VwGH Ra 2020/19/0187

VwGHRa 2020/19/018729.9.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des R R, vertreten durch Mag. Wolfgang Auner, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Parkstraße 1/I, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. April 2020, W217 2167620‑1/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §18 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190187.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 17. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, von den Taliban sei versucht worden, ihn dazu zu zwingen, den Brunnen der Schule, in der er als Schulwart beschäftigt gewesen sei, zu vergiften. Er habe sich diesem Ansinnen widersetzt und daher vor den Taliban flüchten müssen.

2 Mit Bescheid vom 27. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Die Angaben des Revisionswerbers zu seinen Fluchtgründen erachtete das Bundesverwaltungsgericht nicht als glaubwürdig. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes traf das Bundesverwaltungsgericht Feststellungen zur Lage in Afghanistan und führte aus, dem Revisionswerber drohe bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz aufgrund des dort herrschenden Zustandes allgemeiner Gewalt die reale Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK. Dem gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber, der über ein soziales Netzwerk in Afghanistan verfüge, stehe jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat und Mazar‑e Sharif offen. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des Verlaufes derCovid‑19‑Pandemie in Afghanistan, zumal der Revisionswerber hinsichtlich Covid‑19 keiner Risikogruppe angehöre.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Zur Zulässigkeit der Revision wird zunächst vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht wäre verpflichtet gewesen, amtswegig weitere Ermittlungen hinsichtlich der Angaben des Revisionswerbers durchzuführen und ein länderkundliches Sachverständigengutachten einzuholen bzw. einen Vertrauensanwalt beizuziehen. Daraus hätte sich die Existenz der Schule, in der der Revisionswerber tätig gewesen sei, und die Richtigkeit der Schilderung seiner Fluchtgründe ergeben.

9 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht. Die Beurteilung der Erforderlichkeit derartiger Erhebungen im Sinn des § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 obliegt der ermittelnden Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 15.4.2020, Ra 2019/19/0076; vgl. näher zu Erhebungen im Herkunftsstaat VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100 und 0101). Die Frage, ob amtswegige Erhebungen erforderlich sind, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar, weil es sich dabei um eine einzelfallbezogene Beurteilung handelt. Solchen Fragen kann (nur) dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen (vgl. VwGH 22.6.2020, Ra2019/19/0539, mwN).

10 Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht entgegen der Revision seinen Feststellungen ohnehin eine Tätigkeit des Revisionswerbers als Schulwart in der von ihm genannten Schule zu Grunde gelegt, aber die Behauptung einer Erpressung und Bedrohung des Revisionswerbers durch die Taliban ‑ in Hinblick auf diverse Widersprüche und Unplausiblitäten in den Angaben des Revisionswerbers ‑ nicht als glaubwürdig erachtet. Dass dem dazu geführten Ermittlungsverfahren des Bundesverwaltungsgerichtes im Sinn der dargestellten Rechtsprechung eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Mangelhaftigkeit anhaften würde, vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Soweit die Revision hinsichtlich der vom Revisionswerber geschilderten Fluchtgründe das Unterbleiben der Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens rügt, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben eines Asylwerbers zu den Gründen seiner Flucht nicht in das Aufgabengebiet eines Sachverständigen fällt, sondern dem Kernbereich der richterlichen Beweiswürdigung zuzurechnen ist (vgl. VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0189, mwN). Eine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes legt die Revision nicht dar (vgl. zur eingeschränkten Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf die Beweiswürdigung etwa VwGH 9.7.2020, Ra 2020/19/0225).

11 Hinsichtlich der Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes wird unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Revision geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe es verabsäumt, eine ganzheitliche Bewertung der allgemeinen Gefahrenlage in Afghanistan unter Berücksichtigung auch der Covid‑19‑Pandemie vorzunehmen und dazu weitere Ermittlungen durchzuführen bzw. Feststellungen zu treffen.

12 Werden Verfahrensmängel ‑ wie hier Ermittlungsmängel ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setztvoraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 6.8.2020, Ra 2020/20/0248). Die Revision, die nicht darstellt, welche Umstände sich durch Erhebungen hinsichtlich der Covid‑19‑Pandemie zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes ergeben hätten, wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

13 Schließlich wendet sich die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit auch gegen die Rückkehrentscheidung und bringt vor, das Bundesverwaltungsgericht habe der Dauer des Aufenthaltes des strafrechtlich unbescholtenen Revisionswerbers und dem Bestehen eines Freundes- und Bekanntenkreises in Österreich nicht ausreichend Rechnung getragen. Dazu ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 13.2.2020, Ra 2019/19/0310, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat bei seiner Interessenabwägung alle maßgeblichen Aspekte berücksichtigt. Eine diesbezüglich vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung wird in der Revision nicht aufgezeigt.

14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 29. September 2020

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte