisionsbeantwortung“ bezeichnete Stellungnahme, gebührt ihm kein Kostenersatz, weil er selbst die Aufhebung des (gesamten) Erkenntnisses beantragt hat (vgl. VwGH 23.4.2021, Ra 2019/06/0161, mwN). Der Antrag auf Kostenersatz des Erstrevisionswerbers war daher abzuweisen.
Wien, am 6. April 2023
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