VwGH Ra 2017/21/0111

VwGHRa 2017/21/011131.8.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und den Hofrat Dr. Pelant sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. April 2017, Zl. I403 2127933- 2/3E, betreffend insbesondere Einreiseverbot (mitbeteiligte Partei: I T, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9;
B-VG Art133 Abs4;
FrPolG 2005 §52 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1;
FrPolG 2005 §53;
MRK Art8;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein marokkanischer Staatsangehöriger, stellte am 11. November 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. In der am selben Tag vorgenommenen Erstbefragung gab er an, er wolle mit seiner österreichischen Lebensgefährtin, die er über das Internet kennengelernt habe und die ihn daraufhin in Marokko besucht habe, und seinem minderjährigen Sohn zusammen leben. Fluchtgründe habe er keine. Am 9. August 2014 heiratete der Mitbeteiligte seine Lebensgefährtin, und am 12. August 2014 wurde sein zweites Kind geboren. Beide Kinder sind österreichische Staatsbürger.

2 Mit Bescheid vom 12. Mai 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig sei (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach das BFA noch aus, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt IV.), und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 und 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.).

3 Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde, der das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Beschluss vom 16. Juni 2016 gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannte.

4 In der mündlichen Verhandlung am 26. Jänner 2017 vor dem BVwG zog der Mitbeteiligte die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des Bescheids vom 12. Mai 2016 zurück.

5 Mit dem nicht verfahrensgegenständlichen Erkenntnis vom 20. März 2017 stellte das BVwG das Verfahren hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des bekämpften Bescheides ein und wies die Beschwerde im Übrigen - mit einer hier nicht wesentlichen Maßgabe -

ab. Als Frist für die freiwillige Ausreise legte das BVwG 14 Tage fest.

6 Am 8. April 2017 wurde der Mitbeteiligte in Schubhaft genommen.

7 Mit Bescheid vom 13. April 2017 erteilte das BFA dem Mitbeteiligten neuerlich keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.) und stellte fest, dass die Abschiebung nach Marokko zulässig sei (Spruchpunkt II.). Es erließ ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt III.) und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.). Schließlich sprach das BFA noch aus, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt V.).

8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 25. April 2017 wies das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des Bescheids vom 13. April 2017 als unbegründet ab (Spruchpunkt A I.). Hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. gab es der Beschwerde statt und behob diese (Spruchpunkt A II.). Die Frist für die freiwillige Ausreise legte es mit 14 Tagen ab Rechtskraft des Erkenntnisses fest (Spruchpunkt A III.).

9 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, es stehe fest, dass der Mitbeteiligte seine Pflicht zur Ausreise missachtet habe. Allerdings sei er bereits wenige Tage nach Rechtskraft des Erkenntnisses vom 20. März 2017 festgenommen worden, sodass kein länger dauernder illegaler Aufenthalt vorliege und ihm auch kein beharrliches illegales Verbleiben vorgeworfen werden könne. Soweit ihm das BFA unterstelle, untertauchen zu wollen, habe es dies nicht durch entsprechende Ermittlungsergebnisse belegt. Alleine daraus, dass sich der Mitbeteiligte nicht mehr an seinem Wohnsitz befunden habe, automatisch zu schließen, dass er beabsichtige unterzutauchen, scheine "doch etwas voreilig". Auch soweit das BFA das Einreiseverbot auf die Mittellosigkeit des Mitbeteiligten stütze, habe es nicht umfassend ermittelt. Die Gefährdungsprognose stehe daher auf keinem "besonders stabilen Fundament". Bei der Interessenabwägung hinsichtlich des Einreiseverbots habe es das BFA unterlassen, den öffentlichen Interessen die privaten Interessen des Mitbeteiligten und das Kindeswohl seiner zwei Kinder gegenüber zu stellen. Der bloße Verweis auf die in Bezug auf die Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung reiche nicht aus. Es sei unbestritten, dass der Familie die Fortführung des Familienlebens in Marokko theoretisch möglich sei. Durch das Einreiseverbot würde dem Mitbeteiligten aber die Möglichkeit genommen, sich - wie es von Anfang an geboten gewesen wäre - vom Ausland aus um die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels als Familienangehöriger zu bemühen. Aus Sicht der Kinder, um die sich der Mitbeteiligte regelmäßig kümmere, wäre eine Trennung von zwei Jahren ein schwerer Eingriff. Aufgrund der aus Sicht des BVwG zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gerechtfertigten Gefährdungsprognose und des in Österreich geführten Familienlebens sei aus humanitären Gründen von der Verhängung eines Einreiseverbots abzusehen.

10 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG schließlich aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B).

11 Gegen die Spruchpunkte A. II. und A. III. dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.

12 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

14 Das BFA bemängelt unter diesem Gesichtspunkt, das BVwG gehe davon aus, dass dem Mitbeteiligten kein beharrliches illegales Verbleiben in Österreich vorgeworfen werden könne, zumal er nur wenige Tage nach Rechtskraft des Erkenntnisses vom 20. März 2017 festgenommen worden sei. Nach Ansicht des BFA verkenne das BVwG dabei, dass der Aufenthalt des Mitbeteiligten bereits am 26. Jänner 2017 mit der Zurückziehung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des Bescheids vom 12. Mai 2016 rechtswidrig geworden sei. Hätte das BVwG eine mündliche Verhandlung durchgeführt, auf deren Durchführung das BFA entgegen den Ausführungen im Erkenntnis nicht verzichtet habe, hätte das BFA seine rechtlichen Standpunkte geltend machen können. Dadurch sei es auch in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt worden.

15 Mit diesem Vorbringen gelingt es dem BFA nicht, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen. Der Verwaltungsgerichtshof hat etwa in seinem Beschluss vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0284, ausgeführt, dass die bei der Erlassung eines Einreiseverbotes unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung und Gefährdungsprognose im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgten und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurden - nicht revisibel sind.

16 Das in Bezug auf die genannten Gesichtspunkte vom BVwG fallbezogen erzielte Ergebnis, das sich tragend vor allem darauf stützt, dass eine zweijährige Trennung aus Sicht der Kinder, um die sich der Mitbeteiligte regelmäßig kümmere, ein schwerer Eingriff und in Hinblick auf Art. 8 EMRK und das Kindeswohl unverhältnismäßig sei, ist jedenfalls nicht unvertretbar, mag auch der EGMR in einem nach Meinung des BFA vergleichbaren Fall (Urteil vom 31. Juli 2008, Appl. Nr. 265/07) eine Ausweisung mit einem fünfjährigen Einreiseverbot gebilligt haben. Darauf, ob der Mitbeteiligte sein Aufenthaltsrecht gemäß § 13 AsylG 2005 bereits mit der teilweisen Zurückziehung der Beschwerde am 26. Jänner 2017 oder erst mit Erlassung des Erkenntnisses vom 20. März 2017 verlor, kommt es dabei - angesichts dessen, dass der illegale Aufenthalt auch unter Zugrundelegung des ersten Datums nur eine Dauer von knapp zwei Monaten erreicht hätte - nicht entscheidend an. Schon deswegen kann dem BVwG in diesem Zusammenhang auch keine relevante Verletzung des Parteiengehörs oder der Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorgeworfen werden. Es ist auch - entgegen dem Revisionsvorbringen - nicht ersichtlich, dass das BVwG von anderen entscheidungswesentlichen Sachverhaltsannahmen ausgegangen wäre als das BFA in seinem Bescheid.

17 Weil der Eingriff in durch Art. 8 EMRK geschützte Rechte bei der Erlassung einer bloßen Rückkehrentscheidung geringer ist als bei der Verhängung eines Einreiseverbots, ist es entgegen dem weiteren Zulässigkeitsvorbringen auch nicht widersprüchlich, wenn das BVwG einerseits die Rückkehrentscheidung als verhältnismäßig und andererseits das Einreiseverbot als unverhältnismäßig befunden hat.

18 Soweit sich die Revision noch gegen die Behebung des Spruchpunktes IV. des Bescheides vom 13. April 2017 - mit dem das BFA der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannte - und die Festlegung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise wendet, begründet sie dies mit einem Verweis auf ihre Ausführungen zur Aufhebung des Einreiseverbots. Damit wird aus den oben dargestellten Gründen ebenfalls keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dargelegt.

19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 31. August 2017

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