VwGH Ra 2020/21/0175

VwGHRa 2020/21/01755.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. März 2020, W171 2225419‑1/9E, betreffend Abschiebung (mitbeteiligte Partei: P V N, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4), zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §16
BFA-VG 2014 §16 Abs2
BFA-VG 2014 §16 Abs4
BFA-VG 2014 §17
BFA-VG 2014 §17 Abs1
BFA-VG 2014 §18
BFA-VG 2014 §18 Abs1
BFA-VG 2014 §18 Abs2
BFA-VG 2014 §18 Abs3
BFA-VG 2014 §18 Abs4
BFA-VG 2014 §18 Abs5
BFA-VG 2014 §18 Abs5 idF 2017/I/145
BFA-VG 2014 §18 Abs7
B-VG Art130 Abs1 Z1
EURallg
FrÄG 2017
FrPolG 2005 §66
MRK Art2
MRK Art3
VwGG §42 Abs1
VwGVG 2014
VwGVG 2014 §13 impl
VwGVG 2014 §13 Abs4
VwGVG 2014 §7
VwRallg
12010P/TXT Grundrechte Charta Art19 Abs2
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
12010P/TXT Grundrechte Charta Art9
32008L0115 Rückführungs-RL Art13
32008L0115 Rückführungs-RL Art13 Abs1
32008L0115 Rückführungs-RL Art13 Abs2
32008L0115 Rückführungs-RL Art5
32013L0032 IntSchutz-RL Art46 Abs6
32013L0032 IntSchutz-RL Art46 Abs8
62013CJ0562 Abdida VORAB
62016CJ0181 Gnandi VORAB
62019CJ0233 CPAS de Liege VORAB
62019CJ0402 CPAS de Seraing VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210175.L00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Dem Mitbeteiligten, einem nigerianischen Staatsangehörigen, wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 17. Oktober 2019, zugestellt am selben Tag, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt; unter einem wurde gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 1 Z 1 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG ausgesprochen, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA‑VG einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt. Schließlich wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein fünfjähriges Einreiseverbot erlassen.

2 Am 22. Oktober 2019 wurde der Mitbeteiligte unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Strafhaft (er war nach dem SMG zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, davon drei Monate unbedingt, verurteilt worden) auf Grund eines Festnahmeauftrags nach § 34 Abs. 3 Z 3 BFA‑VG festgenommen und sodann am 24. Oktober 2019 gemäß § 46 FPG nach Nigeria abgeschoben.

3 Mit Schriftsatz vom 14. November 2019 erhob der Mitbeteiligte Beschwerde gegen den Bescheid vom 17. Oktober 2019. Er beantragte die ersatzlose Behebung des Bescheides und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde.

4 Ebenfalls mit Schriftsatz vom 14. November 2019 brachte der Mitbeteiligte eine Maßnahmenbeschwerde gegen die Abschiebung ein. Dieser gab das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis statt, indem es unter Kostenzuspruch an den Mitbeteiligten die Rechtswidrigkeit der Abschiebung feststellte. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

5 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Rückkehrentscheidung im Zeitpunkt der Abschiebung noch nicht durchführbar gewesen sei. Sie sei am 17. Oktober 2019 erlassen worden. Mit diesem Tag habe die vierwöchige Beschwerdefrist zu laufen begonnen. Ohne Erhebung einer Beschwerde wäre die Rückkehrentscheidung mit Ablauf des 14. November 2019 „rechtskräftig, respektive durchsetzbar und diesfalls auch durchführbar“ geworden, sodass eine Abschiebung ab dem 15. November 2019 vorgenommen werden hätte können. Im vorliegenden Fall habe der Mitbeteiligte aber gerade noch innerhalb der Beschwerdefrist, nämlich am 14. November 2019, eine Beschwerde (u.a.) gegen die Rückkehrentscheidung erhoben. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA‑VG habe die Behörde den Akt mit der Beschwerde dem Gericht vorzulegen gehabt, um die in dieser Bestimmung vorgesehene Frist von einer Woche (für die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung) in Gang zu setzen. Die Beschwerde sei aber erst mit 3. Dezember 2019 vorgelegt worden, was als fristauslösender Zeitpunkt anzusehen sei. Binnen einer Woche hätte dann das Gericht die aufschiebende Wirkung zuerkennen können; andernfalls wäre die Rückkehrentscheidung auf Grund der nach § 18 Abs. 2 Z 1 BFA‑VG aberkannten aufschiebenden Wirkung „durchsetzbar“ geworden. Durch die Abschiebung des Revisionswerbers am 24. Oktober 2019 seien daher die gesetzlich normierten Fristen nicht eingehalten worden, weshalb die Abschiebung rechtswidrig gewesen sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens ‑ eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet ‑ erwogen hat:

