VwGH Ra 2020/19/0192

VwGHRa 2020/19/01922.7.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und den Hofrat Mag. Stickler sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des Z M, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7‑11/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. März 2020, W262 2151193‑1/23E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190192.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 28. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheid vom 27. Februar 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung mündlicher Verhandlungen mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis als unbegründet ab. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig erklärt.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 In der vorliegenden Zulässigkeitsbegründung moniert die Revision zunächst, das Bundesverwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative ab. Das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit den persönlichen Umständen des Revisionswerbers auseinandergesetzt.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung dargelegt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

9 Das Bundesverwaltungsgericht ging ‑ auf der Grundlage näherer Feststellungen ‑ davon aus, dass dem Revisionswerber, einem jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, unter anderem in Mazar‑e Sharif auch ohne die Unterstützung seiner Familie eine innerstaatliche Fluchtalternative offen stehe. Die Revision vermag es mit ihrem pauschalen Hinweis auf nicht näher dargelegte persönliche Umstände des Revisionswerbers nicht, eine Unvertretbarkeit dieser Beurteilung des BVwG aufzuzeigen (vgl. zur IFA für junge, gesunde und arbeitsfähige Männer in Mazar‑e Sharif etwa VwGH 15.5.2020, Ra 2020/20/0140).

10 Soweit die Revision in diesem Zusammenhang ferner behauptet, das Bundesverwaltungsgericht habe es unterlassen, Feststellungen zur aktuellen gesundheitlichen Situation aufgrund der Covid‑19‑Pandemie und ihren Auswirkungen auf das afghanische Gesundheitssystem zu treffen, ist sie zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach das Verwaltungsgericht seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten hat (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2019/19/0500, mwN). Werden Verfahrensmängel ‑ wie hier insbesondere Ermittlungsmängel ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 28.4.2020, Ra 2019/14/0121, mwN). Die Revision, die nicht darstellt, welche Umstände sich durch Erhebungen hinsichtlich der COVID‑19‑Pandemie zum Entscheidungszeitpunkt des BVwG ergeben hätten, wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

11 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiters vor, das Bundesverwaltungsgericht habe sich bei der Interessenabwägung und deren Gewichtung von den hg. aufgestellten Leitlinien entfernt. Beim Revisionswerber würden Umstände vorliegen, die bei näherer Auseinandersetzung zu einem anderen Ausgang der Interessenabwägung geführt hätten.

12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG (vgl. etwa VwGH 5.5.2020, Ra 2020/19/0140 mwN).

13 Das Bundesverwaltungsgerichtshof hat, nach Durchführung zweier Verhandlungen, die für die Interessenabwägung maßgeblichen Umstände sowie die Integrationsbemühungen des Revisionswerbers berücksichtigt. Der Revision gelingt es mit ihrem pauschalen Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht sei von den aufgestellten Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen, nicht, eine Unvertretbarkeit dieser Beurteilung aufzuzeigen.

14 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 2. Juli 2020

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