VwGH Ra 2021/02/0203

VwGHRa 2021/02/02039.3.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter und die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer‑Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision der S, vertreten durch Mag. Daniel Vonbank, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Reichsstraße 9, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 12. Februar 2021, LVwG‑1‑26/2021‑R10, betreffend Übertretungen des Vorarlberger Wettengesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bludenz), zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art6
VStG §51e Abs6
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §44 Abs1
VwGVG 2014 §44 Abs6
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021020203.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 20. November 2020 wurden der Revisionswerberin Übertretungen des Vorarlberger Wettengesetzes zur Last gelegt, über sie gemäß § 15 Abs. 3 Vorarlberger Wettengesetz zwei Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 1.000,‑‑ (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils 13 Stunden) verhängt und ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens festgesetzt.

2 Mit Schriftsatz vom 16. Jänner 2021 gab der Rechtsvertreter der Revisionswerberin die Vollmachtsauflösung bekannt. Am 19. Jänner 2021 langte bei der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde eine Vollmachtsbekanntgabe ein. In dieser mit 18. Jänner 2021 datierten Eingabe teilte derselbe Rechtsvertreter mit, dass er mit der Einbringung der Beschwerde im gegenständlichen Verfahren beauftragt und dafür bevollmächtigt sei und erhob eine Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (Verwaltungsgericht). Dieses beraumte mit Ladung vom 22. Jänner 2021 eine mündliche Verhandlung für den 10. Februar 2021 an. Diese Ladung wurde vom Verwaltungsgericht der Revisionswerberin zu Handen ihres Rechtsvertreters zugestellt, der mit Schreiben vom 1. Februar 2021 dem Verwaltungsgericht mitteilte, dass er ausschließlich mit der Einbringung der Beschwerde beauftragt gewesen sei und eine Bevollmächtigung für das weitere Verfahren oder eine Zustellbevollmächtigung nicht erteilt worden sei.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ mit für den Revisionsfall nicht weiter maßgeblichen Modifikationen des Spruches ‑ als unbegründet ab, setzte einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in Höhe von € 400,‑‑ fest und sprach aus, dass gegen diese Entscheidung eine Revision unzulässig sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 22. Juni 2021, E 896/2021‑7, deren Behandlung ablehnte und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5 Die Revisionswerberin brachte in der Folge die vorliegende außerordentliche Revision ein. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 In der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision bringt die Revisionswerberin vor, die Zuweisung des gegenständlichen Geschäftsfalles an die „erkennende Richterin“ des Verwaltungsgerichtes habe gegen den Grundsatz der festen Geschäftsverteilung verstoßen und damit eine Unzuständigkeit der betreffenden Richterin bewirkt. Dies deshalb, weil der Zeitpunkt des Einlangens nicht beurkundet worden sei, sodass nicht sichergestellt und nachprüfbar sei, dass die zu verteilenden Geschäftsfälle fortlaufend an die in der hier maßgeblichen Geschäftsverteilung des Verwaltungsgerichtes für das Jahr 2020 angeführten Einzelrichter zugewiesen worden sei. Weiters führt die Revisionswerberin in der Zulässigkeitsbegründung ein Abweichen von ‑ näher zitierter ‑ Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ins Treffen, wonach gemäß § 44 Abs. 6 VwGVG eine zweiwöchige Frist zur Vorbereitung auf eine mündliche Verhandlung zu gewähren sei.

8 Mit dem allgemein gehaltenen Vorbringen zur Geschäftsverteilung des Verwaltungsgerichts wird nicht konkret auf den vorliegenden Revisionsfall bezogen eine Rechtsfrage aufgezeigt, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, zumal sich weder aus dem Sachverhalt noch aus dem Vorbringen der Revisionswerberin ergibt, dass an dem besagten Tag noch weitere Geschäftsfälle aus dem Zuständigkeitsbereich des Ordnungsrechts (gleichzeitig mit dem gegenständlichen Geschäftsfall) eingelangt wären, sodass die in der Geschäftsverteilung festgelegte fortlaufende Zuteilung des die Revisionswerberin betreffenden Geschäftsfalles mangels eines entsprechenden Vermerkes über den Zeitpunkt des Einlangens allenfalls nicht sichergestellt wäre (vgl. zu einem vergleichbaren Zulässigkeitsvorbringen bereits VwGH 22.12.2021, Ra 2021/06/0224). In Bezug auf die behauptete Unzuständigkeit der erkennenden Richterin wird daher keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt.

9 Die Revision erweist sich jedoch im Hinblick auf das Vorbringen zur unzulässigen Verkürzung der zweiwöchigen Vorbereitungszeit nach § 44 Abs. 6 VwGVG als zulässig und begründet.

10 Gemäß § 44 Abs. 6 VwGVG sind die Parteien so rechtzeitig zur Verhandlung zu laden, dass ihnen von der Zustellung der Ladung an mindestens zwei Wochen zur Vorbereitung zur Verfügung stehen.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner insofern auf die aktuelle Rechtslage übertragbaren Judikatur zu § 51e Abs. 6 VStG, der Vorgängerbestimmung des § 44 Abs. 6 VwGVG, bereits ausgesprochen, dass dann, wenn die vorgesehene Mindestfrist von zwei Wochen zwischen Zustellung der Ladung und der Verhandlung nicht gewahrt wurde, die Behörde den bekämpften Bescheid mit Rechtswidrigkeit belaste, weil nicht gesagt werden kann, dass die Behörde bei Wahrung dieser Mindestfrist nicht zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnis gelangt wäre, weshalb sich dieser Verfahrensmangel als wesentlich erweist. Die zweiwöchige Vorbereitungszeit gilt jedenfalls für die erste Verhandlung (vgl. etwa VwGH 22.6.2022, Ra 2021/02/0147; VwGH 29.11.2022, Ra 2021/02/0258; jeweils mwN).

12 Da die zunächst zu Handen des Rechtsvertreters der Revisionswerberin zugestellte Ladung auf Grund des eindeutigen Wortlauts in der Vollmachtsbekanntgabe vom 18. Jänner 2021, wonach die Vollmacht ausschließlich zur Einbringung der Beschwerde erteilt wurde, keine rechtliche Wirkung entfalten konnte und die vom Verwaltungsgericht neuerlich verfügte Zustellung der Ladung erst am 2. Februar 2021 an die Revisionswerberin erfolgte, was sich aus dem im Akt erliegenden Zustellnachweis ergibt, endete die nach § 44 Abs. 6 VwGVG vorgeschriebene zweiwöchige Vorbereitungsfrist mit Ablauf des 16. Februar 2021 und hätte die Verhandlung bis dahin nicht durchgeführt werden dürfen. Die schon am 10. Februar 2021 abgehaltene Verhandlung erweist sich somit als rechtswidrig. Dies ist dem Unterbleiben einer Verhandlung gleichzuhalten. Bei einem rechtswidrigen Unterlassen der nach Art. 6 EMRK oder Art. 47 GRC erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels durchzuführen (vgl. erneut VwGH 22.6.2022, Ra 2021/02/0147; VwGH 29.11.2022, Ra 2021/02/0258).

13 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

14 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 9. März 2023

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