6 Das BFA bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG vor, dass das Bundesverwaltungsgericht insofern von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, als zum einen die einwöchige Frist des § 18 Abs. 5 BFA‑VG nach dieser Rechtsprechung (nur) eine von § 34 VwGVG abweichende Entscheidungsfrist sei und zum anderen einem Rechtsmittel gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung zukomme. Für Asylsachen sehe Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrens‑RL) Sonderregelungen vor, die innerstaatlich in § 16 Abs. 4 BFA‑VG Niederschlag gefunden hätten. Nach diesen Bestimmungen und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofes des Europäischen Union und des Verwaltungsgerichtshofes komme einer Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 1 BFA‑VG im Ergebnis die aufschiebende Wirkung zu. Das gelte aber nach dem klaren Wortlaut des § 16 Abs. 4 BFA‑VG nicht für bloße Rückkehrentscheidungen ohne Asylverfahrensbezug. Es existiere keine Regelung, wonach in solchen Fällen die Rechtsmittelfrist, das Einlangen der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und eine einwöchige Frist ab dem Einlangen der Beschwerde abzuwarten seien und die Rückkehrentscheidung erst dann durchsetzbar oder durchführbar werde. Ebenso wenig bestehe eine Regelung, dass der Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 BFA‑VG abweichend von § 13 Abs. 4 VwGVG selbst die aufschiebende Wirkung zukomme. Auch das Unionsrecht enthalte keine derartige Bestimmung. Es fehle allerdings an ausdrücklicher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob einer Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 2 BFA‑VG die aufschiebende Wirkung ähnlich wie in den Fällen des § 18 Abs. 1 BFA‑VG zukomme.

7 Die Revision ist wegen des aufgezeigten Fehlens von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

8 Das Rechtsinstitut der aufschiebenden Wirkung für Beschwerden gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen wird in den §§ 16 bis 18 BFA‑VG abweichend vom VwGVG geregelt.

9 Sie lauten auszugsweise wie folgt:

„§ 16. (1) ...

(2) Einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der

1. ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und diese mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist,

2. ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht oder

3. eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG erlassen wird,

sowie einem diesbezüglichen Vorlageantrag kommt die aufschiebende Wirkung nicht zu, es sei denn, sie wird vom Bundesverwaltungsgericht zuerkannt.

(3) ...

(4) Kommt einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen oder abgewiesen wurde, oder mit der eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG erlassen wurde, die aufschiebende Wirkung nicht zu, ist diese durchsetzbar. Mit der Durchführung der mit einer solchen Entscheidung verbundenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der die bereits bestehende Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung ist bis zum Ende der Rechtsmittelfrist, wird ein Rechtsmittel ergriffen bis zum Ablauf des siebenten Tages ab Einlangen der Beschwerdevorlage, zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Beschwerdevorlage und von der Gewährung der aufschiebenden Wirkung in Kenntnis zu setzen.

(5) ...

(6) Die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG sind in den Fällen der Abs. 2 bis 4 nicht anwendbar.

§ 17. (1) Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und

1. diese Zurückweisung mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist oder

2. eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht

sowie der Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG jeweils binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen durch Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die aufenthaltsbeendende Maßnahme lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.

(2) bis (4) ...

§ 18. (1) Einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz kann das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn

1. der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19) stammt,

2. schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt,

3. der Asylwerber das Bundesamt durch falsche Angaben oder Dokumente oder durch Verschweigen wichtiger Informationen oder durch Zurückhalten von Dokumenten über seine Identität oder seine Staatsangehörigkeit zu täuschen versucht hat,

4. der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat,

5. das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht,

6. gegen den Asylwerber vor Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, eine durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist, oder

7. der Asylwerber sich weigert, trotz Verpflichtung seine Fingerabdrücke abnehmen zu lassen.

Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt, so ist Abs. 2 auf diese Fälle nicht anwendbar. Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkannt, gilt dies als Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen eine mit der abweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundene Rückkehrentscheidung.

