European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200140.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 6. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, dass er Afghanistan aus Angst vor den Taliban und dem Krieg verlassen habe. Der Revisionswerber habe in der Stadt einen Englischkurs besucht. Die Taliban hätten gedacht, dass diejenigen Leute, die in die Stadt gingen, etwas mit der Regierung zu tun hätten.
2 Mit Bescheid vom 22. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte für die freiwillige Ausreise eine vierzehntägige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis - nach Durchführung einer Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 5. März 2020, E 584/2020-6, die Behandlung derselben ablehnte und sie über nachträglichen Antrag des Revisionswerbers mit Beschluss vom 18. März 2020, E 584/2020-8, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
5 In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht. 6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 9 Die Revision bringt vor, das BVwG habe es unterlassen, im Rahmen des amtswegig zu führenden Ermittlungsverfahrens dem Erkenntnis aktuelle, an das Vorbringen angepasste Länderberichte zugrunde zu legen und sei dadurch von (näher bezeichneter) Rechtsprechung zum Grundsatz der Amtswegigkeit abgewichen. Die Feststellung des BVwG, dem Revisionswerber drohe bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine asylrelevante Verfolgung, finde "keine Stütze durch entsprechende Länderfeststellungen". 10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. VwGH 2.9.2019, Ra 2019/20/0405, mwN). Das Vorbringen, das BVwG wäre bei Berücksichtigung entsprechender Berichte zu einem anderslautenden, für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis gelangt, wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
11 Das Verwaltungsgericht setzte sich mit den vom Revisionswerber behaupteten fluchtauslösenden Ereignissen näher auseinander und stufte dieses Vorbringen als unglaubwürdig ein. Insbesondere schenkte es den erstmals im Rahmen der Verhandlung vor dem BVwG getätigten Angaben, wonach die Taliban die in die Stadt fahrenden Dorfbewohner zwangsrekrutieren wollten, keinen Glauben. Mit dem vom Revisionswerber geschilderten Besuch eines Englischkurses setzte sich das BVwG auseinander, erachtete es dabei aber unter Bedachtnahme auf die sonstigen Beweisergebnisse, etwa dem Inhalt der Aussage des Revisionswerbers in der Verhandlung, im Rahmen einer nicht als unvertretbar zu wertenden Beweiswürdigung als "nicht glaubhaft, dass der (Revisionswerber) in Afghanistan jemals individuell und konkret aufgrund bestimmter, in seiner Person gelegener Eigenschaften durch die Taliban bedroht oder verfolgt worden ist". Dieser Beweiswürdigung des BVwG tritt die Revision nicht entgegen, sondern verweist bloß pauschal auf die in den Richtlinien des UNHCR zu Afghanistan vom 30. August 2018 genannten Risikoprofile. Dass der Revisionswerber tatsächlich ein derart erhöhtes Risikoprofil aufweise, sodass es im Fall seiner Ansiedlung in Mazar-e Sharif als wahrscheinlich anzusehen wäre, dass er in der genannten Stadt einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt wäre, legt die Revision mit dem bloßen Hinweis auf die Indizwirkung der Richtlinien nicht nachvollziehbar dar.
12 Angesichts der ausführlichen Würdigung des Vorbringens des Revisionswerbers durch das BVwG ist nicht zu erkennen, dass die vorgenommene Beurteilung, von weiteren Erhebungen abzusehen, fallbezogen unvertretbar wäre (zur eingeschränkten Revisibilität der einzelfallbezogenen Frage der Erforderlichkeit weiterer amtswegiger Ermittlungen vgl. VwGH 15.5.2019, Ra 2018/20/0496; 17.5.2019, Ra 2019/01/0170, jeweils mwN).
13 Entgegen dem Revisionsvorbringen befasste sich das BVwG vor dem Hintergrund der fallbezogenen, die individuelle Situation des Revisionswerbers näher beleuchtenden Feststellungen mit der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Warum der nach den Feststellungen des BVwG volljährige, gesunde und arbeitsfähige Revisionswerber, der sich im erwerbsfähigen Alter befinde, über Schulbildung und Arbeitserfahrung in der Landwirtschaft verfüge, bei dem die Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne, der mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und eine Landessprache beherrsche, nicht in der Lage sei, sich im Herkunftsstaat eine Lebensgrundlage zu erwirtschaften, wird in der Revision nicht näher dargelegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem bereits mehrfach zur auch hier maßgeblichen Berichtslage zum Ausdruck gebracht, dass das Vorhandensein eines sozialen Netzwerkes für einen alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann keine Voraussetzung für die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative ist (vgl. VwGH 30.1.2020, Ra 2020/20/0003, mwN). 14 Dem Vorbringen in der Revision, aus den Feststellungen zur Situation im Heimatland des Revisionswerbers ergebe sich kein klares Bild über die tatsächlichen Unterstützungsleistungen in Afghanistan, ist entgegenzuhalten, dass das BVwG davon ausging, der Revisionswerber sei in der Lage, sich in Mazar-e Sharif seine Existenz - unabhängig vom Bestehen von Hilfsprogrammen - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten zu sichern und eine einfache Unterkunft zu finden, so dass es ihm möglich sei, in der Stadt Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort für seinen grundlegenden Lebensunterhalt zu sorgen.
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 15. Mai 2020
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