VwGH Ra 2020/21/0484

VwGHRa 2020/21/048415.12.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant und den Hofrat Dr. Sulzbacher als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des T K, vertreten durch Mag. Christian Hirsch, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Hauptplatz 28, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juli 2020, I422 2232075‑1/11E, betreffend Aufenthaltsverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs4 Z1 idF BGBl. I Nr. 70/2015
BFA-VG 2014 §9 Abs4 Z2 idF BGBl. I Nr. 70/2015
FrÄG 2018
FrPolG 2005 §67 Abs1
NAG 2005 §51 Abs1 Z1
NAG 2005 §51 Abs1 Z2
NAG 2005 §51 Abs1 Z3
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210484.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Beschwerdeweg ergangenen angefochtenen Erkenntnis erließ das Bundesverwaltungsgericht gegen den Revisionswerber, einen kroatischen Staatsangehörigen, gemäß § 67 FPG ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde kein Durchsetzungsaufschub gewährt.

2 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass der Revisionswerber „im Juni 1996, im Alter von rund fünf Jahren,“ gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester erstmals nach Österreich gekommen sei. Er habe die Volks‑ und Hauptschule besucht und eine Lehre als Koch/Kellner begonnen, aber nicht abgeschlossen. Im Jahr 2007 sei er erstmals strafrechtlich in Erscheinung getreten, indem er eine gestohlene Uhr verkauft habe. Deswegen sei er mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. August 2008 gemäß § 164 Abs. 1 Z 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten verurteilt worden.

3 Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 2. Februar 2009 sei er wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 4 Z 3 SMG sowie wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall sowie Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Dieser Verurteilung sei zugrunde gelegen, dass der Revisionswerber einerseits seit dem Frühjahr 2007 bis zum 1. Oktober 2008 Heroin zum Eigenkonsum erworben und besessen habe und er andererseits im Zeitraum Ende Juli bis Ende August 2008 in vielfachen Angriffen Suchtgift in Bezug auf eine das 25fache der Grenzmenge übersteigenden Menge anderen überlassen, nämlich gewinnbringend verkauft, habe.

4 Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 11. Juni 2010 sei der Revisionswerber wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt worden. Dieser Verurteilung sei ein Einbruch in ein Geschäftslokal zu Grunde gelegen.

5 Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 17. Juni 2010 sei gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Auf Grund des § 133a StVG sei er vorzeitig aus der Haft entlassen worden und sodann am 14. Dezember 2012 freiwillig nach Kroatien zurückgekehrt. „Dadurch“ habe er seine ihm am 12. Oktober 2001 unbefristet erteilte Niederlassungsbewilligung verloren. In Kroatien habe er bei seinem Vater gewohnt und als Kellner gearbeitet.

6 Mit Bescheid vom 17. Mai 2015 habe das BFA das Aufenthaltsverbot von Amts wegen aufgehoben.

7 In der Folge sei der Revisionswerber spätestens am 5. Jänner 2017 wieder in das Bundesgebiet eingereist. Er habe am 28. Februar 2017 eine Anmeldebescheinigung „Arbeitnehmer“ beantragt, die ihm mangels Erwerbstätigkeit bzw. ausreichender Existenzmittel und Krankenversicherungsschutzes nicht erteilt worden sei. Im April 2017 sei er erneut nach Kroatien zurückgekehrt, um sich einer Suchtmitteltherapie zu unterziehen.

8 Letztmalig sei der Revisionswerber spätestens am 19. Jänner 2018 in das Bundesgebiet eingereist. Seither halte er sich durchgehend hier auf.

9 Am 21. April 2018 sei er in Untersuchungshaft genommen und mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 24. Juli 2018 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall und Abs. 4 Z 3 SMG sowie des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 4 Z 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren verurteilt worden. Der Revisionswerber habe dem Strafurteil zufolge im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Zeitraum Ende März 2018 bis 17. April 2018 vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar 300g Heroin, in einer das 25fache der Grenzmenge übersteigenden Menge aus Serbien aus‑ und über Kroatien und Slowenien nach Österreich eingeführt; davon hätten der Revisionswerber und seine Mittäterin dem Bestimmungstäter zumindest 240g übergeben.

10 Der Revisionswerber sei ledig und ohne Sorgepflichten. Er sei seit dem Frühjahr 2007 suchtmittelabhängig und konsumiere überwiegend Heroin und Kokain. In beschützender Umgebung sei er abstinent. Er befinde sich im gelockerten Vollzug und habe jedes zweite Wochenende Freigang. Seit seiner Inhaftierung unterziehe er sich einer Suchtmitteltherapie im Rahmen einer psychotherapeutischen Betreuung. Er verfüge über eine Einstellungszusage eines IT‑Unternehmens. Die Mutter und die Schwester des Revisionswerbers lebten in Wien. Seine Mutter leide an einer Erkrankung des zentralen Nervensystems. Sie werde vom Revisionswerber und seiner Schwester unterstützt, wobei die Schwester, die rund zehn Minuten von der Mutter entfernt wohne, die Hauptlast trage. In Kroatien verfüge der Revisionswerber ebenfalls über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seines in Zagreb lebenden Halbbruders und dessen Familie. Der Vater des Revisionswerbers lebe seit kurzem in einem Pflegeheim in Bosnien und Herzegowina nahe der kroatischen Grenze.