(2) Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist vom Bundesamt abzuerkennen, wenn

1. die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist,

2. der Drittstaatsangehörige einem Einreiseverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt ist oder

3. Fluchtgefahr besteht.

(3) Bei EWR‑Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

(4) Der Beschwerde gegen eine Ausweisung gemäß § 66 FPG darf die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt werden.

(5) Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.

(6) Ein Ablauf der Frist nach Abs. 5 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.

(7) Die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG sind in den Fällen der Abs. 1 bis 6 nicht anwendbar.“

10 § 16 Abs. 2 BFA‑VG bestimmt also jene Fälle, in denen einer Beschwerde gegen eine asylrechtliche Entscheidung bzw. eine Anordnung zur Außerlandesbringung ex lege keine aufschiebende Wirkung zukommt. § 17 Abs. 1 BFA‑VG regelt, unter welchen Voraussetzungen das Bundesverwaltungsgericht solchen Beschwerden dennoch die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen hat. Dafür wird eine Entscheidungsfrist von einer Woche ab Vorlage der Beschwerde festgelegt. Diese einwöchige Frist findet sich in § 16 Abs. 4 BFA‑VG in Form einer Hemmung der Durchführbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme wieder.

11 § 18 BFA‑VG regelt die Voraussetzungen der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen in den Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung nicht schon ex lege ausgeschlossen ist. Während sein erster Absatz Beschwerden gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz zum Gegenstand hat und sich dabei ‑ siehe den letzten Satz dieses Absatzes ‑ insbesondere auf die mit der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz verbundene Rückkehrentscheidung bezieht, geht es im zweiten Absatz um sonstige Rückkehrentscheidungen, also um solche außerhalb eines Verfahrens auf internationalen Schutz. Der dritte Absatz bezieht sich auf Aufenthaltsverbote und der vierte Absatz schließlich normiert, dass der Beschwerde gegen eine Ausweisung (§ 66 FPG) die aufschiebende Wirkung überhaupt nicht aberkannt werden darf (vgl. dazu VwGH 7.3.2019, Ro 2019/21/0001, Rn. 7).

12 § 18 Abs. 5 BFA‑VG bestimmt, unter welchen Voraussetzungen das Bundesverwaltungsgericht einer Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom BFA aberkannt wurde, diese aufschiebende Wirkung zuzuerkennen bzw. der Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung stattzugeben hat (vgl. dazu VwGH 13.12.2018, Ro 2018/18/0008, Rn. 29). Dafür gilt ‑ ebenso wie für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 17 Abs. 1 BFA‑VG ‑ eine Entscheidungsfrist von einer Woche ab Vorlage der Beschwerde. Die an diese Frist anknüpfende „Wartefrist“ des § 16 Abs. 4 BFA‑VG soll jedoch nach dessen Wortlaut nur hinsichtlich Rückkehrentscheidungen im asylrechtlichen Kontext anwendbar sein, also nicht hinsichtlich solcher, denen die aufschiebende Wirkung ‑ wie hier ‑ nach § 18 Abs. 2 BFA‑VG aberkannt wurde. Zufolge § 18 Abs. 7 BFA‑VG gilt in derartigen Fällen ‑ ebenso wie im Fall der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 1 BFA‑VG ‑ aber auch nicht § 13 Abs. 4 VwGVG, wonach Beschwerden gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ihrerseits keine aufschiebende Wirkung zukommt.

13 Damit fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung, ob und inwieweit der Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 2 BFA‑VG aufschiebende Wirkung zukommen soll. Für die Annahme einer aufschiebenden Wirkung, wie sie in § 16 Abs. 4 BFA‑VG festgelegt ist, spricht allerdings schon, dass andernfalls die Regelung des § 18 Abs. 5 BFA‑VG in Bezug auf Rückkehrentscheidungen außerhalb des asylrechtlichen Kontextes ihren Zweck verfehlen würde. Dieser besteht zufolge den ErlRV 2144 BlgNR 24. GP , 13 (zum FNG‑Anpassungsgesetz) darin, im Hinblick auf die Abschiebung in den Herkunftsstaat (deren Zulässigkeit auch im Sinn der Art. 2 und 3 EMRK Gegenstand der im Rückkehrentscheidungsverfahren zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG ist) Rechtssicherheit zu gewährleisten, indem die Durchführung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme bis zu einer Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht ausgesetzt wird; im Einzelnen wird dazu ausgeführt:

