Normen
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
NAG 2005 §11 Abs3
NAG 2005 §21a Abs4 Z1
NAG 2005 §21a Abs4 Z1 idF 2018/I/056
NAG 2005 §21a Abs4 Z2
NAG 2005 §21a Abs4 Z2 idF 2018/I/056
NAG 2005 §21a Abs5 Z1
NAG 2005 §21a Abs5 Z1 idF 2018/I/056
NAG 2005 §21a Abs5 Z2
NAG 2005 §21a Abs5 Z2 idF 2018/I/056
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020220018.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz (belangte Behörde) vom 25. Oktober 2018 wurde der Antrag der Revisionswerberin, einer afghanischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen, weil die Revisionswerberin keinen Sprachnachweis erbracht habe und das Absehen von einem solchen gemäß § 21a Abs. 5 Z 2 NAG nicht zur Aufrechterhaltung des Privat‑ und Familienlebens geboten sei.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 29. Mai 2019 wies das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für unzulässig.
Das Verwaltungsgericht stellte ‑ auf das Wesentlichste zusammengefasst ‑ fest, die Revisionswerberin und der Zusammenführende (ein in Österreich über einen Aufenthaltstitel „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ verfügender afghanischer Staatsangehöriger) hätten am 15. August 2016 in Kabul geheiratet. Nach der Hochzeit habe der Zusammenführende mehrmals einige Wochen bei der Revisionswerberin in Afghanistan verbracht und dort mit ihr in einem Haushalt gewohnt. Zwischen den Besuchen lebe die Revisionswerberin in der Wohnung ihres Bruders in Afghanistan. Der Lebensunterhalt der Revisionswerberin, die noch nie in Österreich gewesen sei sowie über keine Ausbildung und Berufserfahrung verfüge, werde durch finanzielle Zuwendungen des Zusammenführenden finanziert. Die Revisionswerberin habe bislang keinen Deutschkurs absolviert und kein allgemein anerkanntes Sprachdiplom vorgelegt. Eigenen Angaben der Revisionswerberin zufolge würden in Afghanistan derzeit keine Deutschkurse angeboten, zudem wäre der Besuch eines solchen Kurses in Afghanistan für eine Frau aus Sicherheitsgründen nicht möglich; die Revisionswerberin beabsichtige, erst nach Erteilung des Aufenthaltstitels in Österreich Deutschkurse zu besuchen.
In seinen rechtlichen Erwägungen führte das Verwaltungsgericht aus, mangels eines Nachweises von Sprachkenntnissen sei zu prüfen, ob aufgrund des Antrages der Revisionswerberin gemäß § 21a Abs. 5 NAG vom geforderten Nachweis zur Aufrechterhaltung des Privat‑ und Familienlebens abgesehen werden könne. Dem Vorbringen der Revisionswerberin zur prekären Sicherheitslage in Afghanistan hielt das Verwaltungsgericht entgegen, dass es im Zusammenhang mit § 21a NAG nicht auf die Gefährdungslage im Herkunftsstaat der Revisionswerberin ankomme. Bei der Interessenabwägung anerkannte das Verwaltungsgericht das durch die Ehe geschützte Familienleben. Allerdings komme es primär auf das tatsächlich bestehende Zusammenleben bzw. auf den Umfang und die Intensität des Familienlebens an. Diesbezüglich verwies das Verwaltungsgericht auf die erst kurze Dauer der Ehe (zwei Jahre und neun Monate) sowie die bisher geringe Intensität des Zusammenlebens (Urlaubsaufenthalte des Zusammenführenden in Afghanistan im Sommer und im Winter für jeweils ca. drei Wochen), auf die ‑ abgesehen von ihrem Ehemann ‑ fehlenden sozialen Kontakte der Revisionswerberin in Österreich und auf das fehlende Vorbringen zu den Bemühungen der Revisionswerberin zur Alphabetisierung und zum Erwerb von Deutschkenntnissen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Eheschließung zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, in dem der Revisionswerberin bekannt gewesen sei, dass sie nicht mit einem rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich rechnen dürfe. Im Ergebnis könne ‑ so das Verwaltungsgericht ‑ nicht davon ausgegangen werden, dass das Absehen von einem Nachweis nach § 21a Abs. 1 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat‑ und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten sei.
3 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 23. September 2019, E 2657/2019, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Der Verfassungsgerichtshof hielt fest, das Vorbringen lasse keinen die Grenzen des Art. 8 Abs. 2 EMRK überschreitenden Fehler bei der Beurteilung nach § 21a Abs. 5 Z 2 NAG erkennen. Zum Vorwurf der fehlenden Berücksichtigung einer in den tatsächlichen Verhältnissen im Herkunftsstaat begründeten Unzumutbarkeit der Erbringung eines Nachweises gemäß § 21a Abs. 1 NAG merkte der Verfassungsgerichtshof an, dem Gesetzgeber könne nicht entgegengetreten werden, wenn er ‑ abgesehen von den durch Art. 8 EMRK begründeten Fällen ‑ den Nachweis von Deutschkenntnissen in sachlichem Ausmaß als Voraussetzung für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels verlange.