11 In seiner rechtlichen Beurteilung bejahte das Bundesverwaltungsgericht mit näherer Begründung die Gefährdungsprognose nach § 67 Abs. 1 FPG, wobei es zugunsten des Revisionswerbers davon ausging, dass sogar der erhöhte Maßstab nach dem fünften Satz der genannten Bestimmung erfüllt wäre. Bei der Interessenabwägung nach § 9 BFA‑VG kam es mit ausführlicher Begründung zum Ergebnis, dass der mit der Erlassung des Aufenthaltsverbots verbundene Eingriff in das Familien‑ und Privatleben des Revisionswerbers verhältnismäßig sei. Auch die zehnjährige Dauer des Aufenthaltsverbots sei nicht unverhältnismäßig, was vom Bundesverwaltungsgericht ebenfalls näher begründet wurde.

12 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

13 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG „nicht zur Behandlung eignen“, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

14 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

15 Der Revisionswerber erblickt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG darin, dass das Bundesverwaltungsgericht entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf seine Aufenthaltsverfestigung Bedacht genommen habe. Bei seinem ersten strafrechtlichen Fehlverhalten habe er bereits längst die zeitliche Voraussetzung für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erbracht. Bei der Interessenabwägung wäre auch auf die Hilfsbedürftigkeit seiner Mutter Bedacht zu nehmen gewesen. Außerdem habe er den Mangelberuf des Kellners erlernt. Die Feststellung, dass er 1996 im Alter von fünf Jahren nach Österreich gekommen sei, sei rechnerisch nicht nachvollziehbar, weil er 1996 acht Jahre alt gewesen wäre; tatsächlich sei er schon seit 1990, also seit seinem dritten Lebensjahr, in Österreich aufhältig gewesen. Auch die Gefährdungsprognose sei nicht nachvollziehbar, habe das Bundesverwaltungsgericht doch festgestellt, dass der Revisionswerber in beschützender Umgebung abstinent sei und sich seit April 2019 in ambulanter Behandlung eines Vereins zur Rehabilitation und Integration suchtkranker Menschen befinde.

16 Eine zur Zulässigkeit der Revision führende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wird mit diesem Vorbringen nicht dargelegt.

17 Was die ehemaligen (durch das FrÄG 2018 aufgehobenen) Aufenthaltsverfestigungstatbestände des § 9 Abs. 4 Z 1 und 2 BFA‑VG idF BGBl. I Nr. 70/2015 betrifft, so waren sie zwar ‑ ungeachtet des nur auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Drittstaatsangehörige abstellenden Wortlauts ‑ zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch auf Unionsbürger anzuwenden (vgl. idS VwGH 9.11.2011, 2011/22/0264, Pkt. 7.3. der Entscheidungsgründe, sowie VwGH 4.4.2019, Ra 2019/21/0009, Rn. 33). Voraussetzung war jedoch ein auf Grund eines Aufenthaltstitels (bzw. des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts) rechtmäßiger Aufenthalt. Auf einen rechtmäßigen Aufenthalt konnte sich der Revisionswerber aber zuletzt mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 12 oder 3 NAG nicht mehr berufen. Die Rechtsprechung, nach der die Wertungen der ehemaligen Verfestigungstatbestände weiterhin maßgeblich sind (vgl. etwa VwGH 16.7.2020. Ra 2019/21/0335, Rn. 13, mwN), war im vorliegenden Fall daher schon aus diesem Grund unbeachtlich.

18 Im Übrigen waren sowohl die Gefährdungsprognose als auch die Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls nicht unvertretbar (vgl. zu diesem Maßstab für das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung in Bezug auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen etwa VwGH 22.5.2014, Ra 2014/21/0014, und VwGH 31.8.2017, Ra 2017/21/0111, Rn. 15, jeweils mwN). Das Bundesverwaltungsgericht, das eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat, ist bei seiner Beurteilung auf alle Umstände des vorliegenden Falles ausreichend eingegangen. Es kann ihm nicht entgegen getreten werden, wenn es angesichts der schweren Suchtgiftkriminalität des Revisionswerbers, die vor allem auch durch einen Rückfall schon kurz nach seiner erneuten Einreise nach Österreich gekennzeichnet war, ein Aufenthaltsverbot in der verhängten Dauer als gerechtfertigt angesehen hat. Die Behandlung der Suchterkrankung des nach wie vor in Strafhaft angehaltenen Revisionswerbers ändert daran nichts, ist doch nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für die Annahme eines Wegfalls der sich durch das bisherige Fehlverhalten manifestierten Gefährdung ‑ auch nach Absolvierung einer Therapie ‑ in erster Linie das gezeigte Wohlverhalten in Freiheit maßgeblich (vgl. etwa VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0276, Rn. 10, mwN).

19 Was das Datum der erstmaligen Einreise nach Österreich betrifft, ist dem Bundesverwaltungsgericht offenkundig ein Schreibversehen unterlaufen. Im Teilerkenntnis vom 23. Juni 2020 betreffend die aufschiebende Wirkung der Beschwerde ist es nämlich ‑ im Einklang mit der Aktenlage ‑ von einer melderechtlichen Erfassung des Revisionswerbers in Österreich seit Juni 1993, also seit dem Alter von fünf Jahren, ausgegangen. Im Übrigen war es für die Beurteilung des vorliegenden Aufenthaltsverbots nicht wesentlich, ob der Revisionswerber 1990, 1993 oder 1996 erstmals nach Österreich eingereist ist.

20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher (nach Abtretung durch den Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 7.10.2020, E 2998/2020) zurückzuweisen.

Wien, am 15. Dezember 2020

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