VwGH Ra 2020/19/0103

VwGHRa 2020/19/01037.5.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in den Revisionssachen 1. des P O, 2. des A B O, 3. des A O, 4. des A M O, und 5. des A M O, alle vertreten durch Auer Bodingbauer Leitner Stöglehner Rechtsanwälte OG in 4020 Linz, Spittelwiese 4, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Februar 2020, 1. L521 2187310‑1/44E, 2. L521 2187302‑1/13E, 3. L521 2187300‑1/13E, 4. L521 2187305‑1/13E und 5. L521 2187308‑1/13E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190103.L00

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerber sind irakische Staatsangehörige, gehören der kurdischen Volksgruppe an und stammen aus der Autonomen Region Kurdistan. Sie stellten am 7. Mai 2015 Anträge auf internationalen Schutz. Der Erstrevisionswerber gab zu seinen Fluchtgründen an, er sei als Polizist für die Sicherheitskräfte seines Herkunftsstaates im Norden des Landes tätig gewesen. Bei Vorrücken der Milizen des „Islamischen Staates“ habe er ‑ anstatt sich an den Kämpfen zu beteiligen ‑ seinen Dienst quittiert und sei geflüchtet. Deshalb drohe ihm bei einer Rückkehr nunmehr eine Haftstrafe. Die Zweit‑ bis Fünftrevisionswerber sind die minderjährigen Söhne des Erstrevisionswerbers.

2 Mit Bescheiden jeweils vom 20. Dezember 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Revisionswerber zur Gänze ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte jeweils eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen für die freiwillige Ausreise fest.

3 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerden der Revisionswerber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig seien.

4 Das BVwG führte begründend ‑ soweit hier wesentlich ‑ aus, der Erstrevisionswerber habe sich im Jahr 2014 angesichts des Vorrückens des „Islamischen Staates“ unbefugt von seinem Dienst in den irakischen Sicherheitskräften ‑ wobei eine Trennung zwischen Polizei und Streitkräften nicht bestanden habe ‑ entfernt. Er sei deshalb in seiner Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt worden. Bei derartigen Desertionen habe es sich um ein massenhaftes Phänomen gehandelt. Aus den Quellen ergebe sich insgesamt, dass von den Behörden versucht werde, die Deserteure in die Gesellschaft wiedereinzugliedern, wobei es auch Bestrebungen für Amnestien gebe. Eine strengere Strafe als die verhängte Freiheitsstrafe bzw. eine sonstige Sanktion für die Desertion drohe dem Erstrevisionswerber somit nicht. Auch drohe ihm bei einer Rückkehr nunmehr keine Zwangsrekrutierung, zumal der Wehrdienst in der Autonomen Region Kurdistan freiwillig sei. Die Desertion des Erstrevisionswerbers sei aus Furcht, an Kampfhandlungen teilnehmen zu müssen, und nicht etwa aufgrund politischer oder religiöser Überzeugung erfolgt. Es bestehe kein Konnex zu einem Konventionsgrund. Auch sei die verhängte Strafe nicht völlig unverhältnismäßig und könne nicht festgestellt werden, dass der Erstrevisionswerber im Falle eines Verbleibens im Dienst an völkerrechtswidrigen Militäraktionen hätte teilnehmen müssen. Der Status von Asylberechtigten sei daher nicht zuzuerkennen. Bei einer Rückkehr in ihre Herkunftsprovinz Erbil in der autonomen Region Kurdistan, die von Österreich direkt erreichbar sei, bestehe für die Revisionswerber ‑ unter Berücksichtigung ihrer näher dargestellten persönlichen Situation sowie der allgemeinen Lage ‑ keine reale Gefahr, dass sie in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK verletzt werden könnten. Eine solche Gefahr bestünde für den Erstrevisionswerber ‑ unter Beachtung der näher festgestellten Haftbedingungen in seiner Herkunftsprovinz ‑ auch nicht durch die Verbüßung der verhängten Freiheitsstrafe.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nur im Rahmen der dafür in der Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dementsprechend erfolgt nach der Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung. In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. etwa VwGH 9.1.2020, Ra 2019/19/0394, mwN).

8 Zur Zulässigkeit der Revisionen wird vorgebracht, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Asylrelevanz von Desertionen abgewichen. Der Erstrevisionswerber könnte bei einer Rückkehr erneut zu militärischen Einsätzen zwangsverpflichtet werden. Die für die Desertion verhängte Strafe sei nicht verhältnismäßig. In Hinblick auf die Haftbedingungen im Herkunftsstaat drohe jedenfalls eine Verletzung von Art. 3 EMRK, sodass zumindest der Status subsidiär Schutzberechtigter zuzuerkennen gewesen wäre.

9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerungen kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen ‑ wie etwa der Anwendung von Folter ‑ jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0330, mit weiteren Hinweisen auf die Judikatur des VwGH und EuGH). Diese Rechtsprechung hat das BVwG seiner Beurteilung zugrunde gelegt und ‑ wie dargestellt ‑ die Voraussetzungen der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten auf dieser Grundlage schon deshalb verneint, weil ein Zusammenhang der Desertion mit ‑ allenfalls auch nur unterstellten ‑ politischen oder religiösen Überzeugungen des Erstrevisionswerbers nicht bestehe. Dass dem BVwG dabei eine Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, legen die Revisionen nicht konkret dar.

10 Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist der festgestellte Sachverhalt. Entfernt sich die Revision mit ihren Ausführungen vom festgestellten Sachverhalt, vermag sie daher eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht aufzuzeigen (vgl. etwa VwGH 26.2.2020, Ra 2020/20/0041, mwN). Mit den im Widerspruch zu den Feststellungen des BVwG stehenden Ausführungen, wonach dem Erstrevisionswerber bei seiner Rückkehr in seine Herkunftsprovinz eine Zwangsrekrutierung drohe, vermögen die Revisionen daher schon aus diesem Grund keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.

11 Ebenso setzen die Revisionen sich mit der pauschalen Behauptung, die Haftbedingungen im Irak seien unmenschlich und erniedrigend, über die ‑ auf der Grundlage von Feststellungen zu den Verhältnissen in den Haftanstalten in der Autonomen Region Kurdistan beruhenden ‑ Ausführungen des BVwG hinweg, wonach eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch die Verbüßung der über den Erstrevisionswerber verhängten Freiheitsstrafe von drei Monaten nicht drohe, ohne konkret die Unrichtigkeit dieser Ausführungen aufzuzeigen.

12 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 7. Mai 2020

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