4 In der Folge brachte die Revisionswerberin die vorliegende außerordentliche Revision ein.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 Die Revision bringt zur Zulässigkeit vor, es stelle sich die Frage, ob die faktische Unmöglichkeit der Erbringung eines Sprachnachweises im Herkunftsland einen Grund für das Absehen von einem solchen Sprachnachweis darstellen müsse. Die angefochtene Entscheidung widerspräche dem Grundsatz, wonach niemandem Unmögliches abverlangt werden dürfe.
Weiters widersprächen die Ausführungen des Verwaltungsgerichtes, wonach die Intensität des Familienlebens gering sei, näher zitierter Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH), nach der es ausschließlich auf das Eheband ankomme. Überlegungen zur Intensität einer Ehe seien dem Unionsrecht fremd. Solange eine Ehe daher nicht geschieden oder aufgehoben sei, sei sie von jeder staatlichen Stelle als aufrecht zu qualifizieren.
7 Nach § 21a Abs. 4 Z 2 NAG besteht keine Verpflichtung zum Nachweis von Sprachkenntnissen für Drittstaatsangehörige, denen auf Grund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustandes die Erbringung des Nachweises nicht zugemutet werden kann; darüber hinaus kann die Behörde auf begründeten Antrag eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 21a Abs. 5 Z 2 NAG von der Nachweisverpflichtung zur Aufrechterhaltung des Privat‑ und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3 NAG) absehen.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten hat, erlaubt diese Ausnahmeregelung jedoch kein Absehen vom Nachweis der Deutschkenntnisse, wenn deren Erwerb dem Drittstaatsangehörigen nicht aufgrund eines physischen oder psychischen Gesundheitszustandes, sondern aus anderen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist, sofern diese Gründe nicht von Art. 8 EMRK umfasst sind (vgl. VwGH 25.4.2019, Ra 2018/22/0289, Rn. 10).
Dass der Revisionswerberin der Nachweis von Sprachkenntnissen mangels eines Prüfungsangebotes in ihrem Herkunftsstaat nicht möglich ist, stellt für sich genommen daher keinen gesetzlich vorgesehenen Grund für das Absehen von einem Sprachnachweis dar.
8 Im vorliegenden Fall kam ein Absehen von einem Sprachnachweis daher nur zur Aufrechterhaltung des Privat‑ und Familienlebens nach § 21a Abs. 5 Z 2 NAG aufgrund eines entsprechenden Antrags der Revisionswerberin in Betracht. (Dass die Erbringung eines solchen Nachweises aufgrund des Gesundheitszustandes der Revisionswerberin nicht möglich gewesen wäre, wird nicht behauptet.)
9 Bei der Beurteilung nach dem in § 21a Abs. 5 Z 2 NAG angesprochenen § 11 Abs. 3 NAG ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Versagung des Aufenthaltstitels mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen unter Berücksichtigung der in § 11 Abs. 3 NAG näher angeführten Kriterien in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/22/0063, Rn. 13, mwN). Zu den in § 11 Abs. 3 NAG genannten Kriterien zählen ua. die Dauer des bisherigen Aufenthalts (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat (Z 5) sowie die Frage, ob das Privat‑ und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8).
Die unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK kann im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht erfolgreich mit Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG bekämpft werden (vgl. VwGH 25.11.2020, Ra 2020/22/0010, Rn. 10, mwN).
10 Wenn die Revision in diesem Zusammenhang geltend macht, das angefochtene Erkenntnis widerspreche der Judikatur des EuGH, weil es entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes nicht auf die Intensität der Ehe ankomme, sondern nur auf das tatsächliche Bestehen einer Ehe, übersieht sie, dass das Verwaltungsgericht die Eigenschaft der Revisionswerberin als Familienangehörige im Sinn des § 46 Abs. 1 NAG bejaht und das Bestehen eines Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK an sich nicht in Abrede gestellt hat. Schon aus diesem Grund ist für die Revisionswerberin aus den von ihr ins Treffen geführten Urteilen (Verweis auf EuGH 13.2.1985, C‑267/83, Aissatou Diatta; 10.7.2014, C‑244/13, Ewaen Fred Ogieriakhi) nichts zu gewinnen.
11 Vielmehr kam das Verwaltungsgericht in seiner Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK zum Ergebnis, dass das Nichtabsehen vom Nachweis der Sprachkenntnisse zu keiner Verletzung des Rechts auf Familienleben führe. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht neben anderen Aspekten die Intensität des Zusammenlebens (und somit den Umstand der erst seit zwei Jahren und neun Monaten aufrechten und kinderlosen Ehe sowie der ‑ abgesehen von einzelnen Besuchen des Zusammenführenden in Afghanistan ‑ Aufrechterhaltung des Kontakts im Wege von Telefon und Internet) berücksichtigt hat. Zudem bezog das Verwaltungsgericht in die Beurteilung ein, dass die Revisionswerberin (abseits ihrer Ehe) keinerlei Bindungen zu Österreich habe, in Afghanistan über ein familiäres und soziales Netz verfüge und im Zeitpunkt der Begründung des Familienlebens in Afghanistan nicht mit einem rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich habe rechnen dürfen (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Umstandes § 11 Abs. 3 Z 8 NAG). Dass die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts in unvertretbarer Weise vorgenommen worden wäre, wird von der Revision nicht dargetan.
12 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
13 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 10. März 2021
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