Normen
ASVG §293
StbG 1985 §10 Abs1 Z7
StbG 1985 §10 Abs5
StbG 1985 §19 Abs2
StbG 1985 §4
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RA2021010261.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (Verwaltungsgericht) im Beschwerdeverfahren den Antrag der Revisionswerberin, einer russischen Staatsangehörigen, vom 11. Februar 2020 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) ab und erklärte eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG für unzulässig.
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht ‑ soweit für das Revisionsverfahren wesentlich ‑ aus, die Revisionswerberin halte sich seit dem 10. Dezember 2003 im Bundesgebiet auf und sei seit dem 1. April 2016 beim Arbeitsmarktservice als Sachbearbeiterin beschäftigt. Sie bringe monatlich ca. 1.500 € netto ins Verdienen, wobei viermal jährlich Sonderzahlungen sowie eine jährliche Prämie von etwa 2.000 € brutto hinzukämen. Die Revisionswerberin sei ledig und wohne mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in einer Wohnung. Als Mieterin scheine laut Mietvertrag die Mutter der Revisionswerberin auf. Die Mietkosten von 807 € würden die drei Haushaltsmitglieder anteilig tragen (jeweils 269 €). Die Anteile der Mutter und Schwester würden von der Mindestsicherung getragen. Die beiden bezögen von der Mindestsicherung auch noch einen monatlichen Lebensunterhalt von insgesamt rund 534 €, wobei die Schwester außerdem ein monatliches Pflegegeld in Höhe von ca. 300 € erhalte. Da die Schwester aus gesundheitlichen Gründen den nicht gesicherten Lebensunterhalt nicht zu vertreten habe, sei ihr mit Bescheid vom 27. Jänner 2021 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden. Die Mutter der Revisionswerberin sei schwer krank und könne nicht arbeiten. Die Revisionswerberin habe am 18. September 2020 das Zeugnis zur Integrationsprüfung nachgewiesen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht habe die Revisionswerberin über die Frage der Richterin zur Haushaltsführung erklärt, dass sie alle zusammenleben würden und ein gemeinsamer Haushalt geführt werde.
Im vorliegenden Fall werde vom Verwaltungsgericht nicht verkannt, dass die Revisionswerberin über ein ausreichendes Einkommen verfüge. Die Voraussetzungen der Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen einerseits und die den Ausgleichszulagenrichtsätzen entsprechende durchschnittliche Höhe andererseits müssten jedoch kumulativ vorliegen. Daher reiche allein ein über dem Durchschnitt der Ausgleichszulagenrichtsätze liegendes Einkommen für das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG nicht aus. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müsse zudem der Bezug von Sozialhilfeleistungen durch dritte Personen, die mit dem Antragsteller (ohne Unterhaltsverpflichtungen) im gemeinsamen Haushalt lebten, dem Antragsteller zugerechnet werden, wenn die Sozialhilfeleistungen dem Antragsteller in wirtschaftlicher Betrachtungsweise zugutekämen. In diesem Fall könne er daher keine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nachweisen. Die im vorliegenden Fall von der Revisionswerberin gar nicht in Abrede gestellte gemeinsame Haushaltsführung lege in wirtschaftlicher Betrachtungsweise nahe, dass die von der Mutter und Schwester bezogene Mindestsicherung für den monatlichen Lebensunterhalt und monatliche Wohnkosten letztlich auch der Revisionswerberin zugutekomme. Unter anderem verringere sich für sie der Wohnkostenanteil erheblich. Diese Annahme habe sie im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht nicht widerlegt. Der Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft sei daher abzuweisen.
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit macht die Revision zunächst Feststellungs‑ und Begründungsmängel sowie eine Aktenwidrigkeit ‑ und sohin Verfahrensmängel ‑ geltend.
8 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel dargelegt werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen darzulegen (vgl. VwGH 7.9.2023, Ra 2023/01/0092; 23.8.2023, Ra 2022/02/0071 [insbesondere auch zur Aktenwidrigkeit], jeweils mwN).
9 Diesen Anforderungen wird das Zulässigkeitsvorbringen der vorliegenden Revision nicht gerecht. Es wird darin lediglich das Vorliegen von Verfahrensfehlern gerügt, ohne konkret darzulegen, welcher Sachverhalt bei Vermeidung der behaupteten Fehler hätte festgestellt werden können und inwiefern das Verwaltungsgericht zu einem für die Revisionswerberin günstigeren Ergebnis hätte kommen können.
10 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit macht die Revision zusammengefasst weiters geltend, das Verwaltungsgericht habe in seinen Erwägungen nicht dargelegt, wieso die Voraussetzungen der Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen einerseits und die den Ausgleichszulagenrichtsätzen entsprechende durchschnittliche Höhe der Einkünfte andererseits nicht kumulativ vorlägen. Die Revisionswerberin habe nachvollziehbar ausgeführt, dass sie über ein ausreichendes Einkommen verfüge und nicht von den Beiträgen ihrer Verwandten für die Wohnung lebe, sondern die Mutter und die Schwester, welche die Mindestsicherung bezögen, unterstütze. Wenn das Verwaltungsgericht im Erkenntnis zwei Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiere, wonach von keiner Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen die Rede sein könne, verkenne es, dass hier genau das Gegenteil der Fall sei. Verkannt werde dabei, dass die Revisionswerberin die Mindestsicherungsleistungen ihrer Mutter und ihrer Schwester für eine entsprechende Lebensführung gar nicht benötige.
11 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
12 § 10 Abs. 1 Z 7 und Abs. 5 StbG müssen unter dem Blickwinkel des damit verfolgten Zwecks gesehen werden, nämlich die Staatsbürgerschaft nur an Fremde zu verleihen, die ihren Lebensunterhalt in Österreich durch entsprechendes Einkommen (oder gleichzusetzende Leistungen) ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften hinreichend gesichert haben. Diese gesetzlichen Voraussetzungen müssen objektiv erfüllt sein (vgl. VwGH 18.10.2022, Ro 2020/01/0003, mwN).
13 Nach dem klaren Wortlaut des § 10 Abs. 5 zweiter Satz StbG müssen die eigenen Einkünfte im geltend gemachten Zeitraum dem Fremden eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach dem Durchschnitt der Richtsätze des § 293 ASVG der letzten drei Jahre entsprechen. Die Voraussetzungen der Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen einerseits und die den Ausgleichszulagenrichtsätzen entsprechende durchschnittliche Höhe der Einkünfte andererseits müssen demnach kumulativ vorliegen (vgl. VwGH 4.4.2019, Ra 2019/01/0085; 27.11.2020, Ro 2020/01/0001, mwN). Deshalb reicht allein ein über dem Durchschnitt der Ausgleichszulagenrichtsätze der letzten drei Jahre liegendes Einkommen des Antragstellers für das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG nicht aus (vgl. erneut VwGH 27.11.2020, Ro 2020/01/0001).
14 Gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG muss der Bezug von Sozialhilfeleistungen durch dritte Personen, die mit dem Antragsteller (ohne Unterhaltsverpflichtungen) im gemeinsamen Haushalt leben, dem Antragsteller zugerechnet werden, wenn die Sozialhilfeleistungen dem Antragsteller in wirtschaftlicher Betrachtungsweise zugutekommen. In diesem Fall kann er daher keine „Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften“ nachweisen (vgl. grundlegend VwGH 12.12.2019, Ro 2019/01/0010; sowie VwGH 27.11.2020, Ro 2020/01/0001, mwN).
15 Eine gemeinsame Haushaltsführung legt in wirtschaftlicher Betrachtungsweise nahe, dass die von den Haushaltsmitgliedern der Revisionswerberin bezogene Mindestsicherung auch der Revisionswerberin zugutekommt. In einem solchen Fall obliegt es der Revisionswerberin als Antragstellerin, im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht diese Annahme zu widerlegen (vgl. wiederum VwGH 12.12.2019, Ro 2019/01/0010; sowie VwGH 7.9.2020, Ra 2020/01/0135).
16 Entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen der Revision legte das Verwaltungsgericht nachvollziehbar dar, wie es zum Ergebnis gelangte, dass die Voraussetzungen der Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen fallbezogen nicht vorliege. Dabei führte es unter anderem ins Treffen, dass die von der Mutter und der Schwester bezogene Mindestsicherung der Revisionswerberin wirtschaftlich zugutekomme, da eine gemeinsame Haushaltsführung (mit anteiliger Tragung der Mietkosten) vorliege, sodass sich der Wohnkostenanteil für die Revisionswerberin erheblich verringere. Dafür spricht zudem der für die wirtschaftliche Betrachtungsweise ebenfalls bedeutsame Umstand, dass die Revisionswerberin nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis bloß ein Drittel des monatlichen Mietzinses begleicht und alleinige Mieterin der gemeinsam bewohnten Wohnung ihre Mutter ist und sich die Möglichkeit der Revisionswerberin, dort wohnversorgt zu sein, in zivilrechtlicher Hinsicht einzig aus einem sogenannten familienrechtlichen Wohnverhältnis ableitet (vgl. zu diesem Begriff etwa RIS‑Justiz RS0109359; RS0020495 [insbesondere T2]).
17 Das Verwaltungsgericht ist mit seinen Erwägungen nicht von der dargestellten Rechtsprechung abgewichen.
18 Sofern in der Zulässigkeitsbegründung der Revision weiters argumentiert wird, die Revisionswerberin habe im Beschwerdeverfahren (durch Vorlage von Urkunden und eigene Angaben) den Nachweis erbracht, dass sie die Mindestsicherungsleistungen ihrer Mutter und Schwester für eine entsprechende Lebensführung gar nicht benötige, genügt es darauf hinzuweisen, dass das Kriterium der „Benötigung“ der Leistungen nach dem oben Gesagten nicht maßgeblich ist (vgl. zum bereits erwähnten und relevanten Aspekt des [anteiligen] Zugutekommens in wirtschaftlicher Betrachtungsweise auch VwGH 10.11.2021, Ra 2021/01/0338 bis 0340).
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 14. Februar 2024
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