VwGH Ra 2020/20/0273

VwGHRa 2020/20/02736.8.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des N A S in F, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Jänner 2020, W142 2128890‑1/21E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200273.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 12. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Mit Bescheid vom 20. Mai 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 8. Juni 2020, E 785/2020‑7, die Behandlung derselben ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5 In der Folge wurde die gegenständliche außerordentliche Revision eingebracht.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nur im Rahmen der dafür in der Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. VwGH 26.5.2020, Ra 2020/20/0150, mwN).

10 Das Zulässigkeitsvorbringen der vorliegenden Revision wendet sich gegen die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach für den Revisionswerber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den afghanischen Städten Mazar‑e Sharif und Herat zumutbar sei, und vertritt die Ansicht, dass Afghanistan im Allgemeinen nicht ausreichend sicher sei. Im Übrigen habe es das Verwaltungsgericht verabsäumt, die Auswirkungen der COVID‑19‑Pandemie und die damit verbundenen Reisewarnungen „aller Länder“ für alle Teile Afghanistans zu berücksichtigen. Ferner habe Österreich bereits vor Ausbruch der COVID‑19‑Pandemie eine Reisewarnung betreffend Afghanistan ausgesprochen.

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative letztlich eine ‑ von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende ‑ Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. VwGH 27.4.2020, Ra 2019/20/0242; 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits festgehalten, dass die Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet des Herkunftsstaates wesentliche Bedeutung hat. Es muss mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in diesem Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, findet. Sind diese Voraussetzungen zu bejahen, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein (siehe ebenfalls VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

12 Das Bundesverwaltungsgericht traf basierend auf ausreichend aktuellen Berichten zur Situation in Afghanistan u.a. Feststellungen zur Sicherheitslage in den als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Städten Mazar‑e Sharif und Herat sowie zu deren sicheren Erreichbarkeit. Den diesbezüglichen Erwägungen des Gerichts vermag die Revision, die sich pauschal auf die prekäre Sicherheitslage in ganz Afghanistan beruft, nichts Stichhaltiges entgegenzusetzen.

13 Im Übrigen ist auf die ständige Rechtsprechung hinzuweisen, wonach das Verwaltungsgericht seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt dieser Entscheidung maßgeblichen Sach‑ und Rechtslage auszurichten hat (vgl. VwGH 2.7.2020, Ra 2020/19/0192, mwN). Welche Umstände sich durch Erhebungen hinsichtlich der COVID‑19‑Pandemie zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts ‑ somit vor Veröffentlichung der in der Revision zitierten Berichte ‑ ergeben hätten, lässt die Zulässigkeitsbegründung nicht erkennen. Betreffend die behauptete unzureichende Einbeziehung von Berichten und „Reisewarnungen“ infolge des Ausbruchs der COVID‑19‑Pandemie in Afghanistan wird schon mangels einer entsprechenden Relevanzdarstellung ein vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifender Verfahrensmangel nicht aufgezeigt.

14 Wenn die Revision mit Blick auf die Sicherheitslage in Afghanistan die Nichtberücksichtigung von sonstigen „Reisewarnungen“ ins Treffen führt, wird ebenfalls die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht, ohne die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels darzulegen. Es wird insbesondere nicht ausgeführt, aus welchen Gründen sich der Inhalt der „Reisewarnungen“ für die im konkreten Fall vorzunehmende Beurteilung hinsichtlich des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar‑e Sharif und Herat als maßgeblich darstellte und welche anderen Feststellungen zu einer günstigeren Entscheidung für den Revisionswerber hätten führen können (vgl. VwGH 23.3.2020, Ra 2020/14/0084, mwN).

15 Schließlich ist nicht ersichtlich, inwiefern im Zusammenhang mit der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, der gegen das angefochtene Erkenntnis erhobenen Beschwerde zunächst die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, bezogen auf den Revisionsfall die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG vorlägen (vgl. zu einem gleichartigen Vorbringen VwGH 28.2.2020, Ra 2020/14/0076; die in der Revision bloß allgemein angesprochene Frage der Rechtswirkungen der vom Verfassungsgerichtshof vorgenommenen Beschwerdeabtretung wurde im Übrigen in der Rechtsprechung bereits geklärt, vgl. die in Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, § 26 VwGG, E 55 ‑ E 60, wiedergegebene Judikatur).

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 6. August 2020

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