„Um entsprechende Rechtssicherheit gewährleisten zu können ‑ eine Abschiebung in Durchsetzung einer Rückkehrentscheidung geht in den Herkunftsstaat ‑, sieht der Entwurf in [§ 18] Abs. 5 weiterhin einen hohen Rechtsschutzstandard vor und wird die Durchführung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme bis zu einer Prüfung durch das Bundesverwaltungsgericht ausgesetzt; die Entscheidung ist ‑ etwa im Hinblick auf Schubhaft ‑ weiterhin durchsetzbar, aber dem Bundesverwaltungsgericht kommt die Möglichkeit einer entsprechenden Korrektur binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde zu.“

14 Zwischen Rückkehrentscheidungen im Kontext eines Asylverfahrens, bezüglich deren § 16 Abs. 4 BFA‑VG ‑ wie dargestellt ‑ ausdrücklich an die einwöchige Entscheidungsfrist nach § 18 Abs. 5 (bzw. § 17 Abs. 1) BFA‑VG anknüpft, und sonstigen Rückkehrentscheidungen wird nicht differenziert. Auch die Materialien zur Änderung des § 18 Abs. 5 BFA‑VG durch das FrÄG 2017 (AA‑213 25. GP, 88 f), mit der die Wortfolge „von Amts wegen“ eingefügt und die letzten beiden Sätze dieses Absatzes angefügt wurden, lassen keine Absicht des Gesetzgebers zu einer derartigen Unterscheidung erkennen. Schon im Hinblick darauf ist anzunehmen, dass eine Rückkehrentscheidung, der gemäß § 18 Abs. 2 BFA‑VG die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, in analoger Anwendung des § 16 Abs. 4 BFA‑VG jedenfalls vor Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. vor Ablauf der einwöchigen Frist nach § 18 Abs. 5 BFA‑VG nicht vollzogen werden darf.

15 Eine unionsrechtskonforme Auslegung führt zum gleichen Ergebnis: Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungs‑RL) bestimmt, dass die zur Überprüfung der Rückkehrentscheidung berufene Stelle auch befugt ist, die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung einstweilig auszusetzen, sofern eine einstweilige Aussetzung nicht bereits im Rahmen der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften anwendbar ist. Das bedeutet, dass der in Art. 13 Abs. 1 der Rückführungs‑RL vorgesehene Rechtsbehelf nicht notwendigerweise schon selbst aufschiebende Wirkung haben muss; allerdings muss der Grundsatz der Nichtzurückweisung, der insbesondere in Art. 19 Abs. 2 der Grundrechtecharta und Art. 5 der Rückführungs‑RL verankert ist, beachtet werden (vgl. idS EuGH 18.12.2014, Abdida, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI:EU:C:2014:2453&locale=de , Rn. 44 bis 46). Daraus hat der Gerichtshof der Europäischen Union ‑ nicht nur im Kontext von Asylverfahren (wie im Urteil EuGH 19.6.2018, Gnandi, C‑181/16) ‑ abgeleitet, dass der Rechtsbehelf gegen eine Rückkehrentscheidung kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung haben müsse, damit gegenüber dem betreffenden Drittstaatsangehörigen die Einhaltung der sich aus Art. 47 der Grundrechtecharta und dem Grundsatz der Nichtzurückweisung ergebenden Anforderungen gewährleistet seien, da der Drittstaatsangehörige durch die Vollstreckung dieser Entscheidung insbesondere tatsächlich der Gefahr einer gegen Art. 19 Abs. 2 der Grundrechtecharta verstoßenden Behandlung ausgesetzt sein könnte. Die Verpflichtung, (fallbezogen: einem an einer schweren Krankheit leidenden Drittstaatsangehörigen) einen kraft Gesetzes mit aufschiebender Wirkung ausgestatteten Rechtsbehelf gegen die Rückkehrentscheidung zu gewährleisten, solle letztlich sicherstellen, dass diese Entscheidung nicht vollstreckt werde, bevor das zur Stützung dieses Rechtsbehelfs geltend gemachte Vorbringen von einer zuständigen Behörde geprüft worden sei, weil diese Vollstreckung die Rückkehr in einen Drittstaat bedeuten würde, in dem der Drittstaatsangehörige Gefahr laufe, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erleiden. Diese Verpflichtung solle es der betroffenen Person somit ermöglichen, sich vorübergehend im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, der gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen habe, aufzuhalten (vgl. EuGH 30.9.2020, CPAS de Seraing, C‑402/19, Rn. 35, 38, 39). Da das Unionsrecht die konkreten Modalitäten des Rechtsbehelfs mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung, der gegen die Rückkehrentscheidung eröffnet sein müsse, jedoch nicht genau festlege, verfügten die Mitgliedstaaten insoweit über einen gewissen Spielraum. Daher könne ein Mitgliedstaat im Rahmen der Regelung der Rechtsbehelfsverfahren gegen eine Rückkehrentscheidung hierfür einen spezifischen Rechtsbehelf zusätzlich zu einer Aufhebungsklage, der keine aufschiebende Wirkung zukomme und die ebenfalls gegen diese Entscheidung erhoben werden könne, vorsehen, sofern die anwendbaren nationalen Verfahrensregeln hinreichend genau, klar und vorhersehbar seien, damit der Rechtssuchende genau seine Rechte kennen könne (vgl. EuGH 30.9.2020, CPAS de Liège, C‑233/19, Rn. 49 f).

16 Als derartiger spezifischer Rechtsbehelf kann im österreichischen Recht die Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung angesehen werden. Sie muss aber in gleicher Weise wie eine der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung ex lege zukommende aufschiebende Wirkung sicherstellen, dass die sich insbesondere aus Art. 47 der Grundrechtecharta und dem Grundsatz der Nichtzurückweisung ergebenden Anforderungen erfüllt sind. Das setzt voraus, dass vor einer Durchführung der Rückkehrentscheidung die Rechtsmittelfrist und außerdem nicht nur die einwöchige Frist nach § 16 Abs. 4 BFA‑VG, sondern auch die (allenfalls verspätete) gerichtliche Entscheidung über die Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung abgewartet werden (vgl. zu dieser aus dem Unionsrecht abzuleitenden, über § 16 Abs. 4 BFA‑VG noch hinausgehenden Verpflichtung ‑ einen Fall der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 1 BFA‑VG betreffend ‑ auch VwGH 13.12.2018, Ro 2018/18/0008, Rn. 31). Während sich die Wartepflicht bis zur gerichtlichen Entscheidung bei einer im asylrechtlichen Kontext ergangenen Rückkehrentscheidung, wie sie dem soeben zitierten Erkenntnis zugrunde lag, insbesondere aus Art. 46 Abs. 6 und 8 der Verfahrens‑RL ergibt, folgt sie hinsichtlich Rückkehrentscheidungen ohne Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich der Verfahrens‑RL aus dem in Rn. 15 dargestellten Gebot eines effektiven Rechtsschutzes nach Art. 47 der Grundrechtecharta und (insbesondere) Art. 9 iVm Art. 13 der Rückführungs‑RL, was nach der wiedergegebenen Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union ein Recht zum vorübergehenden Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats bis zur Prüfung des Rechtsbehelfs durch die zuständige Behörde (hier: das Bundesverwaltungsgericht) beinhaltet. Dass diese Prüfung in einer förmlichen außenwirksamen Entscheidung zum Ausdruck kommen muss, folgt ebenfalls aus dem Gebot eines effektiven Rechtsschutzes, das nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union ‑ wie dargestellt ‑ entweder eine gesetzliche aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung oder einen einer solchen gleichkommenden Rechtsbehelf erfordert.

17 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass § 16 Abs. 4 BFA‑VG auch in Fällen von Beschwerden gegen Rückkehrentscheidungen außerhalb des asylrechtlichen Kontextes ‑ also bei Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 2 BFA‑VG ‑ (analog) anzuwenden ist und aus dem Unionsrecht überdies die Verpflichtung folgt, vor der Durchführung der Rückkehrentscheidung ‑ gegebenenfalls auch über die Wochenfrist nach § 16 Abs. 4 und § 18 Abs. 5 BFA‑VG hinaus ‑ die gerichtliche Entscheidung über die aufschiebende Wirkung abzuwarten.

18 Im vorliegenden Fall, in dem das BFA der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA‑VG die aufschiebende Wirkung aberkannt hatte, hat das Bundesverwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt, dass die noch während der offenen Rechtsmittelfrist erfolgte Abschiebung schon aus diesem Grund rechtswidrig war.

19 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 5. März 2021

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